Ronan Farrow: Der Rächer
Sein am 10. Oktober 2017 im New Yorker veröffentlichter Bericht hat die weltweite Debatte ins Rollen gebracht. Darin schildert er die Erfahrungen von 13 Frauen, die von dem mächtigen Hollywood-Mogul Harvey Weinstein sexuell belästigt oder sogar vergewaltigt worden sind. Dass es ausgerechnet Farrow war, der sich hinter die Weinstein-Recherche klemmte, ist kein Zufall. Ronan Farrow ist der Sohn von Woody Allen und Mia Farrow. Für Ronan ist sein Vater keine Ikone, er ist der dunkle Schatten, der seit seiner Kindheit über seinem Leben und dem seiner Familie hängt. Allen voran über ihrem: Dylan O’Sullivan Farrow, Ronans zwei Jahre ältere Schwester.
Die PR-Maschine der mächtigen Männer kennt Ronan gut
Die Medien seien oft die einzige Möglichkeit der betroffenen Frauen, ernst genommen zu werden, schrieb der Jurist und Journalist Farrow im Frühjahr 2016 im Hollywood Reporter und beklagte die Doppelmoral in der Filmbranche. Insbesondere, wenn die Vorwürfe nicht durch eine strafrechtliche Verurteilung bekräftigt worden seien, wie ja auch im Fall seines Vaters Woody Allen. Der Staatsanwalt hatte sich im Missbrauchs-Prozess gegen Allen 1993 dazu entschieden, trotz massiver Hinweise keine Anklage gegen Allen zu erheben – angeblich, um die siebenjährige, schwer traumatisierte Dylan zu schützen.
„Aber das darf keine Ausrede für die Presse sein, die Opfer zum Schweigen zu bringen und solchen Anschuldigungen einfach gar nicht nachzugehen“, argumentiert Farrow. „Es macht, im Gegenteil, unsere Rolle (als Journalisten) umso wichtiger, wenn das Rechtssystem so häufig genau gegenüber den Verletzlichen versagt, die es wagen, sich den Mächtigen entgegenzustellen.“ Für Farrow, den Anwalt mit Yale-Abschluss, haben wir ein Rechtssystem, dass nur dazu geschaffen sei, Frauen, die ihr Schweigen brechen, „in Stücke zu zerreißen“.
Er habe den Wahrheitsgehalt von Dylans Aussagen nie angezweifelt, erklärt der heute 30-Jährige. Aber auch er habe lange versucht, die erwachsene Schwester von einem erneuten Schritt in die Öffentlichkeit abzuhalten. „Dafür schäme ich mich“, sagt Farrow. „Die Old-School-Medien haben dazu beigetragen, eine Kultur der Straflosigkeit und des Schweigens zu schaffen“, klagt der Journalist weiter. „Es ist an der Zeit, ein paar harte Fragen zu stellen!“ Und das tat er dann auch.
Ronan Farrow recherchierte rund ein Jahr lang. Nicht gegen Woody Allen, da wusste er ja bereits alles. Sondern gegen den Mann, der seinen Vater nach dem Missbrauchsprozess Mitte der 1990er-Jahre quasi rehabilitiert hatte, indem er weiterhin dessen Filme produzierte: Den Hollywood-Mogul Harvey Weinstein.
300 Interviews mit betroffenen Frauen, ehemaligen MitarbeiterInnen und Wegbegleitern von Weinstein hat Farrow 2016/2017 geführt. Für den Fernsehsender NBC, für den Farrow als Investigativ-Reporter gearbeitet hat. Aber als Farrow mit der Akte Weinstein ankam, sprang der Fernsehsender ab. Der New Yorker war dann bereit, Farrows Enthüllungen zu veröffentlichen.
Nur wenige Tage nach Ronans Scoop im New Yorker passierte doch noch etwas bei NBC: Der Moderator Matt Lauer, das Gesicht der allmorgendlichen „Today Show“, wurde gefeuert – wegen Vorwürfen der sexuellen Belästigung.
Der Chefredakteur von The New Yorker, David Remnick, sagt heute, er habe „vom ersten Moment an“ gewusst, dass diese Story es in sich hat. Wie so viele JournalistInnen in den USA kannte Remnick die Anschuldigungen gegen Weinstein seit langem. Aber Ronan Farrow war der erste Journalist, der Betroffene davon überzeugen konnte, sich namentlich zu äußern.
Er hatte nie
Zweifel an Dylans
Anschuldigungen
Ronan Farrow wusste, was er tat. „Mit einem solchen familiären Hintergrund lernst du schon sehr früh in deinem Leben, wie die mächtigen Männer in den USA ihre Macht für gute oder für üble Taten ausnutzen“, erklärte er jüngst. „Ja, der Familienhintergrund hat mich zu jemandem gemacht, der den Machtmissbrauch von Kindesbeinen an verstanden hat“.
Als er den Machtmissbrauch mächtiger Männer das erste Mal zu spüren bekam, hörte Ronan noch auf seinen ersten Vornamen: Satchel. „Ich war schon als Fünfjähriger völlig verstört von dem seltsamen Verhalten meines Vaters gegenüber meiner Schwester“, sagt Ronan heute. „Er ist nachts zu ihr ins Bett geklettert und hat sie gezwungen, an seinem Daumen zu lutschen.“
Auf der Flucht vor den Paparazzi zog Mutter Mia Farrow nach Connecticut. Dort startete Satchels bzw. Ronans erstaunliche Karriere. Auf der Montessori-Schule übersprang er mehrere Klassen und wechselte mit elf Jahren auf das renommierte „Bard College at Simon’s Rock“. Mit 18 begann Ronan sein Jurastudium in Yale.
Seinen Einstieg in die politische Elite in Washington D.C. hatte Ronan schon als Teenager: als Praktikant des berühmten Diplomaten Richard Holbrooke. Mit 21 Jahren beriet er die Obama-Regierung in humanitären Angelegenheiten in Afghanistan und Pakistan. Nach zwei Jahren in Kabul und Islamabad machte Hillary Clinton ihn zum Leiter ihres Büros für globale Jugendfragen. Mit dem prestigeträchtigen Rhodes-Stipendium in der Tasche wechselte er nach Oxford, um dort Internationale Beziehungen zu studieren.
Zu diesem Zeitpunkt war der 24-Jährige schon mehrere Jahre lang als UNICEF-Botschafter für Frauen und Jugendliche durch Krisenregionen wie Angola und dem Sudan gereist. Farrow: „Die unvorstellbare Isolation und die Angst einer Frau in einem Flüchtlingscamp, die alles verloren hat, die vergewaltigt worden ist und nun das Kind zur Welt bringen muss, das aus dieser Vergewaltigung hervorgegangen ist – das ist eine der trostlosesten Situationen, die ich jemals miterlebt habe.“
Dabei musste Ronan nicht weit reisen, um Menschen zu treffen, die in deutlich weniger privilegierte Verhältnisse hineingeboren worden waren als er selbst. Das Abendessen seiner 14-köpfigen Familie glich „einer UNO-Versammlung“, schreibt die NZZ, seine zehn Adoptiv-Geschwister kamen aus Indien, Vietnam oder Südkorea, wie ja auch das Straßenkind Soon-Yi. Dass Woody Allen das eingeschüchterte Mädchen mit der Lernschwäche schließlich auch noch geheiratet hat – auch das hat Ronan seinem Vater nie verziehen.
Als seine Schwester Dylan 2014 in einem Offenen Brief für die New York Times ihre Version der Missbrauchs-Vorwürfe öffentlich kommentierte, arbeitete Farrow schon als erfolgreicher Journalist – und lernte Allens mächtige PR-Maschine aus nächster Nähe kennen. „Täglich erreichten mich E-Mails mit wohl aufbereiteten Stichpunkten, die nur darauf warteten, sofort in fertige Artikel umgewandelt zu werden. Ebenso im Angebot: Therapeuten, Anwälte, Freunde, die allesamt dazu bereit waren, eine junge Frau, die einen mächtigen Mann anschuldigt, als verrückt, geschult oder rachsüchtig darzustellen. Anfangs verlinkten die Mails nur auf Blogs, schließlich dann auch auf renommierte Medien. Eine sich selbst erhaltende PR-Maschine“, erinnert er sich.
Er appelliert an die Medien, die Opfer endlich ernst zu nehmen
Für diese Manipulation der Berichterstattung gibt es längst einen Fachbegriff: die Litigation-PR, das Recht des Reicheren. (Alice Schwarzer schrieb apropos Kachelmann u. a. in EMMA 09/2012 darüber.) Dieselben Mechanismen hielten auch die Anschuldigungen gegen Weinstein über Jahre unter der Decke.
In einer weiteren Recherche für den New Yorker deckte Ronan Farrow auf, dass nicht nur Harvey Weinstein persönlich zusammen mit seinen einflussreichen Hollywood-Kumpeln massiven Druck ausgeübt hatte; sondern dass der Produzent eine ganze „Armee von Spionen“ engagierte hatte, um die betroffenen Frauen und recherchierenden JournalistInnen zu bespitzeln und zu bedrohen.
Auch Farrow selbst war davon betroffen. Zwischenzeitlich musste er aus Sicherheitsgründen aus seiner New Yorker Wohnung ausziehen.
Kurz nach der Veröffentlichung von Ronans Recherche sprang Woody Allen seinem alten Freund Weinstein bei. Er warnte vor einer „Hexenjagd“. Ronan Farrows lakonischer Kommentar: „Wir haben noch einen langen Weg vor uns!“
Alexandra Eul