Racheengel & Rockerinnen

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Wie aus der Girl-Power die Girl-Groups wurden. Und warum das den wütenden Mädchen das Leben nicht leicht macht, sie aber auch nicht mehr zu stoppen sind. Ein Film von Prathiba Parmar.

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Die Spice Girls hatten wenigstens noch einen Nachnamen, nämlich „"Spice"“. Posh Spice, Sporty Spice und so weiter. Den No Angels genügen ihre Vornamen. Die leuchten in riesigen Neonbuchstaben auf ihren bonbonfarbenen Bühnenoutfits. Vanessa, Jessica, Nadja, Lucy, Sandy. Auf ihre Nachnamen können die Nicht-Engel verzichten, weil die knapp bekleideten Sängerinnen, allesamt über 20, erklärtermaßen keine Erwachsenen sind, sondern „Girls“. So verkündet es der Fernsehsender RTL II, der die No Angels anno 2000 in seinem in 17 Folgen ausgestrahlten Band-Labor „Popstars“ aus der Retorte erschuf.
Wo mehrere Girls -– mindestens drei und höchstens fünf -– auf der Bühne stehen, ist eine „"Girl Group"“, und wo eine Girl Group ist, ist „"Girl Power"“. Dieser Automatismus gilt, seit anno 1996 die „Spice Girls“ auf der Bildschirmfläche erschienen und in Bustiers und kurzen Höschen über MTV und Viva jungen Frauen ihre Double-Bind-Botschaft verkündeten: "„Mädchen, du kannst viel eigene Kohle verdienen. Aber du brauchst dazu einen Waschbrettbauch."“ Taff, aber straff.
Es ist kein Zufall, dass das „"Girl Power"“-Schlagwort ausgerechnet Ende der 90er Jahre in aller Munde gelegt wurde. Denn die 90er Jahre sind das Jahrzehnt, in dem '„female musicians'“ den Musikmarkt eroberten. Sinéad O’Connor, Tori Amos, Neneh Cherry, Queen Latifah, Alanis Morissette, Sheryl Crow, Ani di Franco, Skunk Anansie, Björk, Garbage, Lauryn Hill undundund. Aber diese Girls, die ihre Stücke überwiegend selbst komponierten, hatten nicht nur kommerziellen Erfolg. Sie nutzen ihn auch, um über „ihre“ Themen zu singen. Und wenn ihnen ihre Plattenfirma einen – textlichen oder musikalischen -– Maulkorb verpassen wollte, trat Plan B in Kraft: Sie produzierten ihre Alben eben selbst. Und wenn auch das nicht half, gründeten sie eben ein eigenes Label.
Die Regisseurin Prathiba Parmar hat sich nun auf Spurensuche begeben und über den Durchmarsch der '„female musicians'“ in den 90er Jahren einen aufregenden Dokumentarfilm gemacht: die "„Righteous Babes"“. Gemeinsam mit Alice Walker reiste Parmar Anfang der 90er Jahre nach Afrika, so entstand der Film „"Warrior Marks"“ (Kriegsnarben), eines der beeindruckendsten Dokumente über Genitalverstümmelung. Diesmal hat die in London lebende Inderin wieder ein Stück Frauengeschichte gefilmt. Sie befragte britische und amerikanische Pop-Pionierinnen und deren Fans, sie suchte und fand legendäre Konzert- und Musikvideo-Ausschnitte, sie interviewte Journalistinnen und Feministinnen wie Gloria Steinem.
Eine der ersten Pionierinnen des "Female Pop" war Sinéad O’Connor. In ihren Glanzzeiten, als sie gerade vor laufenden Kameras das Foto des Papstes zerrissen hatte, wurde die renitente Irin gerne gefragt, "warum sie „nicht einfach die Klappe halten und singen“ könne". "„Ich frage mich, wie das gehen soll“", sinniert Sinéad O’Connor noch heute irritiert und quetscht sich im Interview mit Parmar mit den Fingern die Lippen zusammen. „"Die Klappe halten -– und singen..."
Die Erste, die in den 90er Jahren die Lücke zwischen Popmusik und Feminismus schloss, war, so die These des Films, Madonna (dabei hat Regisseurin Parmar, mit Verlaub, die Allererste vergessen: Nina Hagen).
Während Madonna (und Nina!) auf der Bühne onanierten, entschieden sich andere Musikerinnen für eine andere Art des Aufbegehrens: „Sie begannen, über die dunklere und brutalere Seite von Frauenleben zu sprechen. Ihre Lieder handelten von häuslicher Gewalt, sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung.“ Wie Tori Amos in „"Me and an Gun“". Wenn die Sängerin und Pianistin bei der dritten Zugabe ihren Klavierhocker an den Bühnenrand rückte, wurde es still im Saal. A capella, ganz allein sang sie: „"Ich und ein Gewehr und ein Mann auf meinem Rücken. Aber ich habe Barbados noch nicht gesehen, und deshalb muss ich hier irgendwie rauskommen.“" Tori Amos ist mit 21 vergewaltigt worden. Ihr Lied, das sie 1992 mit 29 Jahren auf ihrer ersten Platte „Little Earthquakes“ veröffentlichte und heute noch auf ihren Konzerten singt, handelt davon, „wie ich diese Vergewaltigung überlebt habe“. Sie sagt: „"Ich habe zu diesem Stück so viele Briefe von Frauen bekommen –- und kriege sie bis heute."“ Sie finanzierte mit den Tantiemen das amerikanische Netzwerk „"Rape, Abuse & Incest National Network"“, kurz: RAINN.
Auch Sinéad O’Connor brachte die dunkle Seite ihres Frauenlebens ins Licht der Bühnenscheinwerfer: ihren sexuellen Missbrauch als Kind. Sie zerriss nicht nur das Papstfoto, um die Rolle des (katholischen) Christentums an der Unterdrückung von Frauen anzuprangern. Eine Aktion, die ihr "„einen Haufen Scheiße"“ und einen Fan-Brief von Gloria Steinem einbrachte, wie sie im Film erzählt. Der Film zeigt einen zweiten legendären Auftritt der wütenden Irin bei einem Open-Air-Konzert: Sinéad kommt lächelnd im braven blauen Blazer auf die Bühne. Nachdem ihre Musiker die ersten Takte gespielt haben, winkt sie brüsk ab, reißt sich die Kopfhörer-Stöpsel aus den Ohren und schreit in das Mikro: „"Solange eine Rasse noch der anderen als überlegen gilt, ist überall Krieg! Solange es in irgendeinem Land der Welt noch Bürger erster und zweiter Klasse gibt, ist Krieg! Und solange es noch Kindesmissbrauch gibt, ist überall Krieg!"“ Dann stürmt sie von der Bühne und lässt ihr Publikum perplex zurück.
Und Tori Amos und Sinéad O’Connor sind nicht die Einzigen, die Gewalt gegen Frauen zum Thema machen. Parmars Film zeigt Ausschnitte aus Neneh Cherrys Video zu ihrem Superhit "„This is a Woman’s World"“. Während sie selbst sich in einem Lokal selbstvergessen im Kreis dreht, schlägt einen Tisch weiter ein Gast seine Frau zu Boden. Und Cherrys Rapper-Kollegin Queen Latifah wagte es 1995 das Thema „"Domestic Violence"“ MTV-kompatibel zu machen –- und riskierte damit den Bruch mit der Black Community.
Die Plattenfirmen waren wenig begeistert von diesen Werken, die die schöne heile Welt der Popmusik verdüsterten. Ein Teil der Musikerinnen ging dem Konflikt mit den Plattenbossen aus dem Weg, indem sie ihre eigene Bossin wurden. So auch Queen Latifah, die Mitte der 90er Jahre im Alter von 26 Jahren zu den ersten weiblichen Rockerinnen und Rapperinnen mit eigenem Label gehörte.
Nicht nur, dass jetzt mehr und mehr weibliche Musiker in den CD-Regalen und auf den Bühnen standen – mit ihrem kommerziellen Erfolg konnten sie es sich jetzt auch leisten, ihre Alben selbst zu produzieren oder sogar eigene Plattenfirmen zu gründen –- und zu singen, was und worüber sie wollten. Allen voran auch diesmal Madonna, die in ihrer weniger erfolgreichen Zeit schon Erfahrung satt mit den Gepflogenheiten der Plattenindustrie gemacht hatte.

„"Madonna hat mir einmal eine furchtbare Geschichte erzählt"“, berichtet „'Rolling Stone'“-Redakteurin Gerri Hershey im Film. "„Darüber, wie man ihr einen Plattenvertrag angeboten hat – im Austausch für eine kleine, eklige Nummer."“
Es ist sicher kein Zufall, dass bei Madonnas Label „Maverick“ heute so frauenbewusste Musikerinnen wie Alanis Morissette und Me’Shell Ndegeocello unter Vertrag stehen. Und Ani di Franco gründete die im zarten Alter von 19 Jahren in Buffalo ihr eigenes Label, die „"Righteous Babes Records"“, frei übersetzt: „"Für ihre Rechte kämpfende Tussen“".
Plattenbossin Ani, 34, heute: „"Ich bin eben eine Frau, und ich lebe in dieser Welt. Also sind meine Texte praktisch von Natur aus feministisch. Ich singe über die Themen Abtreibung, Menstruation oder Homosexualität. Aber für mich sind das nicht '‚Themen'‘. Für mich ist das mein Leben!"“ Das spüren auch Anis Fans. „"Jedesmal wenn ich einen Song von ihr höre, denke ich: Das ist doch aus meinem eigenen Leben!“", sagt ein Fan nach dem Konzert. „Es geht ihr um Empowerment“, doziert die Freundin neben ihr. „Darum, sich selbst zu respektieren und die zu sein, die man ist.“
Mitte der 90er Jahre kauften Mädchen und junge Frauen nicht nur so viele Platten wie nie zuvor, sie stellten inzwischen auch 40 Prozent des Konzertpublikums. Das blieb nicht ohne Folgen. Die Plattenfirmen begriffen schnell, welche Gewinnspannen für sie im weiblichen Markt lagen.“ Und so sprangen die Plattenmultis auf den fahrenden feministischen Zug -– und füllten Weichspüler in den Tank. Sie kreierten das Schlagwort „"Girl Power"“ und mit ihm gleich die erste „Girl Group“ aus der Retorte -– die Spice Girls -– schöpften damit Millionengewinne und entschärften gleichzeitig die wachsende weiblichen Potenz auf dem Musikmarkt.
„"Dieses ganze 'Girl-Power'-Getue regt mich auf"“, poltert prompt Shirley Manson, Frontfrau der Band „Garbage“ in die Kamera. „"Ich weiß nicht, wie es den Kampf für gleiche Rechte vorwärts bringen kann, wenn sich Gerri Spice auf dem Playboy-Titel abbilden lässt."“ Ani di Franco, die Akustik-Gitarristin, würde die Synthetik-Girl-Group am liebsten "„auf eine Insel ohne Strom verbannen"“, aber versucht dennoch, „dem Ganzen auch etwas Positives abzugewinnen: "Wenn du 13 und ein Mädchen bist, ist es vielleicht gut, dass es nicht nur die Boygroups gibt. Sondern dass du mit deinen Freundinnen auf ein Konzert gehen kannst und da Frauen auf der Bühne siehst."“ Doch Ani und ihre Kolleginnen wollen 'andere role models' sein“.

„"Ich weiß nicht, ob Mädchen mich als feministisches 'role model' sehen“", sagt Sinéad O’Connor, "„Ich glaube, Mädchen identifizieren sich mit mir, weil ich eine Frau bin.“ „Feminismus ist für viele junge Mädchen ein negativer Begriff"“, weiß Skin.
Die glatzköpfige schwarze Sängerin von „Skunk Anansie“, laut Eigendefinition mit einem „"Grace-Jones-Tina-Turner-Godzilla- Image“" behaftet, findet das komisch. „"Einerseits wollen sie keine Feministinnen sein, anderseits wollen sie die gleichen Chancen wie Männer. Also sind sie doch irgendwie Feministinnen, oder nicht?"“ Skin, die im Konzertausschnitt im gelben Sweatshirt und Schlabberjeans wie ein Irwisch über die Bühne tobt, hält sich für eine "„strong, powerful person“". „"Zu sehen, wie Skin über die Bühne springt, ist für viele Frauen eine Art Katharsis"“, findet Musikjournalistin Gerri Hershey. "„Sie können sich dann sagen: Ich will auch wütend sein und das zeigen!“"

"Egal, wie sie es nennen: „Die weiblichen Rockmusiker haben den Feminismus dahin gebracht, wo er hingehört –- in den Mainstream“", findet Regisseurin Parmar. Ani di Franco sieht das im Prinzip genauso -– Girl Groups hin oder her. "„Als ich damals angefangen habe, galt ich als militante, wütende, männerhassende Feministin. Heute ist das ganz anders. Mittlerweile gibt es diesen Hype: ‚'Women in Rock'‘, '‚Chick Singers'‘ und überhaupt viele weibliche Rocksänger."“ Anis Fazit: "„Die Leute gewöhnen sich langsam an die Vorstellung von den Mädchen mit der großen Klappe!“"

Die Spice Girls hatten wenigstens noch einen Nachnamen, nämlich "Spice". Posh Spice, Sporty Spice und so weiter. Den No Angels genügen ihre Vornamen. Die leuchten in riesigen Neonbuchstaben auf ihren bonbonfarbenen Bühnenoutfits. Vanessa, Jessica, Nadja, Lucy, Sandy. Auf ihre Nachnamen können die Nicht-Engel verzichten, weil die knapp bekleideten Sängerinnen, allesamt über 20, erklärtermaßen keine Erwachsenen sind, sondern Girls. So verkündet es der Fernsehsender RTL II, der die No Angels anno 2000 in seinem in 17 Folgen ausgestrahlten Band-Labor Popstars aus der Retorte erschuf.

Wo mehrere Girls - mindestens drei und höchstens fünf - auf der Bühne stehen, ist eine "Girl Group", und wo eine Girl Group ist, ist "Girl Power". Dieser Automatismus gilt, seit anno 1996 die Spice Girls auf der Bildschirmfläche erschienen und in Bustiers und kurzen Höschen über MTV und Viva jungen Frauen ihre Double-Bind-Botschaft verkündeten: "Mädchen, du kannst viel eigene Kohle verdienen. Aber du brauchst dazu einen Waschbrettbauch." Taff, aber straff.

Es ist kein Zufall, dass das "Girl Power"-Schlagwort ausgerechnet Ende der 90er Jahre in aller Munde gelegt wurde. Denn die 90er Jahre sind das Jahrzehnt, in dem 'female musicians' den Musikmarkt eroberten. Sinéad O'Connor, Tori Amos, Neneh Cherry, Queen Latifah, Alanis Morissette, Sheryl Crow, Ani di Franco, Skunk Anansie, Björk, Garbage, Lauryn Hill undundund. Aber diese Girls, die ihre Stücke überwiegend selbst komponierten, hatten nicht nur kommerziellen Erfolg. Sie nutzen ihn auch, um über ihre Themen zu singen. Und wenn ihnen ihre Plattenfirma einen  textlichen oder musikalischen - Maulkorb verpassen wollte, trat Plan B in Kraft: Sie produzierten ihre Alben eben selbst. Und wenn auch das nicht half, gründeten sie eben ein eigenes Label.

Die Regisseurin Prathiba Parmar hat sich nun auf Spurensuche begeben und über den Durchmarsch der 'female musicians' in den 90er Jahren einen aufregenden Dokumentarfilm gemacht: die "Righteous Babes". Gemeinsam mit Alice Walker reiste Parmar Anfang der 90er Jahre nach Afrika, so entstand der Film "Warrior Marks" (Kriegsnarben), eines der beeindruckendsten Dokumente über Genitalverstümmelung. Diesmal hat die in London lebende Inderin wieder ein Stück Frauengeschichte gefilmt. Sie befragte britische und amerikanische Pop-Pionierinnen und deren Fans, sie suchte und fand legendäre Konzert- und Musikvideo-Ausschnitte, sie interviewte Journalistinnen und Feministinnen wie Gloria Steinem.

Eine der ersten Pionierinnen des "Female Pop" war Sinéad O´Connor. In ihren Glanzzeiten, als sie gerade vor laufenden Kameras das Foto des Papstes zerrissen hatte, wurde die renitente Irin gerne gefragt, "warum sie nicht einfach die Klappe halten und singen könne". "Ich frage mich, wie das gehen soll", sinniert Sinéad O´Connor noch heute irritiert und quetscht sich im Interview mit Parmar mit den Fingern die Lippen zusammen. "Die Klappe halten - und singen..."

Die Erste, die in den 90er Jahren die Lücke zwischen Popmusik und Feminismus schloss, war, so die These des Films, Madonna (dabei hat Regisseurin Parmar, mit Verlaub, die Allererste vergessen: Nina Hagen).

Während Madonna (und Nina!) auf der Bühne onanierten, entschieden sich andere Musikerinnen für eine andere Art des Aufbegehrens: Sie begannen, über die dunklere und brutalere Seite von Frauenleben zu sprechen. Ihre Lieder handelten von häuslicher Gewalt, sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung. Wie Tori Amos in "Me and an Gun". Wenn die Sängerin und Pianistin bei der dritten Zugabe ihren Klavierhocker an den Bühnenrand rückte, wurde es still im Saal. A capella, ganz allein sang sie: "Ich und ein Gewehr und ein Mann auf meinem Rücken. Aber ich habe Barbados noch nicht gesehen, und deshalb muss ich hier irgendwie rauskommen." Tori Amos ist mit 21 vergewaltigt worden. Ihr Lied, das sie 1992 mit 29 Jahren auf ihrer ersten Platte Little Earthquakes veröffentlichte und heute noch auf ihren Konzerten singt, handelt davon, wie ich diese Vergewaltigung überlebt habe. Sie sagt: "Ich habe zu diesem Stück so viele Briefe von Frauen bekommen - und kriege sie bis heute." Sie finanzierte mit den Tantiemen das amerikanische Netzwerk "Rape, Abuse & Incest National Network", kurz: RAINN.

Auch Sinéad O´Connor brachte die dunkle Seite ihres Frauenlebens ins Licht der Bühnenscheinwerfer: ihren sexuellen Missbrauch als Kind. Sie zerriss nicht nur das Papstfoto, um die Rolle des (katholischen) Christentums an der Unterdrückung von Frauen anzuprangern. Eine Aktion, die ihr "einen Haufen Scheiße" und einen Fan-Brief von Gloria Steinem einbrachte, wie sie im Film erzählt. Der Film zeigt einen zweiten legendären Auftritt der wütenden Irin bei einem Open-Air-Konzert: Sinéad kommt lächelnd im braven blauen Blazer auf die Bühne. Nachdem ihre Musiker die ersten Takte gespielt haben, winkt sie brüsk ab, reißt sich die Kopfhörer-Stöpsel aus den Ohren und schreit in das Mikro: "Solange eine Rasse noch der anderen als überlegen gilt, ist überall Krieg! Solange es in irgendeinem Land der Welt noch Bürger erster und zweiter Klasse gibt, ist Krieg! Und solange es noch Kindesmissbrauch gibt, ist überall Krieg!" Dann stürmt sie von der Bühne und lässt ihr Publikum perplex zurück.

Und Tori Amos und Sinéad O´Connor sind nicht die Einzigen, die Gewalt gegen Frauen zum Thema machen. Parmars Film zeigt Ausschnitte aus Neneh Cherrys Video zu ihrem Superhit "This is a Woman´s World". Während sie selbst sich in einem Lokal selbstvergessen im Kreis dreht, schlägt einen Tisch weiter ein Gast seine Frau zu Boden. Und Cherrys Rapper-Kollegin Queen Latifah wagte es 1995 das Thema "Domestic Violence" MTV-kompatibel zu machen - und riskierte damit den Bruch mit der Black Community.

Die Plattenfirmen waren wenig begeistert von diesen Werken, die die schöne heile Welt der Popmusik verdüsterten. Ein Teil der Musikerinnen ging dem Konflikt mit den Plattenbossen aus dem Weg, indem sie ihre eigene Bossin wurden. So auch Queen Latifah, die Mitte der 90er Jahre im Alter von 26 Jahren zu den ersten weiblichen Rockerinnen und Rapperinnen mit eigenem Label gehörte.

Nicht nur, dass jetzt mehr und mehr weibliche Musiker in den CD-Regalen und auf den Bühnen standen  mit ihrem kommerziellen Erfolg konnten sie es sich jetzt auch leisten, ihre Alben selbst zu produzieren oder sogar eigene Plattenfirmen zu gründen - und zu singen, was und worüber sie wollten. Allen voran auch diesmal Madonna, die in ihrer weniger erfolgreichen Zeit schon Erfahrung satt mit den Gepflogenheiten der Plattenindustrie gemacht hatte.

"Madonna hat mir einmal eine furchtbare Geschichte erzählt", berichtet 'Rolling Stone'-Redakteurin Gerri Hershey im Film. "Darüber, wie man ihr einen Plattenvertrag angeboten hat  im Austausch für eine kleine, eklige Nummer."

Es ist sicher kein Zufall, dass bei Madonnas Label Maverick heute so frauenbewusste Musikerinnen wie Alanis Morissette und Me´Shell Ndegeocello unter Vertrag stehen. Und Ani di Franco gründete die im zarten Alter von 19 Jahren in Buffalo ihr eigenes Label, die "Righteous Babes Records", frei übersetzt: "Für ihre Rechte kämpfende Tussen".

Plattenbossin Ani, 34, heute: "Ich bin eben eine Frau, und ich lebe in dieser Welt. Also sind meine Texte praktisch von Natur aus feministisch. Ich singe über die Themen Abtreibung, Menstruation oder Homosexualität. Aber für mich sind das nicht 'Themen'. Für mich ist das mein Leben!" Das spüren auch Anis Fans. "Jedesmal wenn ich einen Song von ihr höre, denke ich: Das ist doch aus meinem eigenen Leben!", sagt ein Fan nach dem Konzert. Es geht ihr um Empowerment, doziert die Freundin neben ihr. Darum, sich selbst zu respektieren und die zu sein, die man ist.

Mitte der 90er Jahre kauften Mädchen und junge Frauen nicht nur so viele Platten wie nie zuvor, sie stellten inzwischen auch 40 Prozent des Konzertpublikums. Das blieb nicht ohne Folgen. Die Plattenfirmen begriffen schnell, welche Gewinnspannen für sie im weiblichen Markt lagen. Und so sprangen die Plattenmultis auf den fahrenden feministischen Zug - und füllten Weichspüler in den Tank. Sie kreierten das Schlagwort "Girl Power" und mit ihm gleich die erste Girl Group aus der Retorte - die Spice Girls - schöpften damit Millionengewinne und entschärften gleichzeitig die wachsende weiblichen Potenz auf dem Musikmarkt.

"Dieses ganze 'Girl-Power'-Getue regt mich auf", poltert prompt Shirley Manson, Frontfrau der Band Garbage in die Kamera. "Ich weiß nicht, wie es den Kampf für gleiche Rechte vorwärts bringen kann, wenn sich Gerri Spice auf dem Playboy-Titel abbilden lässt." Ani di Franco, die Akustik-Gitarristin, würde die Synthetik-Girl-Group am liebsten "auf eine Insel ohne Strom verbannen", aber versucht dennoch, dem Ganzen auch etwas Positives abzugewinnen: "Wenn du 13 und ein Mädchen bist, ist es vielleicht gut, dass es nicht nur die Boygroups gibt. Sondern dass du mit deinen Freundinnen auf ein Konzert gehen kannst und da Frauen auf der Bühne siehst." Doch Ani und ihre Kolleginnen wollen 'andere role models' sein.

"Ich weiß nicht, ob Mädchen mich als feministisches 'role model' sehen", sagt Sinéad O´Connor, "Ich glaube, Mädchen identifizieren sich mit mir, weil ich eine Frau bin. Feminismus ist für viele junge Mädchen ein negativer Begriff", weiß Skin.

Die glatzköpfige schwarze Sängerin von Skunk Anansie, laut Eigendefinition mit einem "Grace-Jones-Tina-Turner-Godzilla- Image" behaftet, findet das komisch. "Einerseits wollen sie keine Feministinnen sein, anderseits wollen sie die gleichen Chancen wie Männer. Also sind sie doch irgendwie Feministinnen, oder nicht?" Skin, die im Konzertausschnitt im gelben Sweatshirt und Schlabberjeans wie ein Irwisch über die Bühne tobt, hält sich für eine "strong, powerful person". "Zu sehen, wie Skin über die Bühne springt, ist für viele Frauen eine Art Katharsis", findet Musikjournalistin Gerri Hershey. "Sie können sich dann sagen: Ich will auch wütend sein und das zeigen!"

"Egal, wie sie es nennen: Die weiblichen Rockmusiker haben den Feminismus dahin gebracht, wo er hingehört - in den Mainstream", findet Regisseurin Parmar. Ani di Franco sieht das im Prinzip genauso - Girl Groups hin oder her. "Als ich damals angefangen habe, galt ich als militante, wütende, männerhassende Feministin. Heute ist das ganz anders. Mittlerweile gibt es diesen Hype: 'Women in Rock', 'Chick Singers' und überhaupt viele weibliche Rocksänger." Anis Fazit: "Die Leute gewöhnen sich langsam an die Vorstellung von den Mädchen mit der großen Klappe!"

 

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