„Wir leben bald wie Frauen in Teheran"

Nili Philipp lässt sich nicht einschüchtern. „Wir geben Beit Shemesh nicht auf!“ steht auf dem Plakat.
Artikel teilen

Es war ein sonniger Tag im August 2011, an dem Nili Philipp mit ihrem Mountainbike zu den Hügeln um Beit Shemesh aufbrach. Als sie die Hauptstraße Richtung Jerusalem hochradelte, passierte sie ein Schild: „Frauen ist es verboten, eng anliegende Kleidung zu tragen“. Philipp blickte auf ihre Leggins und trat noch kräftiger in die Pedale. Plötzlich spürte sie einen Schlag gegen ihren Helm. Philipp stürzte vom Rad. Ein Mann mit Schläfenlocken hatte einen faustgroßen Stein auf sie geworfen.

Anzeige

Zitternd schob sie ihr Fahrrad zur nächsten Polizeistation. Dort erklärten ihr die Beamten, dass sie leider nichts unternehmen könnten. Und dass sie besser einen Kampfsport lernen solle.

Heute, drei Jahre später, sitzt Nili Philipp auf der Terrasse eines Cafés im Einkaufszentrum von Beit Shemesh und berät sich mit ihren Freundinnen. Einen Kampfsport hat sie nicht gelernt. Die 46-Jährige hat einen anderen Weg gefunden, sich zu verteidigen: Gemeinsam mit vier anderen Frauen hat sie die Stadt verklagt. Der Bürgermeister, fordern sie, soll die Schilder abnehmen, die ultraorthodoxe Einwohner eigenmächtig aufstellen, und die Frauen vorschreiben, wie sie sich kleiden sollen.

Für ultraortho-
doxe Juden ist
der Körper der
Frau eine Sünde

Für März ist die erste Anhörung angesetzt. In Israel, wo Frauen häufig religiös motivierte Diskriminierungen erfahren, gilt das Verfahren als Präzedenzfall. Beit Shemesh bei Jerusalem gilt als eine Bruchstelle der Gesellschaft, in der säkulare und religiöse Kräfte immer heftiger aneinandergeraten. Rund 40 Prozent der 100 000 Einwohner sind heute ultraorthodoxe Juden, für die der Körper der Frau eine Sünde ist, die es mit langen Röcken, hochgeschlossenen Blusen und nach der Heirat noch zusätzlich mit Kopftuch oder Perücke zu verbergen gilt.

Nili Philipp trägt eine langärmlige Strickjacke und Jeans. Die Anwaltsgehilfin kleidet sich stets gedeckt, dennoch rufen Schuljungen ihr „Schickse“ hinterher, wenn sie auf dem Heimweg vom Büro am Bankautomaten anhält, der in einer ultraorthodoxen Wohngegend liegt. „Schickse“ ist Jiddisch und ein abfälliges Wort für „Nichtjüdin“. Für Philipp, die großen Wert auf die religiöse Bildung ihrer Kinder legt und regelmäßig in die Synagoge geht, ist es eine Beleidigung.

Die gebürtige Kanadierin ist mit ihrem amerikanischen Ehemann vor 14 Jahren nach Beit Shemesh gezogen, weil viele Verwandte in der Nähe wohnen, die Stadt nur 30 Kilometer von Jerusalem entfernt liegt, von Wäldern umgeben ist und gute Schulen hat – ideal, um fünf Kinder großzuziehen. Der ultraorthodoxe Anteil der Bevölkerung beschränkte sich damals auf ein kleines Stadtviertel, das sie gerne besuchte, weil seine Bewohner noch so malerisch wie in einem osteuropäischen Schtetl lebten und die Windeln dort billiger waren.

Männer wiesen Frauen in öffentlichen Bussen an, hinten zu sitzen

Doch dann zogen immer mehr ultraorthodoxe Juden her, die sich die steigenden Mieten in Jerusalem nicht mehr leisten konnten. „Die Extremen unter ihnen haben die Macht an sich gerissen“, klagt sie. Nach und nach tauchten immer mehr Schilder mit einschüchternden Warnungen für Frauen auf. In öffentlichen Bussen wiesen Männer weibliche Fahrgäste an, hinten zu sitzen. Ein Supermarkt begann, Tücher an Kundinnen auszuteilen, damit sie ihre Schultern bedecken. Gleichzeitig nahmen tätliche Angriffe auf Frauen zu.

Sechs Wochen, nachdem Nili Philipp einen Stein gegen den Kopf bekommen hatte, begleitete sie ihre jüngste Tochter in die neue Mädchenschule in der Nähe eines religiösen Viertels. Eine Gruppe ultraorthodoxer Männer beschimpfte die Siebenjährige prompt als „Schlampe“, weil sie keine Strumpfhose unter ihremRock trug. In den folgenden Tagen wurde die Gruppe Männer vor der Schule immer größer. Sie schmissen Eier auf die Schülerinnen. Erst als Bilder der verängstigten Kinder in den Nachrichten ausgestrahlt wurden und landesweit für Empörung sorgten, verschwanden die Männer vom Schulzaun. Nili Philipp sah ohnmächtig zu.

Ein Jahr darauf wurde eine ihrer Bekannten attackiert. Die junge Mutter ging in einem ultraorthodoxen Stadtteil einkaufen. Trotz langen Rocks und Bluse wurde sie beschimpft. Als sie mit ihrem Baby auf dem Arm zurück zum Auto rannte und die Türen verriegelte, schlugen Männer mit Stöcken auf den Wagen ein, eine Scheibe ging zu Bruch. Einen Tag später ging Philipp wieder zur Polizeistation. Dieses Mal zeigte sie die Stadt an. „Beit Shemesh steht für ganz Israel“, sagt Nili Philipp. Sie verweist auf die Geburtenrate streng gläubiger Juden, die oft sieben und mehr Kinder bekommen – mehr als doppelt so viel wie der Rest der Bevölkerung. „Wenn wir jetzt nicht aufwachen, leben wir hier bald wie die Frauen in Teheran.“

Von einem Tag auf den anderen verschwanden alle öffentlichen Frauenbilder

Wie weit die Anpassung an die wachsende religiöse Minderheit geht, wird inzwischen selbst im Stadtzentrum deutlich. Philipp zeigt auf eine Baustelle auf der anderen Straßenseite. Dort wird ein zweites Einkaufszentrum hochgezogen. Poster auf dem Bauzaun veranschaulichen, wie es hier demnächst aussehen soll: Väter, die mit ihren Söhnen spielen. Jungen auf Skateboards. Männer mit Einkaufstüten.

„Eines morgens waren plötzlich alle Frauen von den Bildern verschwunden“, erzählt sie. Als sie bei den verantwortlichen Stellen nachhakte, sagte man ihr, dass man befürchtet habe, dass sich religiöse Einwohner von den Abbildungen moderner Frauen provoziert fühlen könnten.

Orly Erez-Likhovski kennt Hunderte solcher Berichte. Die Juristin führt Nili Philipps Klage gegen die Stadtverwaltung von Beit Shemesh. Sie arbeitet für das „Israel Religious Action Center“ in Jerusalem, das einen jährlichen Report über Geschlechtertrennung an öffentlichen Orten herausgibt. Ähnliche Schilder wie jene, gegen die die Frauen von Beit Shemesh vor Gericht ziehen, kennt sie überall im Land. In Krankenhäusern weisen diese Schilder getrennte Eingänge für Männer und Frauen aus. Auf Friedhöfen verbieten sie Frauen, an Beerdigungen teilzunehmen.

Bei einem Konzert in der Altstadt von Jerusalem, erzählt die Anwältin, habe die Stadtverwaltung die beteiligten Bands unlängst gebeten, auf den Auftritt von Musikerinnen zu verzichten, um die Gefühle religiöser Zuhörer nicht zu verletzen. „Befürworter der Geschlechtertrennung verweisen auf eine vermeintliche Tradition“, sagt sie. „Dabei beobachten wir diese Entwicklung erst seit ungefähr 15 Jahren.“ Das zunehmend radikale Auftreten ultraorthodoxer Gruppierungen sei eine Reaktion auf die wachsende Liberalisierung der israelischen Gesellschaft.

Anwältin Orly Erez-Likhovski kämpft für diskriminierte Frauen

2011 ist die bekannte Anwältin gegen die Geschlechtertrennung in Dutzenden öffentlichen Buslinien bis vor das Oberste Gericht gezogen. Sie hat den Fall gewonnen. Seitdem rufen sie immer häufiger Frauen an, die Diskriminierungen melden – auch Frauen aus dem ultraorthodoxen Umfeld selbst (EMMA 2/2012).

Und was tut der Bürgermeister von Beit Shemesh? Er warnt indes vor Ausschreitungen, sollte er gezwungen werden, die Kleidungsvorschriften zu entfernen. Die Angriffe auf Frauen in Beit Shemesh, von denen Philipp und ihre Freundinnen berichten, bezeichnet er als „glatte Lüge“.

Mosche Abutbul ist selbst ein orthodoxer Jude. In einem Interview hat er kürzlich verlauten lassen, Beit Shemesh sei eine „reine Stadt“, in der es keine Homosexuellen gebe. Am Abend haben sich Schwulen- und Lesbengruppen zu einer Demonstration im Stadtzentrum versammelt. Nili Philipp ist auch gekommen. Sie hat sich ein Schild an die Jacke geheftet: „Wir geben Beit Shemesh nicht auf“.

Ein befreundetes orthodoxes Ehepaar hat sie neulich gefragt, ob sie nicht lieber woanders hinziehen wolle. „Das kommt nicht in Frage“, hat sie geantwortet. Danach ist sie zum Kopierladen gegangen und hat Poster gedruckt. Auf dem Bauzaun des neuen Einkaufszentrums sind jetzt auch wieder Bilder von Frauen zu sehen. Nili Philipp hat sie kurzerhand zwischen die Männer geklebt.

Artikel teilen

Israel: Gelobtes Land?

Artikel teilen

Das kriegerische Israel hat die taffsten Frauen - aber auch die hemmungslosesten Grabscher. Und ausgerechnet die Tochter von Kriegsheld Dajan steht ganz vorne an der Anti-Sexismus-Front. Was ihrem Vater noch gestattet war, kostet Präsident Moshe Katsav den Kopf.

Anzeige

Es kann in Israel vorkommen, dass ein Taxifahrer oder ein Kellner eine Kundin als „Motek“ (Süße) bezeichnen. Das gehört nach wie vor zu den Nettigkeiten des Alltags und kaum jemand stört sich daran. Denn die Israelis sind wahrlich keine Pioniere in Sachen politischer Korrektheit, ganz besonders nicht, wenn es um die Beziehungen zwischen den Geschlechtern geht. Sexistische Witze werden in allen möglichen Runden zum Besten gegeben. Allerdings hat sich in den letzten Monaten dennoch etwas verändert. Die Affäre um Präsident Moshe Katzav, dem die Generalstaatsanwaltschaft Vergewaltigung und sexuelle Nötigung vorwirft, löste eine Debatte über Sexismus aus, die weit über den politischen Skandal hinausreicht.
Seit Beginn der Ermittlungen gegen den Präsidenten haben sich rund zehn ehemalige Mitarbeiterinnen von Katzav gemeldet, die angeben, von ihm sexuell belästigt worden zu sein. Die Anklage hat Signalwirkung: Plötzlich wird (wieder) klar, dass Männern nicht alles im Umgang mit Frauen erlaubt ist; die Frauen wissen jetzt, dass sie sich nicht mehr alles gefallen lassen müssen. Nicht einmal von jemandem, der ganz oben in der Staatshierarchie sitzt.
Die Frauenrechtlerinnen feiern das als ihren Sieg – in einem Land, dessen Gründungsideale von männlichen Attributen wie Macht und Stärke durchdrungen sind. Zwar gehörte Gleichberechtigung der Geschlechter zu den Fundamenten der zionistischen Bewegung, doch stellte die ersehnte Schaffung des „neuen Hebräers“ auch einen Gegenentwurf zum schwachen und verfolgten Diaspora-Juden dar. Letzterer galt als schwach, wehrlos – und somit „weiblich“. Ersterer hat mutig, kampfbereit, also „männlich“ zu sein.
Das Soldatendasein stand im Vordergrund. Wer sich im Kriegszustand befindet, braucht „starke Männer“, auf die man sich verlassen kann. Der israelische Machismus hat also eine zentrale Rolle gespielt beim Aufbau einer wehrhaften Gesellschaft, sagt der Historiker Michael Oren.
Doch täuscht sich, wer nun meint, in Israel sei das Problem des Machismo und Sexismus erst mit der „Affäre Katzav“ zum Thema geworden. Wie sehr sich das Verhältnis der Geschlechter in den letzten Jahrzehnten geändert hat, spiegelt sich in einer Familiengeschichte wieder: Moshe Dajan, legendärer Kämpfer im Unabhängigkeitskrieg und späterer Verteidigungsminister, würde heute vielleicht ein ähnliches Schicksal blühen. Nur hat damals sein Image als Schürzenjäger, der seine weiblichen Untergebenen als eine Art Harem betrachtete, ihm wohl eher genutzt als geschadet. Sogar Staatsgründer David Ben-Gurion verteidigte den General mit Verweis darauf, schon König David sei ein Ehebrecher gewesen.

1998 war es dann ausgerechnet – doch wohl nicht zufällig – Dajans Tochter Yael, eine Abgeordnete der Arbeitspartei, die maßgeblich daran beteiligt war, ein Gesetz gegen sexuelle Belästigung durchzusetzen, das im internationalen Vergleich zu den strengsten gehört. Schon verbale Belästigung auf der Straße oder bei der Arbeit ist strafbar, egal ob sich die Betroffene wehrt oder nicht. Sex mit Schutzbefohlenen ist in jedem Fall verboten.
In der Folge des Gesetzes kam es zu einer Reihe von prominenten Prozessen, die neue Standards setzten. Transportminister Jitzchak Mordechai, dem viele eine glänzende Zukunft vorhersagten, musste im Jahr 2000 zurücktreten, nachdem er wegen sexueller Nötigung in seiner Armeezeit angeklagt worden war. Mehrere Frauen waren gegen ihn vor Gericht gezogen, die während seiner langjährigen hochdekorierten Militär-Karriere unter ihm gearbeitet und, wie sich herausstellte, gelitten hatten. Für Mordechai brach eine Welt zusammen, die ihm bis dahin selbstverständlich erschienen war. Ein ganz normales männliches Herrenrecht war zum Straftatbestand geworden.
Nun begann man auch beim Militär genauer hinzuschauen – jener Institution, die nach außen immer stolz auf das Bild der emanzipierten Frau an der Waffe verweisen konnte. 2003 ergab eine Untersuchung, dass „nur“ jede fünfte Soldatin sich „sexuell belästigt“ fühlte. Wenn dieselben Frauen allerdings nach konkreten Beispielen von Belästigung – wie demütigende Anspielungen oder unerwünschte sexuelle Anträge – befragt wurden, waren vier von fünf betroffen. „Viele junge Soldatinnen wissen nicht einmal, wo sexuelle Belästigung anfängt, und wie sie sich dagegen wehren können,“ sagt Rela Mazali von der feministischen Gruppe ‚New Profile‘.
Heute bekommt jeder Rekrut während der Grundausbildung einen Brief, der auf das Problem aufmerksam macht. Es gibt Frauenbeauftragte und eine Rund-um-die-Uhr-Hotline für Klagen und Beratung. Wenn auch viele Männer die veränderten Spielregeln noch nicht verinnerlicht haben mögen – sie müssen sie zumindest zur Kenntnis nehmen.
Inzwischen gibt es auch Risse im Bild der klassischen Rollenverteilung in der israelischen Armee. Frauen dienten schon vor der Staatsgründung 1948 wie selbstverständlich in der Armee. Auch heute werden alle 18-jährigen säkularen jüdischen Mädchen zum Pflichtdienst eingezogen. Nach einer dreimonatigen Grundausbildung wartet auf viele ein Sekretärinnenjob.
Soll heißen: Kaffeekochen und Tippen in Uniform. Allerdings gilt heute nicht mehr der Spruch des verstorbenen ehemaligen Präsidenten Ezer Weizmann, der in bester Manier der Old Boys erklärte: „Unsere besten Jungs gehen in die Luftwaffe, und unsere besten Mädchen gehen mit den Jungs aus der Luftwaffe.“ Seit Jahren sind Frauen nun auch als Pilotinnen von Kampfflugzeugen und als Ausbilderinnen an der Waffe zugelassen.
Inmitten der durch die Katzav-Affäre ausgelösten Debatte aber melden sich nun auch Frauen zu Wort, die sich gegen eine „Opferrolle“ ihrer Geschlechtsgenossinnen wehren. In Israel, so argumentieren sie, sei das Problem sexueller Gewalt nicht größer als in den USA und Europa. Aber nur hier habe sich ein Macho-Grundton im Alltag hartnäckig gehalten. „Wir sind deshalb aber nicht sexistischer als andere, sondern bloß weniger politisch korrekt. Hier sagt man einfach alles“, glaubt Avirama Golan, die einen Bestseller-Roman über „die israelische Frau“ geschrieben hat, der kürzlich auch in Deutschland erschienen ist (‚Die Raben‘). Golan hält den Fall Katzav eher für ein Indiz dafür, dass man das Problem der sexuellen Gewalt ernst nimmt. Sie bezweifelt, dass man einem französischen Präsidenten einen ähnlichen Prozess wie Katzav machen würde.
Golan ist gebürtige Israelin, die in der Armee gedient und zwei erwachsene Töchter hat. Sie gehört zu jenen, die davor warnen, im Zuge der Katzav-Affäre die Rolle der Frauen in Israel kleiner zu machen, als sie tatsächlich sei. Für deren Vielschichtigkeit muss man nicht die Erinnerung an Golda Meir bemühen, die in den 70er Jahren Ministerpräsidentin war.
Symptomatischer für das Aufholrennen in Sachen Gleichstellung ist da schon eher die Ernennung von Zipi Livni zur Außenministerin. Sie ist momentan Israels populärster Politiker und gilt als Anwärterin auf den Posten des Premierministers. Derzeit wird auch das Oberste Gericht von einer Frau geführt, ebenso wie der Aufsichtsrat der großen Leumi-Bank.
„Dass Israel eine heterogene Einwanderer-Gesellschaft mit sehr unterschiedlichen Einflüssen ist, eröffnet den Frauen eher mehr Möglichkeiten als anderswo“, sagt Golan. Fest steht, dass die Bandbreite zwischen extrem konservativen und sehr fortschrittlichen Frauenrollen größer ist als anderswo: Sie reicht von der Rolle der orthodoxen Hausfrau über die tunesische Großmutter bis hin zur lesbischen Mutter oder eben der Kampfbomber-Pilotin.
Allen gemein ist allenfalls der Kinderwunsch: Die Geburtenrate ist hoch in Israel: drei bis vier Kinder sind die Norm (bei religiösen Frauen sind es noch mehr). Nicht immer sind Männer direkt involviert. Auch in Israel gibt es längst Samenbanken.
So viel Dynamik, glaubt auch die Kulturwissenschaftlerin Ronie Parciack, schaffe Frauen im Zweifelsfall mehr Optionen. Sie weist darauf hin, dass das zionistische Ideal immer schon zur Rebellion aufrief – gegen das eigene Elternhaus (um gegebenenfalls allein ins Gelobte Land einzuwandern), gegen das Image des „wehrlosen Juden“. „So ist eine ganz neue Gesellschaft entstanden, mit theoretisch sozialistischer und in der Praxis militaristischer Prägung, die in keiner jahrhundertealten Regierungstradition wurzelt. Neben dem Machismus gibt es viel Spielraum für Frauen.“
Dass aber auch dem Machismus neuerdings ungeahnte Grenzen gesetzt werden können, hat der zurückgetretene Justizminister zu spüren bekommen. Chaim Ramon, seit den 70er Jahren ein „Wunderkind der Politik“, beliebt bei Freunden wie Feinden, wurde verurteilt, weil er bei einer kleinen Bürofeier eine 20-jährige Soldatin geküsst und dabei seine Zunge in ihren Mund gesteckt haben soll. Ramon, der es nicht für nötig gehalten hatte, sich bei der Klägerin rechtzeitig zu entschuldigen, womit er möglicherweise den ganzen Prozess hätte abwenden können, rechnete bis zur letzten Minute fest mit einem Freispruch.
Er stand nicht alleine da: Zu ihm hielten Parteifreunde und Kontrahenten im Parlament, die die ganze Sache für „überzogen“ hielten. Doch die Richter und Richterinnen ließen sich nicht davon beirren, dass die Soldatin vor dem fatalen Kuss ganz offensichtlich mit Ramon geflirtet und ihn sogar mit beiden Armen vor der Kamera umarmt hatte.
Ihr einstimmiges Urteil ließ keinen Raum für Zweifel: ein unerwünschter Zungenkuss sei – ganz unabhängig von den Umständen – „sexuelle Belästigung“. Präsident Katzav: von zehn Frauen der sexuellen Belästigung beschuldigt.

Gisela Dachs, EMMA 3/2007 - Die Autorin lebt seit 1994 in Israel und ist Korrespondentin für die Zeit.

Weiterlesen
 
Zur Startseite