Alice Schwarzer schreibt

Maria Montessori - ihr Leben als Film

© Neue Visionen Filmverleih
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Es ist der Film der Stunde. Maria Montessori (1870 – 1952) war nicht nur eine der schillerndsten weiblichen Persönlichkeiten und die bedeutendste Reformpädagogin des 20. Jahrhunderts, sie war auch eine aktive Feministin und Pazifistin. Das eine bedingt das andere. Wer für Einfühlsamkeit und Respekt gegenüber dem anderen, gar den Schwächeren, plädiert, ist auch für die Gleichberechtigung der Geschlechter und gegen Krieg, den höchsten Ausdruck der Machtausübung.

Die Französin Léa Todorov drehte, nach mehreren Dokumentarfilmen, mit „Maria Montessori“ ihren ersten Spielfilm, in der Hauptrolle die in Italien bekannte Jasmine Trinca. Sie verkörpert einen um die vorletzte Jahrhundertwende nicht untypischen Typ Frau: die „neue Frau“, ein Produkt der Historischen Frauenbewegung.

In der Tat war die Ärztin und Pädagogin auch Delegierte der italienischen Frauenbewegung auf dem berühmten „Internationalen Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen“ 1896 in Berlin und hielt dort eine vielbeachtete Rede. 

Der Film erzählt Montessoris unerhörten Weg in einer Zeit, in der Frauen noch völlig rechtlos waren und der Ehemann ihr Vormund. Sie ist eine der ersten Ärztinnen des Landes (in Italien durften Frauen ab 1875 studieren, theoretisch). Mit 28 bekommt sie ein Kind von ihrem Kollegen, weigert sich jedoch, ihn zu heiraten. Sie weiß nur zu genau, was das bedeuten würde, selbst bei diesem doch eigentlich sympathischen Mann, der die starke Frau liebt. Schon Marias Vater hatte ihrer Mutter verboten zu studieren. Er konnte jedoch nicht das Studium seiner ungewöhnlich brillanten und durchsetzungsfähigen Tochter verhindern.

Maria muss das Kind verheimlichen, es wäre das Ende ihres Berufes. Sie gibt Mario an eine Amme und hält Kontakt. Als sie sich weigert, den Vater zu heiraten, trennt der sich von ihr, erkennt das Kind an und verbietet ihr bis zu dessen 15. Lebensjahr den Umgang mit ihrem Sohn. Der wird mit 18 zu seiner Mutter ziehen, ihren Namen annehmen und bis zu deren Tod mit ihr arbeiten.

Der Film zeigt Montessoris Anfänge, die Arbeit mit behinderten Kindern in ihrem „Kinderhaus“, in dichten, poetischen Bildern. Geleitet von der Liebe zu diesen Kindern entwickelt Montessori behutsame Methoden, Kinder zu ermutigen – sodass sie so große Fortschritte machen, dass sogar die kontrollierenden Herren Professoren staunen. Ihre Methode findet rasch Verbreitung in Italien (und wird von dem Faschistenführer Mussolini zunächst gefördert, doch nach Montessoris öffentlicher politischer Distanzierung verboten). 

Montessori setzt ihre Arbeit mit nicht behinderten Kindern fort. Ihr Motto: Nicht die Kinder müssen sich der Schule anpassen, sondern die Schule den Kindern. Und: Hilfe zur Selbsthilfe! Es ist eine Frage der Humanität. Ihre Ideen verbreiten sich rasch in der ganzen Welt. Bis heute ist das Montessori-Prinzip international akzeptiert und hat die Pädagogik geprägt, wenn auch immer noch nicht genug.

Im Film gibt die Regisseurin der Hauptdarstellerin einen fiktiven Gegenpart zur Seite: die verführerische und berühmte Kabarett-Sängerin Lili (Leïla Bekhti). Montessori rettet deren kleines, von ihr lange verleugnetes Mädchen. Der schillernde Star bringt der bescheidenen Wissenschaftlerin bei, dass sie Geld braucht, um erfolgreich zu sein. Es sind Frauen der Gesellschaft, die der lange unbezahlt arbeitenden Pädagogin Geld geben, um weitermachen zu können.

Die Regisseurin Léa Todorov weiß nur allzu gut, wovon sie spricht. Ihre Großmutter trennte sich von ihrer Familie und ihren drei Kindern, um studieren zu können. Und sie selbst bekam vor einigen Jahren ein Mädchen „mit genetischem Defekt“.

Das wird zu ihrem hochsensiblen Umgang mit den nicht nur im Film, sondern auch im Leben behinderten Kindern beigetragen haben. Und zu der berührenden Einfühlsamkeit, mit der sie die so moderne Maria Montessori porträtiert hat. Es ist eine reine Freude, der Menschwerdung der Kinder und Kühnheit der Pädagogin zuzusehen.

ALICE SCHWARZER

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