Für schärferes Waffenrecht!

Hardy Schober: "Meine Tochter hat mir einen Auftrag hinterlassen. - © Andy Ridder/Visum
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Herr Schober, seit dem Attentat von Newtown wird in den USA wieder über ein strengeres Waffenrecht gestritten. Ist in Deutschland das Thema vom Tisch?
Der Amoklauf an der Schule von Newtown ist an einem Freitag passiert, und am Montagmorgen waren wir vom Aktionsbündnis zu dritt von neun bis eins am Telefon und haben Interviews gegeben. Wir sind heute in Deutschland der erste Ansprechpartner, wenn es um Waffengewalt geht. Und wir versuchen, das Thema am Köcheln zu halten. Wir haben auch den einen oder anderen Verbündeten in der Politik. Zum Beispiel den baden-württembergischen Innenminister Gall, der versucht hat, wenigstens ein Verbot der großkalibrigen Kurzwaffen als Bundesratsinitiative durchzusetzen. Aber er ist gescheitert. Und die Bundesregierung interessiert sich offenbar nicht mehr für das Thema.

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In ihrem Buch beschreiben Sie, wie sich unmittelbar nach dem Amoklauf die Waffenlobby formierte.
Ja, und da gab es weder Mitgefühl noch Solidarität mit uns, sondern nur die Angst, dass ihnen ihr Lieblingsspielzeug verboten wird. Da habe ich kennengelernt, welche Macht so eine große Lobby hat.

Sie schreiben: „Wer sich mit der Waffenlobby anlegt, bekommt täglich E-Mails.“ In denen stehen Sätze wie: „Lass diesen Unsinn, Schober, oder irgendeiner wird sich an dir rächen.“ Oder: „In anderen Ländern hätte man dich längst exekutiert.“
So ist es. Damit muss man dann leben. Auch, wenn wir Unterschriften für ein schärferes Waffenrecht gesammelt haben, wurden wir an unseren Ständen manchmal so massiv bedroht, dass wir Polizeischutz beantragen mussten.

Wie erklären Sie sich diesen blanken Hass, der Ihnen da entgegenschlägt?
Diese Waffen sind für einige dieser Leute eine Art Heiligtum. Jemand, der sich in der Szene auskennt, hat mir mal gesagt: „Die würden sich eher einen Arm abhacken lassen als auf ihre Waffe zu verzichten!“ Da herrscht so ein Gedankengut, das dem der Amerikaner gar nicht so unähnlich ist. Da will der Mann Haus und Hof verteidigen, falls ein Einbrecher oder der Weltuntergang kommt. Oft sind das Männer mit einem ganz geringen Selbstbewusstsein, die dann so ein Machogehabe demonstrieren. Diese Schützenvereine sind ja auch eine totale Männerwelt. Der Vizepräsident eines großen Schützenverbandes hat im persönlichen Gespräch Verständnis für unsere Anliegen geäußert. Aber er hat auch gesagt: Wenn er öffentlich mit uns redet, wird er bei der nächsten Hauptversammlung nicht wiedergewählt.

Was fordert Ihre Initiative?
Wir wollen, dass großkalibrige Kurzwaffen ganz verboten werden. Mit denen können Sie durch Türen und sogar durch Ziegelwände schießen. Diese Waffen sind für Militär und Polizei entwickelt worden, die braucht kein Sportschütze. Olympisch sind nur Luftgewehr und Kleinkaliber, sonst nichts. Mit denen kann auch Unheil angerichtet werden, aber nicht so gewaltig.

Beim Amoklauf in Winnenden hat Tim K. mit einer Großkaliberpistole mehrmals mit einem Schuss gleich zwei Schülerinnen verletzt. Ein Schütze hat Ihnen erklärt, mit Großkaliber zu schießen sei „wie eine Rennmaschine zu fahren“, Kleinkaliber dagegen nur „wie ein Mofa“.
Wer so was sagt, hat einfach kein Mitgefühl und keine soziale Kompetenz. Wir fordern auch, dass Waffen nicht zu Hause gelagert werden dürfen. Denn dann besteht immer die Gefahr, dass ein Unbefugter an diese Waffe gelangt.

Nicht selten missbraucht aber auch der Besitzer selbst diese Waffe. Sie haben viele E-Mails von Frauen bekommen, die von ihrem eigenen Mann oder Ex-Mann bedroht werden.
Ja. Eine Frau hat mir zum Beispiel geschrieben: „Mein Mann hat schon öfter die Pistole auf den Tisch gelegt und gesagt: Wenn du nicht machst, was ich will, wird diese Waffe dich töten!“ Die Frau hat sich dann von dem Mann vergewaltigen lassen. Und irgendwann muss der die Waffe gar nicht mehr auf den Tisch legen. Die Frau weiß ja, dass sie nebenan im Schrank liegt.

Ihr Aktionsbündnis ist 2009 vom Innenausschuss des Bundestags gehört worden. Sie haben dazu beigetragen, dass eine Expertenkommission konkrete Vorschläge unterbreitet hat, wie man das Waffenrecht verschärfen und so die Sicherheit der Menschen verbessern könnte. Vier Jahre später ist kaum eine davon umgesetzt.
Es ist ja immer dasselbe Spiel: Zuerst ist man unheimlich betroffen. Aber wenn dann die Angehörigen der Opfer Forderungen stellen, erklärt man ihnen, dass sie eh keine Ahnung haben. Denn inzwischen haben die gut vernetzten Waffenlobbyisten mit ihren Politikern gesprochen. Die sehen eben die Millionen Schützen auch als potenzielle Wähler. Außerdem sind viele Politiker selbst Waffenfans.

Seit der Reform des Waffenrechts im Sommer 2009 können Waffenbesitzer immerhin zu Hause unangemeldet kontrolliert werden, um zu schauen, ob sie ihre Waffen ordnungsgemäß lagern.
Wir haben gerade den Evaluierungsbericht des Bundesinnenministeriums über die Reform bekommen. Darin steht, dass gerade mal knapp vier Prozent der deutschen Schützen kontrolliert worden sind. Das ist lächerlich. Aber es steht leider kein Politiker auf und fordert mehr Kontrollen oder mehr Personal. Es gibt inzwischen auch so viele technische Möglichkeiten, Waffen zu sichern. Es gibt zum Beispiel ein System, bei dem die Waffe nur auf dem Schießstand funktioniert. Aber die Waffenfans reden diese Techniken mit allen möglichen Argumenten nieder.

Sie kämpfen auch für ein Verbot gewaltverherrlichender Computerspiele. Was haben Sie erreicht?
Leider nichts. Da ist eine noch größere Lobby am Werk als die Waffenlobby. Der Umsatz der Spieleindustrie ist inzwischen höher als der der Filmindustrie. Uns geht es um die Spiele, bei denen virtuell Menschen ermordet werden. Diese Spiele sind vom US-Militär entwickelt worden, um die Empathiefähigkeit der Soldaten systematisch zu senken. Solche Spiele gehören einfach nicht auf den Markt. Die Studien, die behaupten, Killerspiele hätten keine Wirkung auf die Spieler, sind in der Regel von der Spieleindustrie selbst bezahlt. Anders Breivik hat in seinem Manifest erklärt, dass er zur Vorbereitung auf seinen Amoklauf ein Jahr lang täglich zehn Stunden Egoshooter gespielt hat. Trotzdem sind Spiele wie „Counterstrike“ oder „Call of Duty“ immer noch frei verkäuflich. 2012 hat sogar die Bundesprüfstelle selbst mit „Crysis 2“ ein gewaltverherrlichendes Spiel ausgezeichnet. Da verzweifelt man schon manchmal. Und während wir es beim Waffenrecht vor allem mit der CDU/CSU und der FDP zu tun kriegen, haben wir bei den Computerspielen eher die Grünen gegen uns. Die schielen auf ihre jungen Wähler. Wohlgemerkt auf die männlichen, denn die Mädchen spielen ja eher „Germany’s Next Top Model“.

Der Vater von Tim K. war ebenfalls ein Waffennarr. Der Amoklauf wurde möglich, weil Jörg K. seine Waffe unverschlossen im Kleiderschrank aufbewahrt hat, zusammen mit der Munition. Gerade hat ihn das Landgericht Stuttgart zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. In zweiter Instanz, denn gegen das erste Urteil hatte Jörg K. Revision eingelegt. Hatte er kein Schuldbewusstsein?
Ich habe nicht den Eindruck. Er hat sich ja nie öffentlich entschuldigt. Den Brief, den seine Frau und er damals nach dem Amoklauf an die Eltern der Opfer geschrieben haben, haben seine Anwälte formuliert. Ich halte diesen Brief für eine taktische Maßnahme, die erreichen sollte, dass kein Verfahren gegen ihn eröffnet wird. Meine Frau Ulrike und ich waren Nebenkläger und haben den Prozess verfolgt. Er hat im Gerichtssaal kein Wort gesagt. Er hätte doch mal Kontakt mit uns aufnehmen können. Wir sind doch keine Unmenschen. Ich habe keine Rachegedanken gegen ihn. Er hat doch auch einen Sohn verloren. Und wenn man selbst ein Kind verloren hat, fühlt man mit und weiß, dass er bestimmt auch sehr traurig ist. Aber aus seiner Sicht sind offenbar nur andere Schuld, er nicht.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie Janas Zimmer unverändert gelassen haben und sich dort die Kraft für ihre Arbeit holen, wenn Sie entmutigt sind.
In dem Zimmer kann ich nah bei ihr sein. Meine Tochter hat mir einen Auftrag hinterlassen: Dass ich diese Welt sicherer mache. Und wenn mir jemand sagt: „Herr Schober, jetzt hören Sie doch mal auf mit Ihren Forderungen, Sie erreichen ja eh nichts!“ dann antworte ich: „Wissen Sie, ich habe den größten Verlust schon erlebt. Ich kann gar nicht mehr enttäuscht werden.“

Weiterlesen:
Hardy Schober: Mein Sonnenkind (Südwest Verlag, 17.99 €)

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Winnenden: Fünf Jahre danach

© ZDF/Brian McClatchy
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Viermal hat sie es versucht, an vier verschiedenen Schulen. Aber es ging nicht. Larissa Killian konnte es nicht mehr ertragen, in einem Klassenzimmer zu sitzen. Sie war 13, als der Amokläufer Tim K. am 11. März 2009 in ihre Klasse stürmte und zwölf ihrer MitschülerInnen erschoss. Jetzt arbeitet die heute 18-Jährige mit der Kinder- und Jugendpsychiaterin Luise Hepp daran, ihre Angst zu überwinden, damit sie endlich ihren Schulabschluss machen kann.

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Die Dokumentarfilmerin Beate Rygiert hat mit fünf Menschen gesprochen, deren Leben sich an diesem 11. März für immer verändert hat. Selina hat noch heute Albträume, Steffen wirkt nach außen stabil, verbirgt sein Inneres aber gut vor den anderen. Am besten ablenken kann er sich im Fußballstadion. Patrick, der damals mit drei Streifschüssen verletzt wurde, schrieb einen Roman über das Grauen.

Keiner der Überlebenden hat klein bei gegeben.

Und Hardy Schober, der seine Tochter Jana beim Amoklauf verlor, gründete das „Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden“. Seither kämpft er unermüdlich für eine Verschärfung des Waffenrechts und Gewaltprävention an Schulen. Dabei bekommt er es immer wieder mit der Waffenlobby zu tun, die ihn massiv bedroht. Er macht trotzdem weiter. „Meine Tochter hat mir einen Auftrag hinterlassen: Dass ich diese Welt sicherer mache“, sagt Hardy Schober im EMMA-Interview (siehe unten).

Das Durchhaltevermögen der Überlebenden hat Filmemacherin Beate Rygiert beeindruckt: „Keiner von ihnen hat klein beigegeben, alle kämpfen sie bis heute darum, dass ihr Leben wieder eine gewisse ‚Normalität’ haben kann. Wie sie das schaffen, das zeigt der Film sehr eindrucksvoll. Auch Hardy Schober beweist als Vater, der seine Tochter verlor und von heute auf morgen sein Leben änderte, um dafür zu kämpfen, dass so etwas möglichst nie wieder passiert, jeden Tag aufs Neue ungeheuer viel Mut.“

Allerdings musste Rygiert feststellen, dass die Opfer nicht nur Respekt erfahren: „Interessant ist, dass das Wort ‚Opfer’ vor allem auf deutschen Pausenhöfen eine neue Bedeutung erfahren hat: Es wurde nämlich zum Schimpfwort. Auf diese Weise geschieht es tatsächlich, dass Schüler, die beim Amoklauf dabei waren, gerade deswegen gemobbt werden. Auch dieses Phänomen beleuchtet mein Film.“

"Amok in Winnenden - Das Leben danach" in der 3Sat-Mediathek ansehen. 

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