Mit Mehltüten gegen Misswahlen!
Als Jennifer Hosten 1970 auf der Karibikinsel Grenada das Flugzeug nach London bestieg, um am „Miss World“-Wettbewerb teilzunehmen, ahnte sie noch nicht, dass dieser Schönheitswettbewerb in die Geschichte eingehen würde – und dass ein Grund dafür sie sein würde. Der andere Grund, warum die Show Geschichte schreibt, heißt Sally Alexander und lebte in London. Während Jennifer Hosten in Grenada Abendkleider und Badeanzüge für ihren Auftritt kaufte, organisierte Sally Alexander am Ruskin College in Oxford den Protest gegen die Misswahlen.
Alexander war damals Mitte Zwanzig und Mutter eines vierjährigen Sohnes. Sie versuchte, Kinderbetreuung und Geschichtsstudium auf die Reihe zu kriegen – was bei ihren Dozenten auf wenig Verständnis stieß. Sie hatte eine Konferenz über die historische Frauenbewegung geplant, heraus kam Brandaktuelles – die Frauen formulierten folgende Forderungen: Gleiche Bezahlung! Gleiche Berufschancen! Kostenfreie Verhütungsmittel! Und sie beschlossen, ihre Forderungen auf eine große Bühne zu bringen, wo Millionen sie sehen würden: auf die Bühne des „Miss World“Finales in der Royal Albert Hall.
Um die Ereignisse an jenem Novemberabend im Jahr 1970 geht es in dem Spielfilm „Die Misswahl“, der Anfang Oktober in die deutschen Kinos kommt. Die britische Feministin und Historikerin Sally Alexander wird darin von Keira Knightley gespielt, die Rolle der Jennifer Hosten, die als erste Woman of Color die Misswahl gewann, hat Gugu Mbatha-Raw übernommen, Regie führte Philippa Lowthorpe.
Zehn Jahre haben Produzentin Suzanne Mackie und Drehbuchautorin Rebecca Frayn mit der Recherche verbracht. Sie hatten Sally Alexander und etliche der damaligen Demonstrantinnen ausfindig gemacht und waren bis nach Grenada gereist, wo sie Jennifer Hosten trafen. Die war für dieses Treffen extra zurück in ihre Heimat geflogen, denn nach längerer Zeit als Diplomatin lebt die ehemalige „Miss World“-Gewinnerin heute auf einer Farm in Kanada. Es ist wohl dem Bewusstsein des quasi ausschließlich weiblichen Filmteams zuzuschreiben, dass „Die Misswahl“ ein Stück feministischer Geschichte erzählt, ohne in Klischees abzurutschen.
Der Film zeigt an der Geschichte Alexanders, mit welchen Hindernissen die Frauen dieser Generation nicht nur in Großbritannien zu kämpfen hatten, und bei dieser „Miss World“-Wahl kommt noch der Rassismus dazu. So wurde am Tag vor dem großen Finale Jennifer Hosten tatsächlich das Üben auf der Bühne verwehrt. Doch Hosten wollte nicht nur für ihr Aussehen den Preis erhalten, sie wollte auch als Persönlichkeit überzeugen und dafür musste sie sich auf der Bühne sicher fühlen. Die Probe holte sie also auf eigene Faust am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang nach. Für sie war die Misswahl eine Gelegenheit, ihr Land zu repräsentieren, das damals noch britische Kolonie war. Und sie hoffte darauf, dass der Auftritt ihrer Karriere als Moderatorin einen Schub geben würde.
Für die Frauen des Women’s Liberation Movement jedoch war „Miss World“ ein Objekt des Patriarchats. Sie kauften rund 20 Tickets für das Finale, zogen sich Abendgarderobe an, hängten sich Handtäschchen um und passierten problemlos die Sicherheitskontrollen der Royal Albert Hall. Was den Kontrolleuren entging: In ihren Hand taschen hatten die Frauen Mehlbomben, Wasserpistolen und eine große Rassel versteckt. Die Rassel sollte das Startsignal für alle über den Saal verstreuten Feministinnen geben. Sie sollte ertönen, wenn alle Kandidatinnen auf der Bühne standen.
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Vor dem Finale aber kam noch ein Auftritt von Bob Hope. Der Komiker riss einen misogynen Witz nach dem anderen. Da platzte der Frau mit der Rassel der Kragen und sie gab das Signal verfrüht. Die folgenden Minuten wurden chaotisch. Wütende Parolen schrillten durch den Saal, Mehl flog, Hope schlich sich von der Bühne und die Demonstrantinnen wurden von Polizisten aus dem Saal geführt. Mehrere wurden verhaftet, unter ihnen Sally Alexander.
Es folgte der zweite Skandal des Abends: Jennifer Hosten gewann die Krone der „Miss World“, als erste Woman of Color. Auf den zweiten Platz kam obendrein Pearl Jansen, die als „Miss Africa South“ als zweite schwarze Kandidatin für Südafrika angetreten war (das Apartheidregime hatte als offizielle erste Kandidatin die weiße Blondine Jillian Elizabeth Jessup geschickt).
Die britische Boulevardpresse griff Hosten in den darauffolgenden Wochen hart an. Den Veranstaltern wurde unterstellt, die Wahl sei manipuliert worden. Und Alexander und ihre Mitstreiterinnen nutzten die Gerichtsverhandlung, um die Forderungen des Women’s Liberation Movement öffentlich zu machen. Im Film kommt diese Verhandlung schon nicht mehr vor, doch Lowthorpe und ihr Team nehmen sich am Ende des Films die Zeit, die Kämpferinnen von damals noch einmal in die Kamera blicken zu lassen.
Der Film räumt den echten Frauen den Platz ein, der ihnen in der Geschichte gebührt.
"Die Misswahl - Der Beginn einer Revolution" - ab 1. Oktober im Kino. EMMA verlost 3 x 2 Kinokarten. Einfach eine E-mail schreiben an: redaktion@emma.de. Postadresse nicht vergessen.