Iranerinnen: Protest ohne Schleier

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Masih Alinejad ist Journalistin und Iranerin. Zweiteres hat für sie allerdings keine große Bedeutung, denn sie lebt mittlerweile in London. Frei und unverschleiert. Seitdem sie im Jahr 2009 wegen ihrer kritischen Artikel über Ex-Präsident Ahmadinedschad das Land verlassen musste. Aus dieser Zeit stammt auch das Foto, für das Masih es mitten in Iran einfach mal im Auto riskiert hatte: Den Schleier ablegen. Und das sie nun auf ihre Facebook-Seite stellte: „Ich wette, viele Iranerinnen besitzen solche Fotos heimlicher Freiheiten“, schrieb sie dazu.

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Wette gewonnen. Innerhalb weniger Tage landeten hunderte Fotos auf Masihs Pinnwand: alle von Iranerinnen, die sich die Freiheit nehmen, den Schleier zu ­lüften. Inzwischen sind es tausende. Aus Protest gegen den Verhüllungszwang des Mullah-Regimes. Das Schockierende beim Anblick dieser Bilder ist die Erkenntnis: Diese Frauen, die wir sonst nur als wandelnde, triste Stoffhaufen wahrnehmen, sind Frauen wie wir. Mit denselben Sehnsüchten und demselben Freiheitsdrang – aber meist schönerem Haar.

Dabei ist auch für die Städterinnen in Iran, einst Persien, das islamistische Kopftuch, das Haar und den Haaransatz streng verdeckt, relativ neu. Es war Ayatollah Khomeini, der nach seiner Machtübernahme 1979 die Verhüllung der Frauen zum Gesetz machte. Ausgerechnet am 8. März 1979, dem Internationalen Frauentag, hetzte er seine „Revolutionsgarden“ auf die Frauen – auf der Straße, im Büro, an der Uni – und ließ alle Kopftuchlosen mit Schimpf und Schande nach Hause jagen.

Bis heute werden Iranerinnen, die sich nur leicht widersetzen – indem sie den Schleier auch schon mal „verrutschen“ ­lassen – von „Sittenwächtern“ verhaftet und mit Auspeitschung oder Gefängnis bestraft. Der Ganzkörperschleier und das Kopftuch sind nicht nur praktisch eine Behinderung, sondern auch das Symbol für die Segregation der Geschlechter und den Ausschluss der Frauen. 

„Die Iranerinnen, die sich auf Facebook ohne Schleier zeigen, sind unglaublich mutig“, schwärmte Masih Alinejad im Gespräch mit EMMA. Mehr noch: Sie sind Heldinnen, die den Millionen Frauen, die das nicht wagen (können), Mut machen. Auch wenn sich manche verständlicherweise hinter großen Sonnenbrillen verbergen oder gar nur von hinten zeigen. Aber sie tun es! Und sie werden immer mehr.

Die Journalistin richtete eine eigene ­Facebook-Seite ein: My Stealthy Freedom (Meine heimliche Freiheit). Die hat mittlerweile wohl über eine halbe Million Likes. „Es ist so wunderbar, den Wind in meinem Haar zu spüren“, schreibt eine. Oder: „Wenn du in meiner Heimat lebst, musst du heimlich lachen, heimlich ­singen, heimlich trinken und heimlich ­küssen. Du musst heimlich leben, um zu überleben“, schreibt eine ­andere.

Auch Alinejad ist selbst im Londoner Exil nicht ganz frei. Denn ihre Familie lebt noch in Iran. „Dort verbreiten Hardliner im Internet jetzt das Gerücht, ich sei eine Spionin des britischen Geheimdienstes“, erzählte sie. In Iran finden die GegnerInnen die erfolgreiche Kopftuch-Runter-­Aktion so bedrohlich, dass Gegenaktionen gestartet wurden: Facebook-Seiten, die dazu aufforderten, die Iranerinnen auf den Fotos zu identifizieren und zu vergewaltigen. Facebook hat die Inhalte gelöscht. Auch die offiziellen Medien griffen den „Kontrollverlust der Regierung über die Verschleierung der Frauen“ auf.

Die Fernsehnachrichten verkündeten zuletzt, Alinejad habe in London angeblich Drogen genommen und sei danach von drei ­Männern vergewaltigt worden. In Anwesenheit ihres kleinen Sohns. Die Exil-­Iranerin ­widerspricht: „Das ist die Fortsetzung einer Kampagne der Islamischen Republik gegen uns Frauen, die mit der Wahrheit nichts zu tun hat.“

Immerhin: Der „Reform“-Präsident Hassan Rohani hatte es jüngst gewagt, in Sachen Verschleierung für „mehr Toleranz“ zu plädieren. Aber da hatte der Staatschef seine Rechnung ohne die wahren Machthaber, die Mullahs, gemacht. Rund 4000 Menschen, Verhüllte und Männer, demonstrierten prompt vor dem Innenministerium pro Verschleierung und für „mehr Moral“ im Gottesstaat.

Doch davon lässt eine Nasrin Sotoudeh sich nicht einschüchtern. Die Menschenrechtsanwältin arbeitet seit Jahren zusammen mit der Juristin und Frauenrechtlerin Shirin Ebadi, die für ihr Engagement 2003 den Friedensnobelpreis erhielt. Allerdings ist seither der Druck auf Ebadi und ihre Mitstreiterinnen eher stärker als schwächer geworden. Nasrin war drei Jahre lang, von 2010 bis 2013, für ihren Menschenrechtskampf im Gefängnis. Sie hatte den ungeheuren Mut sich auch noch innerhalb des ­berüchtigten Teheraner ­Evin-Gefängnisses zu weigern, den dort vorgeschriebenen Tschador, das ­bodenlange schwarze ­Gewand, zu tragen.

Über ihre bitteren Erfahrungen im ­Gefängnis berichtet die Menschenrechtlerin auf der Facebook-Seite von Masih Alinejad. Sie weiß, dass sie nicht allein ist. Nasrin: „In den letzten 30 Jahren haben Iranerinnen sich immer wieder dem Zwang widersetzt, den Hijab zu tragen. Aber diese Proteste wurden nie so bekannt, wie sie es verdient hätten – es gab ja noch kein Internet.“ Jetzt gibt es das Internet. Nasrin: „Wenn tausende Frauen sich dem Hijab-Gesetz widersetzen, kann der Drang nach Veränderung nicht länger geleugnet werden.“

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Iran: Schleierhaft...

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Was Wunder, dass all diese Frauen sich zwar noch auf den gemeinsamen Nenner einigen konnten, im Iran sei es um die Emanzipation der Frauen nicht günstig bestellt, dass sie aber darüber hinaus sehr unterschiedliche Einschätzungen und Haltungen hatten und haben, im Iran wie im eigenen Land.

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Zum Eklat kam es dann durch die Schleier-Frage: Sollte die Delegation zum Empfang bei Ajatollah Chomeini auch selbst verschleiert gehen oder sollte sie nicht?

Nach einer ersten, sehr rasch heftig werdenden Debatte zeichneten sich zwei Lager ab, die sich bis zum Schluss konzessionslos gegenüberstanden: Die einen waren für den Schleier mit dem Argument, das sei schließlich hier so Sitte, und wir würden Millionen Iranerinnen sehr schockieren, wenn wir es wagen würden, dem Ajatollah unverhüllt entgegenzutreten.

Die anderen waren gegen den Schleier mit dem Argument, erstens seien wir keine Muselmaninnen und ja auch zu Hause unverschleiert, zweitens sei es ein Schlag ins Gesicht all der Frauen, die ja gerade auch gegen den Schleierzwang protestieren, wenn ausgerechnet wir uns dem jetzt beugten.

Mehr und mehr schälte sich heraus, dass hinter diesen Worten auch zwei politische Konzepte standen: Bei der ersteren Gruppe das Konzept "dem Volke dienen", nicht tun, was man selbst als richtig fühlt, sondern tun, was man von den anderen für erwünscht hält. Bei der zweiten Gruppe das feministische Konzept des von sich selbst Ausgehens, des sich nicht selbst Verleugnens und des Vertrauens selbst auf das Verständnis verschleierter Muselmaninnen.

Einen dramatischen Höhepunkt erreichte die Diskussion um den Schleier, als Leila, die ägyptische Regisseurin und einzige Muselmanin im Komitee, gegen zwei Uhr nachts in Tränen ausbrach und fast plädierte: "Ich flehe euch an, geht nicht im Schleier zu diesem Patriarchen. Wenn ihr das tut, trampelt ihr auf allen islamischen Frauen herum, die gegen diese Erniedrigung kämpfen." Die Lager blieben kontrovers. Schließlich resignierten die Frauen, die gegen den Schleier und in der Minderheit waren (wir waren sechs, ich gehörte dazu).

Drei Schleier-Befürworterinnen (eine Mitarbeiterin der linken Pariser Tageszeitung Liberation, Claire Briere; eine Redakteurin der linksliberalen französischen Wochenzeitschrift Le Nouvel Observateur, Katja Kaupp, und die undogmatische italienische Marxistin Maria-Antonietta Macciocchi) zogen am nächsten Morgen verschleiert nach Chom.

Der Schiitenführer ließ sie acht Stunden warten, empfing sie dann fünf Minuten lang, antwortete auf keine einzige der zuvor schriftlich auf Persisch eingereichten Fragen und verkündete lediglich: "Ich freue mich, dass sie den Kampf des iranischen Volkes unterstützen." Segnung. Abgang.

Als ich am Tag darauf Farideh, die aus Gläubigkeit auch während ihres vierjährigen Frankreichaufenthaltes nur im Schador auf die Straße gegangen war, von unserem Disput erzählte und sie nach ihrer Meinung fragte, fing Farideh an zu lachen und sagte: "Aber das ist ja lächerlich. Ihr seid doch gar nicht gläubig. Das erwartet doch niemand von euch."

Äußere Zwänge waren es wohl wenigstens in unserem Falle nicht. Eher innere.

 

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