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Wo bleibt der Aufschrei?

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Integrationskurse gelten offiziell als Schlüssel zur Teilhabe: Sprache, Werte, Orientierung. Doch was auf dem Papier plausibel klingt, gleicht im Alltag oft einer Posse. Wer diese Kurse nicht nur verwaltet, sondern wie ich täglich unterrichtet, begegnet nicht bloß Sprachbarrieren – sondern auch einem tiefverwurzelten Widerstand gegen den Rechtsstaat.

Meine Lehrtätigkeit in Deutschland erstreckt sich über 31 Jahre. Begonnen habe ich 1993, damals noch während meines Pädagogikstudiums mit einem Praktikum. Bis März 2025 habe ich Integrationskurse geleitet. Was ich in dieser Zeit erlebt habe, ist ein System, das sich selbst ad absurdum führt – und ausgerechnet jene im Stich lässt, die es tragen: die Lehrkräfte.

Der erste Kurstag: Vorstellungsrunde. Ich gehe durch die Reihen, strecke jedem die Hand ent­gegen, stelle mich vor. In rund 80 Prozent der Fälle wird meine Hand ignoriert. Einige Männer zucken zurück, manche erklären mir unverblümt: „Es ist haram, einer Frau die Hand zu geben.“ Andere senken den Blick, sprechen mit mir, ohne mich anzusehen – als sei ich Luft. Das ist eine Machtdemonstration: Du bist Frau – also nicht gleich.

In rund 80 Prozent der Fälle geben mir die männlichen Teilnehmer nicht die Hand

Diese Haltung zeigt sich besonders deutlich, wenn es um den Artikel 3 des Grundgesetzes geht: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Sobald das Thema aufkommt, entlädt sich offener Widerspruch, gelegentlich artikuliert in erregtem Tonfall: „Das ist gegen den Islam!“, „Die Scharia lässt das nicht zu!“ Schockierend ist, dass auch junge Musliminnen das akzeptieren – und die männliche Dominanz verteidigen. 

Oft genug wurde mir vorgehalten, ich sei „islamfeindlich“. Warum? Weil ich die Gleichberechtigung der Geschlechter ernst nehme. Weil ich den Artikel 1 des Grundgesetzes – Die Würde des Menschen ist unantastbar – nicht als hohle Formel verstehe. Und weil ich nicht bereit bin, in falscher Toleranz gegenüber der Intoleranz zu erstarren.

In mehreren Fällen wurde ich als Lehrkraft zur Zielscheibe antisemitischer Vorurteile. Wegen einer Kette: ein kleiner silberner Davidstern, ein Geburtstagsgeschenk eines jüdischen Freundes. Ich bin konfessionsfrei, aber ich trage diese Kette aus Verbundenheit. Als einige der Kurs-Teilnehmer sie bemerkten, liefen sie zur Schulleitung, ein Träger mit türkisch-muslimischem Hintergrund in Berlin-Neukölln, und verlangten, nicht mehr von mir unterrichtet zu werden. Die Begründung: Ich sei Jüdin. Die Reaktion der ­Träger? Die Bitte, die Kette abzulegen. Ich habe mich dagegen entschieden – und gekündigt. In beiden Fällen. Niemand hatte den Mut, mich zu schützen. 

Offener Antisemitismus in den Kursen wird nicht geahndet, sondern totgeschwiegen

Es wäre illusionär anzunehmen, dass alle Träger aus rein idealistischen Beweggründen handeln. Viele verstehen sich vielmehr als Dienstleister in einem subventionierten System. Abgerechnet wird also unabhängig davon, ob die Teilnehmer tatsächlich erscheinen. Eine wirksame Kontrolle fehlt weitgehend; der Staat sieht oft weg – sei es aus Überforderung oder aus politischem Kalkül.

Die Realität in diesen Kursen hat längst nichts mehr mit Wertevermittlung zu tun. Offener Antisemitismus in den Kursen wird nicht geahndet, sondern totgeschwiegen. Wer es wagt, Antisemitismus oder Sexismus direkt anzusprechen, riskiert nicht etwa pädagogische Kritik, sondern administrative Repression. Die moralische Umkehr ist perfekt: Nicht der Sexist oder Anti­semit wird sanktioniert – sondern derjenige, der den Missstand benennt. Ich frage mich: Wo bleibt der Aufschrei? Wir wollen Integration – aber wir opfern dafür unsere Prinzipien. Das ist keine Stärke. Das ist Schwäche mit Ansage.

Diese Kurse werden jährlich mit Milliarden­beträgen gefördert. Und doch verkommt der Anspruch auf Integration zur kosmetischen Geste. Die Lehrkräfte schuften ohne institutionelle Rückendeckung, Träger denken in Subventions­logiken, das BAMF schaut oft lieber weg, als sich der Wahrheit zu stellen. Und die Wahrheit ist: Wer in diesen Kursen nicht mitmacht, nicht respektiert, wird trotzdem durchgeschleust. Wer aber Haltung zeigt, fliegt.

Bis zu 80 Prozent der geförderten Integrationskurse verfehlen ihr Ziel. Viele Teilnehmer bleiben dem Unterricht tagelang, mitunter sogar wochenlang fern – ohne Sanktionen oder Konsequenzen. In einzelnen Kursabschnitten mit jeweils 100 Unterrichtseinheiten sind an über 40 Tagen nur noch die Hälfte der Teilnehmenden anwesend. Die Bildungsträger erhalten dennoch ihre Fördergelder, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) greift kaum ein – sei es aus struktureller Überlastung oder politischem Desinteresse.

Die Wahrheit ist: Ein relevanter Teil der Teilnehmer ist nicht integrierbar

Die Wahrheit ist: Ein relevanter Teil der Teilnehmer ist nicht integrierbar – nicht nur aufgrund fehlender Bildung, sondern weil der Wille fehlt. Viele lehnen zentrale Werte unseres Zusammenlebens ab: Gleichberechtigung der Geschlechter, Demokratie, Pluralität. Besonders frustrierend ist es, wenn Teilnehmer den Unterricht sabotieren, sich weigern, jüdische Geschichte zu thematisieren oder bei Ausflügen zu Synagogen plötzlich „krank“ sind. Ich rede hier nicht von Einzelfällen.

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Wer sich so verhält, will keine Teilhabe, sondern erhebt nur Ansprüche auf das, was das System ihm bietet. Und ja, viele von ihnen landen im Bürgergeld – nicht als Übergang, sondern als dauerhafte Lebensform. Ein System, das das zulässt, betreibt keine Integration, sondern fördert Abhängigkeit und Parallelwelten.

In den Jahren meiner Lehrtätigkeit habe ich eine eklatante Diskrepanz zwischen Anspruch und gelebter Realität beobachtet. Offiziell sollen die Kurse die Integration fördern, doch es mangelt an Verbindlichkeit und Konsequenz. Die Klassen sind häufig überfüllt, die Gruppen ex-trem heterogen – Analphabeten lernen neben Akademikern. Selbst bei hohen Durchfallquoten im Abschlusstest werden dennoch Zertifikate ausgestellt und Sozialleistungen weiter gewährt. 

Der Integrationsdiskurs in Deutschland krankt an Realitätsverweigerung. Solange wir dulden, dass Frauen systematisch ignoriert und Juden diffamiert werden, während wir gleichzeitig Toleranz predigen, wird Integration nicht gelingen. Was es braucht, ist eine Politik, die nicht mehr vergisst, wem sie verpflichtet ist: dem Grundgesetz. Nicht dem Zeitgeist. Und schon gar nicht der Feigheit. 

NASRIN AMIRSEDGHI

 

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