Pasadena: Die Multitaskerin

Artikel teilen

Eigentlich wollte Christine Corbett Moran gar nicht Physik, sondern Biologie studieren. Heute ist die 32-Jährige eine viel beachtete theoretische Astrophysikerin am „California Institute of Technology“, kurz Caltech, in Pasadena. Hauptberuflich erforscht sie das Universum mit Hilfe von astrophysikalischen Computersimulationen, beschäftigt sich mit Künstlicher Intelligenz und der Visualisierung von Big Data. Nebenberuflich fördert sie als Jurymitglied für Stipendien und als Dozentin gezielt Frauen in der Wissenschaft und spricht auf Konferenzen. In ihrer Freizeit entwickelt sie Apps wie „The Circle of 6“ zur Prävention gegen sexuelle Gewalt. So funktioniert die App: Jede ist mit sechs Vertrauenspersonen verbunden. Fühlt sich eine Nutzerin bedroht, kann sie ihnen über einen Button auf ihrem Smartphone eine Nachricht mit fertigem Text („Hol mich ab. Ich brauche Hilfe, um sicher nach Hause zu kommen.“) inklusive ihres Aufenthaltsortes senden. 200.000 Menschen von Amerika bis Indien nutzen die App. Moran hatte am College einen Stalker. Erst als sie ihr Schweigen brach, redeten auch ihre Freundinnen, die ebenso verfolgt worden waren – bis hin zur Vergewaltigung. „Das hat mein ganzes Weltbild verändert“, sagt die Physikerin. Moran möchte als nächstes den Weltraum entdecken. Sie hat sich als Astronautin beworben. 

Anzeige

Wie bist du Physikerin geworden? 
Nach der Schule hatte ich einen Studienplatz am Massachusetts Institute for Technology. Am MIT belegen erst mal alle Kurse in Physik, Mathe, Chemie und Biologie. Und ich habe noch einen Kurs in Computerwissenschaft besucht. Physik und Computerwissenschaft haben mir am besten gefallen. 

Viele waren überrascht, dass ich nicht nur blond sondern auch noch intelligent bin

Wie viele Kommilitoninnen hattest du? 
Die Hälfte waren Frauen. Ich fand es also völlig normal, dass Frauen Physik studieren. Erst allmählich habe ich begriffen, dass das nicht überall so ist. Und wie entmutigend rückblickend bestimmte Dinge auch in meinem Leben waren. 

Was hat dich entmutigt?
Ich war zum Beispiel im Matheunterricht die Beste. Und die Lehrer haben immer mit dem Finger darauf gezeigt: „Tim, du hättest eigentlich die höchste Punktzahl gehabt. Aber du bist leider von einem Mädchen übertrumpft worden!“ Ich bin blond und war damals sehr extrovertiert. Viele waren überrascht, dass ich auch noch intelligent bin. Und wenn ich früher ein Problem hatte, habe ich das immer als mein Versagen ­interpretiert. Wenn ich noch schlauer werde, dann löst sich das, dachte ich. Heute habe ich zehn weitere Jahre Bildung hinter mir – und erlebe die gleichen Demütigungen. 

Zum Beispiel?
Einmal war ein Forscher wegen eines Bewerbungsgesprächs zu Gast, ein Experte im maschinellen Lernen. Auch eines meiner Fachgebiete. Mein Institutsleiter hatte mich um Unterstützung gebeten. Der Bewerber hat mir nicht einmal in die Augen gesehen. Wenn ich ihm eine Frage gestellt habe, beantwortete er sie in Richtung meines Chefs. Im Anschluss habe ich empfohlen, ihn nicht einzustellen. 

Alle Artikel aus der Serie „Hallo Zukunft!“ lesen

Artikel teilen

New York: Die Hackerin

Artikel teilen

Rund 4.800 Kilometer vom Silicon Valley entfernt, in Manhattan unweit der Lower East Side, sitzt die bitforms gallery, das künstlerische Zuhause von Addie Wagenknecht. In Innsbruck hat die 34-Jährige ihren zweiten Wohnsitz. Im Internet ihren dritten. Addie Wagenknecht hat außerdem ein internationales Kollektiv aus Hackerinnen, Forscherinnen und Künstlerinnen initiiert. Das „Deep Lab“. Fernziel: mehr Vielfalt in der Tech-Kultur. Ihre Themen sind: Überwachung, Kunst, Feminismus und, klar: Hacken – im technischen wie sozialen Sinne. Addie, selbst Mutter von drei Kindern, hat den Müttermythos gehackt. Zu ihren bekanntesten Arbeiten zählt die „Optimization of Parenthood“, ein Roboterarm, der eine Kinderwiege anschiebt. Auch Addies Interesse für die Überwachungskultur kommt nicht von ungefähr. Fremde Männer, die ihr auf der Straße hinterher pfeifen. Oder: fremde Männer, die ohne ­Ankündigung in ihrem Atelier auftauchen. Die neue Überwachung via Internet folgt im Grunde genau dieser alten patriarchalen Logik, sagt sie. 

Anzeige

Addie, wie kam es zur Gründung von Deep Lab?
Ich habe damals von einem befreundeten Professor in New York das Angebot bekommen, mit ihm gemeinsam etwas zum Thema Überwachung zu machen, er hatte ein Budget. Da war ich gerade in Paris bei einem Graffiti-Projekt. Wie immer der gleiche Bro-Club: nur weiße Männer – und ich. Und da dachte ich: Warum verwende ich nicht das Geld und bringe die brillantesten Frauen zusammen. Ich wollte einen Girls-Club!

Mit welchem Ziel?
In Amerika gibt es eine starke Kriminalisierung von Hackern. Aber wir brechen ja nicht in Banken ein, sondern wollen Positives schaffen, Menschen das Gefühl geben, dass sie selbst smart genug sind, sich vor Überwachung zu schützen zum Beispiel. Vor allem Frauen müssen das begreifen. Viele denken: Ich weiß nicht, wie ich mit der Skriptsprache PHP eine Webseite programmiere; und ich weiß nicht, wie ich meine Daten verschlüssele. Und ich antworte: Ich kann dir das innerhalb von zehn Minuten erklären. Bei Typen ist es ja oft so, dass sie das für dich erledigen – aber sie erklären es nicht.

Worum geht es noch?
Um Vielfalt. Nur wenn mehr Frauen, mehr Homo-, Bi- und Transsexuelle, mehr Schwarze und überhaupt Menschen aus unterschiedlichen ­Ländern Teil der Tech-Community werden, können wir dieser Filter-­Bubble entkommen, in der alles von weißen Männern bestimmt wird. Das ist die einzige Perspektive, die wir bisher im Bereich Software- und Hardware-Entwicklung haben. Und: Nur durch Vielfalt können wir mitbestimmen, wie unsere Daten gesammelt werden und warum. Typisch, dass genau dieser Bereich von Männern besetzt wird. Und so ist die ­kaputte Kultur entstanden, die wir jetzt haben.

Das Porträt ist in dem Dossier "World Wide Women!" über Frauen und Technologie in der November/Dezember EMMA erschienen. Zur Dossier-Übersicht

Weiterlesen
 
Zur Startseite