Sexuelle Gewalt: Proteste allerorten

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Der Protest an der Copacabana ist eine Reaktion auf einen Fall, der nicht nur die BrasilianerInnen, sondern Menschen weltweit erschüttert hat. Ein 16-jähriges Mädchen war in dem Armenviertel Barão im Westen von Rio de Janeiro von 33 Männern einer Drogenbande vergewaltigt worden. Nur wenige Kilometer weiter sollen im August die Olympischen Spiele beginnen und neue Rekorde gefeiert werden.

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„Brasiliens schlimmste Vergewaltigung“, nennen die brasilianischen Medien den brutalen Gang-Bang. Ein Video der Gruppenvergewaltigung kursierte im Internet. Die Männer hatten dem bewusstlosen Mädchen den Namen der Droge auf die Stirn geschrieben, mit der sie sie betäubt hatten: loló. „Diese hier haben wir mehr als 30 Mal geschwängert“, soll sich einer dieser Männer in dem Video brüsten.

Wir reden über mindestens 50.000 Frauen im Jahr

Die 16-Jährige, die mit 13 ihr erstes Kind bekam, kommt nicht aus Barão, sondern aus einem Mittelklasse-Viertel ganz in der Nähe. Wie viele junge Frauen ging sie regelmäßig auf die berüchtigten Baile-Funk-Partys in der Favela. Das sind Tanzpartys unter freiem Himmel, meist organisiert von den Drogengangs, die in dem Viertel das Sagen haben. Auf diesen Partys gibt es vor allem zwei Sorten Rap-Songs: über das Gangster-Leben und über Gang-Bangs.

Einer dieser Vergewaltigungs-Fälle wurde nun öffentlich, die meisten werden es nicht. „Wir reden über 50.000 Frauen im Jahr“, sagt Rio-de-Paz-Gründer Antonio Carlos Costa im Gespräch mit der New York Times. Und das seien nur die offiziellen Zahlen, die Dunkelziffer dürfte weitaus größer sein.

Der Protest an der Copacabana ist also auch eine Reaktion auf die Omertá, die in Brasilien herrscht, wenn es um sexuelle Gewalt geht. Zwischen den Unterhosen stehen große Leinwände, auf denen die blutverschmierten Gesichter von 20 Frauen zu sehen sind, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. „Ihr könnt mich nicht zum Schweigen bringen!“ - so lautet der Titel der Arbeit von Fotograf Marcio Freitas – und so lautet die Botschaft der brasilianischen Frauen. 

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Alice Schwarzer schreibt

Vergewaltigung ist ein Politikum

Alice Schwarzer - Foto: Bettina Flitner
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Wenn in Brandenburg oder Bayern oder wo auch immer in Deutschland ein Türke oder Asiate oder Afrikaner von Neonazis zusammengeschlagen wird – dann ist das nicht nur ein menschliches Drama, sondern für Medien und Menschen auch ein Politikum: Ausdruck von Rassismus, der eine Schande für Deutschland und zu bekämpfen ist. Wenn vor der Frankfurter ­Synagoge oder vor der Osnabrücker, Berliner oder welcher auch immer von Rechten oder Islamisten ein Jude zusammengeschlagen wird – dann ist das nicht nur ein menschliches Drama, sondern für Medien und Menschen auch ein Politikum: Ausdruck von Antisemitismus, der eine Schande für Deutschland und zu bekämpfen ist. Wenn in Schwetzingen oder Paderborn oder wo auch immer eine Frau vergewaltigt wird – dann ist das doch eigentlich „Privatsache“, vermutlich „einvernehmlicher Sex“ und nur im gerechtesten Fall ein Verbrechen, das geahndet werden sollte. Doch es betrifft in jedem Fall nur zwei Menschen: den Täter und das Opfer.

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In Amerika sieht das im Jahr 2011 anders aus, wie wir gerade am Fall Strauss-Kahn lernen. Beim zweiten Gerichtstermin gegen den mächtigen Angeklagten trat Kenneth Thompson, der Anwalt des seither von den Ermittlungsbehörden versteckten mutmaßlichen Opfers, erhobenen Hauptes vor die Medien und erklärte: „Das ganze Geld, die Macht und der Einfluss von ­Dominique Strauss-Kahn werden nichts an dem ändern, was wirklich passiert ist in diesem Zimmer im Sofitel.“ Und der schwarze Anwalt fügte im Namen seiner Mandantin stolz hinzu: „Nafissatou Diallo verteidigt ihre Würde – stellvertretend für alle Frauen auf der ganzen Welt, die Opfer sexueller Gewalt sind.“

Denn das ist inzwischen allen klar in Amerika – hier geht es nicht nur um zwei Menschen, hier geht es um die Frage: Was ist zwischen diesen beiden Menschen geschehen, von denen der eine ein Mann, weiß, reich und mächtig ist – und der andere eine Frau, schwarz, arm und ohnmächtig?

Hier geht es also um ein „Hate Crime“, ein Hassverbrechen, weil – wenn es denn so ist, wie die Frau sagt – der Täter nicht nur die eine Frau meint, sondern: alle Frauen, alle Schwarzen, alle Dienstmädchen (und andere Untergebene). Eben Menschen, mit denen einer wie er es machen kann.

Denn Menschen machen so etwas ja nicht mit anderen Menschen. Sie machen es mit „Untermenschen“. Und darum hat das amerikanische Recht im Kampf gegen diese Art von Herrenmenschentum den Begriff Hate Crime eingeführt. Eben einen „kriminellen Akt, der von den Vorurteilen des Täters gegen eine Person oder eine Gruppe motiviert ist“.

Der Begriff galt zunächst nur für Angehörige einer Rasse oder Religion, wurde jedoch 2009 erweitert u.a. um die Kategorien ­Geschlecht und sexuelle Orientierung. Wer ein solches Hate Crime begeht, hat es mit verschärften Sanktionen zu tun und es droht ihm eine erhöhte Strafe. Vor allem aber verstehen Medien und Menschen, dass es sich zum Beispiel bei Vergewaltigung nicht um Sex handelt, sondern um sexualisierte Gewalt, um Frauenhass.

Nach Bekanntwerden der Affäre Strauss-Kahn war in den deutschen Medien viel von „mächtigen Männern“ die Rede, die sich anscheinend nicht im Griff hätten. Dazu ist zu sagen: ­Erstens vergewaltigen nicht alle mächtigen Männer Frauen. Zweitens ist Macht relativ: Auch ein arbeitsloser Familienvater kann innerhalb seiner vier Wände ein mächtiger Tyrann sein. Also: Ja, Macht ist die Voraussetzung bei der Demütigung Ohnmäch­tiger, aber dazu muss mann nicht der IWF-Chef sein.

Und was die sich scheinbar plötzlich häufenden Fälle sexueller Gewalt angeht, so kann es durchaus sein, dass sie jetzt nur häufiger bekannt werden. Weil ihre Opfer, Frauen und Kinder, wehrhafter geworden sind – aber eben noch nicht wehrhaft genug. Zumindest in Europa nicht. Da haben die Opfer zwar angefangen zu reden und sind die Gesetze zu ihrem Schutz schärfer geworden – aber jetzt rüstet die Gegenseite auf. Ihre schärfste Waffe ist bei diesem Gegenschlag der Zweifel, der Zweifel an den Opfern. Und wir wissen ja: Im Zweifel für den Angeklagten.

Frauen kämpfen seit nun rund 40 Jahren weltweit um ihre Würde und sexuelle Selbstbestimmung. Jetzt spielt sich in New York ein Schauspiel ab, in dem die beiden konträren Prinzipien mit größtmöglicher Wucht und in größtmöglicher Öffentlichkeit aufeinander zurasen: hier das traditionelle Herrenrecht des Mannes, über Frauen zu verfügen, auch sexuell – da die relativ neue Forderung von Frauen, über ihren eigenen Körper selbst bestimmen zu können. Am 18. Juli wird der nächste Termin im Prozess gegen Dominique Strauss-Kahn sein, und die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit ist ihm gewiss. Auch die aller Putzfrauen. Sie versammelten sich zum Termin am 6. Juni zu Hunderten vor dem Tribunal und skandierten beim Auftauchen von Strauss-Kahn (Hand in Hand mit seiner Ehefrau): „Shame on you!“ – Schande über Sie!

Die Anklage lautet auf zweifache orale sowie versuchte vaginale Vergewaltigung plus Freiheitsberaubung (Im amerikanischen Recht heißt die orale Vergewaltigung: „schweres sexuelles Verbrechen“). Und das sind die Protagonisten des Dramas: Hier Dominique Strauss-Kahn, 62, „ein weißer Mann“ (wie es in der Anklageschrift heißt), bis vor kurzem als IWF-Chef einer der mächtigsten Banker der Welt und heiß gehandelter französischer Präsidentschaftskandidat 2012; zum dritten Mal verheiratet (diesmal mit einer bekannten Journalistin und reichen Erbin, Anne Sinclair, die ihn uneingeschränkt unterstützt) und Vater von vier Töchtern. Da Nafissatou Diallo, 32, „eine schwarze Frau“, Witwe aus Guinea mit Asyl in Amerika, gläubige Muslimin, alleinerziehende Mutter einer Tochter und Putzfrau mit „untadeligem Ruf“.

Und das ist die Tat aus Sicht der Anklage, soweit sie bisher bekannt wurde: Das „Zimmermädchen“ des Sofitel-Hotels in Manhattan vertrat eine Kollegin, putzte also nur zufällig an dem Tag die Suite 2806. Als sie kam, stand die Tür offen, ein Zimmerkellner räumte das Geschirr ab und sagte zu seiner Kollegin, sie könne reinkommen und sauber machen, der Gast sei abgereist. Die Frau putzte zunächst die beiden ersten Räume der 150-qm-Suite und ging dann ins Schlafzimmer. Da trat überraschend ein nackter Mann aus dem Bad, warf sie aufs Bett und vergewaltigte sie trotz heftigem Widerstand zweimal oral; es gelang ihr, sich zu entwinden; er verfolgte sie ins Bad und versuchte, sie auch vaginal zu vergewal­tigen. Die Frau konnte fliehen … und wurde Minuten später völlig aufgelöst, zitternd und spuckend von Kollegen im Hotelflur gefunden. – Sie sei von der brutalen Tat so traumatisiert, dass sie seither nicht mehr arbeitsfähig sei, teilte ihr Anwalt mit.

Und das ist die Tat aus Sicht der Verteidigung: Zunächst ließ Strauss-Kahn mitteilen, er habe die Frau nie gesehen und sei zur ­angeblichen Tatzeit mit seiner Tochter im Restaurant gewesen. ­Wenige Tage später, nach der Spurensicherung, änderte sein Anwalt Benjamin Brafman die Strategie und erklärte: Es habe sich um „einvernehmlichen Sex“ gehandelt. Strauss-Kahn, der im letzten Augenblick im Flugzeug nach Paris verhaftet worden war, kam in Untersuchungshaft. Jetzt wohnt er gegen eine Kaution von sechs Millionen Dollar (davon eine Million in bar) unter allerhöchsten Sicherheitsauflagen, inklusive elektronischer Fußfessel, mit seiner Frau in einem New Yorker Luxus-Appartment zu 50.000 Dollar im Monat.

Befragt von der französischen Tageszeitung Le Figaro kritisierte der New Yorker Staranwalt Ivan Fisher die Verteidigungsstrategie Strauss-Kahns. „Jede gute Verteidigung basiert auf der Wahrheit“, erklärte Fisher. Ausgehend von dieser Beweislage, die die Ermittler „erschlagend“ nennen – Spermaspuren am Kittelkragen der Putzfrau, Kampfspuren an den Körpern, Lügen bei DSKs Alibi etc. – hätte er niemals auf „nicht schuldig“ plädiert. Denn eine solche Lüge und der Versuch der Demontage des Opfers würde das Gericht nur noch mehr empören – und so die Strafe mit hoher Wahrscheinlichkeit härter ausfallen lassen.

„Ich hätte meinem Mandanten geraten zu gestehen, statt auch noch diese arme Frau zu attackieren“, erklärte Fisher. Er hätte auf „geistige Verwirrung“ des Angeklagten plädiert, denn: „Dieser Mann braucht Hilfe. Er sollte dringend einen guten Psychiater kontaktieren, der die Ursachen seines enthemmten Verhaltens findet.“ Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der „immer zahlreicher werdenden Anschuldigungen ähnlicher Art“, die jetzt in Frankreich bekannt würden. Es wäre, so Fisher, auch rein ­juristisch gesehen für Strauss-Kahn sinnvoller, Reue zu zeigen und einzusehen, wie inakzeptabel sein bisheriges Verhalten Frauen gegenüber sei. Nur mit einem Geständnis und seinem Bedauern für das Opfer hätte der Angeklagte noch eine Chance auf eine mildere Strafe. So aber drohten ihm wegen eines „schweren sexuellen Verbrechens“ bis zu 25 Jahre Gefängnis.

Diese Argumente eines New Yorker Anwaltes sind sensationell – zumindest für europäische Verhältnisse. Denn hierzulande hat es meiner Kenntnis nach noch nie einen Verteidiger gegeben, der im Falle eines Mannes, der wegen sexueller Verbrechen angeklagt wurde, öffentlich geraten hätte, besser zu gestehen, als um jeden Preis zu leugnen; einen Anwalt, der es für falsch hält, für seinen Mandanten eine Freiheit zu erkämpfen, die auf Kosten einer zweiten Zerstörung des Opfers geht.

Dabei wäre das zweifellos der richtigere Weg. Für die Opfer ­sowieso, aber auch für die Täter – für diese Männer, die die Hybris haben, Frauen für den letzten Dreck zu halten, mit dem sie machen können, was sie wollen. Ein endlich erwachendes Unrechtsbewusstsein dieser Männer und ihrer Helfershelfer und Helfershelferinnen wäre nicht nur Ausdruck von Respekt für die Opfer, es wäre langfristig auch für diese Männer selbst eine Chance.

Es sieht ganz so aus, als hätte Strauss-Kahn keine andere Chance mehr. Versucht er, sich auf Kosten der Frau reinzuwaschen, würde das vermutlich seine Strafe nur verschärfen. Darum ist es gut möglich, dass er am 18. Juli mit einer Reue-Strategie antritt. Was dann wahrscheinlich keine Frage der Einsicht wäre – sondern eine Frage der Macht. Der Macht der Opfer in Amerika.

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