Lustfeindliche Emanzen
Der Versprecher sorgte für tosendes Gelächter im Saal. "Ich hätte mir gewünscht, dass heute mehr Menschen gekommen wären", erklärte Rolf Emmerich. Das konnte der Veranstalter des Kölner Sommerblut-Festivals so nicht gemeint haben, denn der Kinosaal des Kölner Filmhauses war zum Bersten voll - mit Frauen. Und so korrigierte sich Emmerich rasch: Er habe sich gewünscht, dass "mehr Männer gekommen wären".
Es war ein bitteres Lachen, das die Zuschauerinnen da lachten. Denn in der Tat bewegte sich die Podiumsdiskussion über die Beteiligung des Kölner Großbordells Pascha am schwul-lesbischen Sommerblut-Festival auf diese entscheidende Frage zu: Wieso interessiert es Männer - homo- und heterosexuelle - nicht, wenn Frauen menschenunwürdig dargestellt und behandelt werden? Dass dies so ist, mussten das nahezu rein weibliche Publikum und die drei weiblichen Teilnehmerinnen des Podiums mit einiger Verblüffung feststellen.
Sie habe sich in Freierforen umgesehen und festgestellt, das die Frauen dort "nur über ihre Körperöffnungen beschrieben würden", erklärte Frauke Mahr vom Kölner Mädchenhaus. Ein Autohaus, das vom Pascha gesponsert wird, habe in einer Werbeaktion "eine spärlich bekleidete Frau Männern die Schuhe putzen lassen".
Und auf der Website von "Europas größtem Laufhaus" mit "Geld zurück Garantie", präsentieren sich "Feuchter Fick", "Schwanzgeil21" oder "BlackLolita". "Unerfahren20" träumt davon, sich "von mehreren Männern hart bedienen zu lassen". Ihre "Neigungen": "devot, Natursekt, schlucken, Gang Bang." Kurzum: "Das Pascha lebt von Frauenverachtung", erklärte Mahr.
Die Reaktion der drei Herren auf dem Podium: Er fände die Kritik der Frauen am Veranstaltungsort "fundamentalistisch", sagte Ex-Polizeipräsident, Ex-Regierungspräsident und Sommerblut-Schirmherr Jürgen Roters. Er wundere sich über die "Härte und Unversöhnlichkeit", meinte Michael Schuhmacher von der Aids-Hilfe. Er würde sich "weniger Emotionalität und mehr Sachlichkeit" wünschen, erklärte Festivalleiter Rolf Emmerich. Und: "Ich habe nicht zu bewerten, warum ein Freier ins Pascha geht."
Seit Wochen tobt der Streit um das Pascha in der Domstadt. Eine Welle des Protestes hatte sich erhoben, als Eventmanager Emmerich im April verkündet hatte, dass das Sommerblut-Festival mit rund 80 Musik- und Kabarettveranstaltungen inclusive WDR-Übertragung in Kölns Großbordell eröffnet werden sollte (EMMA 3/07). Sechs weitere Veranstaltungen sollten im Pascha stattfinden. Und so fanden sich Anfang April einige verblüffte Künstlerinnen und Veranstalterinnen mit der Aufforderung konfrontiert, sich am 3. April zur Sommerblut-Pressekonferenz in dem laut Eigenwerbung "Europas größtem Laufhaus" an der Hornstraße einzufinden.
Das atelier-Theater weigerte sich und beklagte die "Distanzlosigkeit gegenüber einem System", "das immer wieder mit Gewalt und Verzweiflung zu tun hat." Worauf Geschäftsführerin Sabine Heinrichs-Knab so massiv bedroht wurde, dass sie sich nachts nach Vorstellungsende nicht mehr allein aus dem Theater traute.
Auch Marion Scholz, Kabarettistin und Organisatorin der Benefiz-Gala Sommernachtsfrauen, erklärte in einem Offenen Brief an Emmerich: "Das Pascha ist ein Machttempel, es steht für Kommerz, Erniedrigung und Gewalt. Ein Puff ist ein Männerding. Und wenn es jetzt im Pascha eine Transsexuellenetage gibt und später eine Schwulenetage aufgemacht werden soll, dann ist das immer noch ein Männerding." Das Pascha als Veranstaltungsort, so Scholz, "das hat viele Wunden und Narben aufgerissen - ein Schlag ins Gesicht der Frauen!"
Schon länger geht ein Riss durch die "Community". Denn das Pascha versucht seit geraumer Zeit, das Haus in der Hornstraße zum angesagten Kultur- und Partyort zu machen und so ihren potenziellen Kunden auch noch die letzte Hemmschwelle zu nehmen. Nachdem es das Fanprojekt des 1. FC Köln und das Kurzfilmfestival des Filmhauses in seine Räume gelockt hatte, drängt es nun in die Homosexuellenszene: Auf einem Wagen mit Pascha-Logo fuhren die trans- und homosexuellen Prostituierten auf der Christopher-Street-Day-Parade 2006 für das Bordell Reklame.
Auch hier hagelte es Proteste, und auch hier verläuft die Trennlinie zwischen Pro und Contra hart entlang der Geschlechtergrenzen. Auf der einen Seite: fassungslose Lesben, die ungläubig darüber staunen, dass ihre schwulen Kampfgefährten so gar kein Problem mit der kollektiven Erniedrigung und Entwürdigung ihrer Geschlechtsgenossinnen zu "Frischfleisch" mit "Abspritzgarantie" haben. Auf der anderen Seite: genervte Schwule, die den "verknöcherten Emanzen" "Lustfeindlichkeit" vorwerfen.
Dieses tumbste aller Totschlagargumente breitete auch der bekennend homosexuelle taz-Autor Jan Feddersen aus, als er sich am 7. Mai darüber echauffierte, dass auf Druck von "Fundamentalfeministinnen" unter Führung von EMMA die Eröffnung des Sommerblut-Festivals schließlich vom Pascha ins Kölner Theaterhaus verlegt wurde. Das sei "ein bitterer Kotau von der besinnungslosen Raserei der Neoprüderie".
Schließlich sei das "Dienstleistungshaus", aus dem Zuhälter draußen bleiben müssen (die kassieren dann ab, sobald die Frauen die "sicheren" Pascha-Mauern verlassen) und in dem jede Prostituierte Ausweispapiere hinterlegen muss (die sich schon des öfteren als gefälscht erwiesen haben), ein "nachgerade linksalternatives Musterunternehmen" (das, kleines kapitalistisches Rechenexempel, an seinen 141 "Mieterinnen" bei einer Tagesmiete von 150 Euro jeden Monat 423.000 Euro verdient).
Der Antrieb der "Allianz der Heuchler", bestehend aus "EMMA und Klerus", ist, wir ahnen es schon: die "Angst vor Sexuellem überhaupt". Auch in den Gremien, die das Für und Wider einer erneuten Pascha-Teilnahme auf der CSD-Parade am 8. Juli debattierten, schlug den überwiegend weiblichen Kritikerinnen ein hart sexistischer Wind entgegen. "Viele schwule Männer begreifen nicht, dass mich die Darstellung von Frauen in der Pascha-Werbung bis ins Mark trifft", erklärt Daniela Zsyk vom Vorstand des Kölner Lesben- und Schwulentages (KLUST), der die jährliche Parade organisiert.
Und so stimmten im siebenköpfigen KLUST-Vorstand die drei weiblichen Mitglieder gegen die Teilnahme des Pascha-Wagens - und die vier männlichen dafür. Und auch die Mitgliederversammlung entschied sich schließlich mit Männermehrheit für die Teilnahme des Pascha-Wagens. Teilnehmerinnen sprechen von einem "Riss, der nie wieder heilen wird".
Einzig das Kölner Beratungszentrum für Lesben und Schwule, Rubicon, und das Homo-Jugendzentrum anyway hatten mit kompletter Belegschaft, also gemischtgeschlechtlich protestiert, und offenbar hat hier das jahrelange gleichberechtigte Miteinander zu jener Empathiefähigkeit der Männer geführt, die die Lesben andernorts so schmerzlich vermissen.
"Das Pascha betreibt aggressive entwürdigende Werbung, um in den Köpfen der Hauptzielgruppe heterosexueller Männer präsent zu sein. Diese Werbung ist für das Empfinden vieler Frauen - lesbischer und heterosexueller - beleidigend und demütigend", erklärten die MitarbeiterInnen. "Die Teilnahme des Pascha überschreitet endgültig die Grenzen der Sexualisierung der Parade." Und: " Eine Teilnahme von lesbischen, schwulen und transidenten Prostituierten wird von weiten Teilen der Szene befürwortet, wenn es um deren sexuelle Identität und deren Zugehörigkeit zur Community geht. Weder für das Thema Prostituiertenrechte noch für die Anpreisung von sexuellen Dienstleistungen ist die Parade der richtige Ort."
Das Rubicon zog seine rund 20 Veranstaltungen aus dem offiziellen CSD-Programm zurück. Und sogar die Kölner Grünen erklärten - im Gegensatz zur Stoßrichtung ihrer Berliner BundesvertreterInnen - unter Federführung des Arbeitskreises Frauen, das Pascha stehe "nicht für einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität" - und drohten gemeinsam mit Frauen aus Kultur- und Mädchenarbeit mit einem Boykott des Christopher Street Day. Denn: "Diversity ist etwas anderes als anything goes."
Doch nicht nur in der Metropole Köln und nicht nur in der homosexuellen Community wird gegen die zunehmenden Versuche der "Sexindustrie" gekämpft, in die "Mitte der Gesellschaft" zu drängen. Auch in den Kleinstädten - in die es die Großbordelle verstärkt zieht (EMMA 2/07), organisiert sich der Protest und schaffen Bürgerinitiativen eine immer größere Öffentlichkeit gegen die wachsende Enthemmtheit in Sachen Prostitution und Freiertum.
Eine ganze Aktionswoche organisierte zum Beispiel das ‚Bündnis für Weinheim' - das gegen ein geplantes Großbordell in der denkmalgeschützten Hildebrandt'schen Mühle kämpft - und öffnete mit der Terre des Femmes-Ausstellung ‚Ohne Glanz und Glamour', Podiumsdiskussionen und Filmen vielen WeinheimerInnen die Augen. "Bei vielen, die das Problem vorher belächelt haben, ist jetzt ein Bewusstsein geweckt", erklärt Regina Hagenbruch. "Mich haben zahlreiche Besucher und Besucherinnen angesprochen und gesagt: ‚Das haben wir alles nicht gewusst!'" Und auch die Lokalpresse, die täglich über die Aktionen berichtete, schloss sich an: "Hinter den baurechtlich legalen und modernen Lustschlössern steht eine schier unkontrollierbare Szene", kommentierte die Oberhessische Presse. "Wer es akzeptiert, dass die Frau als Ware angeboten wird, ist an der wahren Frau nicht mehr interessiert."
Dem Druck der WeinheimerInnen ist es auch zu verdanken, dass das gesamte Stadtgebiet zum Sperrbezirk erklärt wurde. Was zunächst angeblich ein Ding der Unmöglichkeit sein sollte und beim ersten Antrag im Regierungspräsidium abgelehnt wurde, war plötzlich machbar, nachdem die Bürgerinitiative das Städtchen am Rande des Odenwalds in die Schlagzeilen von Zeit und EMMA katapultiert hatte. "Der Druck der Öffentlichkeit wird immer größer", hatte die sozialdemokratisch regierte Stadt dem Regierungspräsidenten in ihrem zweiten Antrag mitgeteilt. Der nickte ab.
Das seit Frühjahr 2006 geplante Bordell in der Hildebrandt'schen Mühle allerdings fällt nicht unter die neue Verordnung - der alte Bauantrag genießt "Bestandsschutz". Die Klage zweier potenzieller Nachbarinnen gegen die Baugenehmigung durch die Stadt, die das Gebiet kurzerhand zum Gewerbegebiet erklärt und den Bordellausbau damit möglich gemacht hatte, hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe abgewiesen. Rechtsanwältin Hagenbruch hofft auf die zweite Instanz. "Wir sind von der Rechtswidrigkeit überzeugt. Jetzt heißt es: Schulterschluss und weitermachen!"
Auch in Marburg, wo die Bürgerinitiative den Kampf gegen das Großbordell Erotic Island verloren hat - bei dessen Errichtung die Stadt sich ebenfalls sehr kooperativ gezeigt hatte - bleiben die Prostitutionsgegner am Ball und luden zu einer Podiumsdiskussion in den Rathaussaal.
Die MarburgerInnen durften sich zuletzt an Karneval davon überzeugen, wie es aussieht, wenn Bordellbesitzer zu geachteten Geschäftmännern aufsteigen und "in der Mitte der Gesellschaft", in diesem Fall: auf dem Karnevalszug ankommen. So rollte der Bordellwagen als letzter des Zuges, der von Oberbürgermeister Egon Vaupel angeführt wurde, mitten durch Marburg. Motto: "Wir blasen euch den Marsch!" Auf seiner Homepage freut sich das Erotic Island über die zahlreich besuchte Gang Bang Party, auf der "scharf geschossen" wurde. Und kündigt den Besuchern der nächsten Party an: "Auf euren Wunsch haben wir die Mädels trainiert."
Was im hessischen Marburg und Weinheim noch möglich war - die Unterstützung der Großbordelle durch die jeweilige Stadtverwaltung - ist im bergischen Waldbröl schon im Vorfeld verhindert worden. So machte die SPD-Fraktion der Kleinstadt in einer Ratssitzung öffentlich, dass der Stadtverwaltung seit Wochen eine Anfrage auf Umbau einer "Russendisko" zum Großbordell vorlag - worüber diese zunächst vornehm geschwiegen hatte.
Das rief auch die Katholische Frauengemeinschaft St. Michael auf den Plan. Die hatte jüngst die Terre des Femmes-Ausstellung ‚Frauenhandel und Zwangsprostitution im Zeitalter der Globalisierung' ins Bergische Land geholt und war dafür vom kfd-Bundesverband mit dem Marianne Dirks-Preis ausgezeichnet worden.
Die Reihen schlossen sich, und so erklärte der CDU-dominierte Stadtrat schließlich einstimmig: "Der Rat lehnt die Errichtung von Bordellen, sprich: Etablissements, in denen ‚sexuelle Dienstleistungen' angeboten werden, entschieden ab. In einer Gesellschaft, die die Gleichberechtigung der Geschlechter zum Ziel hat, dürfen Frauen nicht als käufliche Ware ge- und behandelt werden." Na also, geht doch.
P.S. Die 7. Etage des Pascha hat eine Teilnahme an der Christopher Street Day Parade inzwischen abgesagt.
Chantal Louis, EMMA Juli/August 2007
Zum Weiterlesen:
Protest gegen Prostitution (3/07)
Bürgerprotest gegen Bordelle(2/07)
Die Ware Frau (1/07)
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