Frankreich: Die mutige First Lady

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Im Französischen gibt es ein Wort, das Brigitte Macron perfekt beschreibt: Sie ist solaire, ein Mensch, der das Licht an und auf sich zieht. Das lässt sich nur begrenzt übersetzen, denn es bedeutet viel mehr als nur ein sonniges Gemüt zu haben. Solaire? Sie selbst sagt von sich, sie habe „eine gewisse Begabung zum Glück“.

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Als französische First Lady braucht sie dringend dieses Talent zum Glück. Première Dame? Brigitte Macron mag diese Bezeichnung nicht. Sie sei weder Dame, noch stehe sie an erster Stelle, sagte sie in dem ersten großen Interview, das sie nach Amtsantritt ihres Mannes gegeben hat. Als die französische Elle Ende August damit herauskam, bescherte es dem Frauenmagazin einen Auflagenrekord: Drei Millionen Mal hat sich die Ausgabe verkauft, mehr als jede andere seit zehn Jahren.

So spontan und offenherzig Brigitte während des Wahlkampfs war, so selten sind jetzt die Gelegenheiten, da sie sich öffentlich äußert. Damals ging sie auf Journalisten zu, schüttelte Hände, erkundigte sich interessiert nach einem Interview mit dem Kandidaten: Wie ist es gelaufen? Und sie durfte auch noch komplett ungestraft ihren Mann mit der Jungfrau von Orléans vergleichen. Inzwischen hält sie sich sehr bewusst im Hintergrund. Nur einmal hat sie spontan das Wort ergriffen: „Es reicht!“, erklärte die Frau des Präsidenten nach der Weinstein-Affäre und ermunterte alle Frauen, endlich das Schweigen zu brechen.

Brigitte Macron lässt in Frankreich kaum jemanden gleichgültig: Es ist diese Mischung aus bürgerlicher Höflichkeit und konventionsloser Freiheit, die an ihr fasziniert. Für die einen ist sie die Ikone einer neuen Weiblichkeit, die den Jugendwahn und alle Womanizer dieser Welt alt aussehen lässt. Für die anderen ist sie eine Projektion für Frauenhass, den man eigentlich ein für allemal der Vergangenheit zugerechnet hatte. Sie ist einerseits Idol und Symbolfigur, die sämtliche Erwartungen und Hoffnungen der Nation auf sich vereint. Andererseits wird sie verbal niedergemacht, weil ihre gesellschaftliche Unbefangenheit manchen Leuten ein Spiegelbild vorhält und sie mit ihren eigenen Zwängen konfrontiert.

Heilige oder Hure! Es ist, als sei die ungewöhnliche Verbindung eines jungen Präsidenten mit einer Frau, die altersmäßig seine Mutter sein könnte, ein Katalysator, der alte Klischees wieder aufleben lässt. Dass sie die frauenfeindlichen Spitzen, die bis heute gegen sie abgeschossen werden, nicht persönlich nimmt, mag ein Beweis von Brigitte Macrons Charakterstärke sein. „Ich werde mir mein Verhalten nicht von der mittelmäßigen Perfidie vorschreiben lassen“, kontert sie. Tatsächlich hat sie, um die Beziehung mit einem Mann durchzusetzen, der so alt ist wie ihre jüngste Tochter, schon ganz anderes durchgestanden. Es zeigt aber auch, wie es um Frauenrechte und Feminismus bestellt ist in einem Land, das immerhin etliche Ikonen des Feminismus hervorgebracht hat.

In Frankreich erzählt man sich, dass auf dem Élysée-Palast ein Fluch liege, der alle Frauen unglücklich mache. Brigitte Macron kann mit derlei Aberglauben wenig anfangen. Sicher, in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten war der Élysée-Palast für die meisten Ehefrauen oder Lebenspartnerinnen der Präsidenten ein goldener Käfig oder zumindest ein schmutziger Schauplatz von Streit, Affären, zerbrochenen Ehen.

Carla Bruni-Sarkozy wollte gar nicht erst einziehen. Sie blieb in ihrer gemieteten Villa im feinen 16. Arrondissement. Valérie Trierweiler, die Lebensgefährtin von François Hollande, soll teure Vasen zerschlagen haben, bevor sie in eine Nervenklinik eingeliefert wurde, weil er sie über Monate betrogen hatte. Danielle Mitterrand wusste immerhin Bescheid über das Doppelleben ihres Mannes. Bernadette Chirac ebenso. Brigitte und ­Emmanuel Macron sind das erste Präsidentenpaar, das ein gemeinsames Schlafzimmer hat, heißt es.

Ein Fluch auf dem Élysée? „Ich bin da ganz auf der Seite von Leibniz und glaube an ein gerechtes Gleichgewicht von Glück und Unglück“, antwortet die Ex-Lehrerin Brigitte.

Das Hochglanzmagazin Paris Match hatte gleich nach Amtsantritt ein Familienfoto der Macrons auf den Stufen des Élysée-Palastes veröffentlicht. Zu sehen sind die drei erwachsenen Kinder von Brigitte und ihre sieben Enkelkinder, die Macron gern als „unsere Kinder“ bezeichnet und die ihn, ganz unfranzösisch, „Daddy“ nennen. Als Jean-Marie Le Pen vor der Wahl unkte, Macron spreche von Zukunft, aber habe keine eigenen Kinder, soll er auf die Palme gegangen sein: „Ich habe Kinder und Enkelkinder des Herzens!“

Seit Macrons im Mai im Präsidentenpalast eingezogen sind, wirkt sie alles andere als unglücklich. „Brigitte Macron ist intelligent, kultiviert, fröhlich und charismatisch. Sie nutzt ihre Rolle, um im Élysée-Palast die Lichter wieder anzuzünden und den Ruf, ein verfluchtes Haus zu sein, hinter sich zu lassen“, urteilt Joëlle Chevé, Autorin eines jüngst veröffentlichten Buches über die Frauen im Élysée (L’Élysée au féminin).

Als ehemalige Lehrerin will Brigitte Macron sich für Erziehung stark machen und autistischen Kindern helfen, einfach ist ihre Rolle nicht: „Ihr Spielraum ist nicht sehr groß“, sagt Chevé, „man wird ihr nicht verzeihen, wenn sie sich in die offizielle Politik einmischt.“ Als First Lady steht sie in Frankreich jedenfalls nicht nur in Bezug auf ihr Engagement unter ständiger Beobachtung der Öffentlichkeit. Brigittes Frisur, das Make-up, die Höhe ihrer Absätze, die Länge ihrer Röcke: nichts bleibt unkommentiert. 

Fakt ist: Brigitte Macron hat die schweren Vorhänge im Élysée abhängen, die dicken Teppiche entfernen lassen und sich gewundert, dass einige Tapisserien seit 50 Jahren nicht gereinigt worden sind. Sie will nicht nur das Haus entstauben. Und sie scheint ausreichend Erfahrung, Lebensweisheit und auch Stilsicherheit zu besitzen, um diese nicht ganz einfache Rolle perfekt und irgendwie auch lustvoll auszufüllen. Untrügliches Zeichen ihrer Beliebtheit: Die Zahl der Briefe, die sie täglich erhält, lässt nicht nach. Es sind noch immer weit über hundert am Tag.

Anders als andere Politikerfrauen ist Brigitte Macron den Franzosen nicht schon Jahre zuvor vertraut gewesen. Von ihrer Existenz erfahren haben sie erst im Sommer 2015, als sich Emmanuel Macron zum ersten Mal zusammen mit seiner Ehefrau vor den Kameras zeigte. Gemeinsam schritten der damalige Wirtschaftsminister und seine Frau Brigitte über den roten Teppich zu einem Galadinner, das zu Ehren des spanischen Königs gegeben wurde. Macron war damals der Jungstar der Regierung Hollande. Ein Sonnyboy. Auch Madame an seiner Seite strahlte.

Wenige Tage später war das Foto des Paares auf dem Cover des Peoplemagazins Paris Match zu sehen, auf dessen inneren Seiten die Liebesgeschichte des Ministers mit seiner ehemaligen Lehrerin der Theater-AG erzählt wurde, als sei es ein moderner Ritterroman. Die ganze Grande Nation erfuhr: Emmanuel verliebte sich mit 17 in seine Lehrerin – und sie ließ sich einige Jahre später für ihn scheiden.

Die Frau an der Seite des smarten Ministers, dafür brauchte es keine mathematischen Gaben, hätte seine Mutter sein können. „Reif wie eine Birnentorte“ witzelte schamlos ein Kommentator, der wie viele den Altersunterschied in die andere Richtung niemals für ein Problem gehalten, wenn überhaupt auch nur bemerkt hätte.
Ja, Brigitte Macron ist also 24 Jahre älter als ihr heute 39-jähriger Mann. Sie muss deshalb den Herrenwitz von Donald Trump aushalten, der ihr lobend auf die Schulter klopft, dass sie sich dafür aber „gut gehalten“ habe. Sie muss den Shitstorm im den so genannten sozialen Netzwerken ignorieren, wo über die Länge ihrer Röcke spekuliert wird, als ginge es um Aktienkurse oder das Heil der Nation.

Als Macron einen offiziellen Status für sie festlegen wollte, gab es eine Internetpetition dagegen. In kürzester Zeit hatten sich 300.000 Franzosen gefunden, die protestierten. Wogegen? Es ging gar nicht darum, ein eigenes Budget, geschweige denn ein Gehalt für die First Lady einzuführen. Nein, vielmehr sollte eine verlogene Situation ein Ende finden, in der die Lebenspartnerin des Staatschefs zwar offiziell keine Funktion hat, de facto aber Frankreich repräsentiert.

Drei Monate nach Amtsantritt ruderte Macron zurück: kein Status, aber eine „offizielle Rolle“ hat die französische First Lady jetzt. Sie werde mit dem Staatschef Frankreich auf internationaler Ebene präsentieren und sich in den Bereichen Erziehung, Gesundheit und Kultur engagieren, steht jetzt vorsichtig in der „Transparenz-Charta“, die der Élysée Ende August veröffentlicht hat.

Brigitte Macron hat nicht nur ein gewisses Talent zum Glück, sondern auch Übung darin, misogyne Anfeindungen durch Scherze zu entschärfen. Während des Wahlkampfs sagte sie lachend, Emmanuel müsse es jetzt schaffen und Präsident werden, denn: „Können Sie sich vorstellen, wie ich in fünf Jahren aussehe?“ Im Interview mit Elle erklärte sie, ihr Mann habe eigentlich nur einen einzigen Fehler, „sein Alter“. Und weiter: „Die zwanzig Jahre Unterschied, alles was darüber gesagt wurde, ist unbedeutend. Natürlich sitzen wir am Frühstückstisch, ich mit meinen Falten, er mit seiner Frische, aber so ist das. Doch wenn ich diese Wahl nicht getroffen hätte, hätte ich ein falsches Leben gelebt. Ich spürte, dass ich ‚diese Liebe‘, wie Prévert das nennt, ausleben musste, um glücklich zu sein.“

Das Glück, das Brigitte Macron ausstrahlt, ist kein oberflächliches. Es hat nichts mit Status, Einkommen oder Erfolg zu tun. Der Schriftsteller Philippe Besson, ein guter Freund von ihr, der den Wahlkampf begleitet und ein Buch darüber geschrieben hat, spricht gerne von einer frühkindlichen Wunde, die alles geändert habe. Inzwischen hat die Première Dame verraten, was gemeint war: Als sie acht Jahre alt war, kam ihre große Schwester bei einem Autounfall ums Leben. Auch deren Ehemann starb und das Kind, das sie trug. Ein Jahr später starb ihre sechsjährige Nichte. Dieser Verlust hat Brigitte Macron früh gelehrt, dass es Regeln gibt im Leben, die das Leben selbst nicht immer respektiert. Und womöglich hat sie begriffen, dass es nur eine Pflicht gibt: Im Jetzt zu leben.

Brigitte Macron fasziniert weit über die Grenzen Frankreichs hinaus. Pierre-Olivier Costa, seit der Wahl Kabinettschef der Première Dame, ist selbst überrascht, wie viele Menschen im Ausland Brigitte Macron kennen und bewundern. „Die Schnelligkeit, mit der die Macrons in den Élysée gezogen sind, aber vor allem ihre persönliche Geschichte begeistert die Leute“, sagt Costa. „Sie haben das Gefühl, dass die Gesellschaft jetzt reif ist für ungewöhnliche Lebenswege und fühlen sich durch Brigittes mutige Entscheidungen bestärkt“.

Es ist, als habe Frankreich jetzt seine eigene Version der Michelle Obama, deren Aufzüge und Accessoires notiert, debattiert, goutiert und kritisiert werden als sei sie das It-Girl der Saison. Die engen Jeans auf Sizilien? Ein Stil „à la Kate Middleton“ findet die Elle. Das weiße Minikleid mit Reißverschluss, in dem sie Melania Trump in Paris empfing? Ein „schrulliger Krankenschwesterlook“, findet die britische Daily Mail, mit dem sie der deutlich jüngeren Melania Trump glatt „die Show stahl“. Übrigens: Die Trumps haben denselben Altersunterschied wie die Macrons, nur umgekehrt.

Am Abend des ersten Wahlgangs hatte Emmanuel Macron seine Frau auf die Bühne geholt und einen Satz gesagt, der vielleicht besser auf eine Examensfeier gepasst hätte: „Ohne sie wäre ich nicht der, der ich bin.“ Ohne sie wäre er auch nicht dort, wo er heute ist. Sie hätte seine Achillessehne sein können, seine größte Schwäche. Aber Brigitte Macron ist des Präsidenten stärkster Trumpf.

Martina Meister
lebt seit 2003 in Frankreich und ist Korrespondentin der Welt

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