Alice Schwarzer schreibt

Schweiz: Wenn Männer durchdrehen

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In der Schweiz ist was los. Da hat eine Spitzenmanagerin gewagt, für vier Monate in Mutterschaftsurlaub zu gehen. Und schon stehen die Medien Kopf. Jasmin Staiblin, 39, Chefin des Energiekonzerns ABB und Herrin über 6.300 MitarbeiterInnen, ließ der Belegschaft Ende Juni via Internet mitteilen, dass sie sich für 16 Wochen verabschiede und ab Ende Oktober wieder an Bord sei. Für einen Stellvertreter war selbstverständlich gesorgt.

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Es gibt Blätter, wie die Boulevardzeitung Blick, die die (zukünftige) Mutter & Managerin modern und beispielhaft fanden. Es gibt aber auch Blätter, wie die liberalkonservative Zeitschrift Weltwoche, die das ganze Sommerloch statt mit dem Ungeheuer von Loch Ness mit der Top-Managerin von ABB gefüllt haben.

Speziell der Herausgeber der Weltwoche, Roger Köppel, 44, lange Junggeselle und jüngst frisch verehelicht, rennt seit Wochen beim Thema Staiblin die Wand rauf - und wieder runter. So klagte Köppel in einem ersten Kommentar Ende Juni: "Kein Mann in vergleichbarer Stellung könnte es sich erlauben, in einer ähnlich heiklen wirtschaftlichen Situation seine Firma aus persönlichen Gründen zu verlassen." Als Gegenstück nannte er eine "romantische Venedig-Reise".  Denn: "Mitten in der großen Rezession beansprucht die Konzernlenkerin eine Auszeit für ihr Baby. (…) Würden Sie ihre Armee einem General anvertrauen, der sich im Krieg aus familiären Gründen beurlauben lässt?" Drama.

Die Weltwoche schoss wochenlang aus allen Rohren. Redakteur Rene Lüchinger sekundierte seinem Chef mit einem Bericht über diese ungeheuerlichen "16 Wochen Selbstverwirklichung", in dem er über das bevorstehende Ende des Schweizer Konzerns menetekelte: "Ist die von ABB getroffene Interimslösung eine gute? Für Jasmin Staiblin sicherlich. Sie ist, soweit bekannt, eine fähige Managerin. Innert knapp zehn Jahren hat sie sich von einer Assistentin im ABB-Forschungszentrum Dättwil zur Länderchefin ABB Schweiz emporgearbeitet." Na, dann dürften doch eigentlich die vier Monate kein Problem sein, oder?

Das meinten auch die vielen, vielen Weltwoche-LeserInnen, die ihre Zeitung mit Protestbriefen eindeckten. Doch so was kann Chefredakteur Köppel nicht erschüttern. Der steht schließlich auch seit Jahren seine große Liebe zu dem in der Schweiz eher nicht so beliebten Christoph Blocher mit beachtlicher Hartnäckigkeit öffentlich durch. Köppel schlug also eine zweite Kolumne in die Tasten – und machte nun eine 180-Grad-Wendung. Jetzt warf er der Konzern-Chefin nicht mehr vor, dass sie 16 Wochen lang nicht in ihrem Büro sitzt, nein, jetzt warf der Chefredakteur der Managerin vor, dass sie überhaupt zurückkehren will in ihren Chefsessel – statt bei ihrem Kind zu bleiben.

Denn, so Köppel: "Mütter sind unersetzlich" und "haben gegenüber ihren Kindern eine Verantwortung, die sie nicht delegieren können". Das hat der Roger schon als kleiner Bub am eigenen Leib erfahren, wo ihm der Papa viel entbehrlicher war als die Mama. "Es hat sich mittlerweile eingebürgert, dass gut ausgebildete Frauen ihre Babys so rasch wie möglich in die Fremdbetreuung abschieben", klagt der Herr Chefredakteur weiter. Aber: "Was eigentlich ist verantwortungsloser? Wenn eine Chefin während der Krise ihre Firma im Stich lässt oder wenn sie auf Druck der Firma bereits wenige Wochen nach der Geburt wieder ins Büro zurückkehrt, um ihr Baby einem Kindermädchen abzugeben? Welche Vernachlässigung wiegt aus Sicht der Frau schwerer: die des Unternehmens oder die des Kindes?"

Klar, dass en passant auch noch die "Taliban-Feministinnen" daran glauben müssen, die den Frauen das alles eingeredet haben, das mit Karriere & Kind.

Wäre es nicht so dreist, wäre es komisch. Denn es ist ja überdeutlich, dass Männer wie Köppel ein Problem haben. Ein Identitätsproblem. Die Rogers dieser Welt fragen sich in schlaflosen Nächten: Wenn die Frauen keine echten Frauen mehr sind, sind wir dann noch echte Männer? Und überhaupt: Wenn Männer schon keine Kinder kriegen können, dann sollen Frauen zum gerechten Ausgleich wenigstens keine Karriere machen dürfen! Irgendwas muss den Mann doch noch auszeichnen.

Die geneigten LeserInnen in Deutschland, die – rassistisch wie sie sind – meinen, so sei das eben in der Schweiz, da hätten die Frauen ja auch erst kürzlich das Wahlrecht bekommen, die seien daran erinnert, dass ähnliche Töne seit einigen Jahren durchaus auch wieder in deutschen Gazetten zu lesen sind. Allerdings selten so entwaffnend offen.

EMMA hat die Schweizer Psychologin (und Weltwoche-Autorin) Julia Onken gefragt, was sie denn eigentlich von diesem Männchen-Theater hält.

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