Über eine echte Abenteurerin

Heidi Hetzer trifft mit Oldtimer Hudo in Berlin ein. Ⓒ Imago
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Heidi Hetzer hat es geschafft! 84.000 Kilometer, 46 Länder in 959 Tagen. Das alles in einem petrolfarbenen Hudson, Baujahr 1930. Kein Wunder, dass die Weltreisende nach ihrer Ankunft am Brandenburger Tor an diesem Sonntag in Berlin erst mal auf die Motorhaube ihres „Hudos“ stieg und sich von ihren Fans feiern ließ. Da verdrückte die so schwer toughe Heidi Hetzer sogar ein paar Freudentränen. "Heidi Hetzer ist eine Ausnahmeerscheinung, und sie hat eine Ausnahmeleistung erbracht", lobte der Berliner Bürgermeister Michael Müller.
 
Im Juni 2014 war die damals 78-jährige Berliner Autohändlerin aufgebrochen, um ihren großen Traum zu verwirklichen: Ganz wie Clärenore Stinnes in den 1920er Jahren die Welt in einem Kraftfahrzeug zu umrunden.
Leicht war ihre Reise nicht. Einmal hätte sie bei einer Reparatur ihres Wagens fast die Hand verloren. Auf dem Höhepunkt ihrer Reise stellte ein Arzt eine Krebsdiagnose. Und ausgerechnet kurz vor dem Ziel, auf der Strecke zurück nach Berlin, hätte Hudo dann auch fast schlapp gemacht: Immer wieder blinkte eine rote Warnleuchte auf, aber der Oldtimer hielt durch. Und Heidi sowieso.
 
"Ich liebe ihn", sagt Heidi Hetzer über ihren Wagen. Der kommt erst mal in eine Klassiker-Ausstellung in Essen. "Danach würde ich ihn gerne ins Berliner Technik-Museum geben. Aber nur mit der Auflage, dass ich ihn für eine Rallye da jederzeit wieder rausholen kann", sagte sie. Heidi will jetzt erst mal Enkelkind Nummer Fünf kennenlernen. Das kam auf die Welt, während sie auf Tour war. Dann feiert sie am 20. Juni ihren 80. Geburtstag in Berlin. Und die nächste Reise ist auch schon geplant. Hetzer: "Mit dem Allradauto will ich durch ganz Afrika durch!" Na dann!

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Aua!“ Beinahe wäre die Hand ab gewesen. Oder der ganze Arm. Oder noch Schlimmeres wäre passiert. Eine Frau auf Weltreise sucht unter ihrem aufgebockten Wagen nach einem Ölleck, das sie schon eine ganze Weile stört. Bei laufendem Motor springt plötzlich die Lüftung an, ihr Lappen verfängt sich mit der Hand in der Welle der Lichtmaschine. Den Arm kann die Frau reflexartig zurückziehen, doch sie verliert zwei Finger. Der Unfall ereignet sich im September 2015 in Kanada, unweit der Niagarafälle.

Sie reiste durch den Iran, die Mongolai, durch Bolivien & Peru

Die Frau ist Heidi Hetzer, Berlinerin, Unternehmerin, Automechanikerin und stolze 78 Jahre alt. Im Weblog, den Tochter Marla reisebegleitend von zu Hause aus führt, kann man kurz darauf lesen: „Sicherlich wird der Anblick ihrer Hand in Zukunft keine Freude sein. Das wird hart. Aber Heidi kann sich jetzt schon vorstellen, stilvoll den Handschuh wieder als Accessoire in Mode zu bringen.“

Nur eine Woche zuvor hatte sich der 25. Todestag von Clärenore Stinnes gejährt, dem großen Vorbild Hetzers. Zwischen 1927 bis 1929 hat Stinnes als erster Mensch überhaupt die Weltumrundung in einem Kraftfahrzeug bewältigt, da war sie 26 Jahre alt.

Mit dem Automobil um die Welt. Ein solches Unterfangen birgt allerlei Herausforderungen – Fahrten durch Krisengenbiete, Ersatzteilbeschaffung, Reisepapiere, Sprachprobleme undundund. Eine Frau hat zusätzlich damit zu kämpfen, dass ihre Anwesenheit auf der Straße nicht in allen Regionen dieser Welt selbstverständlich ist, vor allem nicht ohne männliche Begleitung.

Im Gegensatz zu Stinnes ist Hetzer im 21. Jahrhundert allein unterwegs. Eine typische Frage an sie lautet denn auch: „Wo ist denn Ihr Mann?“ Traditionell waren es die Söhne des europäischen Adels, die auf einer Grand Tour die Welt kennenlernen und in ihr bestehen sollten. Nichts anderes nehmen nun auch die Töchter – und nicht nur im Adel – für sich in Anspruch. Clärenore Stinnes überquerte in Sibirien den zugefrorenen Baikalsee, entkam marodierenden Chinesen, durchquerte die Wüste Gobi und sprengte sich in den Anden den Weg frei. Von New York aus ging es zurück nach Europa, wo die Umfahrung der Welt nach etwa 46 000 Kilometern 1929 in Berlin endete. Heidi Hetzer bewundernd: „Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, einmal um die Welt zu fahren. Auf dem kürzesten Weg. Nur rum. Ich lehne meine Route an ihre an, aber ich fahre viel weiter. Doppelt so viel.“

Einmal hätte sie auf ihrer Reise fast die Hand verloren

Heidi Hetzer ist bei Reiseantritt mit 78 Jahren genau dreimal so alt wie Stinnes, ansonsten sind sich die beiden Frauen in vielem ähnlich. Clärenore, Tochter des Stahlbarons Hugo Stinnes, ist nach dem Ersten Weltkrieg eine der ersten deutschen Rallye-Fahrerinnen. Heidi macht nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls erste Rennerfahrungen, zunächst mit dem Motorrad, dann mit den Wagen aus dem Autohaus des Vaters. Unter anderem bewältigt sie Paris-Berlin, Panama-Alaska, Düsseldorf-Shanghai, die Carrera Panamericana, Rallye Monte Carlo, Mille Miglia oder die Tour d’Europe. Ihr Fahrstil ist kühn, einmal überschlägt sie sich, kann jedoch schwer verletzt aus dem brennenden Fahrzeug geborgen werden.

Heidi, ebenso schlank und klein, arbeitet wie Stinnes als Sekretärin des Vaters. „Ich bin ein Vaterkind, aber keine Emanze, war immer weiblich, flirte gern.“ Beide Väter trauen ihren Töchtern einem Sohn gleich einfach alles zu und bereiten sie auch auf die Übernahme des Betriebs vor. Wobei Clärenore einen Weltkonzern lenken soll, Heidi ein Autohaus führen.

Heidi Hetzer ist eine dynamische und temperamentvolle Persönlichkeit, das meiste macht sie schnell, Gehen etwa, Reden sowieso. In Berlin geboren und aufgewachsen, ist Geduld nicht ihre Stärke. Ihr Leben lang schon hat sie mit Automobilen zu tun. Nach der elften Klasse verlässt sie mit 17 die Schule und lernt im heimischen Betrieb – Vater Siegfried handelt seit 1919 mit Kraftfahrzeugen – das Handwerk einer Kfz-Mechanikerin. „‚Gib mal her, das kannst du nicht!‘, so etwas hat mein Vater nie gesagt, das war mein Glück! Ich habe immer mit ihm geschraubt. Meine Mutter fand das natürlich ganz furchtbar. Eine Frau, die mit dreckigen Fingernägeln rumläuft, wie ein Junge latscht und dann noch berlinert!“

Heidi ist 31, als der Patriarch stirbt und sie 1969 das verschuldete Unternehmen mit 150 Mitarbeitern schließlich allein weiter führt. „Das war hart. Ich war ganz unsicher, aber ich habe mir nie eine Schwäche anmerken lassen.“ Tatkräftig baut sie den Betrieb in der Charlottenburger Knobelsdorffstraße zu einem der größten Autohäuser Berlins aus, mit Filialen in Steglitz und Mitte. Zwischendurch heiratet sie und zieht zwei Kinder auf, den Laden schmeißt sie allein. Dass sie mit ihrem rauen Charme aneckt und auch mal verletzt („Ich lüge nie“), nimmt sie in Kauf – die Leute mögen sie trotzdem.

Ihre Autohäuser führt Hetzer über mehr als vier Jahrzehnte, dann verkauft sie das Unternehmen. Ihre Kinder wollen nicht übernehmen, und sie möchte noch mal was anderes machen – endlich auf Weltreise gehen. „Oldtimer wollen bewegt werden!“

Mit einem Hudson Great Eight, Baujahr 1930, bricht sie im Juli 2014 in Berlin auf. Die Weltreise mit ‚Hudo‘, wie sie den Wagen nennt, führt über Osteuropa nach Teheran, Moskau, die Mongolei durch China nach Australien. Im April 2015 durchquert sie Neuseeland, setzt über nach Kanada und gelangt im August 2015 in die Vereinigten Staaten.

Dann der große Schreck. Zum Jahreswechsel 2015/16 bekommt Hetzer in Lima die Diagnose Krebs. Zunächst hält sie sie vor ihrer Familie geheim; im Sinne von ‚Das schaffe ich schon allein.‘ Ein Arzt rät ihr, nach Deutschland zu fahren. Sie lässt sich in Essen operieren – und kehrt so schnell wie möglich wieder an den Ort der Unterbrechung ihrer Weltreise zurück.

Nicht einmal von einer Krebs-
diagnose ließ sie sich aufhalten

Im Februar 2016 durchquert Heidi Peru. Ganz wie Clärenore hat Heidi auf ihrer Reise ein paar Männer verschlissen. Man braucht einen fähigen Beifahrer, das weiß Hetzer, sie hat einige ausprobiert und befand: „Die meisten sind schlecht.“ Die zwei mitreisenden Herren stiegen nach wenigen Kilometern wieder aus, über die Gründe wird Stillschweigen bewahrt.

Clärenore Stinnes hatte damals gleich drei männliche Begleiter, zwei Techniker und einen Fotografen, fürs Marketing. Auch Heidi hat im Vorfeld Sponsoren für ihren Trip aufgetan, und auch sie berichtet in Wort und Bild von ihrer späten Weltumrundung. Hetzer: „Meine Uni war das Leben. Jedes Mädchen kann das. Wenn sie will.“ – „Aufgeben ist keine Option“, dachte damals Clärenore Stinnes. Auch Heidi Hetzer fährt fort. Wie ihr Vorbild möchte die Globetrotterin ihre Tour in Berlin abschließen, avisiert ist August 2016. Zurzeit ist Heidi in Chile.

Aktualisierte Fassung vom 13.3.2017. Der Artikel über Heidi Hetzers Weltreise erschien ursprünglich in EMMA Mai/Juni 2016.

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Ingo Rose/Barbara Sichtermann: Sternstunden verwegener Frauen (Ebersbach & Simon, 24.95 €)

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