Liebe Mädchen, so werdet ihr Kanzlerin!

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Kein schlechter Einstieg für den Kampf ums Kanzleramt. „Die Grüne mit den ­Babybrei-Flecken am Revers“ hat einen hohen Wiedererkennungswert – und das ist eine der ganz entscheidenden Qualitäten für Kanzlerkandidatinnen in unserer medialen Welt. Und da helfen kleine, liebenswerte Eigenheiten als Identifikationsmerkmal ungemein. Das ist Schritt eins: sich kenntlich machen. Warum sonst würde der SPD-Gesundheitspoli­tiker Karl Lauterbach wohl immer diese ­scheuß­lichen Fliegen um den Hals tragen? Oder das FDP-Urgestein Hans-Dietrich Genscher seinen gelben Pullunder?

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Schritt zwei ist die politische Botschaft. Die „Message“, wie es so schön neudeutsch heißt. Für was brennen Sie so sehr, dass Sie sich die nächsten zehn Jahre damit beschäftigen wollen? Zyniker wenden nun ein, dass Politiker alles verkaufen können und oft auch das Gegenteil dessen, was sie noch vor zwei Jahren meinten. Doch das stimmt nicht, weil die Wähler eine sehr feine Antenne dafür haben und derartige Polit-Typen früher oder später abstrafen.

Umgekehrt ist leider auch wenig erfolgs­trächtig, wenn Sie für alle Themen brennen, also am liebsten die ganze Welt gleich und sofort retten wollen. Das wird nicht nur Sie überfordern, sondern auch Ihre WählerInnen und alle, die mit Ihnen zu tun haben.

Suchen Sie sich also am besten ein ­zukunftsträchtiges Thema, das in zehn Jahren noch mehr Konjunktur haben wird als heute. Die Elektromobilität beispielsweise oder die demografischen Veränderungen in Deutschland. Besser klassische Ressorts wie Finanzen und Wirtschaft statt Verbraucher und Familie, wo sich so viele Frauen drängeln. Optimal ist, wenn Sie sich einen Bereich suchen, der in Ihrer Partei unterbesetzt, aber tendenziell wichtig ist.

Als dritter Schritt schließlich muss ­sichergestellt sein, dass Ihr Spezialthema massentauglich ist und Sie es überall in „Eins-Dreißig“ erklären können. So lange, nämlich 90 Sekunden, sind die meisten Einspieler im Fernsehen und Radio-Antworten, die die Hörer noch aktiv aufnehmen. Keine Sorge, Sie können das üben. Alles kann in 90 Sekunden erklärt werden. Proben Sie am besten mit Ihren Großeltern. Wenn die es verstehen, verstehen es auch die WählerInnen.

Damit hätten wir die Grundlagen schon mal erledigt. In den Bundestag kommen Sie nun auf jeden Fall. Das reicht Ihnen natürlich nicht, Sie wollen ganz an die Spitze. Hier muss nun die Frage erlaubt sein, ob Sie in der richtigen Partei sind? Für die nächsten zehn bis 15 Jahre sollte es schon noch eine der beiden großen Volksparteien SPD oder CDU sein, wenn Ihr Ziel das Kanzleramt ist. MinisterInnenämter allerdings werden die anderen auch zu vergeben haben, denn die Koalitionen werden künftig bunter werden. Und nach 2025 wird ohnehin alles möglich sein, auch eine grüne Kanzlerin.

Und wie steht es mit der Hausmacht? Die muss schon im Herkunfts-Bundesland solide verankert sein. Doch auch eine Katastrophe (national, international oder innerparteilich) oder intellektuelle Strahlkraft möglichst noch gepaart mit Charisma sind hilfreich. Letzteres ist in Deutschland der heikelste Weg, weil er zu viele Neider auf den Plan ruft, die schon früh versuchen werden, Sie loszuwerden. Wenn Sie aber rechtzeitig ein tragfähiges Netzwerk knüpfen, das eine oder andere brillante Buch schreiben und die einflussreichsten Köpfe in den Medien auf Ihre Seite ziehen, könnten Sie eine Außenseiterchance haben.

Weit üblicher ist der Katastrophen-Weg: Er ebnete Helmut Schmidt (Jahrhundertflut in Hamburg), Angela Merkel (Schwarze Kohl-Kassen) und selbst solchen Gestalten wie Matthias Platzeck (Oder-Flut) zumindest kurzzeitig den Weg.

An diesen Beispielen ist aber auch gut zu sehen, dass alle nun genannten Vor-Qualifikationen nichts nutzen, wenn Sie nicht über die eine, ganz entscheidende verfügen: den absoluten Machtwillen ­gepaart mit der begrenzten Lust am Risiko. Hier scheitern fast alle. Bis auf die, die in den letzten Jahrzehnten wirklich im Kanzleramt angekommen sind. Helmut Kohl nach dem Misstrauensvotum 1982, Gerhard Schröder nach seinem Plebiszit über die Kanzlerkandidatur 1998 und Angela Merkel nach dem Verzicht zugunsten Edmund Stoibers 2002. „Niemals aufgeben“, würde die Kanzlerin sagen, wenn sie danach gefragt würde, wie sie ins Kanzleramt gekommen ist.

Ach ja, und dann ist da natürlich noch die Frage des Geschlechtes. Sie spielt noch immer eine Rolle, kein Zweifel. Wenn ich aber eine Empfehlung geben darf: Rechnen Sie damit, aber reden Sie nicht darüber. Nichts wird Sie so sehr voranbringen, wie die Hybris von Männern, Sie als Frau zu unterschätzen.

Die Autorin veröffentlichte gerade „So regiert die Kanzlerin“ (Piper).

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