Alice Schwarzer schreibt

Wir modernen Hexen

Artikel teilen

Ich vermute, dass ich als neumodisches Exemplar der Gattung Hexen eingeladen worden bin, und ich will darauf auch noch gleich zu sprechen kommen. Es ist eben erwähnt worden, dass die Kölner Universität nicht ganz unschuldig ist an den Hexenverfolgungen. Viele von euch wissen ja, dass die Publikation des Hexenhammers - also die Systematisierung, die wissenschaftliche und juristische Begründung der Hexenverfolgung – ganz entschieden zu deren Gründlichkeit beigetragen hat. Einer der Autoren des Hexenhammers war Dekan an der Universität in Köln. Ich hoffe, für alle Frauen (und auch Männer), die hier sitzen, wirft es ein Licht auf die sogenannte Wissenschaft... Wissenschaft steht gemeinhin im Dienste der Herrschenden, und es ist nicht leicht, eine andere, eine kritische,  aufklärerische Art von Wissenschaft zu praktizieren. Trotzdem muss es immer wieder versucht werden. Und darum sind wir heute hier.

Anzeige

Hexenverfolgung - dramatischer Teil unserer Geschichte.

Mein Vortrag ist mit der Frage angekündigt worden: Warum beschäftigt sich die neue Frauenbewegung heute so intensiv mit dem Thema "Hexen"? Meine Antwort: Weil der Frauenbewegung ganz einfach nichts anderes übrigbleibt! Die Hexenverfolgung ist ein Teil unserer Geschichte, und zwar ein ganz besonders schmerzlicher, dramatischer Teil: die Hexenverfolgungen sind sozusagen der Holocaust der Frauen. Aber auch heute noch - das wissen wir älteren Feministinnen, das lernt ihr jüngeren engagierten Frauen an der Uni auch sehr schnell, sobald ihr anfangt, unbequem zu werden - trifft uns unbequeme Frauen aus denselben Gründen dieses Stigma, "so eine" zu sein.

Heute lodern nicht die Scheiterhaufen, aber die modernen Hexenprozesse, Stil Weimar-Prozess, sind auch nicht ohne! Ich selbst erinnere mich sehr gut, wann das Stigma "Hexe" zum ersten Mal öffentlich über mich verhängt wurde. Das war 1974. Da habe ich eine Diskussion mit Esther Vilar gemacht. Ich sah damals so aus wie jetzt, nur war ich 13 Jahre jünger, das macht eine Frau ja gemeinhin nicht unbedingt "hexischer". Dennoch stand damals in der Bild-Zeitung über mich: "Sie guckt mit stechendem Blick durch die Brille, wie eine Hexe."

Ich hatte mir bei dieser Diskussion mehrere schwere Vergehen gegen die Spielregeln zuschulden kommen lassen, unter anderem als Journalistin nicht so zu tun, als stünde ich objektiv über dem Thema. Stattdessen habe ich meine eigene Betroffenheit und meine Empörung über den groben Sexismus der Vilar und über ihre Frauenverachtung in der Sendung selbst mit zum Thema gemacht. Das war damals in unseren Kreisen etwas sehr Unfeines, seine Betroffenheit zum Thema zu machen, man hat ja in der Presse, wie in der Wissenschaft, darüber zu stehen.

Ich gebe zu, dass die Schlagzeile damals in der Bild-Zeitung mich einen Moment lang erschrocken und eingeschüchtert hat. Und dass ich danach bei öffentlichen Auftritten eine Zeitlang wieder Kontaktlinsen getragen habe. - Dieses nur mal als Beispiel über die Wirkung solcher Klischees, die verletzen und einschüchtern wollen. Man setzt sich nicht mit der Sache auseinander, sondern diffamiert einfach die Person, die sie vertritt.

Die Hexen hatten eins gemeinsam: Sie sind Frauen ohne Mann.

Ich stehe in der Bundesrepublik ja als symbolische Figur öffentlich für das, was viele von uns engagierten Frauen tagtäglich erleben, nur bei mir kann man es dann eben manchmal auch in der Zeitung lesen. Für uns Feministinnen kommt zum Hexenklischee noch das Suffragettenklischee. Bei den Suffragetten ist es nicht anders als bei den Hexen. Wer da mal genauer hinschaut, sieht: Diese Suffragetten sind nicht ein paar alte schrullige Tanten mit komischen Kapotthütchen, die keinen Mann abgekriegt haben und nichts besseres zu tun hatten, als in London oder auch Berlin die Straße rauf und runter zu laufen fürs Wahlrecht, sondern das waren Frauen, die zum Teil ihr Leben riskiert haben mit Hungerstreiks in Gefängnissen, mit sehr militanter Gegenwehr, die sich anketteten, gegen die Polizei kämpften - kurzum, die nicht mehr und nicht weniger getan haben, als für die Menschenrechte der Frauen zu kämpfen und dafür ihr Leben riskierten. Nun ist die Frage: Waren die Hexen überhaupt solche Kämpferinnen? Ich habe die Bücher der Historikerinnen, der Hexen-Expertinnen gelesen, das hat mich ein bisschen kundiger gemacht. Bei allen Unterschiedlichkeiten, verschiedenen Herangehensweisen und Differenzierungen der Hexen-Forscherinnen belegen doch alle, dass die Frauen, die verfolgt, gefoltert, getötet worden sind als Hexen, in ihrer klischeehaften Darstellung immer eins gemeinsam haben: Sie sind Frauen ohne Mann. Und sie tun sich zusammen mit anderen Frauen.

Eines der ganz zentralen Vergehen, das signalisiert, dass man es hier mit den Spezies Hexen zu tun hat, ist also die Infragestellung der männlichen Potenz, der männlichen Macht, also des Mannes schlechthin. Im Hexenhammer lautet die Überschrift von Kapitel 9: "Ob die Hexen durch gauklerische Vorspielungen die männlichen Glieder behexen, so dass sie gleichsam aus den Körpern gänzlich herausgerissen sind." - Ihr kennt vielleicht die moderne Variante: "Schwanz-ab-Schwarzer"! Also die paar Zentimeter liegen den Herren doch noch immer sehr am Herzen, in denen scheint sich in der Tat einiges zu konzentrieren. Jede Frau, die denen nicht die gebührende Reverenz erweist, ist eine Hexe, gestern wie heute.

Die Hexen-Forscherinnen weisen immer wieder darauf hin, dass die Frauen, die verfolgt worden sind, in sehr unterschiedlichen Situationen waren. Manchmal waren es Frauen aus dem Volk, die einfach zwischen die Mühlsteine geraten sind. Oder es waren, wie in Köln die Henoth, Patrizierinnen, die den Männern nicht in ihre Geschäftsinteressen gepasst haben. Oder sie waren Opfer persönlicher Racheakte von einzelnen Männern. Oder die Hexenverfolgung war eben Ausdruck der Gesamthysterie und hat mehr oder weniger wahllos diese oder jene getroffen. Eines zieht sich jedoch mehr oder weniger durch alles: Die als Hexen verfolgten Frauen waren in der Realität oder in der Phantasie unbequem für das herrschende Geschlecht. Sie irritierten, sie störten die bestehende Ordnung.

Die ist verrückt. Die gehört ins Irrenhaus.

Eine moderne Variante der Hexenverfolgung ist die Psychiatrisierung von Frauen. Wir alle kennen das, auch bei uns selbst, bei unseren Müttern. Es hängt über allen Frauen wie ein Damoklesschwert: "Die ist verrückt. Die gehört ins Irrenhaus." - Es gibt eben viele Methoden, Menschen zu entmenschlichen und auszusondern, die modernen sind subtiler, aber nicht weniger effektiv: die Psychiatrie ist oft nicht viel besser als der Hexenturm.

Es war ja historisch nicht so, dass es nur die "weisen Frauen" getroffen hätte, die Hebammen und Heilkundigen zum Beispiel Querbeet, ohne Gesetzmäßigkeit bedrohte die Hexenverfolgung mal diese Frau und mal jene, also eigentlich alle. Das war nur scheinbar eine ganz irrationale Sache, ganz wie die antisemitischen Pogrome. Unterm Strich allerdings scheint mir das überhaupt nicht irrational: Das ist die Logik des Patriarchats.

Die Logik des Patriarchats ist die allgemeine Einschüchterung und allgemeine Verunsicherung und allgemeine Bedrohung aller Frauen: Es kann jederzeit jede treffen!

Dieses für alle Frauen einschüchternde und bedrohliche Klima wird immer dann geschaffen, wenn das Patriarchat sich bedroht fühlt. Wir haben wieder (moderne) Hexenverfolgungen und (moderne) Pogrome, seit Frauen wieder öffentlich unbequem bis widerständlerisch sind. Es muss sich darum auch für die historischen Hexen-Forscherinnen und -Forscher die Frage stellen: Wie war das eigentlich damals? War das auch eine Zeit, in der das Patriarchat es nötig hatte, zurückzuschlagen?

Vielleicht sind einige von euch der Meinung, dass das alles Probleme sind, die wirklich sehr gestrig sind, und dass diese Art von pogromhaften Verfolgungen, Folterungen und Vernichtungen heute nicht mehr möglich sind. Ich muss euch leider sagen, dass das falsch ist. Denn wir haben im 20. Jahrhundert eine wahre Renaissance der Folter. In keinem Jahrhundert, das ist beweisbar, wurde so viel gefoltert wie heute. 

Die Mächtigen greifen weltweit wieder zur Folter.

Obwohl die Folter dank der Aufklärung im 19. Jahrhundert weltweit quasi beseitigt worden war, feiert sie jetzt, in unserem modernen Zeitalter, weltweit neue Urstände: Nie wurden politisch Unbequeme von den jeweils Herrschenden so viel und, technisch wie medizinisch, so versiert gefoltert wie im 20. Jahrhundert! Warum also sollten ausgerechnet uns Frauen auf Dauer die brachialen Methoden der Hexenverfolgungen erspart bleiben? Die Wissenschaft - zum Beispiel die Mediziner (und vermutlich auch einiger Medizinerinnen) - spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Durchführung der modernen Folter.

In einer Welt, die im vergangenen Jahrzehnt mehrere, fast weltweite, zumindest den ganzen Westen umfassende Emanzipationsbewegungen erlebt hat, die die herrschenden Systeme fundamental infrage gestellt haben, greifen die Mächtigen wieder zur Folter: diesem letzten und schrecklichsten Mittel der Herrschaftssicherung.

Ich bin der Überzeugung, dass Gewalt und Folter -im Staat wie in der Familie- einfach die letzte Sicherung, die Notbremse der Mächtigen sind für das Aufrechterhalten herrschender Machtverhältnisse. Wenn sie sich nicht länger freiwillig beugen, beugt man die Menschen mit Gewalt - und die furchtbarste und abschreckendste Gewalt ist die Folter. Das gilt in Staaten wie in Familien.

Ihr alle wisst, was los ist in Südamerika und anderen Diktaturen, wie auch in Demokratien: Zu recht ist auch die Isolationshaft gegen sogenannte "Terroristen" in der BRD als Folter bezeichnet worden. Es existieren genug Erfahrungsberichte und medizinische Berichte, die zeigen, wie in der Isolationshaft der Körper und die Seele zerstört werden. Da ist zum Beispiel ein Text von Ulrike Meinhof, in dem sie eindringlich und minutiös ihre eigenen Foltererfahrungen in der Isolationshaft beschreibt.

Ihr alle wisst auch, oft aus ureigenster Erfahrung, was los ist in den Familien und auf unseren Straßen. Folter als Mittel zur Aufrechterhaltung der Macht existiert auch zwischen Männern und Frauen. Wir müssen zum Beispiel heute davon ausgehen - darauf weisen alle internationalen Zahlen hin - dass jede zweite Frau Vergewaltigungserfahrungen hat, auch jede zweite hier im Saal. Und jede dritte Inzest-Erfahrungen.

Was ist die Quelle für die innere Zerbrochenheit?

Es gibt einen Text von Jean Amery, der sich letztendlich das Leben genommen hat, weil er die selbst erlittene Folter nie überwunden hat. Ein deutscher Jude, der, wie er selbst sagt, nur "leicht" gefoltert wurde im 3. Reich. Er versucht zu beschreiben, wieso die Folter ihn so zerstört hat. Und er nennt in diesem Zusammenhang, als vergleichbar zu seinen Foltererfahrungen, auch die Vergewaltigung. Das ist ganz ungewöhnlich, dass ein Mann und dann auch noch in dieser Zeit - der Aufsatz wurde in den 50er Jahren geschrieben - selber diese Parallelen sieht. Amery definiert, was Folter ist: Wenn man an der eigenen Haut erlebt, dass einfach alles möglich ist; dass die Integrität des eigenen Körpers, der eigenen Seele vom anderen nicht respektiert wird: dass mir jemand in die Augen gucken kann und mich trotzdem foltert. Folter raubt, sagt Amery, dem/der Gefolterten das "Urvertrauen". In die Menschen. In die Welt.

Wer bedenkt, dass die Mehrheit der weiblichen Menschen in unserem Land und in der ganzen Welt alltägliche Folter erleidet (die Häuser für geschlagene Frauen sind überfüllt), der ahnt, dass das eine Quelle sein könnte für die innere Zerbrochenheit und Zerstörtheit so vieler Frauen. Der ahnt, was es Frauen heute so unendlich schwer macht, den aufrechten Gang zu gehen.

Warum rede ich von all diesen Dingen? Weil der all diesen Konflikten - von Hexen über Suffragetten bis Chile oder "Terroristen" – gemeinsame Grundmechanismus folgender ist: Menschen, die einem nicht passen, weil sie die Ordnung, von der einige profitieren, stören, sie vielleicht sogar infrage stellen, werden eingeschüchtert, gedemütigt, geschlagen und - wenn's gar nicht mehr anders geht - gefoltert, zur demonstrativen Abschreckung der anderen und zur Vernichtung der Widerspenstigen.

Die eine Sorte Mensch kann die andere Sorte Mensch foltern.

Ein alltägliches Beispiel für sexistische Folter sind diese kleinen Nachrichten auf der letzten Seite der Tageszeitungen: Sie wollte sich scheiden lassen, da verlor er die Nerven. Außerdem war sie eh eine Schlampe und hatte seine "Männerehre" gekränkt. Er schlug sie. Tot. Ein sensibles psychologisches Gutachten. Viel Verständnis bei der Männerjustiz. Fünf Jahre für Totschlag, zwei auf Bewährung. Frauenmord ist hierzulande ein Kavaliersdelikt. Ich erinnere nur an den Scholz-Prozess, nach dem Bubi Scholz zuguterletzt auch noch die 600.000 DM Lebensversicherung für die von ihm erschossene Ehefrau kassieren konnte. Voraussetzung dafür, dass eine Sorte Mensch die andere Sorte Mensch foltern kann, sind Machtverhältnisse. Dennoch müssen wir uns fragen: Was geht in den Menschen selbst vor, die so handeln? Und was sind ihre Motive und Mechanismen?

Ein Motiv ist die Herrschaftssicherung. Und der Mechanismus? Bevor Menschen foltern und andere Menschen wie die räudigen Hunde erschlagen können, müssen sie etwas tun: sie müssen ihr Opfer entmenschlichen, müssen es ausgrenzen aus der Gemeinschaft der Menschen. Sie müssen den Opfern die Menschenwürde nehmen, sie zu Kreaturen machen, die nichts anderes verdienen, als gefoltert zu werden. Das macht mann mit Frauen nicht anders als mit Schwarzen oder Juden. Die entwürdigende und entmenschlichende Propaganda geht der Tat, geht der Folter, geht dem Mord voraus.

Bevor man sechs Millionen Juden ermorden konnte, musste man sie entmenschlichen. Man hat sie mit Fratzen gezeigt, wie Tiere, Ratten, ganz ähnlich wird das heute mit Frauen gemacht. Man kennt das aus den Medien, und zwar nicht nur aus Porno- und Sexheften, sondern auch zunehmend aus den Zeitschriften, die zu Hause auf dem Couchtisch liegen: diese entwürdigende, erniedrigende, unmenschliche Darstellung von Frauen, die Pornographie. Bei der Pornographie geht es ja nicht etwa um nackte Haut, Sex oder Erotik; bei der Pornographie geht es um Machtdemonstration (der Männer) und Entwürdigung (der Frauen).

Manche Frauen sind auch Täterinnen.

Ihr habt vielleicht im jüngsten Stern das Cover zum Thema Video gesehen: eine nackte Frau mit gespreizten Schenkeln, zwischen den Schenkeln ein Bildschirm mit geöffnetem Mund. Aber dieser einfache Sexismus genügt noch nicht, dabei kriegen die Jungs keinen mehr hoch. Dazu muss noch ein Schlag Rassismus. Vorletztes Stern-Cover: eine schwarze Frau von vorne, nackt, hinter ihr der weiße Kolonialherr, der ihr an den Busen greift, natürlich zwei Köpfe größer, wie das so ist bei Herren. Titelzeile: "Was jeder Urlauber beim Sextourismus wissen muss". So hundsnormal ist die Erniedrigung und Entwürdigung von Frauen, dass, "Jeder Urlauber" sie sich erlauben kann. Übrigens auch in den sogenannten "Alternativreiseführern" findet ihr ganz lässige Alternativtips, wo mann die Mädels besonders billig kriegt, wo sie auch noch nicht ganz so abgegriffen sind, noch ein bisschen Seele haben, sodass man noch ein bisschen nett mit ihnen plaudern kann.

Allerdings: Frauen sind nicht immer Opfer. Manchmal sind sie auch Täterinnen (wie die weiblichen Kapos im KZ) oder Komplizinnen (wie die Mütter bei der Klitorisbeschneidung ihrer Töchter).

Bei der Witwenverbrennung in Indien zum Beispiel spielen die Schwiegermütter eine ganz furchtbare Rolle. Sie sind die Komplizinnen ihrer Söhne. Ich sah jüngst ein Interview mit einer Frau, die der Witwenverbrennung entkommen war und die, noch ganz entstellt, im Krankenhaus schilderte, wie ihre Schwiegermutter und ihr Ehemann mit ihr vor die Stadttore gegangen waren, und sie da ihr Grab mit der Schippe ausheben musste. Man hat sie ihr Gewand ausziehen lassen, weil der Stoff ganz hübsch war, den konnte man noch gebrauchen, und dann hat man sie mit der Schippe erschlagen und in die Grube gestoßen. In diesem einen Fall war die Frau nicht ganz tot. Sie konnte nach ein paar Stunden weg kriechen. Als ihr Mann und die Schwiegermutter - ein ganz sympathischer Mann, eine ganz sympathische Frau - später dazu interviewt wurden, lachten sie ohne jedes Schuldbewusstsein: "So ein Unsinn, das ist doch alles gelogen."

Was ich so frappierend fand an diesem Film, war die Seelenruhe der Täterinnen. Die hatten kein Schuldbewusstsein. Da hatte zuvor dieser Entmenschlichungsprozess (des Opfers) stattgefunden, der ihnen das Recht gab, das mit "so einer" zu tun, genau der Entmenschlichungsprozess, der vorher stattfinden muss, damit Menschen so mit Menschen umgehen können.

Der Verfolgung geht die Entmenschlichung voraus.

Und genau das ist es, was wir auch aus den historischen Hexenverfolgungen lernen können, und woran wir die modernen Hexenprozesse erkennen: Der Verfolgung und Vernichtung geht immer der Prozess der Entwürdigung, also Entmenschlichung des Opfers voraus. Das Gesicht des politischen Gegners wird zur Fratze verzerrt, Linke werden zu „Terroristen" oder zumindest "Sympathisanten". Gegen Juden richtet sich der Antisemitismus, gegen Schwarze der Rassismus, gegen Frauen der Sexismus - dessen heutige Speerspitze die Pornographie ist.

Das Furchtbare an diesem Entmenschlichungsprozess ist, dass die Opfer mit der Zeit selber ihre Würde verlieren. Es gibt sie: Die antisemitischen Juden. Die rassistischen Schwarzen. Und die sexistischen Frauen.

Die Ideologie ihrer Minderwertigkeit wird den Opfern nicht nur von außen entgegengehalten, sie kriecht ihnen mit der Zeit auch unter die Haut. Die Opfer verachten sich selbst, sie verachten ihresgleichen, sie biedern sich an bei den Herrschenden, sie verraten damit sich selbst.

Ich stehe hier als radikale Feministin, das heißt als eine Frau, die gleiche Rechte für alle Menschen, also auch für Frauen und Männer, fordert. Zentral ist für mich als Frau im Patriarchat das Ziel, es ganz einfach unmöglich zu machen, dass Frauen auch heute noch zu "Hexen" deklassiert werden. Denn "die Hexe", das ist kein himmlisches Geschöpf mit esoterischen Mächten, sondern eine sehr irdische Frau, die auf ganz weltliche Art zum Opfer gemacht wird. Und Opfer waren wir Frauen lange genug!

Artikel teilen

Was hinter der Hexenjagd stand

18. Juli 1556: Drei Frauen werden lebendig auf dem Marktplatz von Guernsey verbrannt.
Artikel teilen

Der Krieg der Geschlechter wurde im Laufe der Geschichte brutaler und weniger brutal geführt. Es gab Waffenstillstände und uneingeschränkte Vernichtungskriege der Männer gegen die Frauen. Einer dieser Vernichtungskriege war der Kampf gegen die so genannten "Hexen", der in Wahrheit ein Krieg gegen alle Frauen war. Alles in allem wurden mindestens neun Millionen Frauen verbrannt. Es gibt sogar Schätzungen von 30 Millionen! In Europa brannten die Scheiterhaufen etwa 400 Jahre lang. Die Flammen schlugen auch über nach Amerika, in die puritanischen Kolonien.

Anzeige

Noch heute bemühen sich die Geschichtsschreiber, diesen unvergleichlichen Geschlechtermord als teilweise berechtigt darzustellen oder hinunterzuspielen. Hexen? Da hören wir selten von dem historischen Ausmaß des Massakers. Irgenwann im dunklen Mittelalter hätte sich da mal was abgespielt, heißt es. Da hätten die Leute noch an den Teufel geglaubt. Auch wissen wir ja aus Grimms Märchen, dass Hexen alt und garstig sind, Katzen auf dem Buckel tragen und kleine Kinder fressen. Doch was ist wirklich geschehen?

Hexen sind alt und garstig, tragen Katzen auf dem Buckel und fressen kleine Kinder.

Die Hexenverfolgung spielte sich nicht im "finsteren Mittelalter", sondern im Spätmittelalter und der Neuzeit ab. Ihren Höhepunkt hatte sie makabererweise in der Zeit des so genannten "Humanismus" und der Renaissance. Und das ist kein zufall. Zwei Komponenten trafen zusammen. Auf der einen Seite verschärfte sich das Elend der Mehrheit der Menschen in dieser Zeit so, dass, wollte die Herrschenden Revolten vermeiden, unbedingt ein Ventil hermusst: Die Hexen waren die "Juden" dieser Epoche! Zum anderen war es die Zeit einer massiven Offensive der Männermacht, die die Frauen aus den letzten Positionen, die sie noch innehatten, zu drängen versuchte.

Frauen, die im Gegensatz zu später damals noch ihren Platz in den Handwerkszünften hatten, wurden nun endgültig hinausmanövriert! Frauen, die als Hebammen und weise Frauen bis dahin die "Ärzte des Volkes" gewesen waren, wurden von den sich entwickelnden medizinischen Fakultäten, zu denen sie keinen Zugang hatten, verdrängt. Auch ihr über Jahrtausende überliefertes Wissen um Heilkunde und Zusammenhänge von Psyche und Körper wurde verschüttet.

Der Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft riss die Menschen aus ihren agrarischen Lebenszusammenhängen. Hatte ein Bauer früher seinem Herrn die Abgaben in Form von Ernteerträgen, Eiern, Getreide, Früchten erstattet, musste er sie nun in Geld zahlen. Blieb die Ernte aus, hatte die Familie nicht nur nichts zu Essen, sondern auch kein Produkt, das sie verkaufen konnte, um damit wieder die immer fälligen Abgaben zu bezahlen. So gerieten die Menschen in immer tiefere Verschuldung. Verloren oft Haus und Hof und mussten als Arbeiter ihr Leben verdienen.

Hungersnöte und Seuchen hatten die arme Bevölkerung geschwächt.

Das Elend der Bauern wurde unerträglich und damit auch das elend der Manufakturarbeiter(innen), der Färber(innen), Weber(innen) und kleinen Handwerker(innen). Hungersnöte und Seuchen schwächten die arme Bevölkerung zusätzlich. Da regte sich Widerstand: Bau­ernaufstände! Aufstände der Weber und Färber! He­xen!

Die Bauernkriege wur­den niedergeschlagen, die Bauern grausam ge­foltert und ermordet, ganze Dörfer abge­brannt, die Aufstände der Weber und Färber wurden von den Herr­schenden brutal nieder­gestochen und -geschos­sen. Die „Hexen“ aber waren nicht so einfach fassbar. Die Auflehnung der Frauen war schwer lokalisierbar, brach im­mer wieder überall auf. Darum wurden sie jahr­hundertelang mit unge­brochener Grausamkeit weiter verfolgt, gefoltert, verbrannt, mit immer weiter perfektionierten Foltermethoden. Sie wurden von kirchlichen und weltlichen Herren gejagt, von Protestanten und Katholiken, von Spanien bis England, von städtischen Räten und Feudalherren, von fana­tischen Klerikern und "Humanisten", von Fremden und den eige­nen Nachbarn.

Jede Frau konnte eine „Hexe“ sein oder dazu erklärt werden. Der Ver­dacht genügte. Hatte sie rote Haare oder schwar­ze, war sie jung oder alt, schön oder hässlich, wollte ihr Mann sie los­werden oder hatte sie keinen, war sie besonders schrullig oder auffallend klug - egal, was sie war oder was sie tat, poten­tiell war jede Frau der Willkür der männlichen Inquisitoren ausge­liefert. Fiel dem Nachbarn oder sonst jemand ein, sie sei nächtens als Katze herumgeschlichen, so reichte das als Beweis. Die Ge­ständnisse holten sie sich dann mit Hilfe der Folter, die so grau­sam war, dass die meisten Frauen alles Gewünschte gestanden, nur um die Folter zu beenden. (Wir können uns vorstellen, was unter solchen Umständen mit den heu­tigen Feministinnen passiert wäre...)

Die Frauen dienten als Sünden­böcke für alles Übel: für Seu­chen, Totgeburten, Impotenz der Männer, schlechte Milch, Hagel usw. usf. Da das herrschende Elend eine Ursache haben musste, wurde einfach erklärt, es sei „Hexerei“ der Frauen.

Frauen wussten mit Kräutern umzugehen und Schmerzen zu lindern.

Warum aber gerade Frauen her­halten mussten, das ist die Frage, die wir uns heute stellen müssen. Es gibt dafür mehrere mögliche Ursachen: Frauen waren unter anderem die Trägerinnen der Volksmedizin, sie wussten mit den Kräutern umzugehen, Ge­burten verfrüht herbeizuführen, die Schmerzen zu lindem oder überhaupt Emp­fängnis zu verhüten. Da­bei arbeiteten diese Frauen mit humanen Methoden, die auf empi­rischem experimentellem Wissen und uralter Tra­dition beruhten, während die neuen „Ärzte“, die von den Universitäten kamen, vom Heilen ei­gentlich keine Ahnung hatten, da sie nach einem abstrakten scholasti­schen theoretischen Mo­dell ausgebildet wurden, das mit dem Menschen, seinen Organen und der Natur, ihren Giften und Heilmitteln kaum Berüh­rung hatte. Außerdem arbeiteten sie gegen (nicht geringe) Bezah­lung, was sich die arme Bevölkerung sowieso nicht leisten konnte.

Auch waren die Frauen während der Kreuzzüge und des 100-jährigen Krieges, als die Männer außer Landes waren, in wichtige Stellungen in der Textilproduktion und Landwirtschaft vorge­drungen, aus denen sie nun von den heimkeh­renden Männern ver­drängt werden mussten. Zudem schürten die Frauen den Widerstand gegen die Herrschenden: Frauen spielten in den Bauernkriegen eine wichtige Rolle, und nicht selten wurde auf den von Frauen geleiteten Sab­bats der Widerstand or­ganisiert...

All das erkannte das Patriarchat klar als Bedrohung, die umso ge­fährlicher war, als die Frauen über „magische“ Kräfte verfüg­ten, die sich der männlichen Ra­tio entzogen. Im Rahmen von Medizin, Magie und alter Reli­gion hatten die Frauen matriarchales Wissen bis in die begin­nende Neuzeit herübergerettet. Die Männer wussten das, vor allem dem Klerus war klar, wie oberflächlich die Christianisie­rung des Volkes wirklich war und wie lebendig noch alte Traditio­nen und das Wissen um die ein­stige Frauenmacht war.

Keine Frau konnte es ihr gleich tun:
Maria gebar jungfräulich.

Die Kirche - aus dem jüdischen Eingott-Glauben kommend - war seit jeher frauenfeindlich. Der Herr der Gläubigen war ein männlicher Gott, und die Frauen hatten spätestens seit Paulus in der Gemeinde zu schweigen. Frauen konnten nicht Priesterinnen werden, für den Klerus galt - nach langen Auseinandersetzun­gen - das Zölibats-Gebot. Frauen waren und sind für die Kirche die Töchter Evas, Ver­führerinnen zu fleischlichen Lü­sten und zum Abfall vom Glau­ben. Einzig die Jungfrau Maria galt als verehrungswürdig, aller­dings auf Grund eines Vorzugs, in dem es ihr keine Frau gleich­tun konnte: Sie hatte jungfräulich geboren, war das Gefäß gewe­sen, aus dem der männliche Gott entstieg.

Die Frau verkörperte die „Flei­scheslust“. Sie menstruierte, ge­bar, war unzweifelhaft der Natur verbunden - in einer Weise, die der asketischen, körperfeindli­chen römischen Kirche suspekt sein musste. Dazu fürchtete der Klerus um seine zölibatere Durchhaltekraft, die er durch das Weib gefährdet sah. Die dama­lige Argumentation erinnert an manches, was heute zu Verge­waltigungen geäußert wird: Die Frau als dauernd bereiter Kör­per, der die Männer sexuell so aufreizt, dass sie die Sinne verlie­ren. Die Männer übertrugen wohl, damals wie heute, einen gut Teil ihrer eigenen pervertier­ten Sexualität und Phantasie auf die Frauen.

Aus diesem Frauenbild des Kle­rus wächst der wichtigste Ankla­gepunkt der Inquisition, der gleichzeitig der absurdeste ist, und mehr über die Phantasie des Klerus aussagt, als über die He­xen selbst: Der Vorwurf der Teu­felsbuhlschaft.

Die Phantasie des Klerus: Impotenz gleich Hexerei.

Viele andere Anklagepunkte ba­sieren auf tatsächlichen prakti­schen Handlungen von weisen Frauen und sind nur in ihr Ge­genteil verkehrt: aus Nutzzauber wird Schadenszauber, aus Volksmedizin wird Giftmischerei. Dann gibt es natürlich noch Vorwürfe, die zutreffen: die Ab­lehnung der christlichen Reli­gion, die als „Abfall vom Glau­ben“ interpretiert wurde. Eibenso Abtreibung, Erreichen von Unfruchtbarkeit bei Frauen und möglicherweise auch von Impotenz bei Männern.

Vor allem letzteres war eine be­sondere Sorge der Hexenjäger, der Autor des „Hexenhammer“ (der „Bibel“ der Inquisition in Deutschland) formuliert für die­sen Vorwurf sogar eine exakte kriminologische Definition: „Wenn die Rute sich gar nicht bewegt, so dass (der Mann) nie­mals (sein Weib) erkennen konnte, so ist dies ein Zeichen von Kälte. Aber wenn sie sich bewegt und steift, er aber nicht vollenden kann, so ist das ein Zeichen von Hexerei.“ (Klar, kann ja nur an ihr liegen . . .)

Im Vorwort des Hexenhammer, der bei allen Inquisitionsprozes­sen in Deutschland als das Fach­buch verwendet wurde, finden sich auch die Hexenbulle Papst Innozenz VIII. Da wird den He­xen vorgeworfen, dass sie „ihrer eigenen Seligkeit vergessend, und von dem katholischen Glau­ben abfallend, mit denen Teufeln, die sich als Männer oder Weiber mit ihnen vermischen, Missbrauch machen, und mit ih­ren Bezauberungen, Liedern und abscheulichen Aberglauben und zauberischen Übertretungen, Lastern und Verbrechen, die Geburten der Weiber, die Jun­gen der Thiere, die Früchten der Erde verderben, ersticken und umkommen machen und verur­sachen, und selbst die Menschen, die Weiber, allerhand groß und klein Vieh (.. .) mit grausamen sowohl innerlichen als auch äu­ßerlichen Schmerzen und Plagen belegen und peinigen, und eben dieselbe Menschen, dass sie nicht zeugen, und die Frauen, dass sie nicht empfangen, und die Män­ner, dass sie denen Weibern, und die Weiber, dass sie denen Män­nern, die ehelichen Werke nicht leisten können, verhindern. Über dieses den Glauben selbst (. . .) mit Eydbrüchigem Munde verläugnen. Und andere überaus viele Leichtfertigkeiten, Sünden und Lastern, durch Anstiftung des Feindes des menschlichen Geschlechts zu begehen und zu vollbringen, sich nicht förchten, zu der Gefahr ihrer Seelen, der Beleidigung göttlicher Majestät, und sehr vieler schädlicher Exempel und Ärgemiß.“

Aufschlussreich ist, dass der Papst (und nicht nur er) zwischen „Menschen“, „Weibern“ und „Thieren“ unterscheidet. Die Autoren des Hexenhammer, Institoris und Sprenger, empfeh­len, zusätzlich die Angeklagten zu Giftmischerei, Nachtfahrten und Kannibalismus zu befragen. Immer wieder wird behauptet, die Hexen hätten Geschlechts­verkehr mit dem Teufel. Gleich­zeitig wird ihnen Homosexualität vorgeworfen. Und auch, daß sie „schlechte Frauen“ seien:

"1. Mann fliehen, 2. Feirtag eben observirem, 3. zeichnet an inen selbs, 4. zeichnete Kinder, 5. Ceremonien gebrauchen, 6. verber­gen, alein sein, Mann nicht fa­llen, 7. Künstlern nachfragen, 8. an sich hengen zeuberin und ler­nen, darzu sie der Geist treibt, 9. kein Mann ansehen, 10. selten kochen, Haar, Stirn nicht wa­schen, das Fleisch, 11. hinder sich in Kirchen umbkehren, 12. wol ligen, allein sich versperren. Das sind die Hauptzeichen, die die Hexen an inen haben, so sie der Geist ascendens überwunden hat und wil sie zusmeistem ma­chen.“

Der dies so weise erkannt hat, ist Paracelsus, der „Vater der Medi­zin“, der 1527 sein Buch über Pharmakologie verbrannte, weil er zugeben musste, dass er alles Wissen von den Hexen und Hir­ten habe.

Hier taucht also ganz offen der Vorwurf auf, die weibliche Rolle zu verweigern: das Verbrechen der Hexen besteht darin, entwe­der keinen Mann zu haben, oder den Haushalt nicht sorgfältig zu führen, sich nicht genügend schön zu machen und, wenn ver­heiratet, den ehelichen Ge­schlechtsverkehr zu verweigern! Wer es bis jetzt noch nicht begrif­fen hat: Hier wird klar, um was es geht!

Vergewaltigung im Kerker - durch den Teufel?

Welche Rolle spielt dabei die Behauptung, die Hexen übten Geschlechtsverkehr mit dem Teufel. Er sei es, der eigentlich hinter allem stecke? Sie hat drei Gründe:

1. Die Entmündigung. Indem man sagt, hinter den Hexen, die­sen Frauen, deren geheimnis­volle Macht man fürchtet, stecke in Wahrheit ein männliches We­sen (der Teufel), macht man sie zu Marionetten der Männer.

2. Die Verteufelung. Indem man ihnen nachsagt, sie seien mit dem Feind Nr. 1 der Christen im Bun­de, brandmarkt man sie in dieser christlichen Zeit als Aussätzige. Sozusagen eine mittelalterliche Form der psychologischen Kriegsführung...

3. Die Sexualität. In dieser körper- und sinnenfeindlichen Zeit blieb auch den Männern nur die Ersatzbefriedigung: statt ihre Begierden frei auszuleben, lie­ßen sie sie an den gefangenen „Hexen“ ab. In Taten und in Worten. Sehr oft wurden die Frauen im Kerker von ihren Fol­terern und Richtern geschändet. Und was sich in den Prozessen bei den Befragungen zum Teufel abspielte, war nicht selten die reine Pornographie:

„Wann er ihr erschienen? Ob er auch Heirath oder allein Buhl­schaft von ihr begehrt? Wie er sich genannt, was er für Kleider (getragen), wie auch seine Füße ausgesehen? Ob sie nichts Teuf­lisches an ihm gesehen und wis­se?“ Auch sollte der Richter fra­gen: „Ob der Teufel nach einge­gangenem Pakt mit der Ange­klagten koitiert habe? Auf wel­che Weise der Teufel der Ange­klagten die Jungfräulichkeit habe rauben können? Wie das männliche Glied des Teufels sei, wie dessen Samen? Ob der Bei­schlaf mit dem Teufel bessere und größere Lust bei der Ange­klagten errege als der Beischlaf mit einem natürlichen Mann? Ob er auch seinen Samen in die An­geklagte ergossen habe? Ob der Teufel mit der Angeklagten in der Nacht mehrmals geschlafen habe und jedesmal mit Samener­guss? Ob er die Sache mit der Angeklagten in deren eigenem weiblichen Geschlechtsteil voll­zog oder auch in anderen Kör­perteilen? Ob sie auch von ande­ren Männern auf natürliche Weise geschwängert wurde? Was sie mit der Leibesfrucht gemacht habe? Ob die Leibesfrucht le­bendig war? Auf welche Weise sie die Leibesfrucht erwürgt habe?“

Die Fragen der Inquisition - ein Spiegel der pervertierten Phantasie.

Ganz ohne Mann geht’s halt nicht, und der Mann muss dann natürlich besonders männlich sein - daher auch die Mär vom besonders langen und stets po­tenten Glied des Teufels. Der Neid, der hier mitspielt, wird ge­dämpft durch die Vorstellung, der Geschlechtsverkehr mit dem Teufel sei wenigstens schmerzhaft, da sein Glied nicht nur lang sei, sondern eiskalt oder glühend heiß. Also: Einerseits ist das „Erkennen“ des Teufels qualvoll, andererseits wird es al­len Hexen vorgeworfen und ist angeblich das Hauptvergnügen auf dem Sabbat... Außerdem sollte sie gefragt wer­den, ob sie auch mit „Frauen, mit sich selbst, mit Tieren gegen die Natur gesündigt“ habe.

Diese Fragen der Inquisitoren spiegeln zweierlei wieder: die pervertierte Phantasie dieser Männer und ihren Konkurrenz­wahn. Wer hat den größten, bzw. wer kann am häufigsten? Unklar bleibt, was die Hexen trieben, gab es doch damals sicherlich ge­nauso wenige Teufel wie heute. Die Antwort, die Frauen phanta­sierten den Geschlechtsverkehr mit dem Teufel, ist zu simpel. Die ganze Teufelei war ohne Zweifel vor allem ein konstruierter Vor­wurf der Kirche.

Die Frauen, die als Ärztinnen, Magierinnen und im Widerstand der Bauern aktiv waren, die die für sie konstruierte weibliche Rolle verweigerten, die sich nicht christianisieren und vor allem nicht domestizieren ließen, die Frauen also, die zu recht „He­xen“ genannt werden können, stellten eine Bedrohung dar für das Patriarchat, Feudalherren und Klerus.

Frühe Ärztinnen im Bund mit der Göttin Diana.

Auf den Hexensabbats war tat­sächlich alles mögliche los: Die Hexen trafen sich, um ihr Wissen auszutauschen, die Sabbats wa­ren also auch eine Art erster „Ärztinnenkongress“. Es wurden alte Kulttänze getanzt und Opfer dargebracht, Geistern und Göt­tinnen der vorchristlichen Zeit. Im Jahre 906 taucht im Canaon Episcopi (eine Anweisung an die Bischöfe) erstmals ein Hinweis auf, dass Frauen, „verführt durch Blendwerke der Dämonen“ meinen und behaupten, „dass sie des nachts mit Diana, einer Göt­tin der Heiden, und einer un­zählbaren Menge von Frauen auf Tieren durch die Luft reiten. Wer glaubt, dass dies wahr ist, weicht vom wahren Glauben ab und sinkt wieder zurück in den Irr­glauben der Heiden.“

Dieser „Irrglaube“ war noch im 15. Jahrhundert so verbreitet, dass die beiden Hexenjäger Institoris und Sprenger in ihrem He­xenhammer erneut darauf ein­gehen müssen, was Prediger und Priester in den ihnen anvertrau­ten Kirchen mit aller Eindring­lichkeit dem Volke predigen sol­len: Erstens, dass niemand glauben möge, es gebe außer dem ei­nen Gott noch ein höchstes und göttliches Wesen, zweitens, dass mit der Diana oder Herodias rei­ten weiter nichts ist als mit dem Teufel fahren, der sich nur so umgestaltet und so nennt.

Der Teufel verkleidet sich nicht nur als Diana, er dringt auch in den streng bewachten Kerker der Hexe ein, zu dem eigentlich nur Gefängniswärter, Folterknechte und Inquisitoren Zugang haben. So erzählt der Hexenrichter Re­migius von einem seiner Opfer, Katharina, sie sei, „obgleich noch ein unmannbares Kind, im Kerker wiederholt derartig vom Teufel genotzüchtigt worden, daß man sie halbtot gefunden habe“.

Nicht die Wächter haben die Frauen vergewaltigt, der Teufel war’s . .. Und während der Fol­ter macht er die Angeklagte schmerzunempfindlich, so dass sie keine Tränen vergießt. (Erst spät wiesen Ärzte darauf hin, dass ein gewisses Übermaß an Schmerzen Tränenlosigkeit ver­ursacht.) Der Teufel diente also als Ausrede und Erklärung für alles. Im Namen des Vaters, sei­ner Söhne und des inquisitori­schen Geistes wurden Millionen von Frauen ermordet, gefoltert, waren alle Frauen potentiell kriminalisierbar - sprich mögli­che Opfer derer, die das herr­schende Recht vertraten. Jede Frau, die ihre weibliche Rolle nicht perfekt, schweigend, de­mütig, dienend, liebend und gläubig gegen den „Herrn“ er­füllte, war eine mögliche Kandi­datin für die Inquisition. Doch auch die perfekte Hausfrau und Mutter konnte verdächtig wer­den, denn woher sollte man wis­sen, ob die Ursache für ihr Ver­halten nicht teuflische Verstel­lungskunst war?

Die Frau als Hexe. Das Feindbild vom abtreibenden, kastrieren­den, unfruchtbaren, sich verwei­gernden, kalten oder vom män­nerfressenden unersättlichen Monster „Frau“. Das Feindbild, das einerseits von der Angst vor der Rache der Frauen, ihrer Wiedererstarkung und Rücker­oberung der Macht ablenken soll und andererseits die Ausrede lie­fert für die Niederhaltung und Vernichtung der femininen Re­volte.

Wir sind alle Hexen! Die, die sich nichts gefallen lassen.

Das kleine Dummchen ist die, mit der man macht, was man will. Die Hexe ist die, vor der man Angst hat, was man aber niemals zugeben darf. Deshalb nennt man diejenigen Hexen, die dem Frauenideal, das man produziert und erfolgreich verbreitet hat, nicht ganz entsprechen.

Darum beginnen Frauen auf der ganzen Welt, das Wort Hexe freiwillig, bewusst auf sich zu nehmen, sich der Möglichkeiten, der Kräfte zu erinnern, die Frauen entwickeln können. Sie entdecken die „Hexerei“ wie­der: Frauen machen Selbsthilfe, lernen ihren eigenen Körper wieder kennen, erlernen die Mit­tel und Geheimnisse der Natur­heilkunde. Sie organisieren den Widerstand und stellen die Machtfrage: die Hexen sind zu­rück!

Und mit ihnen die Hexenverfol­gung in Ansätzen. Noch droht uns kein Scheiterhaufen, dafür aber Frauenarbeitslosigkeit, Gewalt, Diffamierung, Psychiatrisierung. Revolte und Reaktion sind so alt wie die Unterdrückung der Frauen.

Weiterlesen
 
Zur Startseite