Furtwängler gegen Sexismus
Die Nachricht ist eher ernüchternder Natur: Die jungen Frauen in den modernen Medien agieren wie ihre Großmütter in den 50er-Jahren: Sie sind vorwiegend mit ihrem Aussehen und mit Handarbeiten beschäftigt. Das hat eine Studie ergeben, die Schauspielerin Maria Furtwängler zusammen mit Tochter Elisabeth für ihre MaLisa Stiftung in Auftrag gegeben hat. „Weibliche Selbstinszenierung in den neuen Medien“ lautet der Titel.
Drei Forschungsinstitute haben die Selbst- und Fremdinszenierung von Frauen erkundet: auf YouTube und Instagram sowie in den Top 100 Musikvideos. „Das Verhältnis 1 : 2 von weiblichen zu männlichen Protagonist*innen, das sich in Kino und TV gezeigt hat, ist auch bei den 100 beliebtesten Musikvideos, den 100 beliebtesten YouTube-Kanälen und den Top 100 Instagrammer*innen in Deutschland zu finden“, konstatiert die MaLisa-Studie.
Auch bei den Selbstinszenierungen sind insbesondere die jungen Frauen eher Brigitte als Revolte. Während sie sich zum Beispiel auf YouTube „überwiegend im privaten Raum zeigen, Schminktipps geben und ihre Hobbies präsentieren (Basteln, Nähen, Kochen), bedienen Männer deutlich mehr Themen: von Unterhaltung über Musik bis zu Games, Comedy und Politik“. Bibi und Dagi lassen grüßen.
Nun ist diese eindimensionale Darstellung des Lebens von jungen Frauen in Medien ja nicht unbedingt neu. Eine Google-Recherche erinnert an die geradezu phantasielosen Titelzeilen der in den 1990er-Jahren angesagten Mädchenzeitung Bravo Girl!: „12 Traumfrisuren zum Nachmachen!“; „12 Traumoutfits!“; „Der neue Hit: Zöpfchen! So wird’s gemacht.“; „Die Monduhr zeigt dir deinen Traumpartner!“; „Pssst!So klappt dein Ferien-Flirt.“; „Das Geheimnis, richtig zu küssen.“ Und so weiter und so fort.
Das war vor rund 25 Jahren. Von den Titeln dieser Hefte strahlten pickellose, spargeldünne Teenagerinnen mit trendigen Klamotten und perfekt gestylten Haaren. Auch damals schon war der Gap zwischen der Realität vieler Mädchen und der zur Schau gestellten Welt in den Mädchenmagazinen Quelle für Frust und Selbstzweifel. Und das scheint sich nicht geändert zu haben.
Den Job der Mädchenmagazine haben heute die so genannten Influencerinnen übernommen: Junge Frauen mit Tausenden, wenn nicht Millionen „Followern“ auf Instagram & Co, die sich selbst zur lukrativen Marke aufgebaut haben. Die Analyse von 300 Posts dieser Beeinflusserinnen ergab, dass „insbesondere die Frauen erfolgreich sind, die einem normierten Schönheitsideal entsprechen. Sie sind dünn, langhaarig, und beschäftigen sich hauptsächlich mit den Themen Mode, Ernährung und Beauty“. Ihre Posen folgen den immer gleichen Normen: der zufällige Blick über die Schulter, das keck ausgestellte Bein, die Hand wie beiläufig im Haar.
Mädchen, die diesen Infuencerinnen folgen, legten „einen größeren Wert darauf, schlank zu sein“, so die MaLisa-Studie. Vergleichbare Studien zum Einfluss der Medien auf das Körpergefühl von jungen Frauen – Stichwort: Germany’s next Topmodel – sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sich heute jede Zweite zu dick fühlt. Essstörungen treten seit Jahren bereits im Kindergartenalter auf.
Im Netz hat sich diese Dynamik verstärkt. Denn die Frauen betrachten ja die makellosen Bilder der Influencerinnen nicht nur, sie ahmen deren Gestiken und Mimiken auf ihren eigenen Online-Kanälen aktiv nach. Eine einzige Sisyphos-Arbeit.
Vor drei Jahren sorgte die Australierin Essena O’Neill für Furore, als sie ihrer Welt, der Welt der Influencerinnen, eine tränenreiche Absage erteilte. Zu diesem Zeitpunkt hatte das 19-jährige Model über eine halbe Million Follower. Die erfuhren nun, dass O‘Neill häufig mehr als hundert Anläufe brauchte, um ihre scheinbar so beiläufig geknipsten Fotos zu produzieren. „Social Media hat mich aufgefressen“, erklärte die junge Frau.
Auch ganz normale Teenagerinnen verfügen heute auf ihren Smartphones über Bildbearbeitungsprogramme, die früher professionellen FotografInnen vorbehalten waren. Mit den entsprechenden Konsequenzen: „Wenn die eigene Erscheinung der Mädchen für die Erreichung des Influencerinnen-Standards nicht reicht, wird mit Inszenierungstricks und Filtern zur Optimierung beigetragen“, schreibt die MaLisa-Studie. Dadurch komme es zu einer völlig verzerrten Vorstellung von „‚natürlich‘ und ‚spontan‘.“
Mädchen auf den Fotos vergrößern ihre Brüste, schmälern ihre Taille und verlängern ihre Beine. Jungen machen die Schultern breiter und die Arme und Beine muskulöser. Der starke Mann, die sexualisierte Frau – alles beim Alten. Aber es handelt sich um Bilder, die keineswegs aus dem Nichts entstehen, wie der dritte Teil der Studie belegt. Fragestellung: Wie werden Frauen in den Top 100 Musikvideos auf YouTube inszeniert? Antwort: „Frauen werden in Musikvideos oft stark sexualisiert inszeniert und als dem Mann untergeordnet dargestellt“. Männer sind meistens von Kopf bis Fuß zu sehen, von Frauenkörpern hingegen werden nur Ausschnitte in Nahaufnahme gezeigt. In mehr als der Hälfte der analysierten Videos hatten die Frauen einfach gar keinen Kopf – es wurde nur ihr Körper gefilmt.
Kein Wunder, dass Frauen die immer gleichen Klischees verinnerlichen. Denn Medien bilden ja die Realität nicht immer nur ab – sie schaffen und sie festigen sie auch. In persönlichen Gesprächen für die MaLisa-Studie mit YouTuberinnen kam sogar heraus, dass manche zwar raus wollen aus der Rolle, aber es als sehr schwer empfinden, aus dieser eindimensionalen Frauenwelt auszubrechen, um „sich neue Genres wie Comedy oder Politik zu erschließen“. Denn die Erwartungen ihrer ZuschauerInnen sind eng gefasst – und sobald eine von dem üblichen Programm abweicht, hagelt es kritische bis feindselige Kommentare.
Die Kernerkenntnis dieser wichtigen Studie ist tragisch: Die Frauen selbst tragen mehr denn je aktiv zur Zementierung des so rückschrittlichen, realitätsfernen Frauenbildes bei. Sie tun das heute nicht, wie früher, nur innerhalb ihrer eigenen Umgebung, sondern dank der neuen Medien weit über ihren Lebenskreis hinaus. Selbst geprägt vom fatalen Frauenbild der Medien tragen sie so aktiv zur großen Frauenverlade bei. Und zwar „freiwillig“ und nicht selten dafür bewundert oder sogar gut bezahlt.
Die Fremdinszenierung wird zur öffentlichen Selbstinszenierung – und ist deshalb von Millionen Followern kaum noch zu durchschauen. Was tun? Maria Furtwängler fordert: „Schulen müssen zu mehr Medienkompetenz verhelfen. Eltern müssen sich mit den Bildern auseinandersetzen, die ihre Kinder prägen und selbst entwerfen.“
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