Immer mit Passion

Artikel teilen

Julia Jentsch ist Schauspielerin. Auf der Bühne wie im Film steht der Shooting Star für rebellische Frauenfiguren. Wie die der Widerstandskämpferin Sophie Scholl.

Anzeige

Die Journalisten haben den Film schon gesehen und so mancher soll weinend rausgegangen sein. Aber ihre Eltern werden ihn frühestens auf der Berlinale sehen, "wenn ich Karten für sie kriege, das ist ja immer sehr schwierig auf der Berlinale". Die das sagt, ist die Hauptdarstellerin, gilt als Shooting-Star des deutschen Kinos und Theaters und wird bei Erscheinen dieser EMMA-Ausgabe noch mehr im Gespräch sein als zuvor. Bis dahin haben auch Julia Jentschs Eltern den neuesten Film ihrer Tochter gesehen. Und der wird sie ganz sicher ganz besonders interessieren. Schließlich ist der Vater Richter und die Mutter Justizbeamtin und geht es in dem Film um einen der spektakulärsten Schauprozesse der deutschen Geschichte: um die Verurteilung der AktivistInnen der Widerstandsgruppe 'Weiße Rose', im Mittelpunkt: Julia Jentsch als Sophie Scholl.
Gleichzeitig spielt die 27-Jährige, die seit 2001 zum Ensemble der Münchner Kammerspiele gehört, zur Zeit auf der Theaterbühne die starke Brunhilde in den Nibelungen (die dann von Siegfried laut Jentsch "so richtig fertig gemacht wird"), sowie die tragische Antigone. Beide Stücke sind Publikumsrenner, nicht zuletzt dank des so intensiven wie impulsiven Spiels der jungen Schauspielerin, die nur auf den ersten Blick sanft wirkt, auf den zweiten jedoch sehr entschlossen.
Bei ihrem Besuch in der EMMA-Redaktion reißt Julia Jentsch als erstes einen Witz und lacht selber schallend darüber. Nein, zur Tragödin ist sie nicht geboren. Und auf die tragischen Rollen will sie sich auch auf keinen Fall festlegen lassen. "Ich hätte auch Lust auf eine Komödie", sagt sie und feixt. Aber noch mehr reizt sie die Rolle als "cooler Gangster, der ein perfekt geplantes Verbrechen durchzieht. Das wäre die extremste Rolle überhaupt." Extrem ist ein Lieblingswort von Julia.
Jetzt ist sie nach der selbstgerechten Jungrevolutionärin Jule in 'Die fetten Jahre sind vorbei' die Widerstandskämpferin Sophie. "Es ist für mich eine Ehre, Sophie Scholl zu spielen", sagt Jentsch den Interviewern. Wie die Schauspielerin sich so eine Rolle erarbeitet? Lesend, ja. Aber auch fühlend. Sie nähert sich der Rolle emotional: "Was hat sie gedacht; was hat sie wahrgenommen? Wie ist sie gegangen? In solchen Momenten sieht man sie neben sich und würde sie gerne fragen können." Jentsch hat den Stoff so ernst genommen, sich so in Sophie hineingedacht und -gefühlt, dass sie in diesem Film nicht Sophie spielt, sondern Sophie ist.
Am Theater schätzt sie die Kontinuität, mit der man eine Rolle erarbeiten kann, und am Film die Herausforderung, eine Rolle von jetzt auf gleich hundertprozentig erfassen zu müssen. Und an der Figur der Sophie Scholl fasziniert sie deren Mitgefühl und Sinn für Gerechtigkeit: "Keine falschen Autoritäten anerkennen und ein Handeln, dass man mit seinem eigenen Gewissen vereinbaren kann." Und sie selber, wofür engagiert sie sich? "Für meine Arbeit. Wenn ich damit etwas mitteilen kann, was für mich und andere wichtig ist und sie anregt, sich Gedanken zu machen und aktiv zu werden – dann ist das gut."
Zur Schauspielerei ist die Berlinerin eigentlich zufällig gekommen. Nach der Ausbildung an der Ernst-Busch-Schule ging Julia Jentsch ans Theater, wurde 2001 Mitglied des Münchner Kammerspiel-Ensembles und schon ein Jahr darauf für ihre Rolle in 'Bedbound' (in der ein Vater die eigene Tochter ans Bett fesselt und foltert) von Theater heute zur "Nachwuchsschauspielerin des Jahres" gekürt.
Die junge Schauspielerin sucht die Herausforderung, die extremen Rollen. Für dieses Risiko erntet sie Respekt. Der Spiegel lobt Jentsch für ihre "unfromme Heftigkeit", mit der sie "hinreißende, widersprüchliche Figuren entstehen lässt und in München für ausverkaufte Vorstellungen sorgt".
Über Sophie Scholl wusste Julia Jentsch vor den Dreharbeiten zu dem gleichnamigen Film nicht viel. Die Eltern, nach dem Krieg geboren, sind "zu jung" für die Problematik der Nazi-Zeit. "Und meine Großeltern haben nur über ihr persönliches Leben in dieser Zeit gesprochen."
Die Schauspielerin fängt an zu lesen: Briefe, Dokumente, Biografien. "Vor den Dreharbeiten hatte Sophie Scholl keine Vorbildfunktion für mich, war in meinen Gedanken nicht wirklich präsent", sagt sie. "Heute ist Sophie für mich ein Vorbild für extreme Zivilcourage. Auch wenn es nicht immer um Leben und Tod geht, geht es doch immer darum, die eigene Unsicherheit und Angst zu überwinden und zu seiner Meinung zu stehen oder sich für andere einzusetzen. Ich würde mir wünschen, in einer ähnlichen Situation ihre Stärke zu haben."
Als Julia Jentsch nach zwei Stunden – in denen auch Redakteurinnen der Frauenzeitschrift Jolie zu Gast bei EMMA waren, um ein Zwiegespräch zwischen Julia Jentsch und Alice Schwarzer aufzuzeichnen – aufbricht zur nächsten Station ihrer Promotionstour für Sophie Scholl, da ist deutlich zu spüren: Routine ist von ihr nicht zu erwarten. Auch nicht an einem Tag, an dem sie am Vorabend noch in München auf der Bühne stand, am Morgen nach Köln geflogen kam und nun noch ein halbes Dutzend Pressetermine absolvieren wird. Julia Jentsch ist immer präsent. Und immer genau.

Artikel teilen
 
Zur Startseite