Alice Schwarzer schreibt

Ich würde es genau so wieder tun!

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Sophie und Hans Scholl sind 60 Jahre nach ihrem gewaltsamen Tod Legende. Und sie sind Symbole für das bessere Deutschland. Das Deutschland, das nicht mitgemacht und mitgelaufen ist, sondern gegen gehalten hat. Gegen Unrecht und Tyrannei. Sophie, Hans und ihre FreundInnen aus der Widerstandsgruppe ‚Weiße Rose‘ sind nicht die einzigen, die den Widerstand mit dem Tod bezahlt haben. Aber ihre Geschichte, ihre Fotos und Träume sowie die Gesprächsprotokolle ihrer Mörder sind uns erhalten geblieben. Und immer klarer wird, welche besondere Rolle Sophie gespielt hat mit ihrer Mischung von Verstand und Gefühl, von Schmerz und Mut. Es ist wohl kein Zufall, dass gerade jetzt ein Film über sie kommt: In einer Zeit der individuellen Orientierungslosigkeit und globalen Bedrohung zugleich. – Alice Schwarzer über den Film. Und junge Frauen darüber, was Sophie Scholl heute tun würde.

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Nein, sie ist nicht als Heldin geboren. Sie ist ein Mensch. Ein Mensch mit Einfühlungsvermögen und Sinn für Gerechtigkeit und Würde. Und sie wird den höchsten Preis dafür bezahlen: mit ihrem Leben. Als Sophie Scholl – überwältigend und eindringlich gespielt von Julia Jentsch – erfährt, dass sie sterben wird, verliert sie zum ersten und letzten Mal die Fassung: Hinter verschlossener Toilettentür brechen aus ihr Schreie der Verzweiflung und des Schmerzes. Doch selbst diese, fast nicht zu ertragende Szene spielt Jentsch unspekulativ und unsentimental.

Der Film von Regisseur Marc Rothemund, 36, und Drehbuchautor Fred Breinersdorfer, 59, hält sich soweit wie möglich an die Fakten und konzentriert sich auf die letzten sechs Lebenstage der Sophie Scholl. Er zeigt uns zu Beginn kurz, vielleicht zu kurz, die Sophie in Freiheit: Übermütig lachend mit der Freundin und heimlich Jazz hörend (was als entartete Negermusik verpönt war). Und dann geht es Schlag auf Schlag: das Verteilen der letzten Flugblätter, die Verhaftung, das Verhör, der Schauprozess (vor Hitlers demagogischem Generalankläger Freißler) – und schließlich die Hinrichtung.

Es hätte viele Gelegenheiten gegeben, auszurutschen, kitschig zu werden. Drehbuch, Regie wie Darstellung jedoch tappen in keine Falle. Der über weite Strecken atemberaubend spannende Film ist von Anfang bis Ende stimmig, die 26-jährige Julia Jentsch ist die 22-jährige Sophie Scholl: die junge Frau, die auch bei der Gestapo noch ihren kühlen Kopf bewahrt, ihn beinahe sogar aus der Schlinge zieht – und erst gesteht, nachdem der Bruder geredet hat.

Die Geschichte der studentischen Widerstandsgruppe ‚Weiße Rose‘ und die der Geschwister Scholl wird nicht zum ersten Mal verfilmt. Seit Jahrzehnten ist sie immer wieder Gegenstand von Veröffentlichungen und Filmen. 1953 gab die Schwester Inge Scholl erstmals Erinnerungen und Dokumente heraus. In den 80ern und 90ern folgen Briefe und Biografien. 1982 verfilmte Michael Verhoeven die Geschichte der ‚Weißen Rose‘. Immer stand das charismatische Geschwisterpaar im Mittelpunkt, sozusagen stellvertretend nicht nur für die Gruppe der ‚Weißen Rose‘, sondern für alle, die unter Einsatz ihres Lebens gewagt haben, Widerstand zu leisten gegen die Tyrannen und Mitläufer.

Doch erst nach Bekanntwerden der Verhörprotokolle der Gestapo, die bis zur Wende 1990 verschlossen in den DDR-Archiven gelegen hatten (Weil die DDR den Mythos vom kommunistischen Monopol des Widerstandes aufrecht erhalten wollte?), schälte sich die Person von Sophie Scholl als überragend heraus: politisch wie menschlich. Warum?

Sophies Schwester Elisabeth sagt, Sophie sei immer schon ein ebenso schüchternes wie leidenschaftliches Mädchen gewesen, das das Leben liebte: „mit kühlem Verstand und heißem Herzen“. Eine lebensfrohe und sinnsuchende junge Frau zugleich, die ihrem vier Jahre älteren Verlobten bereits 1939, da war sie 18, an die Front schreibt: „Ich kann es nicht begreifen, dass nun andauernd Menschen in Lebensgefahr gebracht werden von anderen Menschen. Ich finde es entsetzlich. Sag nicht, es ist fürs Vaterland.“

Die leidenschaftliche Tänzerin Sophie hatte Fritz Hartnagel beim Tanzen kennen gelernt. Nach ihrem Tod sagte er: „Ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass ich von einem jungen Mädchen völlig umgewandelt wurde.“ Denn dieses junge Mädchen hatte früh erkannt, dass – wie sie es in einem Brief an ihn formuliert – „Gerechtigkeit höher steht als jede andere, oft sentimentale Anhänglichkeit“.

Sophie war also eine Persönlichkeit lange bevor die Verhältnisse sie, wie alle Scholl-Kinder, in den Widerstand trieben. Zwar war sie bis zum Alter von 14 ein glühendes BDM-Mädchen gewesen, glühend vor allem für ihre BDM-Führerin Charlo. Dennoch ließ sie sich in der Zeit der deutschen Zöpfe einen kecken Herrenschnitt schneiden und machte Sprüche wie diesen: „Die Brävste bin ich nicht. Die Schönste will ich gar nicht sein. Aber die Gescheiteste bin ich immer noch!“

Zum Verstand gesellte sich bei ihr das (Mit)Gefühl. Das hatte Sophie schon als kleines Mädchen für alle Kreaturen, bis hin zur Maus in der Falle. Und das Vorbild der Eltern. Der Vater, Bürgermeister von Beruf, ging gleich zweimal ins Gefängnis für seine Kritik an den Nazis. Die Mutter, zehn Jahre älter als ihr Mann (für die damalige Zeit unerhört), hatte eigentlich Lehrerin werden wollen – und ihren Wissensdrang zweifellos an ihre Töchter weiter gegeben. Sophie entschloss sich zum Studium der Biologie und Philosophie.

Biografin Barbara Leisner schildert die Episode, wie der Gauleiter an der Münchner Uni eine Rede hält, in der er den Studentinnen rät, dem Führer lieber ein Kind zu schenken, statt sich an der Uni rumzudrücken. „Und wenn einige von ihnen nicht hübsch genug wären, einen Freund zu finden, würde er gerne jeder einen seiner Adjutanten zuweisen – er könne ihr ein erfreuliches Erlebnis versprechen.“ Zu den Studentinnen, die auf der Galerie empört protestieren, gehört auch Sophie.

Die Episode schlägt sich prompt im letzten Flugblatt der ‚Weißen Rose‘ nieder, wo es heißt: „Gauleiter greifen mit geilen Späßen den Studentinnen an die Ehre. Deutsche Studentinnen haben an der Münchner Hochschule auf die Besudelung ihrer Ehre eine würdige Antwort gegeben!“

Als erster arbeitet Drehbuchautor Breinersdorfer, selber Jurist, die Rolle von Sophies Gegenspieler der letzten Tage heraus: des vernehmenden Gestapo-Beamten Robert Mohr, in seiner ganzen Gerissenheit und Zerrissenheit eindringlich dargestellt von Alexander Held. Mohr, ein Aufsteiger und überzeugter Nazi, scheint zu ahnen, wie recht die Geschwister Scholl haben. Zweimal baut der Vater eines gleichaltrigen Sohnes Sophie eine goldene Brücke, um ihr Leben zu retten. Doch sie distanziert sich nicht von ihrer Überzeugung. Sie übernimmt die volle Verantwortung. Vor Gericht sind Sophies letzte Worte: „Ich würde es genauso wieder tun!“ Und Bruder Hans ruft noch unter dem Fallbeil: „Es lebe die Freiheit!“

Nur eine Schwäche hat der Film: Er zeigt Sophie, die frühe Rebellin, am Anfang zu brav – als hätte sich ihr Wille zum Widerstand erst in diesen letzten Tagen wirklich geformt. Doch der war viel früher da. Spätestens beim offenen Protest gegen den Ausschluss ihrer besten Freundin aus dem heiß geliebten ‚Bund deutscher Mädel‘ – weil die Freundin Jüdin war.

Alice Schwarzer, EMMA März/April 2005
Das Buch zum Sofie Scholl - Film erschien als Fischer TB, die Biografie ‚Sophie Scholl‘ von Barbara Leisner bei List.

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