Jutta Limbach: Die richtende Miss Marple

© Bettina Flitner
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Verfassungsrichterin zu werden", sagte Jutta Limbach noch vor einigen Monaten, das sei der "Traum" fast jeder Juristin. Der Traum ging schneller, als sie dachte, in Erfüllung. Die 60jährige Berlinerin legte Ende März ihr Amt als Justizsenatorin in der Hauptstadt nieder und zog die rote Robe an. Es war ein Mann, der ihr das Attribut "behutsame Feministin" anheftete. Jutta Limbach stört das nicht. "Das paßt", sagt sie und lacht dazu. "Miss Marple" weiß: Wer "behutsam" mit Sanftmut oder gar Nachgiebigkeit übersetzt, liegt falsch. Nach fünf Jahren politischer Verantwortung für das Justizressort in Berlin hat sie sich Anerkennung verschafft. Der CDU-Politiker Klaus Landowsky lobte die Ernennung der SPD-Kollegin zur Verfassungsrichterin gar als "Schmuck für die Stadt". 

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Jutta Limbach, 1,60 klein, Blümchenkleid und weißes Krägelchen, sieht aus wie eine Landfrau auf Stadtausflug. Wenn andere mit dicken, schwarzen Aktenkoffern kommen, trägt sie ihr braunes, abgeschabtes Lederköfferchen. Harmlos? Der Augenschein trügt: "Die Frau ist mit allen Wassern gewaschen", weiß der Grüne Künast. In aller Ruhe und mit langem Atem verfolgt Jutta Limbach, was ihr wichtig ist. Und das war und ist auch immer die Sache der Frauen. Die Hartnäckigkeit liegt in der Familie. Die Urgroßmutter, Pauline Staegemann, legte sich schon zu Kaisers Zeiten mit einem Pfarrer an, weil der einen Selbstmörder nicht begraben wollte. Die Großmutter, Elfriede Ryneck, eine Näherin, die für die Rechte der Heimarbeiterinnen kämpfte, saß für die Sozialdemokraten in der Weimarer Nationalversammlung und im preußischen Landtag. 

Vielleicht kommt daher die Selbstverständlichkeit, mit der Jutta Limbach für Frauenrechte eintritt. Seit Jahren schon ist sie dabei, wenn Berliner Parlamentsfrauen überparteilich Faueninteressen thematisieren. Und als es dieses Jahr am 8. März hieß "Jetzt schlägt's Dreizehn", da saß die Frau in der roten Robe im lila Kostüm vor den Pressemikrofonen: "Nein", beruhigte sie, "wir streiken nicht gegen den individuellen Mann, wir meinen die gesellschaftlichen Verhältnisse, die uns das Leben schwer machen".

Sie selbst scheint es so schwer nicht gehabt zu haben und hat eine regelrechte Bilderbuchkarriere hinter sich. Als Jutta Ryneck in Berlin geboren, ging sie zum Jurastudium nach Bonn. Sie heiratete, bekam drei Kinder und teilte das Schicksal aller Frauen, die Beruf, Mutter-Sein und Karriere verbinden. Immer gehetzt, gab sie ihr Geld für Kindermädchen aus. "Ohne die Hilfe meines Mannes", sagt sie dankbar, "hätte ich das alles nicht geschafft". 

1971 wurde der 37-Jährigen eine Professur an der Freien Universität in Berlin angeboten. Jutta Limbach zog um, ihre Familie blieb in Bonn. Bis heute. Jetzt ist die Verfassungsrichterin nach Karlsruhe umgezogen. "Man muß doch den Bezug zur Arbeit haben."

Berliner Justizsenatorin ist sie 1989 eigentlich versehentlich geworden. Damals war es noch Mode in der SPD, zumindest in der Berliner, den Beifall der Frauen zu suchen. Also präsentierte Momper für die SPD einen 50 zu 50 quotierten Senat, fünf Senatoren und fünf Senatorinnen (plus drei grüne Senatorinnen), darunter zur Überraschung vieler die Wissenschaftlerin Limbach. Daß dieselbe wenig später verantwortlich sein würde für die spektakulär heiklen Ost-Prozesse, das konnte damals noch niemand ahnen. Sie hat es gemeistert - und wird dafür belohnt. Jetzt katapultiert ihre Partei die verläßliche Genossin in den Olymp der deutschen Justiz: in das Verfassungsgericht, das als oberstes juristisches Organ über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Urteilen wacht.

Wieviel Anstrengung sie das alles kostet? Hinter der runden Brille blitzt in den wasserhellen Augen immer ein verschmitztes Lächeln. Ob sie schlecht schläft, wenn sie gegen die Parteiräson verstößt und sich für den Ostdeutschen Jens Reich als Bundespräsident stark macht? Ob sie vor der plötzlichen Verantwortung zitterte, die sie als Berliner Justizsenatorin für die Verfahren gegen die ehemals Großen der DDR hatte? Ob sie einsam war in Berlin - ohne ihre Familie? Bestimmt. Doch sie zahlt den Preis.

"Miss Marple" nennt man die Limbach in Berlin, wenn sie mit ernster Stimme, brillanter Argumentation und scheinbar naivem Charme ihre Gegner überzeugt. Doch da gibt es auch eine andere, eine enttäuschte Jutta Limbach: Die beklagt die "Feigheit der Männer" und meint damit ihre Genossen aus der SPD, die ihr während der schweren Berliner Regierungszeit oft hinterrücks in den Rücken fielen. Mindestens drei Frauen, so fordert die neue Vizepräsidentin und baldige Präsidentin des Verfassungsgerichts, müssten die rote Robe tragen. "Niemals" schreien alle, die die Frauenquote hassen. Und "Verrat" klagen Feministinnen, die die Hälfte des Richterhimmels fordern.

Jutta Limbach lächelt: "Entweder will man Flagge zeigen oder man will Erfolg haben". Sie will beides.

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