Was hinter der Hexenjagd stand

18. Juli 1556: Drei Frauen werden lebendig auf dem Marktplatz von Guernsey verbrannt.
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Der Krieg der Geschlechter wurde im Laufe der Geschichte brutaler und weniger brutal geführt. Es gab Waffenstillstände und uneingeschränkte Vernichtungskriege der Männer gegen die Frauen. Einer dieser Vernichtungskriege war der Kampf gegen die so genannten "Hexen", der in Wahrheit ein Krieg gegen alle Frauen war. Alles in allem wurden mindestens neun Millionen Frauen verbrannt. Es gibt sogar Schätzungen von 30 Millionen! In Europa brannten die Scheiterhaufen etwa 400 Jahre lang. Die Flammen schlugen auch über nach Amerika, in die puritanischen Kolonien.

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Noch heute bemühen sich die Geschichtsschreiber, diesen unvergleichlichen Geschlechtermord als teilweise berechtigt darzustellen oder hinunterzuspielen. Hexen? Da hören wir selten von dem historischen Ausmaß des Massakers. Irgenwann im dunklen Mittelalter hätte sich da mal was abgespielt, heißt es. Da hätten die Leute noch an den Teufel geglaubt. Auch wissen wir ja aus Grimms Märchen, dass Hexen alt und garstig sind, Katzen auf dem Buckel tragen und kleine Kinder fressen. Doch was ist wirklich geschehen?

Hexen sind alt und garstig, tragen Katzen auf dem Buckel und fressen kleine Kinder.

Die Hexenverfolgung spielte sich nicht im "finsteren Mittelalter", sondern im Spätmittelalter und der Neuzeit ab. Ihren Höhepunkt hatte sie makabererweise in der Zeit des so genannten "Humanismus" und der Renaissance. Und das ist kein zufall. Zwei Komponenten trafen zusammen. Auf der einen Seite verschärfte sich das Elend der Mehrheit der Menschen in dieser Zeit so, dass, wollte die Herrschenden Revolten vermeiden, unbedingt ein Ventil hermusst: Die Hexen waren die "Juden" dieser Epoche! Zum anderen war es die Zeit einer massiven Offensive der Männermacht, die die Frauen aus den letzten Positionen, die sie noch innehatten, zu drängen versuchte.

Frauen, die im Gegensatz zu später damals noch ihren Platz in den Handwerkszünften hatten, wurden nun endgültig hinausmanövriert! Frauen, die als Hebammen und weise Frauen bis dahin die "Ärzte des Volkes" gewesen waren, wurden von den sich entwickelnden medizinischen Fakultäten, zu denen sie keinen Zugang hatten, verdrängt. Auch ihr über Jahrtausende überliefertes Wissen um Heilkunde und Zusammenhänge von Psyche und Körper wurde verschüttet.

Der Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft riss die Menschen aus ihren agrarischen Lebenszusammenhängen. Hatte ein Bauer früher seinem Herrn die Abgaben in Form von Ernteerträgen, Eiern, Getreide, Früchten erstattet, musste er sie nun in Geld zahlen. Blieb die Ernte aus, hatte die Familie nicht nur nichts zu Essen, sondern auch kein Produkt, das sie verkaufen konnte, um damit wieder die immer fälligen Abgaben zu bezahlen. So gerieten die Menschen in immer tiefere Verschuldung. Verloren oft Haus und Hof und mussten als Arbeiter ihr Leben verdienen.

Hungersnöte und Seuchen hatten die arme Bevölkerung geschwächt.

Das Elend der Bauern wurde unerträglich und damit auch das elend der Manufakturarbeiter(innen), der Färber(innen), Weber(innen) und kleinen Handwerker(innen). Hungersnöte und Seuchen schwächten die arme Bevölkerung zusätzlich. Da regte sich Widerstand: Bau­ernaufstände! Aufstände der Weber und Färber! He­xen!

Die Bauernkriege wur­den niedergeschlagen, die Bauern grausam ge­foltert und ermordet, ganze Dörfer abge­brannt, die Aufstände der Weber und Färber wurden von den Herr­schenden brutal nieder­gestochen und -geschos­sen. Die „Hexen“ aber waren nicht so einfach fassbar. Die Auflehnung der Frauen war schwer lokalisierbar, brach im­mer wieder überall auf. Darum wurden sie jahr­hundertelang mit unge­brochener Grausamkeit weiter verfolgt, gefoltert, verbrannt, mit immer weiter perfektionierten Foltermethoden. Sie wurden von kirchlichen und weltlichen Herren gejagt, von Protestanten und Katholiken, von Spanien bis England, von städtischen Räten und Feudalherren, von fana­tischen Klerikern und "Humanisten", von Fremden und den eige­nen Nachbarn.

Jede Frau konnte eine „Hexe“ sein oder dazu erklärt werden. Der Ver­dacht genügte. Hatte sie rote Haare oder schwar­ze, war sie jung oder alt, schön oder hässlich, wollte ihr Mann sie los­werden oder hatte sie keinen, war sie besonders schrullig oder auffallend klug - egal, was sie war oder was sie tat, poten­tiell war jede Frau der Willkür der männlichen Inquisitoren ausge­liefert. Fiel dem Nachbarn oder sonst jemand ein, sie sei nächtens als Katze herumgeschlichen, so reichte das als Beweis. Die Ge­ständnisse holten sie sich dann mit Hilfe der Folter, die so grau­sam war, dass die meisten Frauen alles Gewünschte gestanden, nur um die Folter zu beenden. (Wir können uns vorstellen, was unter solchen Umständen mit den heu­tigen Feministinnen passiert wäre...)

Die Frauen dienten als Sünden­böcke für alles Übel: für Seu­chen, Totgeburten, Impotenz der Männer, schlechte Milch, Hagel usw. usf. Da das herrschende Elend eine Ursache haben musste, wurde einfach erklärt, es sei „Hexerei“ der Frauen.

Frauen wussten mit Kräutern umzugehen und Schmerzen zu lindern.

Warum aber gerade Frauen her­halten mussten, das ist die Frage, die wir uns heute stellen müssen. Es gibt dafür mehrere mögliche Ursachen: Frauen waren unter anderem die Trägerinnen der Volksmedizin, sie wussten mit den Kräutern umzugehen, Ge­burten verfrüht herbeizuführen, die Schmerzen zu lindem oder überhaupt Emp­fängnis zu verhüten. Da­bei arbeiteten diese Frauen mit humanen Methoden, die auf empi­rischem experimentellem Wissen und uralter Tra­dition beruhten, während die neuen „Ärzte“, die von den Universitäten kamen, vom Heilen ei­gentlich keine Ahnung hatten, da sie nach einem abstrakten scholasti­schen theoretischen Mo­dell ausgebildet wurden, das mit dem Menschen, seinen Organen und der Natur, ihren Giften und Heilmitteln kaum Berüh­rung hatte. Außerdem arbeiteten sie gegen (nicht geringe) Bezah­lung, was sich die arme Bevölkerung sowieso nicht leisten konnte.

Auch waren die Frauen während der Kreuzzüge und des 100-jährigen Krieges, als die Männer außer Landes waren, in wichtige Stellungen in der Textilproduktion und Landwirtschaft vorge­drungen, aus denen sie nun von den heimkeh­renden Männern ver­drängt werden mussten. Zudem schürten die Frauen den Widerstand gegen die Herrschenden: Frauen spielten in den Bauernkriegen eine wichtige Rolle, und nicht selten wurde auf den von Frauen geleiteten Sab­bats der Widerstand or­ganisiert...

All das erkannte das Patriarchat klar als Bedrohung, die umso ge­fährlicher war, als die Frauen über „magische“ Kräfte verfüg­ten, die sich der männlichen Ra­tio entzogen. Im Rahmen von Medizin, Magie und alter Reli­gion hatten die Frauen matriarchales Wissen bis in die begin­nende Neuzeit herübergerettet. Die Männer wussten das, vor allem dem Klerus war klar, wie oberflächlich die Christianisie­rung des Volkes wirklich war und wie lebendig noch alte Traditio­nen und das Wissen um die ein­stige Frauenmacht war.

Keine Frau konnte es ihr gleich tun:
Maria gebar jungfräulich.

Die Kirche - aus dem jüdischen Eingott-Glauben kommend - war seit jeher frauenfeindlich. Der Herr der Gläubigen war ein männlicher Gott, und die Frauen hatten spätestens seit Paulus in der Gemeinde zu schweigen. Frauen konnten nicht Priesterinnen werden, für den Klerus galt - nach langen Auseinandersetzun­gen - das Zölibats-Gebot. Frauen waren und sind für die Kirche die Töchter Evas, Ver­führerinnen zu fleischlichen Lü­sten und zum Abfall vom Glau­ben. Einzig die Jungfrau Maria galt als verehrungswürdig, aller­dings auf Grund eines Vorzugs, in dem es ihr keine Frau gleich­tun konnte: Sie hatte jungfräulich geboren, war das Gefäß gewe­sen, aus dem der männliche Gott entstieg.

Die Frau verkörperte die „Flei­scheslust“. Sie menstruierte, ge­bar, war unzweifelhaft der Natur verbunden - in einer Weise, die der asketischen, körperfeindli­chen römischen Kirche suspekt sein musste. Dazu fürchtete der Klerus um seine zölibatere Durchhaltekraft, die er durch das Weib gefährdet sah. Die dama­lige Argumentation erinnert an manches, was heute zu Verge­waltigungen geäußert wird: Die Frau als dauernd bereiter Kör­per, der die Männer sexuell so aufreizt, dass sie die Sinne verlie­ren. Die Männer übertrugen wohl, damals wie heute, einen gut Teil ihrer eigenen pervertier­ten Sexualität und Phantasie auf die Frauen.

Aus diesem Frauenbild des Kle­rus wächst der wichtigste Ankla­gepunkt der Inquisition, der gleichzeitig der absurdeste ist, und mehr über die Phantasie des Klerus aussagt, als über die He­xen selbst: Der Vorwurf der Teu­felsbuhlschaft.

Die Phantasie des Klerus: Impotenz gleich Hexerei.

Viele andere Anklagepunkte ba­sieren auf tatsächlichen prakti­schen Handlungen von weisen Frauen und sind nur in ihr Ge­genteil verkehrt: aus Nutzzauber wird Schadenszauber, aus Volksmedizin wird Giftmischerei. Dann gibt es natürlich noch Vorwürfe, die zutreffen: die Ab­lehnung der christlichen Reli­gion, die als „Abfall vom Glau­ben“ interpretiert wurde. Eibenso Abtreibung, Erreichen von Unfruchtbarkeit bei Frauen und möglicherweise auch von Impotenz bei Männern.

Vor allem letzteres war eine be­sondere Sorge der Hexenjäger, der Autor des „Hexenhammer“ (der „Bibel“ der Inquisition in Deutschland) formuliert für die­sen Vorwurf sogar eine exakte kriminologische Definition: „Wenn die Rute sich gar nicht bewegt, so dass (der Mann) nie­mals (sein Weib) erkennen konnte, so ist dies ein Zeichen von Kälte. Aber wenn sie sich bewegt und steift, er aber nicht vollenden kann, so ist das ein Zeichen von Hexerei.“ (Klar, kann ja nur an ihr liegen . . .)

Im Vorwort des Hexenhammer, der bei allen Inquisitionsprozes­sen in Deutschland als das Fach­buch verwendet wurde, finden sich auch die Hexenbulle Papst Innozenz VIII. Da wird den He­xen vorgeworfen, dass sie „ihrer eigenen Seligkeit vergessend, und von dem katholischen Glau­ben abfallend, mit denen Teufeln, die sich als Männer oder Weiber mit ihnen vermischen, Missbrauch machen, und mit ih­ren Bezauberungen, Liedern und abscheulichen Aberglauben und zauberischen Übertretungen, Lastern und Verbrechen, die Geburten der Weiber, die Jun­gen der Thiere, die Früchten der Erde verderben, ersticken und umkommen machen und verur­sachen, und selbst die Menschen, die Weiber, allerhand groß und klein Vieh (.. .) mit grausamen sowohl innerlichen als auch äu­ßerlichen Schmerzen und Plagen belegen und peinigen, und eben dieselbe Menschen, dass sie nicht zeugen, und die Frauen, dass sie nicht empfangen, und die Män­ner, dass sie denen Weibern, und die Weiber, dass sie denen Män­nern, die ehelichen Werke nicht leisten können, verhindern. Über dieses den Glauben selbst (. . .) mit Eydbrüchigem Munde verläugnen. Und andere überaus viele Leichtfertigkeiten, Sünden und Lastern, durch Anstiftung des Feindes des menschlichen Geschlechts zu begehen und zu vollbringen, sich nicht förchten, zu der Gefahr ihrer Seelen, der Beleidigung göttlicher Majestät, und sehr vieler schädlicher Exempel und Ärgemiß.“

Aufschlussreich ist, dass der Papst (und nicht nur er) zwischen „Menschen“, „Weibern“ und „Thieren“ unterscheidet. Die Autoren des Hexenhammer, Institoris und Sprenger, empfeh­len, zusätzlich die Angeklagten zu Giftmischerei, Nachtfahrten und Kannibalismus zu befragen. Immer wieder wird behauptet, die Hexen hätten Geschlechts­verkehr mit dem Teufel. Gleich­zeitig wird ihnen Homosexualität vorgeworfen. Und auch, daß sie „schlechte Frauen“ seien:

"1. Mann fliehen, 2. Feirtag eben observirem, 3. zeichnet an inen selbs, 4. zeichnete Kinder, 5. Ceremonien gebrauchen, 6. verber­gen, alein sein, Mann nicht fa­llen, 7. Künstlern nachfragen, 8. an sich hengen zeuberin und ler­nen, darzu sie der Geist treibt, 9. kein Mann ansehen, 10. selten kochen, Haar, Stirn nicht wa­schen, das Fleisch, 11. hinder sich in Kirchen umbkehren, 12. wol ligen, allein sich versperren. Das sind die Hauptzeichen, die die Hexen an inen haben, so sie der Geist ascendens überwunden hat und wil sie zusmeistem ma­chen.“

Der dies so weise erkannt hat, ist Paracelsus, der „Vater der Medi­zin“, der 1527 sein Buch über Pharmakologie verbrannte, weil er zugeben musste, dass er alles Wissen von den Hexen und Hir­ten habe.

Hier taucht also ganz offen der Vorwurf auf, die weibliche Rolle zu verweigern: das Verbrechen der Hexen besteht darin, entwe­der keinen Mann zu haben, oder den Haushalt nicht sorgfältig zu führen, sich nicht genügend schön zu machen und, wenn ver­heiratet, den ehelichen Ge­schlechtsverkehr zu verweigern! Wer es bis jetzt noch nicht begrif­fen hat: Hier wird klar, um was es geht!

Vergewaltigung im Kerker - durch den Teufel?

Welche Rolle spielt dabei die Behauptung, die Hexen übten Geschlechtsverkehr mit dem Teufel. Er sei es, der eigentlich hinter allem stecke? Sie hat drei Gründe:

1. Die Entmündigung. Indem man sagt, hinter den Hexen, die­sen Frauen, deren geheimnis­volle Macht man fürchtet, stecke in Wahrheit ein männliches We­sen (der Teufel), macht man sie zu Marionetten der Männer.

2. Die Verteufelung. Indem man ihnen nachsagt, sie seien mit dem Feind Nr. 1 der Christen im Bun­de, brandmarkt man sie in dieser christlichen Zeit als Aussätzige. Sozusagen eine mittelalterliche Form der psychologischen Kriegsführung...

3. Die Sexualität. In dieser körper- und sinnenfeindlichen Zeit blieb auch den Männern nur die Ersatzbefriedigung: statt ihre Begierden frei auszuleben, lie­ßen sie sie an den gefangenen „Hexen“ ab. In Taten und in Worten. Sehr oft wurden die Frauen im Kerker von ihren Fol­terern und Richtern geschändet. Und was sich in den Prozessen bei den Befragungen zum Teufel abspielte, war nicht selten die reine Pornographie:

„Wann er ihr erschienen? Ob er auch Heirath oder allein Buhl­schaft von ihr begehrt? Wie er sich genannt, was er für Kleider (getragen), wie auch seine Füße ausgesehen? Ob sie nichts Teuf­lisches an ihm gesehen und wis­se?“ Auch sollte der Richter fra­gen: „Ob der Teufel nach einge­gangenem Pakt mit der Ange­klagten koitiert habe? Auf wel­che Weise der Teufel der Ange­klagten die Jungfräulichkeit habe rauben können? Wie das männliche Glied des Teufels sei, wie dessen Samen? Ob der Bei­schlaf mit dem Teufel bessere und größere Lust bei der Ange­klagten errege als der Beischlaf mit einem natürlichen Mann? Ob er auch seinen Samen in die An­geklagte ergossen habe? Ob der Teufel mit der Angeklagten in der Nacht mehrmals geschlafen habe und jedesmal mit Samener­guss? Ob er die Sache mit der Angeklagten in deren eigenem weiblichen Geschlechtsteil voll­zog oder auch in anderen Kör­perteilen? Ob sie auch von ande­ren Männern auf natürliche Weise geschwängert wurde? Was sie mit der Leibesfrucht gemacht habe? Ob die Leibesfrucht le­bendig war? Auf welche Weise sie die Leibesfrucht erwürgt habe?“

Die Fragen der Inquisition - ein Spiegel der pervertierten Phantasie.

Ganz ohne Mann geht’s halt nicht, und der Mann muss dann natürlich besonders männlich sein - daher auch die Mär vom besonders langen und stets po­tenten Glied des Teufels. Der Neid, der hier mitspielt, wird ge­dämpft durch die Vorstellung, der Geschlechtsverkehr mit dem Teufel sei wenigstens schmerzhaft, da sein Glied nicht nur lang sei, sondern eiskalt oder glühend heiß. Also: Einerseits ist das „Erkennen“ des Teufels qualvoll, andererseits wird es al­len Hexen vorgeworfen und ist angeblich das Hauptvergnügen auf dem Sabbat... Außerdem sollte sie gefragt wer­den, ob sie auch mit „Frauen, mit sich selbst, mit Tieren gegen die Natur gesündigt“ habe.

Diese Fragen der Inquisitoren spiegeln zweierlei wieder: die pervertierte Phantasie dieser Männer und ihren Konkurrenz­wahn. Wer hat den größten, bzw. wer kann am häufigsten? Unklar bleibt, was die Hexen trieben, gab es doch damals sicherlich ge­nauso wenige Teufel wie heute. Die Antwort, die Frauen phanta­sierten den Geschlechtsverkehr mit dem Teufel, ist zu simpel. Die ganze Teufelei war ohne Zweifel vor allem ein konstruierter Vor­wurf der Kirche.

Die Frauen, die als Ärztinnen, Magierinnen und im Widerstand der Bauern aktiv waren, die die für sie konstruierte weibliche Rolle verweigerten, die sich nicht christianisieren und vor allem nicht domestizieren ließen, die Frauen also, die zu recht „He­xen“ genannt werden können, stellten eine Bedrohung dar für das Patriarchat, Feudalherren und Klerus.

Frühe Ärztinnen im Bund mit der Göttin Diana.

Auf den Hexensabbats war tat­sächlich alles mögliche los: Die Hexen trafen sich, um ihr Wissen auszutauschen, die Sabbats wa­ren also auch eine Art erster „Ärztinnenkongress“. Es wurden alte Kulttänze getanzt und Opfer dargebracht, Geistern und Göt­tinnen der vorchristlichen Zeit. Im Jahre 906 taucht im Canaon Episcopi (eine Anweisung an die Bischöfe) erstmals ein Hinweis auf, dass Frauen, „verführt durch Blendwerke der Dämonen“ meinen und behaupten, „dass sie des nachts mit Diana, einer Göt­tin der Heiden, und einer un­zählbaren Menge von Frauen auf Tieren durch die Luft reiten. Wer glaubt, dass dies wahr ist, weicht vom wahren Glauben ab und sinkt wieder zurück in den Irr­glauben der Heiden.“

Dieser „Irrglaube“ war noch im 15. Jahrhundert so verbreitet, dass die beiden Hexenjäger Institoris und Sprenger in ihrem He­xenhammer erneut darauf ein­gehen müssen, was Prediger und Priester in den ihnen anvertrau­ten Kirchen mit aller Eindring­lichkeit dem Volke predigen sol­len: Erstens, dass niemand glauben möge, es gebe außer dem ei­nen Gott noch ein höchstes und göttliches Wesen, zweitens, dass mit der Diana oder Herodias rei­ten weiter nichts ist als mit dem Teufel fahren, der sich nur so umgestaltet und so nennt.

Der Teufel verkleidet sich nicht nur als Diana, er dringt auch in den streng bewachten Kerker der Hexe ein, zu dem eigentlich nur Gefängniswärter, Folterknechte und Inquisitoren Zugang haben. So erzählt der Hexenrichter Re­migius von einem seiner Opfer, Katharina, sie sei, „obgleich noch ein unmannbares Kind, im Kerker wiederholt derartig vom Teufel genotzüchtigt worden, daß man sie halbtot gefunden habe“.

Nicht die Wächter haben die Frauen vergewaltigt, der Teufel war’s . .. Und während der Fol­ter macht er die Angeklagte schmerzunempfindlich, so dass sie keine Tränen vergießt. (Erst spät wiesen Ärzte darauf hin, dass ein gewisses Übermaß an Schmerzen Tränenlosigkeit ver­ursacht.) Der Teufel diente also als Ausrede und Erklärung für alles. Im Namen des Vaters, sei­ner Söhne und des inquisitori­schen Geistes wurden Millionen von Frauen ermordet, gefoltert, waren alle Frauen potentiell kriminalisierbar - sprich mögli­che Opfer derer, die das herr­schende Recht vertraten. Jede Frau, die ihre weibliche Rolle nicht perfekt, schweigend, de­mütig, dienend, liebend und gläubig gegen den „Herrn“ er­füllte, war eine mögliche Kandi­datin für die Inquisition. Doch auch die perfekte Hausfrau und Mutter konnte verdächtig wer­den, denn woher sollte man wis­sen, ob die Ursache für ihr Ver­halten nicht teuflische Verstel­lungskunst war?

Die Frau als Hexe. Das Feindbild vom abtreibenden, kastrieren­den, unfruchtbaren, sich verwei­gernden, kalten oder vom män­nerfressenden unersättlichen Monster „Frau“. Das Feindbild, das einerseits von der Angst vor der Rache der Frauen, ihrer Wiedererstarkung und Rücker­oberung der Macht ablenken soll und andererseits die Ausrede lie­fert für die Niederhaltung und Vernichtung der femininen Re­volte.

Wir sind alle Hexen! Die, die sich nichts gefallen lassen.

Das kleine Dummchen ist die, mit der man macht, was man will. Die Hexe ist die, vor der man Angst hat, was man aber niemals zugeben darf. Deshalb nennt man diejenigen Hexen, die dem Frauenideal, das man produziert und erfolgreich verbreitet hat, nicht ganz entsprechen.

Darum beginnen Frauen auf der ganzen Welt, das Wort Hexe freiwillig, bewusst auf sich zu nehmen, sich der Möglichkeiten, der Kräfte zu erinnern, die Frauen entwickeln können. Sie entdecken die „Hexerei“ wie­der: Frauen machen Selbsthilfe, lernen ihren eigenen Körper wieder kennen, erlernen die Mit­tel und Geheimnisse der Natur­heilkunde. Sie organisieren den Widerstand und stellen die Machtfrage: die Hexen sind zu­rück!

Und mit ihnen die Hexenverfol­gung in Ansätzen. Noch droht uns kein Scheiterhaufen, dafür aber Frauenarbeitslosigkeit, Gewalt, Diffamierung, Psychiatrisierung. Revolte und Reaktion sind so alt wie die Unterdrückung der Frauen.

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Walpurgisnacht: Die Hexen sind los!

1977 in München: "Frauen erobern die Nacht zurück!" - © Angela Neuke/ Rheinisches Landesmuseum
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Ende der 1970er und in den 1980er Jahren demonstrierten an diesem Abend Frauen in ganz Deutschland mit weiß bemalten Gesichtern, Fackeln und Kerzen (wie hier in München) gegen "die Ausgangssperre für Frauen bei Dunkelheit". Von Susan Brownmiller war gerade "Gegen unseren Willen" erschienen, Vergewaltigung endlich keine Schande für die Opfer mehr, sondern ein öffentlicher Skandal.

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Doch die Frauen protestierten nicht nur, sie feierten auch: Frauenfeste in der Walpurgisnacht allerorten unter dem provokanten Motto "Hexentanz". So wie die Schwarzen in ihrem Kampf um Menschenrechte erklärt hatten: "Black is beautiful", so sagten die Feministinnen jetzt stolz: "Ja, wir sind Hexen!" Sie beriefen sich dabei auf die Tradition der "Hagazussa", der Heilerinnen und Magierinnen am Rand der Gesellschaft, zwischen den Welten.

Denn das war die erste Beschimpfung, die den neuen Frauenrechtlerinnen entgegenschlug: Alles Hexen! Oder Lesben. Oder beides. Was nicht neu war, schon im Mittelalter hatte man unbequeme Frauen abserviert, indem man sie schlicht zu "Hexen" erklärte.

Quasi jede Frau konnte als "Hexe" denunziert werden und ihre Verurteilung war kein Problem: Eine "Hexe" wurde verbrannt oder auch gefesselt ins Wasser geworfen: Ging sie unter, war das die gerechte Strafe - überlebte sie, war es "Hexerei".

Die heutigen "Hexenfeste" berufen sich auf die Walpurgisnacht auf dem Blocksberg, auf dem sich der Legende nach die Hexen trafen und mit dem Teufel tanzten. EMMA berichtete seit 1977 vielfach sowohl über die historische Hexenverfolgung als auch über die "neuen Hexen" und ihren Protest.

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