Brustkrebs: Der Genozid

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Experten sprechen inzwischen von einem wahren "Genozid an Frauen". Seit Anfang der 90er beginnt sich das Blatt in den USA zu wenden, dank kämpferischer Frauen wie der Chiurgin Susan Love und der Künstlerin Matuschka.

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Im Oktober 1993 marschierten Tausende von Frauen nach Washington, schaufelten 2,8 Millionen Protestbriefe vors Weiße Haus und erreichten die Bewilligung von 400 Millionen Dollar für die Erforschung des Brustkrebses. Der Monat Oktober ist seither der "Nationale Monat zur Aufklärung über Brustkrebs". Und die rosa Schleife ist (in Anlehnung an die rote Aids-Schleife) das kämpferische Erkennungszeichen unter den von Brustkrebs betroffenen Frauen.

Wie lebenswichtig dieser Kampf ist, zeigen nicht zuletzt die wahrhaft kriminellen Behandlungsmethoden. Zum Beispiel mit Silikon, das den Frauen, die die Krankheit überleben, den Rest gibt. Und wieviel wir im Ringen um Prävention und menschliche Behandlung von den Amerikanerinnen lernen können.

Die Frau auf dem Titelbild (siehe rechte Spalte) zeigt ihr Gesicht. Stolz steht sie da. Aufrecht und gerade. Ihr tief dekolletiertes, elegantes Kleid lenkt den Blick auf die vernarbte Stelle, wo früher einmal die rechte Brust gesessen hat. Der Körper der Frau ist nicht mehr intakt und dennoch schön. 

"You can't look away anymore!"

"You can't look away anymore!" - "Du kannst nicht mehr wegsehen!" steht unter dem Foto, das 1993 als Cover des "New York Times Magazine" erschien und einen Skandal auslöste. Die Künstlerin Matuschka ist die Frau auf dem Bild, das auch der Titel dieser Emma ist. Matuschka war 37, als ihr die von Krebs befallene Brust abgenommen wurde. Seither fotografiert sie sich selbst, um anderen Brustkrebskranken zu zeigen, dass sie auch ohne Brüste Frauen sind. Matuschkas Antwort auf das Angebot des Chirurgen, ihr ein Implantat einzusetzen, ist in den USA bereits Legende: "Warum nicht. Wenn Sie mir etwas Nützliches einpflanzen könnten - eine Uhr oder eine Kamera?"

Die andere Frau ist etwa 50 und gesichtslos, das kleine, unprofessionelle  Foto zeigt nur ihren nackten Oberkörper. Sie steht leicht nach vorn gebeugt. Demütig wie eine Sklavin. Offenbar die einzige Haltung, bei der die Brüste nicht schmerzen. Hart sehen sie aus und gleichzeitig seltsam verbogen - als seien zerdrückte Joghurtbecher hineingesteckt worden. "Viermal erfolglos operiert", steht darunter, "weil das Silikonkissen unter der dünnen Haut nicht genügend abgedeckt wurde und zu perforieren drohte."

Die Frau auf dem zweiten Foto ist jünger. 40 vielleicht. Auch ihre Brüste wurden verformt. Ähnlichkeit mit einem Busen haben sie kaum noch. Dann schon eher mit Knödeln, an denen Brustwarzen kleben - unten an den Außenseiten.

Die Frau auf dem dritten Foto ist höchstens 35. Ihre rechte Brust wirkt weich und schön. Die linke ist ein bizarres Gebilde. In der Mitte gespalten und so deformiert, dass die beiden wulstigen Teile auch verkrüppelte Finger sein könnten. "Zustand nach sog. brusterhaltender Operation", lautet der Kommentar unter dem Bild.

Olivari ist tagtäglich damit beschäftigt, die Fehler seiner Kollegen zu korrigieren.

Diese drei Fotos stammen aus dem Horrorkabinett des Professor Olivari. Der plastische Chirurg aus Wesseling bei Köln ließ die Aufnahmen anfertigen, um zu dokumentieren, wie Ärzte mit ihren Patientinnen umgehen. Olivari ist tagtäglich damit beschäftigt, die Fehler seiner Kollegen zu korrigieren und den Frauen die Verstümmelung erträglicher zu machen. "An Brüste trauen sich alle ran", klagt der Experte für Brustoperationen: "Jeder Feld-, Wald- und Wiesengynäkologe. Manchmal sogar Hals-, Nasen- und Ohrenärzte."

Die drei Frauen auf Olivaris Fotos haben Brustkrebs. Nach dem Schock der Diagnose fragten sie sich: Überlebe ich das nächste Jahr? Wird mein Mann mich verlassen? Wie bringe ich es den Kindern bei? - Während sie noch nach Antworten suchten, wurden sie zum Handeln gedrängt. "Jede Minute" zähle, redete man ihnen ein. "Schnell" sollten sie sich für oder gegen ein Silikonkissen entscheiden. Für oder gegen ein mit Kochsalzlösung oder Sojaöl gefülltes Implantat.

Für einen "Brustaufbau" aus körpereigenem Gewebe sofort oder später. Für diese oder jene "Brustform". Für oder gegen eine "Anpassung" bzw. "Verschönerung" der gesunden Brust "in einem Aufwasch". Zeit zu überlegen, was sie wollen, blieb ihnen nicht.

Wie zahllose andere Frauen auch, wussten diese drei noch nicht einmal, dass es Spezialisten für Brustoperationen gibt. Niemand hat ihnen gesagt, dass es ratsam ist, eine zweite Meinung einzuholen. Vermutlich war ihnen auch nicht bekannt, dass Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen informieren.

Man hat ihnen verschwiegen, dass sich die Überlebenschance nicht verringert, wenn zwischen Diagnosestellung und Tumorentfernung zwei Wochen vergehen. Und so fanden diese Frauen nicht die Ruhe, darüber nachzudenken, ob sie vielleicht überhaupt auf eine Nachoperation verzichten konnten. Also ohne Brust weiterleben. Oder mit einer kleineren Brust, die nicht durch ein Implantat "auf Volumen gebracht wird".

Bei "ein bis zwei Ja-Antworten" hätten sie "sofort einen Arzt aufsuchen" müssen.

Stattdessen quälten sie sich mit Schuldgefühlen herum. Schließlich hatten sie früher auf den Risiko-Hitlisten, die die Magazine alle paar Tage neu publizieren, im Multiple-Choice-Verfahren angekreuzt:

"Ich hatte meine erste Regel vor dem zwölften Lebensjahr." - "Ich bin erst nach meinem 50. Lebensjahr in die Menopause gekommen." - "Ich nehme die Pille." - "Ich bin kinderlos." - "Ich habe mein erstes Kind mit 35 gekriegt." - "Ich habe nie gestillt." - "Ich esse zu fett."  - "Ich habe Übergewicht." - "Ich bewege mich wenig." - "Ich rauche." - "Ich bin psychisch labil."
Bei "ein bis zwei Ja-Antworten" hätten sie "sofort einen Arzt aufsuchen" müssen. Was sie nicht taten. Deshalb glauben diese Frauen nun, sie seien selbst verantwortlich für den Ausbruch der tödlichen Krankheit.

Dabei weiß niemand genau, warum und wie Brustkrebs entsteht. Bis Anfang der 90er wurde selbst im forschungsfreudigen Amerika nur wenig in die Erforschung der Ursachen investiert. In Deutschland wird bis heute überhaupt nichts getan. Nicht ein Pfennig aus Steuergeldern fließt hierzulande in die Brustkrebs-Forschung.

Dabei wird in Deutschland allein 1996 voraussichtlich bei 42.000 Frauen die Diagnose: Brustkrebs gestellt, etwa 17.000 werden daran sterben. Tendenz steigend. Jede zehnte deutsche Frau wird irgendwann in ihrem Leben von Brustkrebs befallen. Vor 20 Jahren noch war es "nur" jede 18. Das Brustkrebsrisiko hat sich also innerhalb einer Generation fast verdoppelt!

Früher galt Brustkrebs als "Alterskrankheit". Heute ist er die häufigste Todesursache bei 45- bis 55jährigen Frauen. Immer mehr und immer jüngere erkranken daran, und die Tumore werden immer aggressiver. Der Kieler Toxiloge Prof. Dr. Otmar Wassermann spricht im Zusammenhang mit der Nachlässigkeit der Forschung deshalb von einem "Genozid an Frauen": "Wenn der Hoden- oder Prostatakrebs im gleichen Maße zunähme, würde innerhalb weniger Wochen ein Forschungsetat von 100 Milliarden bereit gestellt."

Was AIDS für homosexuelle Männer ist, ist Brustkrebs für Frauen: eine Epidemie, die manche Ärzte gerne als "Strafe Gottes" werten. Bei den Schwulen ist es der Verstoß gegen die heterosexuelle Norm und die Sünde Sex, bei den Frauen die Unerhörtheit, aus der Rolle ausgebrochen zu sein. Denn angeblich soll das Risiko bei Frauen, die nie gebaren oder stillten, um "ein Mehrfaches" erhöht sein. Das gleiche gilt für die sogenannten "Spätgebärenden", die das erste Kind erst mit 35 oder mit 40 bekommen.

Auch die Einnahme der Pille soll "risikofördernd" wirken. Hinzu kommt der Risikofaktor "höherer Lebensstandard", gepflegt von gestreßten Karrierefrauen, die Alkohol trinken, rauchen und als Singles in Großstädten wohnen.

Die Experten Heyden und Wiesemann zum Beispiel listen in einem aktuellen Aufsatz für eine Wissenschaftszeitschrift als selbstverschuldete, nämlich "beeinflussbare Risikofaktoren" auf: "Alter bei der 1. Lebendgeburt über 30, Kinderlosigkeit, kein oder nur kurzfristiges Bruststillen, körperliche Inaktivität."

Sodann zitieren die beiden Mediziner ausführlich aus einer US-Studie über schwarze Frauen, die bis in die frühen 60er Jahre viel seltener an Brustkrebs erkrankten als ihre weißen Geschlechtsgenossinnen.

Ist Brustkrebs eine 
Emanzipations-
krankheit?

"Ihre Schutzfaktoren" vor Brustkrebs waren, behaupten die Herren Experten, "jugendliches Alter bei der ersten Geburt; durchschnittlich 12 Schwangerschaften; regelmäßige, mindestens einjährige Stillzeit pro Kind und starke, körperliche Arbeit." Sollen wir Frauen also alle wieder Gebärmaschinen und Sklavinnen werden, um "das Risiko Brustkrebs" zu vermindern? Ist Brustkrebs eine Emanzipationskrankheit? Und verdienen wir ihn darum zu recht?

"Unsinn", sagt Professor Wassermann, der sich über die "dümmliche und rücksichtslose Einstellung" der meisten seiner Kollegen empört: "Wir müssen uns endlich von diesem monokausalen Denken lösen. Menschen sind komplexen Einwirkungen ausgesetzt. Allein die 30.000 Inhaltsstoffe beim Rauchen. Oder die Pestizide und andere Umweltgifte. Und die Radioaktivität. Es sind Synergismen, die hinter dem Brustkrebs stecken. Das alles zusammen muß man bewerten. Zusammen mit den Erbanlagen. Zusammen mit den Hormonen. Das ist wissenschaftlich schwierig, aber kein Grund, es nicht zu tun."

In USA werden inzwischen großangelegte, epidemiologische Studien gemacht, auf der Basis von 30.000 und mehr betroffenen Frauen. In Deutschland ist das nicht möglich, weil es noch nicht einmal ein bundesweites "Krebsregister" gibt. "Es müsste eine ganz detaillierte Erfassung sein", weiß Prof. Wassermann, "die sich auf winzige Einheiten stützt, am besten so klein wie Dörfer." Nur so erhalte man Aufschluss über regionale und lokale Unterschiede bei der Brustkrebsverbreitung. 

Außerdem müssten, in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern, die Patientinnen genau befragt werden:

"Wo und wie wohnt sie? Wo arbeitet sie? Wie hoch ist die Verkehrsdichte in ihrem Wohnort? Werden in ihrer Nähe Pestizide eingesetzt? Kommt sie mit PCB, DDT und Lindan in Berührung? Gibt es Radioaktivität? Wie war ihr Ernährungsverhalten nach Tschernobyl?"

Im Gegensatz zu USA, Großbritannien, Holland, Schweden und Norwegen sind solche Befragungen in Deutschland verboten - "aus Datenschutzgründen". Nicht nur Otmar Wassermann hat den Eindruck, dass "deutsche Daten besonders schützenswert" sind: "Aber nicht im Interesse der Frauen, sondern im Interesse der Industrie." Auch das "Robert-Koch-Institut" bedauert, dass in Deutschland "auf die internationalen Ergebnisse zurückgegriffen werden muss", denn: "In anderen Ländern finden sich in der Regel auch andere kulturelle, ethnische, klimatische, sozioökonomische und weitere unterschiedliche Bedingungen."

So erkrankt heute jede achte US-Amerikanerin an Brustkrebs, jede neunte Britin und Schwedin, jede zehnte Deutsche - aber nur jede 20. Japanerin, Chinesin oder Afrikanerin. Kein Forscher und keine Forscherin kann diese Unterschiede bis jetzt erklären.

Mit "Prävention" lässt sich nicht so viel verdienen wie mit "Früherkennung".

Wüsste man, wie, wo, wann und warum Brustkrebs entsteht, könnte die Krankheit im Vorfeld bekämpft oder gar verhindert werden. Aber mit "Prävention" lässt sich auf Dauer nicht so viel verdienen wie mit "Früherkennung" und "Behandlung". In die Entwicklung von neuen Gen-Test-Verfahren, Mammographie-Apparaten, Ultraschallgeräten, Computertomographen, holographischen Interferometern, Bestrahlungsmaschinen, Hyperthermien, Hochdosis-Chemo-, Hormon-, Immun- und Gentherapien werden Millionen gesteckt. In Ursachenforschung keinen Pfennig.

Am liebsten würden die Röntgenärzte, deren Haupteinnahmequelle Mammographien sind, durch von Krankenkassen finanzierte Reihenuntersuchungen die Brüste aller Frauen ab 40 einmal im Jahr durchleuchten. "Ab dem 40. Lebensjahr sind Mammographien in ein- bis zweijährigen Abständen die einzige Möglichkeit, Brustkrebs rechtzeitig zu entdecken", behauptet der Radiologe Prof. Volker Barth aus Esslingen - und verschweigt, dass bei jüngeren Frauen das Brustgewebe zu dicht für die Röntgenstrahlen ist.

Erst nach den Wechseljahren, wenn die Brust überwiegend aus Fettgewebe besteht, wird das Röntgenbild klarer. Deshalb empfiehlt die amerikanische Krebsgesellschaft nur Frauen über 50, alle ein bis zwei Jahre eine Mammographie.

Häufig sind die Geräte in Deutschland veraltet. 

Was Prof. Barth auch lieber für sich behält: Häufig sind die Geräte in Deutschland veraltet. Viele Gynäkologen und Radiologen können sie nicht richtig bedienen. Und wenn, dann interpretieren sie oft die Aufnahmen falsch. Die "Deutsche Mammographie-Studie" von 1994 ergab, dass die meisten Ärzte die verdächtigen Mikroverkalkungen, die auf einen Tumor hinweisen, erst gar nicht finden oder Geschwulste vermuten, wo gar keine sind.

In Deutschland werden 3,6 Millionen Mammographien im Jahr gemacht. Aber 85 Prozent aller betroffenen Frauen entdecken - durch Abtasten der Brust - ihren Tumor selbst. Dann ist er allerdings häufig schon so groß, dass es zu spät ist.

Um einen einzigen Todesfall durch Mammographie zu verhindern, das ergab die schwedische "Malmö-Studie", müssten 63.264 Frauen mammographiert werden. Vor einer "Überschätzung der Massen-Mammographie" warnen auch australische Wissenschaftler. Und kanadische Forscher finden, "dass beim Massenscreening der Nutzen minimal, der Schaden durch Falschdiagnosen erheblich und die Kosten enorm sind".

Bis Ende der 70er Jahre wurden von Krebs befallene Brüste automatisch amputiert, egal wie groß oder klein der Tumor war. "Den überflüssigen Ballast über Bord werfen, um das Schiff über Wasser zu halten!" forderte erst jüngst wieder ein Chirurg in einem amerikanischen Ärzteblatt. Doch in 60 Prozent aller Fälle werden heute "brusterhaltende Operationsmethoden" angewandt, verbunden mit der Einsetzung von Implantaten. Kosten: zwischen 8.000 und 18.000 Mark pro Operation.

Die silikongelgefüllten Implantate sind in USA inzwischen fast alle verboten, weil sie in Verdacht stehen, Autoimmunkrankheiten auszulösen (siehe auch S. 88). Aber auch die mit Kochsalzlösungen, Sojaöl und Zuckerwasser gefüllten Brustkissen sind umstritten, da sie häufig nicht steril sind. So verfolgte der kanadische Forscher Dr. Pierre Blais die Spur eines seltenen Pilzes, den er in einem Kochsalz-Implantat entdeckt hatte, bis zum Pilzherd in der Gegend von Paso Robles, dem Standort des Implantatherstellers "Surgitek".

Um jedes Brust-Implantat bildet sich immer eine sogenannte Narben- oder Gewebekapsel, eine Reaktion des Immunsystems auf den Fremdkörper im Organismus. "Diese Kapsel ist an sich schon eine Art Entzündung", sagt Dr. William Shaw, Chefarzt der Abteilung für plastische Chirurgie an der "University of California" in Los Angeles: "Eine derartige chronische Entzündung kann körpereigene Wirkstoffe auf den Plan rufen, die wiederum einige unangenehme Symptome verursachen können, zum Beispiel eine Überempfindlichkeit der Brust."

Bei fünf Prozent aller Implantate tritt eine Kapselfibrose auf.

Häufig kommt es zu einer sogenannten "Kapselfibrose". Dann zieht sich das Narbengewebe so eng um das Implantat zusammen, dass die Brust schrumpft, wie ein Hartgummiball wirkt und heftig schmerzt. Bei fünf Prozent  aller Implantate trete diese Fibrose auf, schreibt Lilo Berg in ihrem "Brustkrebs"-Buch. Prof. Olivari aus Wesseling geht von zehn Prozent aus, der amerikanische Chirurg Henry Jenny von 27 Prozent, die Stiftung Warentest schätzt "bis 60 Prozent".

Früher wurde die verhärtete Kapsel von außen manuell "geknackt", damit sich das Implantat wieder ausdehnen konnte. Dabei riss oft die Hülle der Polster, und die Implantatfüllung - meist flüssiges Silikon - lief in den Körper aus. Heute wird vor allem die "offene Kapselsprengung" angewandt. "Ein zweiter Eingriff, eventuell verbunden mit dem Wechsel des Implantats", heißt es in einem "Merkblatt zum Aufklärungsgespräch mit dem Arzt/der Ärztin über den Wiederaufbau der Brust":
"Dies schließt freilich eine neuerliche Schrumpfung nicht aus." Folge: Die krebskranke Frau, deren Immunsystem ohnehin stark strapaziert ist, muss wieder unters Messer. Dr. Hans Rudolph vom Präsidium der "Deutschen Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie" warnt davor, "solche Operationen als harmlose Routineeingriffe abzutun".

Auch die Übertragung von körpereigenem Gewebe ist nicht harmlos. Wird Haut-, Fett- und Muskelgewebe von Rücken oder Bauch in die Brust transplantiert, dauert das Stunden, drei bei der sogenannten "Schwenkklappenplastik" vom Rücken, sechs bei der vom Bauch. Die Operation wird unter Vollnarkose gemacht.

Selbst plastische Chirurgen wie der sensibilisierte Professor Olivari behaupten, dass Frauen, "die mit einer neuen Brust nach Hause kommen, eine große psychische Erleichterung verspüren". Amerikanische Untersuchungen bestätigen das nicht.

In der Studie von Wendie Schain zum Beispiel stellte sich heraus, "dass viele Frauen - etwa 40 Prozent - während der ganzen Zeit Angst vor einem Rückfall hatten, unabhängig davon, ob ihre Brust erhalten oder abgenommen worden war". Beide Gruppen - die ohne Brust und die mit Kunstbrust - hatten das Gefühl, "keine Kontrolle mehr über das eigene Leben zu haben". Zwar seien die brusterhaltend operierten Frauen "zufriedener mit ihrem Körperbild" gewesen, aber "sie hatten trotzdem fast ebenso viele Schwierigkeiten im sexuellen Bereich wie die Frauen nach Brustamputationen".

Die Amerikanerin Anne Kaspar befragte Frauen im Alter zwischen 29 und 72 Jahren, denen die Brust abgenommen worden war. Vor der Operation seien alle "überaus besorgt" darüber gewesen, dass ihre "Weiblichkeit zerstört würde". Doch mit Ausnahme einer Patientin entdeckten nach der Operation alle, dass ihr "Frausein nicht von der Existenz zweier Brüste" abhängt: "Sie waren sich ihrer weiblichen Identität, unabhängig von gesellschaftlichen Forderungen, bewusst geworden."

Statt "an den Patientinnen herumzuoperieren" besser "ihr Selbstbewusstsein stärken".

Sieglinde Esders von der deutschen "Selbsthilfe Silikongeschädigter Frauen" sagt: "Nach unserer Erfahrung kann ich keiner Frau zum Implantat raten." Statt "an den Patientinnen herumzuoperieren", sei es besser, "ihr Selbstbewusstsein zu stärken".

Doch wer soll das in Deutschland tun? Die "Frauenselbsthilfe nach Krebs"? Die will "Schicksalsgefährten Hilfe anbieten und Hoffnung schenken" - Motto: "Das Leben ruft mich immer wieder neu." Das klingt eher pastoral als kämpferisch. Da sind aus Amerika ganz andere Töne zu hören.

Dort verstecken sich die Frauen nicht mehr. Wie die HIV-Positiven "outen" sie sich öffentlich, nennen sich "Überlebende" und zeigen mit der "Pink Ribbon" (Rosa Schleife), die sie tragen: "Seht her! Ich habe Brustkrebs, und ich stehe dazu."

Den Stein ins Rollen brachte 1990 der "Women's Congressional Caucus" (ein überparteiliches Bündnis weiblicher Kongress-Abgeordneter). Sie verlangten Auskunft vom "National Statistical Bureau" (Statistisches Bundesamt), welche Rolle die Frauengesundheit in staatlich geförderten Forschungsprogrammen spielt. "Gar keine", lautete die Antwort.

Die Kongress-Frauen schlugen Alarm, und im Land formierte sich Widerstand. So übergab 1991 die von der Plastischen Chirurgin Dr. Susan Love (siehe auch S. 82) initiierte "National Breast Cancer Coalition" (Nationale Brustkrebs-Koalition) Präsident Bush 600.000 Briefe mit der Forderung, endlich Geld in die Brustkrebsforschung zu stecken. Im Oktober 1993 marschierten Tausende von "Überlebenden" nach Washington und legten Präsident Clinton 2,8 Millionen Unterschriften vor die Tür.

Wenig später verabschiedete der Kongress das "Gesundheitsforschungsgesetz", das staatlich geförderte WissenschaftlerInnen verpflichtet, bei Forschungen die Frauengesundheit zu berücksichtigen. Außerdem wurden 400 Millionen Dollar für die Brustkrebsforschung bewilligt.

Jane Reese Colborne, Vizepräsidentin der "National Breast Cancer Coalition" hält "den politischen Aktivismus" für eine "gute Methode, Ängste zu kanalisieren": "Für mich war dies der nächste Schritt nach der Selbsthilfegruppe.

Es war wichtig, mit anderen Frauen zu sprechen - aber ich wollte über mich hinaus etwas bewegen." Das hat Jane geschafft. Und mit ihr Hunderttausende von Amerikanerinnen, die Brustkrebs haben.

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