Prostitution: Chance zum Ausstieg?

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Es gibt auch gute Nachrichten in Zeiten von Corona. „Noch nie standen die Chancen für Frauen in der Prostitution so gut, ihre Ausstiegspläne in die Tat umzusetzen“, sagt Sabine Constabel, die Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins Sisters. Zumindest gilt das für Stuttgart, wo Constabel seit drei Jahrzehnten Ausstiegshilfe leistet. Dort hat der Gemeinderat gerade 60.000 Euro zusätzliches Überbrückungsgeld für Frauen beschlossen, die Körper und Seele nicht länger verkaufen wollen bzw. müssen.

Oder für Karlsruhe. Dort gilt seit Corona ein striktes Sexkaufverbot, das heißt: Karlsruhe nimmt diejenigen in den Fokus, die das Angebot durch ihre Nachfrage überhaupt erst schaffen: die Freier. Das verwundert nicht, wenn man weiß, dass Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) ein Anhänger des „Nordischen Modells“ ist – also der Bestrafung der Freier und Ausstiegshilfe für Frauen. Länder wie Schweden, Frankreich oder Irland haben das schon längst eingeführt.

Und es ist sicher auch kein Zufall, dass Andrea Spitzer von der Beratungsstelle Mariposa in Karlsruhe von der „tollen Zusammenarbeit mit den Behörden“ schwärmt. Bei Mariposa hätten sich nach dem Shutdown Frauen gemeldet, die sich schon länger mit Ausstiegsgedanken trugen. „Wir kooperieren eng mit dem Jobcenter und haben dort für viele Frauen Anträge auf Arbeitslosengeld II gestellt“, erzählt die Beraterin. Dass die Hilfe so schnell und unbürokratisch funktioniert habe, „hat viele motiviert, sich einen anderen Job zu suchen“. Das größte Problem beim Ausstieg sei allerdings, dass „viele Frauen keine Wohnung haben, weil sie bis dato im Bordell gewohnt haben“.

In Berlin, der Hauptstadt der Prostitution, sieht die Sache schon anders aus. „Die Ungarinnen“, sagt Gerhard Schönborn, „waren als erstes weg.“ Gleich nachdem die Kanzlerin am 16. März den Shutdown verkündet hatte, hätten die Zuhälter die Frauen „eingesammelt und weggebracht. Seitdem sind die hier nicht mehr aufgetaucht“, erzählt der Sozialarbeiter, der sich um Frauen auf dem Straßenstrich kümmert. Bald darauf waren auch die Rumäninnen und Bulgarinnen vom Strich an der Kurfürstenstraße verschwunden.

Am 2. April hatte schließlich auch Berlin Prostitution an sämtlichen Orten offiziell verboten, gut zwei Wochen nach dem Rest des Landes. Die Senatskanzlei hatte es fertiggebracht, das allgemeine Prostitutionsverbot für die traditionell extrem prostitutionsaffine Stadt so kryptisch zu formulieren, dass zwar die Bordelle schlossen, das Geschäft mit der Ware Frau auf den Straßenstrichen der rot-rot-grün regierten Hauptstadt aber trotz Corona munter weiterging. Letztendlich jedoch sah man sich genötigt, in der „Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus“ zu präzisieren: „Die Erbringung sexueller Dienstleistungen mit Körperkontakt ist untersagt“, steht jetzt dort. Über diejenigen, die diese „Dienstleistung“ trotz Infektionsgefahr auch für die Prostituierten sowie ihre Frauen kaufen (wollen), die Freier, steht dort nichts.

Sie kommen weiterhin. Sie klauben auf der Kurfürstenstraße jene traurigen Gestalten auf, die noch übrig sind. „Es sind jetzt nur noch die Drogenabhängigen da und Frauen, die nicht das Geld haben, um nach Hause zu fahren“, erzählt Schönborn. 300 bis 400 Frauen verkaufen hier normalerweise Tag für Tag ihren Körper, jetzt sind es noch wenige Dutzend. Normalerweise bekommen sie im „Café Neustart“ einen Kaffee und eine Beratung. Jetzt ist auch noch das Café coronabedingt geschlossen.

Aber eine Suppe, ein Plätzchen oder ein Paket Binden gibt es trotzdem. Schönborn hat vor der Tür einen Tisch aufgebaut. Hier verteilt auch Annika von Sisters dreimal in der Woche Essen und Getränke an die ausgemergelten Frauen und hört sich ihre Nöte an. „Sie erzählen, dass sie Angst haben, keinen Übernachtungsplatz zu finden, weil die Notschlafstellen schließen. Manche kommen bei irgendwelchen Typen unter.“ Für die entsprechende Gegenleistung, versteht sich.

Lehrerin Annika, die die Berliner Ortsgruppe von Sisters mitgegründet hat, beobachtet, wie die Freier mit ihren Autos langsam durch die Straße fahren und nach Frauen oder Mädchen Ausschau halten, denen es so mies geht, dass sie sie auf zehn Euro drücken können. Annika hat gerade wieder in einem Freierforum recherchiert und weiß, dass sich die Männer darüber austauschen, „wo es noch geht, wo es ohne Kondom geht und wo es am billigsten ist“. Gewundert hat sie das nicht. „Jetzt wird nur sichtbarer, wie schlimm es schon immer war.“

In der Tat: Wer noch immer nicht begriffen haben sollte, unter welch elenden Bedingungen sich die allermeisten Prostituierten in Deutschland verkaufen müssen, kann es jetzt den Schlagzeilen und TV-Reportagen entnehmen, die plötzlich in bemerkenswerter Offenheit über die Zustände in deutschen Bordellen berichten. 80 bis 90 Prozent der Frauen kommen aus Rumänien oder Bulgarien, sprich: den ärmsten Ländern Europas. Die meisten haben keine Krankenversicherung. Viele wohnen in den Bordellen, obwohl das laut Prostituiertenschutzgesetz inzwischen verboten ist. Jetzt stehen sie auf der Straße, denn viele „Vermieter“ setzen die „Mieterinnen“ auch in diesen Zeiten einfach vor die Tür. Diese Frauen haben so wenig Geld, dass sie noch nicht mal ein Busticket in ihr Heimatland bezahlen können. Viele arbeiten unter Zwang, womöglich immer noch, trotz Corona.

Eine, die diese Zustände sehr gut kennt, ist Petra Jochheim. Die Rechtsanwältin ist seit Jahren als ehrenamtliche Streetworkerin für Solwodi in den Bordellen der Oberhausener Flaßhofstraße unterwegs. Sie kennt die Frauen, die ein Tattoo mit dem Namen ihres „Besitzers“ am Hals tragen, und sie weiß, was Männer gerade in Freierforen posten. Nämlich Sätze wie: „Ein Verbot juckt mich nicht. Einmal die Woche muss ich auf jeden Fall abspritzen.“ Was die Anwältin nicht weiß, ist, wo die acht Frauen geblieben sind, für die sie schon Übergangswohnungen besorgt hatte. Das Oberhausener Ordnungsamt hatte die Streetworkerin gefragt, ob sie Schlafplätze für die Prostituierten finden könne. „Doch dann hieß es plötzlich, der Bordellbetreiber hätte die Frauen schon untergebracht. Seitdem sind sie spurlos verschwunden.“ Die Anwältin fürchtet, dass die Frauen gezwungen werden, sich weiterhin zu prostituieren.

Corona entlarvt aber nicht nur das Elend der Prostitution, sondern auch die Verlogenheit der Pro-Prostitutionslobby. Wir erinnern uns an die Damen, die in Talkshows das Mantra von der glücklichen Prostituierten herunterbeten: Prostitution – ein Beruf wie jeder andere. Selbstständig! Selbstbestimmt! Superverdienst!

Plötzlich tönt das aus denselben Mündern ganz anders. Viele der „marginalisiert“ arbeitenden Frauen hätten „weder Krankenversicherung noch einen festen Wohnsitz“, erklärt nun Lobbyistin Johanna Weber, ihres Zeichens Ex-Vorsitzende des „Berufsverbands erotischer und sexueller Dienstleistungen“ (BESD) und selber „Studio“-Betreiberin. Ihnen drohe nun die Obdachlosigkeit, denn diese „Sexarbeitenden“ hätten „nahezu keine Rücklagen“. Es sei darum zu befürchten, dass sie trotz Verbot weiterarbeiteten. „Was sollen sie auch machen, wenn sie nichts zu essen haben?“

Da stellen sich nun doch ein paar andere Fragen: Warum hat der BESD, der vorgibt, für die Interessen der Frauen in der Prostitution einzutreten, eigentlich nie eine verpflichtende Krankenversicherung für Prostituierte gefordert? Weshalb keinen Mindestlohn? Wieso hat er nicht verlangt, dass die Frauen nicht in denselben Zimmern wohnen dürfen, in denen sie anschaffen? Warum hat der Verband den Gesetzgeber nicht aufgefordert, gegen die Wuchermieten vorzugehen, die Bordellbetreiber den Frauen abknöpfen (bis zu 180 Euro pro Tag)? Und weshalb hat er nie verlangt, dass der Staat Zuhälterei besser verfolgen kann?

Die Antwort liegt mehr denn je auf der Hand: Weil der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ ein Lobbyverband von und für ausgezeichnet verdienende „Studiobesitzerinnen“ ist, die meist als Dominas arbeiten (wie Johanna Weber, Stundensatz: 250 €) und nicht selten auch andere Frauen für sich anschaffen lassen. Sie haben sich bis dato vor allem für den Erhalt ihrer Einkünfte und wenig für ihre Kolleginnen aus den Armenhäusern Europas interessiert. Doch in Zeiten von Corona können selbst diese glücklichen „Sexarbeitenden“ die katastrophale Situation der Mehrheit der Prostituierten nicht länger verschleiern.

Auch Armin Lobscheid, seines Zeichens Geschäftsführer des Kölner Großbordells Pascha, redet plötzlich Klartext über die Frauen, die in seiner Sexfabrik anschaffen (müssen): „Viele kommen aus armen Ländern in Südosteuropa, sie können es sich nicht leisten, einfach nach Hause zu fahren.“ Richtig, und das unter anderem deshalb, weil sie dem Pascha für ihr kleines Zimmer 160 Euro Miete zahlen müssen, täglich; macht knapp 5.000 Euro im Monat. Dafür müssen die „selbstständigen“ Mieterinnen schon mindestens 100 Freier im Monat bedienen, allein, um das winzige Zimmer bezahlen zu können.

Armin Lobscheid hat übrigens gerade Kurzarbeitergeld beantragt. Nicht für die Prostituierten. Für sich. Im Ernst. Schließlich ist der Frauenkauf in Deutschland legal. Und Laufhaus-Betreiber Lobscheid geht gerade eine Menge Geld verloren. Allein die Mieten für 140 Zimmer dürften monatlich rund 672.000 Euro Umsatz in die Pascha-Kasse spülen. Lobscheid will mit dem Zuschuss aus dem Corona-Milliardentopf angeblich seine 70 Festangestellten bezahlen: Hausmeister, Friseurin, Security, was ein Bordell eben so braucht.

Doch wie kann es sein, dass aus den Steuergeldern von Krankenschwestern oder Supermarktkassiererinnen, die gerade das Land vor dem Kollaps bewahren, die Türsteher eines Großbordells bezahlt werden? Der Zynismus kennt keine Grenzen.

Wir dürfen gespannt sein, wie die Kommune Köln – die wie alle Kommunen in Deutschland dick Steuern von den Prostituierten kassiert! – auf diesen unmoralischen Antrag reagiert. Alles legal?

Eine gute Nachricht zum Schluss: Dem Stuttgarter Großbordell Paradise hat Corona offenbar den Rest gegeben. Im Februar 2019 war Bordellbetreiber Jürgen Rudloff, der einstige Talkshow-Saubermann, wegen „Beihilfe zum Menschenhandel“ und „Investitionsbetrug“ zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Eine Woche nach dem Shutdown teilte das Amtsgericht Esslingen mit, dass es ein Insolvenzverfahren für das Paradise eröffnet hat. Rudloff und seine Mannen werden endlich aus dem Paradies vertrieben, das für so viele Frauen die Hölle war.

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SISTERS sagen Politik den Kampf an!

Leni Breymaier, Sabine Constabel und Huschke Mau stellen SISTERS in Berlin vor. © Britta Pedersen/dpa
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Nach zehn Jahren Prostitution konnte Huschke Mau einfach nicht mehr. Die junge Frau wollte aussteigen. Sie ging zu einer Beratungsstelle. Da sagte man ihr: „Wenn du aussteigen willst, dann geh halt nicht mehr ins Bordell!“ Sie sei „total geschockt“ gewesen, erklärt sie: „Prostituierte, die aussteigen wollen, haben riesige Probleme: Sie werden bedroht, haben Schulden und häufig auch Suchtprobleme.“ 

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Was da an diesem Vormittag in Raum 107 der Bundespressekonferenz in Berlin lief, war eine Premiere für Deutschland. Bisher waren in den Medien vor allem Prostituierte zu sehen und zu lesen, die es „freiwillig“ und vor allem „gerne“ tun. Jetzt gibt SISTERS erstmals Prostituierten eine Stimme, die offen sagen, wie zerstörerisch die Prostitution für sie ist – und kritisiert die falsche Toleranz mit dem System Prostitution und dessen Profiteuren. 

Die Zeit scheint reif. Das war auch den JournalistInnen in dem kleinen überfüllten Konferenzraum anzumerken, die den drei Frauen vorne auf dem Podium sehr aufmerksam zuhörten und sehr genaue Fragen an sie stellten: der Sozialarbeiterin und Streetworkerin Sabine Constabel, der Gewerkschafterin und SPD-Politikerin Leni Breymaier, sowie der Studentin und Ex-Prostituierten Huschke Mau. Danach zum Beispiel, was die SISTERS zu der geplanten Reform des Prostitutionsgesetzes sagen. 

Harsche Kritik an der Toleranz mit dem System Prostitution

Die sei „eine Katastrophe“, erklärte die erfahrene Sozialarbeiterin Constabel. „So, wie die Reform der Reform jetzt angedacht ist, nutzt sie weiterhin eher den Zuhältern und Bordellbetreibern als den Frauen in der Prostitution.“ Constabel arbeitet seit 25 Jahren mit Prostituierten und bedauert, dass es „in Deutschland sehr, sehr wenig Hilfsangebote für Prostituierte gibt. Und die wenigen, die es gibt, können von den Frauen oft nicht angenommen werden.“ Warum nicht? „Weil man ihnen dazu signalisieren müsste, dass man um ihre Not weiß.“

Das aber ist in Deutschland, wo Prostitution seit der fatalen rot-grünen Reform von 2002 als „Beruf wie jeder andere“ gilt, nicht angesagt. Die von der Sexindustrie-Lobby gestützte (oder gar initiierte?) Fraktion der „Sexarbeiterinnen“ argumentiert vor allem damit, dass die „Nichtakzeptanz der Prostitution stigmatisierend“ sei und der Grund allen Übels. Die SISTERS aber sagen, dass die Prostitution selbst das Übel ist, das die Frauen zerstört.

Nun droht auch das neue „Prostituiertenschutzgesetz“ nach 13 Jahren zum zweiten Mal von der Lobby der Sexindustrie bis zur Wirkungslosigkeit zerrieben zu werden. „Wir haben die Hoffnung aufgegeben, dass in naher Zukunft gesetzliche Regelungen kommen, die die Prostituierten wirklich schützen“, erklärte Constabel.

Deshalb ergreifen jetzt engagierte Fachfrauen und ausgestiegene Prostituierte wie Huschke Mau die Initiative. Mau: „Ich wünsche mir eine andere Stimme als die der so genannten ‚Sexarbeiterinnen‘ von der Pro-Prostitutions-Lobby, die zur Hälfte aus Dominas und zur Hälfte aus ZuhälterInnen besteht.“ Die junge Frau, die auch offen über den sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit sprach („Später dachte ich: Dann tu ich es jetzt wenigstens für Geld“), hat es nach vielen einsamen Versuchen doch noch geschafft auszusteigen. Und jetzt möchte sie dazu beitragen, dass auch andere in die Prostitution abgerutschte Frauen wieder herausfinden aus „der Hölle“. „Als ich aussteigen wollte, habe ich davon geträumt, dass es einen Verein wie SISTERS gibt.“

Hunderttausende Prostituierte
aus Osteuropa -
und niemand
schaut hin.

Und was macht die Gewerkschafterin vorne am Podium? Sie habe, erzählt Leni Breymaier, die baden-württembergische ver.di-Chefin, im Sommerurlaub ein Buch über die deutsche Besatzung in Polen gelesen. Und da gab es eine Szene in einem Danziger Caféhaus: Während drinnen die feinen Damen an ihrem Tee nippten, wurden draußen Juden von der SS vorbeigetrieben. Die Damen schauten kurz auf und führten sodann ihre Gespräche fort. Breymaier: „So ähnlich kommt es mir heute vor: Wir haben Hunderttausende Armutsprostituierte aus Osteuropa mitten unter uns – und niemand schaut hin!“ 

Dabei seien in der Prostitution alle Spielregeln, die in anderen Berufen gelten, außer Kraft gesetzt, klagte die Gewerkschafterin. „Von einem Mindestlohn können die Frauen nur träumen, Arbeitsschutz
existiert schlicht nicht.“ Ob es denn nicht auch andere Berufe gäbe, die für Frauen hart seien? „Beruf?“, konterte Breymaier, die unter anderem an der
Seite der Schlecker-Frauen kämpfte: „Prostitution ist kein Beruf. Das ist eine Menschenrechtsverletzung!“ Und Huschke Mau sekundierte: „Ich kenne keinen Beruf, in dem Sucht und Traumatisierung zum normalen Berufsrisiko gehören.“ Und überhaupt: Sie könne „das Gequatsche von der ‚Sexarbeit‘ nicht mehr hören“.

Auch Leni Breymaier, die außerdem stellvertretende Vorsitzende der SPD Baden-Württemberg ist, ging die Politik hart an: „Deutschland ist heute das Bordell Europas. Für mich ist das unerträglich. Die Politik wäre gefordert, aber sie kommt ihrer Aufgabe nicht nach. Ich möchte deshalb den Frauen meine Hand reichen, die diese Hand nehmen wollen.“

Die Idee: ehren-
amtliche Helfe-
rinnen betreuen
Prostituierte

Die Idee, den Verein SISTERS zu gründen, tauchte Anfang des Jahres auf. Sie kam aus dem Kreis der engagierten Frauen um Sabine Constabel. Seit vielen Jahren hat Constabel gute Erfahrungen gemacht mit ihrem „Stuttgarter Modell“ der ehrenamtlichen Helferinnen. Die betreuen Prostituierte auf dem Strich, im Laufhaus oder auch in dem Prostituierten-Café „La Strada“. Ihre Hilfe geht von der einzigen warmen Mahlzeit am Tag für die Frauen auf der Straße, über Beratung bei Gewalt oder Schwangerschaft bis hin zur Begleitung beim Ausstieg. 

„Ich bekomme regelmäßig Anrufe von Frauen, die mich fragen: ‚Was kann ich tun?‘“, sagt Constabel. Warum also nicht versuchen, dieses „Stuttgarter Modell“ der „Patinnen“ über ganz Deutschland zu verbreiten? Und das selbstverständlich in Kooperation mit Organisationen, die bereits heute wirkliche Ausstiegsarbeit machen, wie zum Beispiel Solwodi.

Zusätzlich zu diesen wenigen bereits existierenden Organisationen, bisher ausnahmslos christliche, treten jetzt also die weltlich-humanistisch motivierten SISTERS an. Sie appellieren an Frauen in ganz Deutschland, sich für den Job einer begleitenden „Sister“ zu melden. Dafür bieten sie Qualifikationskurse an. „Sie müssen keine Expertin sein“, schreiben sie auf ihrer Website. „Lebenserfahrung und Einfühlungsvermögen können genügen.“ Constabel: „Die Frauen brauchen einfach jemanden, der ihnen signalisiert: Wir wissen um deine Not. Und der sie an der Hand nimmt und mit ihnen in eine neue Welt geht.“

SISTERS wollen auch aufklären über die Folgen des Frauenkaufs

Constabel hat schon viele Frauen dazu gebracht, ihrer Familie zu verkünden, dass „sie jetzt eben nicht mehr 200 Euro im Monat nach Hause schickt, sondern nur noch 100 Euro“. Das sei selbst im Niedriglohnbereich leicht zu bewerkstelligen, denn: „Die Kosten für die Prostitution sind enorm. Die Frau muss für ihr Bordellzimmer und womöglich noch für das ihres ‚Aufpassers‘ mindestens sieben Freier machen – am Tag.“ Fallen diese Kosten weg, könne eine Aussteigerin selbst mit einem Job als Kellnerin oder Zimmermädchen mehr verdienen.

Die SISTERS wollen der Mehrheit der Armuts- und Zwangsprostituierten helfen, die oft kaum ein Wort Deutsch verstehen, aber auch der Minderheit der deutschen Prostituierten, die ebenfalls nicht selten im Teufelskreis der sexuellen Gewalt stecken – so wie einst Huschke Mau. Die erklärte auf der Pressekonferenz, dass die Trennung zwischen „sauberer“ deutscher Prostitution und „schlimmer“ ausländischer Prostitution ein Mythos sei. „Die Rechnung deutsch gleich freiwillig geht nicht auf“, sagte Mau. „Ich habe in zehn Jahren Prostitution keine einzige Frau erlebt, die keine Gewaltgeschichte hatte, und die nicht traumatisiert in die Prostitution gegangen ist – und noch traumatisierter wieder herauskam.“ Auch Mau selbst kommt aus einer Familie, „die mich für die gewalttätigen Übergriffe in der Prostitution vorbereitet hat“.

Es geht darum den Frauen zu vermitteln: "Du bist etwas wert!"

Aber die SISTERS wollen mehr als „nur“ helfen. Die SISTERS wollen auch aufklären. Aufklären über die erschütternde Lage von Hunderttausenden von Frauen in Deutschland, mitten unter uns. Und die werden in Zeiten der Flüchtlingsströme eher mehr als weniger. Und sie wollen aufklären über die Folgen der Akzeptanz des Frauenkaufs für alle Frauen und Männer in unserem Land. Sie wollen in Zukunft auch in Schulen, Bürgerzentren und Anhörungen auftreten, um den Menschen die Augen zu öffnen.

Die Reaktionen auf die Pressekonferenz der SISTERS Ende September in Berlin waren schon in den Tagen danach beachtlich; zahlreiche Presseagenturen, Zeitungen und Zeitschriften berichteten. Vor allem die Kritik von SISTERS an der stockenden Reform und der, im besten Fall, hilflosen Politik wurde breit zitiert. Und allein in den ersten Tagen klickten rund 2 500 die Webseite der SISTERS an und liketen 467 die SISTERS auf Facebook. Ganz klar: Die SISTERS werden gebraucht.

www.sisters-ev.de

Aktualisiert am 4.11.2015
 

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