Alice Schwarzer schreibt

Die unwiderruflich verinnenden Stunden

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In dem Zimmer der Schriftstellerin Virginia Woolf wechselt das Dienstmädchen die Blumen, nimmt den welken Strauß aus der Vase und füllt frische, leuchtende blaue Blumen ein; während Virginia im Sessel mit einer Schreibplatte auf den Knien und einer Tintenfeder in der Hand über den ersten Sätzen ihres Romans "Mrs. Dalloway" grübelt. In der Küche der Hausfrau Laura Brown stellt der Ehemann für sich selbst gelbe Geburtstagsrosen in die Vase; während Laura sich noch im Nachthemd im Bett in die ersten Sätze von "Mrs. Dalloway" versenkt. In einem Blumenladen greift die Lektorin Clarissa Vaughn einen Arm voll Frühlingsblumen, um sie dem Mann zu bringen, der sie "Mrs. Dalloway" nennt und sie lebenslang geliebt hat; während er seinen Tod vorbereitet.

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Drei Frauen an drei Orten - Richmond bei London, Los Angeles und Manhattan - in drei Zeiten: 1923, 1952 und 2002. Die äußeren Bedingungen dieser drei Frauen sind unterschiedlich, ihre innere Verfassung aber gleicht sich. Clarissa, die moderne Frau, trägt nicht zufällig den Vornamen von Mrs. Dalloway. Und Laura, die typische Hausfrau der 50er Jahre, die für ihren aus dem Krieg heimgekehrten Helden in ihrer häuslichen Gefangenschaft Frieden spielt, liest nicht zufällig Virginia Woolf, die Meisterin des weiblichen Innenlebens in einer männlich okkupierten Welt.

Minutiös und schwerelos verflechten sich, ganz wie bei den Romanvorlagen, von den ersten Sequenzen des Films an die Leben der drei Frauen ineinander, genauer: jeweils ein Tag aus ihrem Leben voller Konventionen und Artigkeiten, aus dem sie auf der Suche nach dem wahren Leben eigentlich flxchten möchten.

Nicole Kidman ist in einer ihrer bisher bedeutendsten Rollen als spröde, leidenschaftliche Virginia Woolf zu sehen; Julianne Moore als eindringlich depressive Hausfrau und Mutter; Meryl Streep als verzweifelt aktionistische Karrierefrau. Gemeinsam ist allen dreien, dass sie Gefahr laufen, sich aus Liebe selbst zu verlieren, sich nach Freiheit sehnen - und sich die Freiheit nehmen, von Männern wie Frauen angezogen zu sein: so zerrissen wie Virginia, so flüchtig wie Laura oder so offen wie Clarissa mit ihrer Lebensgefährtin.

Schon der erste Film des Londoner Theater-Regisseurs Stephen Daldry ("Billy Elliot - Ich will tanzen") verriet eine starke Sensibilisierung für Gendertrouble. Grundlage seines zweiten Films ist der 1998 erschienene Roman von Michael Cunnhingham, eine moderne Hommage an Virginia Woolf, die der Autor "The Hours" nannte - den Titel hatte Woolf ursprünglich für ihren Roman gedacht.

Der Titel steht für den Stundenschlag von Big Ben, der dröhnenden Glocke der Westminsterkirche, über den es bei Woolf heißt: "Da! Voll dröhnte er. Erst eine Warnung, melodisch; dann die Stunde, unwiderruflich." Unwiderruflich verrinnt auch das Leben der Frauen. Verrinnende Leben. Herzstück der Romane von Woolf wie Cunningham sind die inneren Monologe. Der Film schafft es, diese inneren Stimmen sichtbar zu machen. Regisseur und Schauspielerinnen gelingt es, auch die verborgensten Gefühlsnuancen des realen wie des verpassten Lebens der Frauen zu zeigen.

Der Tag in Virginia Woolfs Leben (die sich 1941 mit 59 Jahren das Leben nahm) ist ein Tag im Jahr 1923, der hohen Zeit ihrer Kreativität (ihr Roman "Mrs. Dalloway" gilt als der Durchbruch zur Weltliteratur), aber auch einer der Tiefpunkte ihrer seelischen Verstörtheit.

Der Frage, welche Rolle Leonard Woolf (der seine Frau aus Fürsorge auf dem Land quasi kaserniert, obwohl sie krank vor Sehnsucht nach London ist) dabei wirklich spielt, geht der Film leider nicht genau genug nach. Und er kann auch der Versuchung nicht widerstehen, am Schluss Virginia Woolfs dramatischen Gang ins Wasser zu zeigen - obwohl der sich erst 18 Jahre später abspielen wird.

In der Summe jedoch ist "The Hours" ein höchst eindrücklicher Film mit intensiven, atmosphärischen Bildern, traumsicheren Schnitten und brillianten Schauspielerinnen. "Ich hatte zunächst Angst vor der Rolle", gestand Nicole Kidman. Angst davor, "als Australierin eine britische und feministische Ikone zu verkörpern". In einem Interview mit der Welt erklärte Kidman dann bei ihrem Blitzbesuch zur Berlinale-Premiere: "Ich fragte mich: Wie musst du gehen, wie ist dir in ihrer Haut zumute? Stephen Daldry meinte, wir müssten ihr Gesicht finden und würden dann über ihr Gesicht ihre Stimme und sie selbst finden. So sind wir dann auf die Nase gekommen. Daran ist eigentlich nichts Bemerkenswertes. Olivier war berühmt dafür, dass er nie in einen Charakter schlüpfte. Er hat nur immer seine Nase verändert. Bemerkenswert ist nur, dass das bisher keine Schauspielerin in einem Film getan hat. Meistens müssen wir Frauen uns jünger, müssen das Beste aus uns machen." Doch man nahm ihr diese Angst so erfolgreich, dass sie nach den Dreharbeiten erklärte: "Ich konnte mich mit Virginia Woolf identifizieren!"

Die Tochter eines Psychologen (der Beruf der Mutter wird nie erwähnt) ist auf Hawai geboren, in Australien aufgewachsen und in Hollywood geschieden worden (von Tom Cruise, der sie nach zehn Jahren verließ). Kidman ist mehr als ein Star: Sie ist eine passionierte Schauspielerin, die seit ihrem sechsten Lebensjahr spielt und schon als Teenager lieber ins Theater ging als in die Disco. Vermutlich ist es kein Zufall, dass sie nach der Scheidung von Cruise zunächst einmal ihre körperlichen Reize in "Moulin Rouge" bewies - und jetzt so überzeugend das innere Ringen einer Verzweifelten darstellt.

Und auch Meryl Streep ist wie immer beeindruckend, wie sie als toughe Lektorin mit Tochter und Lebensgefährtin in Greenwich Village unter der Oberfläche ihres perfekt gemeisterten Lebens die Ängste und Sehnsüchte ahnen lässt. Und Julianne Moore presst ihren ZuschauerInnen schier das Herz zusammen als verstummte Hausfrau, die in letzter Sekunde doch nicht den Tod wählt, sondern das Leben. Aber um welchen Preis.

"Mrs. Dalloway sagte, sie wolle die Blumen selber kaufen. Denn Lucy hatte genug zu bestellen. Die Türen würden aus den Angeln gehängt werden; Rumpelmayers Leute kämen. Und dann, dachte Clarissa Dalloway, was für ein Morgen - frisch, wie geschaffen für Kinder am Strand." Das sind sie, die ersten Sätze, die Virginia Woolf über einen Tag im Leben der Mrs. Dalloway niederschrieb.

"The Hours" läuft ab dem 27. März im Kino. - In EMMA u.a. über Virginia Woolf: "Die Tagebücher" (Juli/August 2000), "Die starke Virginia" (November/Dezember 1999), "Das Helle und das Dunkle" (November 1991), "Die zerrissene Einheit" (Juli 1991), "Das durchgefallene Genie" (Oktober 1981), "Nicht nur das schöne Bild" (Januar 1980), "Oh Virginia" (2/1977).

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