Katrhyn Bigelow: Der 1. Oscar

Artikel teilen

Der Satz ist, seit Barbra Streisand ihn aussprach, hundertfach zitiert worden. Aber er ist so würdevoll, dass er auch hier noch einmal seinen Platz haben soll: „The time has come“, sagte also Barbra Streisand sichtlich bewegt, nachdem sie in der Oscarnacht am 7. März den Umschlag geöffnet hatte, dessen Inhalt Kathryn Bigelow als Siegerin des Abends auswies. Nicht nur Streisand, die ihr Regiedebüt anno 1983 gehabt und sich im Laufe der Jahre schon öfter bitter über die Diskriminierung weiblicher Regisseure beklagt hatte, wusste: Dies ist ein historischer Moment. Zum ersten Mal in der 82jährigen Geschichte der Academy Awards ging der Regie-Oscar an eine Frau.

Anzeige

Hinzu kam der Gag des Abends: Der haushohe und reichlich bedröppelt dreinschauende Verlierer dieser Verleihung, dessen milliardenschwerer „Avatar“ für neun Oscars nominiert gewesen war, dann aber nur in drei Nebenkategorien gewann, ist nicht nur der Hollywood-Gigant James Cameron – sondern auch Bigelows Ex-Mann.
Natürlich hatte man Bigelows Faible für reichlich unweibliche Genres wie Vampirwestern, Surferkrimis und vor allem Actionfilme stets damit erklärt, dass die Regisseurin eben mit dem Erfinder des „Terminator“ verheiratet sei. Dabei hatte die 1951 in San Francisco geborene Tochter einer Bibliothekarin und eines Farbenhändlers schon 1978 ihren ersten Actionfilm gedreht. In „The Set-Up“, einem Kurzfilm, zeigte sie eine Prügelei zwischen zwei Männern, auf der Tonebene wurden darüber philosophische Betrachtungen angestellt. Das war im New Yorker Film-Underground nichts Ungewöhnliches, aber es gab bereits eine Richtung vor: die Verbindung von Action und Intellekt.

Action-Regisseurin Bigelow begann ihre Karriere in der Bildenden Kunst. Sie malte und bekam mit 19 ein Stipendium für die Kunstschule des Whitney Museums in New York, wo sie auf LehrerInnen wie Richard Serra oder Susan Sontag traf.

Die nächsten zehn Jahren blieb sie dort, modelte für Gap und entdeckte das Kino für sich, vor allem das europäische. „Ich glaube nicht, dass ich in dieser Zeit einen Film sah, der nicht untertitelt war“, erzählt sie. Sie begann ein Filmstudium an der Columbia-Universität, drehte mit 32 ihren ersten Langfilm „The Loveless“. Darin ließ sie eine Motorradgang in eine Kleinstadt einfallen. Die Bilder in diesem Film bewiesen einen extremen Stilwillen, sie strotzten von Coolness und Melancholie, alles an „The Loveless“ war außergewöhnlich.

Trotzdem dauerte es fünf Jahre, bis „Near Dark“ entstand, Bigelows nächster Film, in dem sich eine Vampir-Familie im mittleren Westen herumtreibt. Damit überzeugte sie Oliver Stone, die Produktion für „Blue Steel“ zu übernehmen, eine Polizei-Geschichte mit Jamie Lee Curtis. In Erinnerung blieben davon die Sequenz, in der die Kamera erotisch nah um eine Smith & Wesson herumstrich, und die Frau in der Rolle des Cops - die am Ende den eigenen Vater verhaftet, weil er schon wieder die Mutter verprügelt hat. Es folgten der Surf-Thriller „Gefährliche Brandung“, der Science-Fiction-Krimi „Strange Days“, der U-Boot-Film „K-17“. Und jedes Mal übertrat Bigelow die ungeschriebene Regel, dass Actionfilme Männersache seien.

„Mich begeistern Stories und Charaktere in intensiven Ausführungen. So landet man eben beim Actionkino“, lautet eine der wenigen Antworten, die Kathryn Bigelow auf die Frage gibt, warum sie als Frau sich für dieses Genre begeistert. Normalerweise, so heißt es, bricht Bigelow Interviews bei solchen Frauenfragen ab. „Gewalt“, sagt sie, „ist kein Privileg der Männer.“

Dabei sind Bigelows Arbeiten nicht demonstrativ gewaltlastig. Sie zeigen Helden, die einen Hang zur Waghalsigkeit haben, die ihrem eigenen Ehrenkodex folgen, und das führt eher zu der Frage, warum so etwas als männerspezifisch gilt. Zumal immer auch die eine oder andere Heldin unter ihren ProtagonistInnen wütet.
Ihr nicht nur mit sechs Oscars preisgekrönter Film „Tödliches Kommando“ sei, so ist zu lesen, „reinstes Männerkino“. Ein „Meilenstein des Kriegsfilms“. Der Film lief schon letzten Herbst im Kino, es hat ihn kaum jemand gesehen. Im Gegensatz zu „Avatar“, der halluzinante zweieinhalb Milliarden Dollar einspielte, kam „Tödliches Kommando“ gerade einmal auf 20 Millionen. Dennoch räumte „Tödliches Kommando“ schon vor der historischen Oscar-Nacht einen Preis nach dem anderen ab.  Gedreht wurde der Film im jordanischen Grenzland, nach einem Buch von Marc Boal, der als „Embedded Journalist“ im Irak sechs Monate das Militär begleitet hatte.

Es ist die Geschichte eines US-Soldaten, der Bomben entschärft. Er tut das besser als alle anderen, und er tut es skrupelloser. Der Mann ist weder dumm, noch befürwortet er den Krieg. Aber das ständige Leben in Todesgefahr macht ihn zum Adrenalinjunkie, der den Kick bald braucht wie eine Droge. Als er heimkehren darf, stellt sich heraus, dass er unbrauchbar geworden ist für ein Leben in der friedlichen Heimat und die Kommunikation mit Frau und Sohn.

Ist „Tödliches Kommando“ also tatsächlich ein „Männerfilm“? Nicht wirklich. Denn es sind die Frauen, die mit diesen Männern leben müssen. Und es ist davon auszugehen, dass Kathryn Bigelow das weiß.

Artikel teilen
 
Zur Startseite