Kindeswohl: Denkt an die Kinder!

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Wenn ein Paar vor den Scherben seiner Beziehung steht, besteht nicht selten die Gefahr, dass die gemeinsamen Kinder in den Strudel elterlicher Machtkämpfe geraten. Nach einer Trennung ist nichts mehr wie vorher, weder für Mutter noch Vater und schon gar nicht für die Kinder. Eine Zeit der Trauer wäre nötig für jedes Familienmitglied, auch für die Kleinsten, um zu realisieren, dass das Projekt "Vater-Mutter-Kind" mit dieser Familie nie mehr verwirklicht werden wird.

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In dieser Situation kann ein "Nicht-Loslassen" für Kinder wie Eltern über viele Jahre zur inneren Erstarrung und wechselseitigen emotionalen Verstrickungen führen. So ein Zustand kann verhindern, sich bewusst und aktiv auf einen neuen Lebensabschnitt einzustellen. Je früher beide Elternteile sich dessen bewusst werden, umso mehr erleichtern sie auch gemeinsamen Kindern die Neuorientierung.

Die Art und Weise, wie Eltern sich trennen, beeinflusst die Erfahrungswelt ihrer Kinder maßgeblich und stellt Weichen für deren spätere soziale Integration oder das Scheitern eigener Beziehungen. Die Eltern übersehen bei ihrem eigenen Kummer nicht selten die Bedürftigkeit der Kleinsten. Viele Kinder versuchen nach Kräften, es beiden Elternteilen recht zu machen und sie emotional zu entlasten. Dass es hier zu widersprüchlichen Aussagen der Kinder kommen kann, je nachdem wo sie sich gerade aufhalten, ist leicht nachvollziehbar.

Nicht selten werden Kinder als "Spione" für das "feindliche Lager" eingesetzt und ausgehorcht, sie werden mit Geschenken und Versprechen geködert und mit indirekten Schuldzuweisungen instrumentalisiert. Wie: "Wenn du bei deinem Vater bist, dann ist deine Mutter ganz traurig!" Oder: "Ich kann gut verstehen, dass du nicht gerne bei deiner Mutter bist." Solche Kinder, die mit so impliziten Erwartungen konfrontiert werden, erleiden gravierende seelische Schäden,  die auch zu Beeinträchtigungen in der Schule führen können.

Sorgerechtsprozesse können über viele Monate und sogar Jahre durch mehrere Instanzen geführt werden. Für Kinder eine nahezu unerträgliche Situation. Plötzlich haben sie "zwei Zuhause". Sie müssen sich mit den neuen Partnern ihrer Eltern arrangieren und deren jeweilige Sprösslinge als "Patchwork-Geschwister" akzeptieren.

Ausgerechnet in einer Phase, in der Kinder besonders viel Geborgenheit und Übersichtlichkeit in ihrem Alltag benötigen würden, muten frischverliebte Eltern ihnen oft viel zu. Manchmal auch einen zweiten Umzug, so dass die Kinder nicht nur die Zersplitterung der Familie, sondern zusätzlich den Verlust von Spielkameraden und ihrer gewohnten Umgebung zu bewältigen haben. Nimmt man Kindern diese letzte Nische von Vertrautheit, kann es passieren, dass sie im Chaos der elterlichen Schlammschlachten gänzlich ihren Halt verlieren und psychisch auffällig werden. Kinder- und Jugendtherapeuten weisen nicht zu unrecht daraufhin, dass diese Kinder dann stellvertretend für ihre Eltern beim Therapeuten landen.

Ist so schnell kein Ersatz-Partner greifbar, bleibt immer noch das gemeinsame Kind, das ebenso traurig und verwirrt ist – und damit elterlichen Manipulationen schutzlos ausgeliefert. Auch wenn Eltern im Prinzip bewusst ist, dass Kinder kein Partnerersatz sind, belasten Mütter bzw. Väter ihre Kinder oft mit einer detailgetreuen Schilderung über das laufende Scheidungsverfahren; die anwaltliche Korrespondenz wird wie zufällig auf dem Küchentisch liegen gelassen, Probleme und Kränkungen werden mit den stets verständnisvollen Kindern ausgiebig besprochen. Viele Kinder solidarisieren sich in der Situation mit einem Elternteil. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Welches Kind möchte sich auch noch von der Mutter abgrenzen, wenn es doch schon den Verlust des Vaters zu verkraftet hat?

Ein "Umgangspapa" kann einfach nicht mehr die primäre Bezugsperson im Leben des Kindes sein, sondern muss sich darüber klar werden, dass er nicht in Konkurrenz zur Mutter stehen darf, die das gemeinsame Kind tagtäglich versorgt. Der umgangsberechtigte Elternteil wiederum muss darauf achten, das Kind nicht mit übertriebenen Erwartungen zu überfrachten.

Mit Beginn des Sorgerechts- und Umgangsstreits geraten Kinder oft in eine emotionale Notlage von existenziellem Ausmaß. Wie sie sich auch verhalten, aus kindlicher Sicht wird der andere Elternteil immer enttäuscht sein. Die Kinder fühlen sich also schuldig, vielleicht sogar für den Rest ihres Lebens.

Manche Väter oder Mütter nehmen von nun an ihr Kind nachts zu sich ins Bett (meist Einzelkinder). Hier ist nicht die gelegentliche Übernachtung im Elternbett gemeint, sondern dass zum Beispiel ein achtjähriger Sohn jede Nacht im Bett der Mutter schläft, und zwar nicht nur in der Phase der Trennung, sondern über viele Monate und Jahre. Oder eine Zwölfjährige Tochter im Bett des Vaters. Gerechtfertigt wird dieses übergriffige Verhalten häufig damit, dass das Kind aufgrund der Trennung nicht alleine schlafen wolle. Dabei sind es oft die eigenen Verlassenheitsgefühle, die Eltern dazu verleiten, übergriffig zu werden und die Intimsphäre und natürliche Würde ihrer Kinder zu missachten.

Eine überbehütende Fürsorge wird vielfach gerade bei den Müttern beobachtet, die in ihrem bisherigen Leben nur wenig soziale Anerkennung und vor allem keine ökonomische Unabhängigkeit erreicht haben.

Ein weiterer Unruheherd ist, wenn Eltern bereits kurz nach der Trennung ein so genanntes Wechselmodell einführen und die lieben Kleinen zwischen den beiden Haushalten hin- und her transportieren. Wohl wissend, dass sogar für Erwachsene eine Fern- oder Wochenendbeziehung durchaus anstrengend ist, mutet man den Kleinsten zu, sich Woche für Woche oder jedes zweite Wochenende auf den jeweils anderen Haushalt problemlos einzustellen.

Dabei geht es weniger um die Kinder und eher um die eigene Bedürftigkeit und die Weigerung, sich dem Schrecken des Verlustes und des Alleinseins bewusst zu stellen. Bei einer am Kindswohl orientierten Empfehlung, wie viel Zeit das Kind bei der Mutter oder beim Vater verbringen sollte, sollten die individuellen Belastungsgrenzen und Bedürfnisse des Kindes jedoch stets über dem subjektiven Gerechtigkeitssinn narzisstisch gekränkter Eltern stehen.

Wie muss es in einer Dreijährigen oder in einem Schulkind aussehen, das Woche für Woche wiederkehrenden Streit nebst neuem Wohnort zu verkraften hat? Wenn schon Grundschulkinder ein Blackberry benötigen, um die Übersicht über Verabredungen, Hobbys und die Organisation von Schulmaterialen je nach aktuellem Aufenthaltsort zu behalten (weil die Eltern nicht mehr miteinander kommunizieren), und deren Spielkameraden ebenfalls ständig herumtelefonieren müssen, um in Erfahrung zu bringen, wo sich Lucas oder Alina gerade aufhalten, ist es dann nicht naheliegend, warum der ein oder andere Neunjährige Verhaltensauffälligkeiten und Schulprobleme entwickelt?

Mädchen allerdings neigen dazu, sich selbst so stark zurückzunehmen, so dass es schon massiver Verhaltensauffälligkeiten bedarf, bis manche Eltern realisieren, wie es wirklich in der Kinderseele aussieht. Ein Leben zwischen zwei (manchmal drei) Haushalten, eine heimliche Komplizenschaft mit Vater oder Mutter plus ungeklärte Lebenssituation sind für Kinder eine enorme Belastung. Es ist darum aus entwicklungspsychologischer Sicht prinzipiell richtig, dass der Gesetzgeber vorsieht, dass das Kind im Regelfall den Kontakt zu beiden Eltern aufrechterhalten sollte. Gleichzeitig jedoch sollte jedes Kind wissen, wo es hingehört.

Der Kampf um das Sorgerecht wird nicht (nur) aus Liebe zum Kind geführt, sondern hat vor allem für viele Frauen eine existenzielle Bedeutung. Die Souveränität und Zuversicht erwerbstätiger Mütter, die auch nach einer Trennung den Lebensunterhalt selbstständig bestreiten können, ist den finanziell abhängigen bzw. nichtberufstätigen Müttern verwehrt.

Wird der Kampf um Kinder jedoch zur Überlebensfrage, lassen sich manche Eltern – meist unbeabsichtigt – dazu verleiten, ihre ohnehin im Konflikt belasteten Kinder zum eigenen Vorteil zu benutzen. Ein Kommentar von Grundschulkindern wie: "Ich bleibe bei meiner Mutter, weil sie sonst ja niemanden mehr hat", ist keine Seltenheit auf dem Kriegsschauplatz deutscher Familiengerichte.

Viele Sorgerechtsprozesse würden ihrer Schärfe beraubt, wären beide Elternteile in der Lage, für sich und ihre Kinder selbst zu sorgen. Wenn junge Frauen sich heute wieder für ein antiquiertes, patriarchisches Versorgungsmodell entscheiden und auf Ausbildung und Beruf verzichten, muss ihnen gleichzeitig bewusst sein, dass im Falle eines gerichtlichen Sorgerechtsstreits Aspekte wie elterliche Verantwortungsfähigkeit und Vorbildfunktion nicht mehr nach den Kriterien der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts beurteilt werden. Die beste Basis für das Kindeswohl ist die authentische Liebe der Eltern, die unantastbare Würde des Kindes und vor allem die finanzielle Unabhängigkeit der Frau, auch wenn die noch so bescheiden ist.

Die Autorin ist die Leiterin des "Instituts für Rechtspsychologie und Mediation" in Hamburg.

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