Genie statt Diva

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Während ihre Kollegen um ihre Einschätzung zur Lage des HipHop gebeten werden, wird die HipHop-Queen Lauryn Hill nach der Farbe ihres Lippenstiftes gefragt. Davon hat sie die Schnauze voll.

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Die Grammy-Verleihung hatte diesmal einen weiblichen Topstar: Lauryn Hill. Zwar hatten schon Madonna, Alanis Morissette und Sheryl Crow an diesem Abend in Los Angeles derartig abgeräumt, dass die Presse besorgt vom „Ende der Macho-Dominanz in der Rock-Industrie“ wisperte, Lauryn Hill setzte in der Tat noch einen drauf. Für zehn Grammys war sie nominiert, fünf bekam die „rappende Feministin“ („Spiegel“) – so viele wie noch nie ein weiblicher Musiker in 41 Jahren Grammy-Geschichte.
Hills erstes und selbstproduziertes Solo-Werk „The Miseducation of Lauryn Hill“ wurde zum „Album des Jahres“ und seine Macherin zum „Best New Artist“ gekürt. So neu ist die HipHopperin allerdings auch wieder nicht. Schon mit 16 tourte die heute 23-Jährige durch die Clubs in New York und Umgebung, mit 18 konnte man ihre schwarze Stimme zum ersten Mal auf Platte hören. Sie hieß „Blunted on Reality“ und verkaufte sich nicht sonderlich.
Aber dann, 1996, spielten Radiosender und Musikkanäle plötzlich pausenlos einen Ohrwurm namens „Killing me softly“. Der war ursprünglich von Roberta Flack. Jetzt sang ihn, in verhiphopter Version, Lauryn Hill. Und auf einmal sprach alle Welt von den „Fugees“ und ihrem Album „The Score“, das mit 17 Millionen zum meistverkauften HipHop-Album aller Zeiten wurde.
Damals hatte Lauryn Hill also schon einmal Musikgeschichte geschrieben. Nur hatte das niemand bemerkt. Denn den Ruhm hatten zwei Jungs aus der New Yorker Nachbarschaft abgesahnt: Wyclef Jean und Prakazrel Michel. Die beiden spielten ein bisschen Gitarre, waren ein paar Jahre älter als Lauryn, und ihre Vorfahren stammten, wie Hills, aus Tahiti. Nach dem großen Durchbruch mit „The Score“ schrieb man die musikalischen Lorbeeren den Kumpels zu. Lauryn schoben die Kritiker in die Sängerinnen-Schublade mit dem Etikett „hübsches Gesicht, tolle Stimme, klasse Titten“.
Dabei konnte, wer wollte, sehr wohl wissen, dass Hill auf „The Score“ nicht nur sang, sondern auch das eine oder andere komponiert und das Album coproduziert hatte. Gleichzeitig studierte die Tochter einer Englisch-Lehrerin und eines Computer-Programmierers in New York Geschichte. Aber für Informationen dieser Art interessierte sich niemand bei dem Girl, das man offenbar als eine Art Statistin mit Stimme betrachtete.
Darüber ist Lauryn noch heute sauer. „Die Jungs wurden gefragt: ‘Wyclef, Prakazrel – wie beurteilt ihr die Lage des HipHop?’ Mich fragten sie: ‘Lauryn, was ist deine Lieblings-Lippenstiftfarbe?’ Ich bin Musikerin und nicht das hübsche Aushängeschild!“ Überhaupt: „Eine Frau, die im Musikbusiness nach
oben kommt, wird bestenfalls ‘Diva’, aber nie ‘Genie’ genannt.“
Schon bald gab es kein Interview mehr, in dem sich die Rap-Emanze nicht zu Frauenfragen äußerte. In „Bravo“ und „Mädchen“ lasen untergewichtige Teenagerinnen, Lauryn sei Dank, statt Girlie-Gelaber plötzlich Sätze wie diesen: „Ich kenne den Einfluss, den Männer auf die Selbstwahrnehmung von Frauen haben. Aber wir müssen mit unseren eigenen Bildern im Kopf glücklich werden und nicht den Vorstellungen irgendeines anderen folgen, der darüber rummault, dass unsere Ärsche zu schlaff in der Gegend rumhängen!“
Wenn hier jemand rummault, ist es Hill: „Ihr zahlt den Unterhalt für eure Kinder nicht pünktlich und wundert euch, dass die Frauen Männer hassen, die Softies wie die Schläger“, rappt sie. Ein Problem, das auch auf die Rapperin selbst zukommen könnte. Hill ist seit zwei Jahren mit Rohan Marley, Sohn des legandär frauenverachtenden Reggae-Königs Bob, liiert und hat zwei Kinder von ihm. „No woman, no cry“ (frei übersetzt: Keine Frau – kein Ärger) pflegte der nicht gerade für seine Frauenfreundlichkeit bekannte Papa Marley zu verkünden. Sohn Rohan scheint bis auf weiteres nicht nur mit Frau, sondern auch mit der Rolle als „Mann an ihrer Seite“ klarzukommen.
Und noch einem Mann räumt Hill einen Platz in der ersten Reihe ein. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit – sogar bei der Grammy-Verleihung – preist die Rapperin bibelschwingend den Herrn. Und das im Land der christlichen Fundamentalisten. Die Journalisten-Frage, ob sie denn jetzt, nach der Geburt des zweiten Kindes, zur Hausfrau mutieren würde, nahm Mutter Hill nur feixend zur Kenntnis.
Sie hat im Moment satt zu tun mit ihrer Filmproduktions-Firma. Jüngstes Produkt: ein Musikclip für die schwarze Schwester Aretha Franklin.
Als Aretha kürzlich wissen wollte, wie Lauryn auf die Idee gekommen sei, ihre eigene CD zu produzieren, antwortete die der Sista: „Aretha, ich wusste genau, was ich hören wollte, und das habe ich umgesetzt.“ Darauf die Soul-Veteranin zur  HipHoperin: „Weißt du, genauso habe ich es damals auch gemacht. Aber bei mir hat mein Produzent alle Credits gekriegt.“ – Knurrt Hill: „Das sollte heute mal einer wagen!“
Im Beiheft von Hills „Miseducation“-CD kann es bei den Credits keine Missverständisse geben: „Produced, Written, Arranged and Performed by Lauryn Hill“ steht da. Die Macherin läßt keinen Zweifel daran, wer hier Musikgeschichte geschrieben hat.
EMMA 3/1999

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