Hat sie wirklich NEIN gesagt?

Justizminister Maas und Frauenministern Schwesig schreiten zur Tat. Foto: Imago/Christian Thiel
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Die Gesetzesänderung ist überfällig. Schon 2011 hatte Deutschland sich zur Anpassung an die EU-Standards verpflichtet, die Gesetzesänderung ist also seit fünf Jahren überfällig. Kommt es wie erwartet, wird der Bundestag am 7. Juli die Reform des Vergewaltigungs-Paragraphen verabschieden, nach dem in Zukunft nicht nur der aktive Widerstand der Opfer zählt, sondern auch sein Wille. Es soll dann genügen, dass das Mädchen, die Frau NEIN gesagt hat. Kommt es trotzdem zu sexuellen Handlungen, ist es eine Vergewaltigung.

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Nein heißt Nein - das war lange nicht selbst-
verständlich

Das ist doch selbstverständlich? Oh nein. Denn bisher war das nicht so. So hatte zum Beispiel der Bundesgerichtshof 2006 eine Verurteilung wegen Vergewaltigung aufgehoben mit der Begründung: „Dass der Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt. Das Herunterreißen der Kleidung allein reicht zur Tatbestandserfüllung nicht aus.“

Es gibt Menschen in Deutschland, die der Meinung sind, dass es dennoch nicht nötig ist, das Gesetz zu ändern. So zum Beispiel die ZEIT-Journalistin Sabine Rückert, die kurz vor Verabschiedung eine Philippika gegen die beabsichtigte Reform schrieb (und bekannt geworden war durch ihre vehemente Parteinahme pro Jörg Kachelmann und Vorverurteilung des mutmaßlichen Opfers schon Monate vor Eröffnung des Prozesses).

Rückert schreibt allen Ernstes, durch das Eintreten für eine Reform des § 177 würde „die Sexualität an sich (…) in die Nähe des Verbrechens gerückt“. Denn: „Was leidenschaftliche Liebesnacht und was Vergewaltigung war, definiert die Frau am Tag danach. Die Folge: Bei den Sexualpartnern zieht das Misstrauen ein.“

Zurück zur Realität. Jüngst veröffentlichte das Kriminologische Institut Niedersachsen (KFN) erschütternde Zahlen. Demnach ist vor 20 Jahren in Deutschland noch knapp jeder vierte der einer Vergewaltigung Beschuldigte verurteilt worden, heute ist es nur noch jeder zwölfte – und in manchen Bundesländern sogar nur jeder 25.

Dass die Bereitschaft zu verurteilen so extrem schwankend ist, liegt nach Auffassung des Kriminologen Christian Pfeiffer auch an den Vernehmungsmethoden der Polizei. Wird die Aussage eines mutmaßlichen Opfers auf Tonband oder gar Video registriert, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung, weil eine direkte Aussage des Opfers überzeugender ist. Bei einer durch den vernehmenden Polizisten verschriftlichten – und in seine Worte gefassten – Aussage hingegen werden die Schilderungen des Opfers nicht selten verwässert oder gar verfälscht. Also wird entsprechend weniger verurteilt. Der Kriminologe plädiert darum nicht nur dringlich für die Gesetzesänderung Nein-heißt-Nein!, sondern auch für bessere Vernehmungsmethoden.

Wird man nicht mehr zwischen Liebes-
nacht & Verge-
waltigung unter-
scheiden?

Auch bei einem Nein-heißt-Nein-Gesetz bleibt die Frage der Glaubwürdigkeit der Opfer. Denn gerade bei Sexualdelikten steht ja fast immer Aussage gegen Aussage. Und da kann es auch passieren – wie im Fall Gina-Lisa Lohfink –, dass eine Frau zwar unüberhörbar Nein! gesagt hat, bzw. „Hört auf!“ – dass RichterInnen jedoch dieses Nein dennoch anders werten (In dem Fall: Vielleicht hat sie es ja gar nicht so gemeint – und wollte nur nicht während der Sexualakte mit zwei Männern auch noch gefilmt werden). Alles steht und fällt also weiterhin mit der Glaubwürdigkeit der Opfer.

Die Verabschiedung des Nein-heißt-Nein-Gesetzes wäre also nur ein erster Schritt.

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Fall Gina-Lisa: Der letzte Tropfen!

Foto: Tim Lüddemann
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Birgit (Name von der Redaktion geändert) hält ein Pappschild hoch. Auf das hat sie in großen Buchstaben geschrieben: „Ihr schuldet uns Gerechtigkeit." Sie sei, erzählt die 27-Jährige dem Berliner Tagesspiegel, selber mit 17 nur knapp einer Vergewaltigung entkommen. „Da wurde mir bewusst, dass es einfacher ist, einen Fahrraddiebstahl anzuzeigen als einen Vergewaltigungsversuch ohne Zeugen."

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"Es ist so schrecklich, dass mir nicht geglaubt wird!"

Birgit war an diesem Sommertag eine von etwa 300 Frauen, die vor dem Moabiter Amtsgericht in Berlin protestierten. Die ersten waren schon um 8.30 Uhr in der Früh da. „Solidarität mit Gina-Lisa Lohfink und allen Betroffenen von sexueller Gewalt", steht auf ihren Schildern. Und „Nein heißt Nein". Oder: „Team Gina Lisa“. Unter diesen Schlagworten protestieren tausende Frauen aus ganz Deutschland schon seit Wochen im Netz. Und auch heute sind viele, die nicht in Berlin auf der Straße dabei sein können, auf Twitter und Facebook dabei.

8.56 Uhr: Gina-Lisa Lohfink erreicht das Gericht. Sie muss sich an diesem Tag als „Falschbeschuldigerin“ verantworten. Ihre Anzeige wegen Vergewaltigung war nicht nur eingestellt worden - nein, sie soll jetzt auch noch 24.000 Euro Strafe zahlen. Das will Gina-Lisa nicht hinnehmen

Ihre Augen verbirgt sie hinter einer großen Sonnenbrille. Aber ihre Tränen der Rührung sind trotzdem zu sehen. Lohfink schüttelt dankbar die Hände ihrer Unterstützerinnen. „Ich bin überwältigt“, wird sie sagen, als sie gegen Mittag in einer Prozesspause erneut vom Beifall der Frauen vor dem Gericht begrüßt wird. Und, reagierend auf die Aussage eines der von ihr angezeigten Männer, er habe nie etwas gegen Gina-Lisas Willen getan: „Dieser Typ sitzt da, und dann lügt er auch noch so frech. Es ist so schrecklich, dass mir nicht geglaubt wird.“ Ein Sprechchor antwortet: „Du bist nicht allein, Gina-Lisa."

Eine solche Solidaritäts-Bekundung für ein (mutmaßliches) Opfer sexueller Gewalt hat es in Deutschland in dieser Form noch nie gegeben. Wir erinnern uns an die öffentliche Friedhofsstille von Feministinnen, als der Fall Kachelmann verhandelt wurde (der mit einem Freispruch des Angeklagten „mangels Beweise" endete). Doch diesmal läuft es anders. Jetzt haben endlich auch die Frauen in Deutschland genug von der „Rape Culture“, von einer Vergewaltigungskultur, die die Täter, nicht aber die Opfer schützt.

Ein Sprechchor antwortet: „Du bist nicht allein, Gina-Lisa!"

Das wird an diesem Tag in Berlin deutlich. „Nein heißt Nein“-Sprechchöre schallen über die gesperrte Straße vor dem Amtsgericht. Und eine junge Frau setzt sich ans Klavier und singt „Till it happens to you“ (Bis es dir selbst passiert) von Lady Gaga. Im Frühjahr dieses Jahres hatte die amerikanische Sängerin, selbst Opfer einer Vergewaltigung, diesen Song bei der Oscar-Verleihung gesungen und dutzende Opfer sexualisierter Gewalt auf die Bühne geholt.

Im Flur des Gerichts in Moabit kommt es derweil zu einem Tumult, weil eine barbusige Femen-Aktivistin versucht, in den Gerichtssaal zu stürmen. Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes zerren sie nach draußen. „Nein heißt Nein!“ – ruft sie, während sie abgeführt wird.

Am Nachmittag kommt es erneut zu Unruhen im Gerichtssaal. Denn die Richterin besteht darauf, das Video der mutmaßlichen Vergewaltigung vor Gericht auf einem Laptop zu zeigen, ohne Ausschluss der Öffentlichkeit. Begründung: Die Angeklagte suche ja auch selber die Öffentlichkeit. Gina-Lisa und ihre Anwälte verlassen daraufhin den Saal. Bereits am Morgen hatte die Verteidigung einen Antrag auf Befangenheit der Richterin gestellt.

Die DemonstrantInnen harren bis in die Abendstunden aus. Das Urteil im Fall Gina-Lisa, das eigentlich für heute erwartet wurde, wurde auf den 8. August vertagt. Kein Zweifel: Die Frauen werden wieder da sein!

 

Prozess-Termine & Demos
Prozess gegen Claudia D.: 14. Juli, 10 Uhr, Oberlandesgericht Frankfurt.  Prozess gegen Gina-Lisa Lohfink: 8. August, 9 Uhr, Amtsgericht Tiergarten Berlin. Für beide Termine ruft die „Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt“ zur Solidaritäts-Demo mit allen Opfern sexueller Gewalt auf. Mehr Infos auf www.ifgbsg.org

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