Judith Arndt - Die Weltmeisterin

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Am Leipziger Bahnhof steht eine junge Frau und hält eine weiße Mütze in der Hand. "Als Erkennungsmerkmal", hatte sie vorgeschlagen. Würde man sich mit dem weltbesten Radfahrer verabreden, käme der sicher nie auf die Idee, dass man ihn nicht erkennen könnte. Doch Judith Arndt ist die weitbeste Radfahrerin. Und sie ist gewöhnt daran, dass die Heldinnen des Frauenradsports nicht so populär sind, wie die Helden im Gelben Trikot. Noch nicht jedenfalls.

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Dabei ist der Weg der 29-jährigen Profisportlerin aus Königs Wusterhausen spektakulär. Seit der olympischen Bronzemedaille in der Einerverfolgung auf der Bahn 1996 fährt die Deutsche aus Leipzig in der Weltspitze der Straßenradfahrerinnen mit. Bei den Olympischen Spielen in Athen erradelte sie im letzten Sommer die Silbermedaille, im Oktober holte sie in Verona den Weltmeistertitel.

"Ich weiß auch nicht, was wir falsch machen", sagt Judith Arndt. "Wir haben mit unserem Team in diesem Jahr schon schöne Erfolge gehabt, aber es wird fast nirgendwo darüber berichtet." Sie rührt enttäuscht in ihrem Milchkaffee. Die Frankreichrundfahrt der Frauen wurde in diesem Jahr schon zum zweiten Mal in Folge abgesagt. "Wenn man sieht, was für ein Riesenereignis die Tour de France der Männer ist, tut das umso mehr weh.

Einmal stand auch die Weltmeisterin im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Allerdings nicht wegen ihrer spektakulären sportlichen Leistungen, sondern wegen ihres Mittelfingers. Den hatte sie ausgestreckt, als sie bei den Olympischen Spielen als Zweite über die Ziellinie rollte.

Judith Arndt wollte mit dem Stinkefinger ihrem Ärger über die Radsportfunktionäre Luft machen, die ihre Mannschaftskameradin und Lebensgefährtin Petra Roßner trotz hervorragender Leistungen nicht für Olympia nominiert hatten. Eigentlich will sie gar nicht mehr über den Skandal reden. Doch dann sprudelt es doch aus ihr heraus: "Es wurde fälschlicherweise immer gesagt, dass ich den Finger gezeigt habe, weil meine Freundin nicht mit zu Olympia durfte!" Dabei ging es um sportliche Fragen. Petra Roßner galt als Spitzen-Sprintpartnerin von Arndt. Wäre sie nominiert worden, hätte Arndt wahrscheinlich Gold geholt.

Eins hat die Athletin inzwischen gelernt: "Man muss sich auch nicht immer mit den Männern vergleichen, sonst ist man ja durchweg unzufrieden!" Und einen unzufriedenen Eindruck macht die Weltmeisterin ganz und gar nicht. Sie schwärmt von ihrem Beruf. "Ich liebe es, an meine körperlichen Grenzen zu gehen und ganz allein mit dem Rad über die Straßen zu sausen." Schon früher, bei Radtouren mit ihren Eltern, hat ihr das Radfahren Spaß gemacht. "Aber meine Schwester, die hat unterwegs immer geheult", erinnert sie sich grinsend.

Judith Arndt dagegen fuhr als Teenager die ersten Rennen. Im Gegensatz zu Jan Ullrich ist sie nicht geprägt vom strengen DDR-Sportsystem: "Ich war ja erst 13 Jahre alt, als die Mauer fiel.". Sieben Jahre später errang sie bereits die erste olympische Medaille.

Die Eltern haben sie in ihrem Wunsch nach Leistungssport immer unterstützt, bis heute begleiten sie ihre Tochter zu vielen Rennen. "Ich weiß aber, dass meine Mutter dann ab und zu Beruhigungstabletten nimmt." Das gute Verhältnis zu ihren Eltern wurde auch nicht durch die Tatsache getrübt, dass die Tochter Frauen liebt. "Ich habe mir über mein Lesbischsein nie groß Gedanken gemacht", sagt Judith. "Es war einfach schon immer so, jeder wusste das."

Auch mit ihren Mannschaftskolleginnen gibt es da keine Berührungsängste. "Radsportler erzählen gern, wie unangenehm sie es finden, wenn sie mit den Teamkollegen in einem Doppelbett schlafen müssen. Womöglich berührt man sich, iiihh, wie eklig... Das ist bei uns Frauen anders." Während Homosexualität im Männerleistungssport noch ein großes Tabu ist, leben immer mehr lesbische Sportlerinnen offen.

Berühmtestes und frühestes Beispiel war der US-Tennisstar Martina Navratilova, es folgten die französische Tennisspielerin Amelie Mauresmo, die deutsche Fechterin Imke Duplitzer - und eben Judith Arndt.

Gemeinsam mit ihrer Freundin, Petra Roßner, engagiert sie sich auch für die Sache. Beide sind Botschafterinnen der Gay Games und Schirmfrauen des Leipziger CSD. Judith Arndt findet, dass es noch viele Dinge gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt. Die Homoehe zum Beispiel. "Ich hätte es auch gerne leichter, wenn man als homosexuelles Paar Kinder haben möchte", sagt sie. Auch sie selbst hätte gerne Kinder. Irgendwann.

Doch vorerst konzentriert sich Judith Arndt ganz auf den Radsport. Gemeinsam mit ihrem Team, der Equipe Nürnberger, wird sie Ende September zur WM-Titelverteidigung antreten. Im Gegensatz zum Männerradsport, wo ein Kapitän während des Rennens von seinen Helfern und Wasserträgern unterstützt wird, sind in der Equipe Nürnberger alle Athletinnen gleichberechtigt. "Wir haben viele gute Fahrerinnen, jede gewinnt einmal und jede hilft den anderen. Das hält sich immer die Waage", erzählt Judith Arndt. "Ich bin nicht der Jan Ullrich der Equipe Nürnberger." Jetzt muss nur noch das Fernsehen die Rennen übertragen. Dann braucht Judith Arndt beim nächsten Interviewtermin vielleicht keine weiße Mütze mehr.

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