Marguerite in Paris: Ein Stern stürzt ab

Foto: Ludovic Marin/AFP/Getty Images.
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Marguerite Stern ist ein Pseudonym, der Name einer Heldin. Lange war sie das auch. Doch inzwischen sind Frankreichs Feministinnen unversöhnlich gespalten: in den Augen des einen Lagers symbolisiert Stern jetzt das Böse. Erst wurde Stern nur mit Worten attackiert, inzwischen fliegen Eier. Bei einer Demonstration gegen Prostitution Anfang März haben Transgender-Aktivisten die Feministin damit beworfen.

„Wir waren zwei Dutzend Frauen und standen 200 Leuten gegenüber“, erzählt Stern. „Ich hörte Sprüche wie: ‚Bei der nächsten Demo polieren wir Dir die Fresse.‘“ Einige ihrer Mitstreiterinnen waren aus Angst auf die Statue des Platzes der Republik geklettert. Die Situation hätte aus dem Ruder laufen können. „Was, wenn eine Frau von der Statue gestürzt wäre?“, fragt Stern.

Weil in Paris alles geschlossen ist, findet die Begegnung im April bei mir statt. In fast allen Porträts über Stern steht, dass sie kaum lächelt, aber das ist falsch. Für die Fotografin will sie nur mit ernstem Blick und erhobener Faust posieren, aber im Gespräch zeigt Stern auch andere Seiten. Die Haare blond gefärbt, die unteren Enden blau, auf der Brust baumelt ein Anhänger, den man aus der Ferne für eine Labrys halten könnte, für die Doppelaxt der Amazonen. Stern lacht und korrigiert. Es ist eine goldene Klitoris, die sie um den Hals trägt.

Das erste Mal fiel die Französin aus Marseille auf, als sie die Pariser Kathedrale Notre-Dame besetzte. Auf ihrer nackten Brust stand der Slogan „pope no more“. Vor Gericht sagte Stern später, sie kämpfe mit ihren Mitstreiterinnen gegen die drei Säulen des Patriarchats: gegen „Diktaturen, Religionen und die Sex-Industrie“. Das war 2013. Stern hatte sich gerade der FEMENBewegung angeschlossen.

Drei Femen in Tunesien. Foto: Messyasz Nicolas/abaca/dpa.
Drei Femen in Tunesien. Foto: Messyasz Nicolas/abaca/dpa.

Wenig später wurde sie in Tunesien verhaftet, weil sie vor dem Justizpalast in Tunis mit nacktem Oberkörper für die Freilassung einer tunesischen Frauenrechtlerin demonstriert hatte. Einen Monat verbringt sie hinter Gittern. Nach ihrer Freilassung lässt sie sich „Marguerite akbar“ auf den Schenkel tätowieren: Marguerite ist groß.

Zur Ikone des feministischen Kampfes in Frankreich wurde Stern, als sie vor drei Jahren begann, Din-A4-Blätter mit schwarzen Buchstaben auf die Hauswände erst von Marseille, dann von Paris zu kleistern. Die Buchstaben bildeten Worte, die Worte Sätze, die Sätze ihren Kampf. Julie war die erste, deren Namen sie auf eine Hauswand in Marseille kleisterte: JULIE WURDE VON IHREM EX AM 3.3.2019 GETÖTET. SIE HATTE IHN FÜNF MAL ANGEZEIGT. Das war Sterns erste Femizid-Collage.

Julie Douibs Tod hatte in Frankreich für Aufsehen gesorgt, weil er absehbar gewesen war: Die Korsin hatte mehrfach Anzeige gegen ihren Ex-Mann erstattet und darauf hingewiesen, dass er eine Lizenz als Sportschütze hatte, aber die Gendarmen reagierten nicht. „Sie werden mich wahrscheinlich ernst nehmen, wenn ich tot bin“, sagte Julie. Wenig später streckte der Vater ihrer beiden Kinder sie mit zwei Kugeln nieder. Als die Nachbarin sie fand, war Julie noch bei Bewusstsein. „Er hat mich umgebracht“, flüsterte sie.

Es folgte Martine. 40 Messerstiche. Kaum hatte Stern den Satz in Marseille an die Mauer gekleistert, ließ ein Passant abfällig fallen,: „Sie hat’s bestimmt provoziert!“ Stern ging nach Paris und begann mit einer Gruppe von Frauen, in nächtlichen Aktionen die von ihrem eigenen Ehemann Ermordeten beim Namen zu nennen. Und zu zählen. Bis 146 kamen sie 2019, im ersten Jahr. MAN TÖTET NIEMALS AUS LIEBE, steht seither an den Fassaden Frankreichs.

Mit ihren Collagen hat Stern eine weltweite Bewegung gegen Frauenmorde ausgelöst, sie fand Nachahmerinnen in Deutschland, Spanien, Polen ja sogar in der Türkei und in Syrien.

Stern in Paris beim Plakatieren der Frauenmorde. Foto: Sebadelha Julie/abaca/dpa.
Stern in Paris beim Plakatieren der Frauenmorde. Foto: Sebadelha Julie/abaca/dpa.

„Héroïnes de la rue“, Heldinnen der Straße, heißt das Buch, in dem sie erzählt, wie eine simple Idee zur weltweiten Bewegung wurde. Darin erzählt sie auch, dass sie während der Schulzeit sexuell belästigt und von ihrem ersten Freund vergewaltigt wurde.

Die Heldin der Straße wurde schnell auch zur Heldin der Medien. Doch Stern war erschöpft. Sie zog sich aus dem Pariser Kollektiv zurück. Zu viele Kameras, zu viel Trubel und vermutlich erste ideologische Verwerfungen.

Seit einem Jahr ist der Bruch vollzogen. In den linken Medien, die Stern zunächst hofiert hatten, kommt sie nicht mehr zu Wort. In den sozialen Netzwerken wird sie beschimpft. Und einstige Weggefährtinnen bedrohen sie.

Marguerite Stern ist manchen anderen Feministinnen zu radikal, zu universalistisch, weil sie sich gegen die Einflussnahme von Transgender-Aktivisten wendet. „Sobald ich mich über Transaktivismus äußere, werde ich gelyncht“, schreibt sie in einem Thread auf Twitter. Das war am 22. Januar 2020. Sie erinnert sich so genau an das Datum, weil seit diesem Tag alles anders ist. Seither wird sie als „transphob“ beschimpft. „Mein Leben wurde plötzlich auf den Kopf gestellt“, sagt sie.

Für ihren Satz: „Ich interpretiere das als weiteren Versuch der Männer, uns Frauen den Mund zu verbieten“, wird Stern tatsächlich symbolisch gelyncht. Von einem „extrem brutalen Nischenkrieg“ im französischen Feminismus berichtet Le Monde. Auf einer Pariser Fassade klebt nun die Buchstabencollage: „Terf auf den Scheiterhaufen“. TERF bedeutet „Trans Exlusionary Radical Feminism“: Feministinnen, die angeblich keine transgender Frauen in ihren Reihen dulden. Es wirkt wie der Beginn einer neuen Hexenjagd.

Stern (2.te von rechts) bei einer Femenaktion auf dem Friedhof Montparnasse in Paris. Foto: Sebadelha Julie/abaca/dpa.
Stern (2.te von rechts) bei einer Femenaktion auf dem Friedhof Montparnasse in Paris. Foto: Sebadelha Julie/abaca/dpa.

Hat Stern denn etwas gegen Männer, die ihr Geschlecht ändern? Natürlich nicht, versichert Stern. Sie könne das Leid nachvollziehen und die Diskriminierung anerkennen. Doch in ihren Augen handelt es sich um eine psychische Störung, die Geschlechtsumwandlung eines gesunden Körpers ist für sie eine Verstümmelung. Und vor allem: „Auch Männer, die Frauen sein wollen, bleiben Männer.“ Denn ob Prostitution, sexuelle Gewalt, Abtreibung: Historisch habe im Feminismus immer der Körper der Frau im Zentrum gestanden, argumentiert sie. Wer nicht von Anbeginn einen Frauenkörper hatte, kenne nicht dieselben Probleme.

Stern nennt im Gespräch Beispiele von Transgenderfrauen, die in Frauengefängnissen andere Frauen vergewaltigt haben. „Wenn man mir vor Jahren gesagt hätte, ich werde eines Tages dafür kämpfen müssen, zu sagen, dass Frauen keinen Penis haben, hätte ich das nicht geglaubt“, sagt Stern. „Die Queer-Propaganda und der kulturelle Relativismus lenken von unseren eigentlichen Kämpfen ab“, klagt sie. Auch wehrt sie sich gegen Geschlechterstereotypen, die die Transgender-Aktivisten wirkungsvoll bedienten und mit einer Glamour-Ästhetik von Pailletten und Netzstrümpfen in Szene setzen: „Das wirkt so cool. Und wir radikalen Feministinnen, wir wirken altmodisch, verklemmt und frigide.“ Marguerite kämpft weiter.

MARTINA MEISTER

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