Verpfeif dein Schwein!
Anne T. Donahue ist die Erste. Als die New York Times am 5. Oktober ihre Artikel-Serie über die Affäre Weinstein eröffnet, loggt sich die kanadische Journalistin auf Twitter ein. „Wann hast du DEINEN Harvey Weinstein getroffen? Ich fange an: Ich war eine 17-jährige Schülerin an einer Gemeinschaftsschule und er hat darauf bestanden, meine Schultern zu massieren, während ich tippte“, schreibt sie und klickt auf senden.
When did you meet YOUR Harvey Weinstein? I'll go first: I was a 17-yr-old co-op student and he insisted on massaging my shoulders as I typed
— anne t donahue (@annetdonahue) October 5, 2017
Zehn Tage später hat der Tweet der Kanadierin fast 14.000 Likes, er ist 5.500 Mal geteilt worden – und rund 5.000 Frauen haben unter #MyHarveyWeinstein geantwortet. „Der übergriffige Fahrlehrer, der den Mädchen sagte, dass sie ihren Führerschein nicht bekommen, solange sie ihn nicht küssen“, schreibt eine. „Der Kollege, der mich in die Toilette gedrängt hat und mich dazu zwingen wollte, seinen Schwanz zu berühren. Seinen Job hat er immer noch“, eine andere.
Anne T. Donahue hat in ein Wespennest gestochen. Denn natürlich ist - wie Emma Thompson es in diesen Tagen formulierte - Weinstein „nur die Spitze eines ganz bestimmten Eisbergs“, den jede Frau kennt, nicht nur in der Filmbranche. Und so ist es auch nicht überraschend, dass inzwischen nicht mehr nur in Kanada, sondern auch in den USA und in Frankreich ganz ähnliche Aktionen im Netz laufen.
#Balancetonporc, Verpfeif dein Schwein, fordern die Französinnen auf. Angefangen hat die Journalistin Sandra Muller. Die hatte am Freitag auf Twitter geschrieben: „Erzähl auch du von deinen Erfahrungen mit sexueller Gewalt, die du in deinem Job erlebt hast. Und nenne Namen.“
#balancetonporc !! toi aussi raconte en donnant le nom et les détails un harcèlent sexuel que tu as connu dans ton boulot. Je vous attends
— Sandra Muller (@LettreAudio) October 13, 2017
Rund 50.000 haben reagiert. Eine berichtet: „Mein Redaktionschef hat mich an der Kehle gepackt und gesagt: Eines Tages werde ich dich ficken, ob du es willst oder nicht!“
Und die US-Amerikanerinnen schreiben: „Me too!“ Auch ich bin betroffen! Dazu hatte am Sonntag die Schauspielerin Alyssa Milano („Charmed – Zauberhafte Hexen“) auf Twitter aufgerufen: „Falls du auch sexuelle Gewalt erfahren hast, antworte mit ‚Me too’ auf diesen Tweet“. Ein Freund habe ihr das vorgeschlagen, schreibt Milano, „um den Menschen ein Gefühl für das immense Ausmaß des Problems zu vermitteln“. Es antworteten über 30.000 - innerhalb weniger Stunden.
If you’ve been sexually harassed or assaulted write ‘me too’ as a reply to this tweet. pic.twitter.com/k2oeCiUf9n
— Alyssa Milano (@Alyssa_Milano) October 15, 2017
Der Fall des Giganten Weinstein hat die Mauer des Schweigens eingerissen, hinter der Frauen sich ihr Leben lang verstecken. Aus Scham und natürlich auch aus Angst vor den Konsequenzen. Bemerkenswert: Bisher haben nur wenige Online-Trolle und Frauenhasser versucht, die Welle der Bekenntnisse und Solidarität zu sprengen.
Anders als bei vergleichbaren Aktionen in der Vergangenheit, wo sich der Ton rasch ins Gegenteil verkehrte. Wenn Frauen auf Twitter oder Facebook offen über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt gesprochen hatten, wurden sie erst Recht von einer Welle des Hasses überrollt und als „Schlampen“und „Lügnerinnen“ beschimpft.
Und in Deutschland kommt der Online-Protest auch in Fahrt, wenn auch mit etwas Verzögerung. Also: Verpfeif dein Schwein!
Alexandra Eul