Constanze Dennig: Die Tausendsassa

© David Payr
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Na geh! Muss der Mann ausgerechnet auf dem Nachbarbalkon in die Luft gehen? Zu Silvester? Alma Liebekind seufzt. Eigentlich wollte sie ihren Michael zusammen­packen und noch eine kuschelige Nacht mit ihm verbringen. Aber nebenan ist was passiert, und als Ärztin musst du da eben ran. Alma hantelt sich über das vereiste Dach, doch gleich darauf stirbt das Unfallopfer. Oder war es gar kein Unfall? Und will der Sterbehilfeverein, auf den sie stößt, bei seinen todkranken Schützlingen bloß abkassieren?

Eigentlich ist Alma ja Psychiaterin, aber jetzt pfuscht sie mal wieder ihrer Freundin, Wiens coolster Kommissarin, ins Handwerk.

„Böse Samariter“, kürzlich erschienen, ist Constanze Dennigs dritter Krimi. Der erste Band soll demnächst für den ORF ­verfilmt werden.

Die Parallelen zwischen der Autorin und ihrer Protagonistin sind nicht zu übersehen: Auch Dennig ist Psychiaterin und Neurologin, sie ordiniert in Graz und Wien. Ganz wie Alma gibt sich auch ihre Schöpferin mit nur einem Beruf nicht zufrieden. Dennig, 63 und Mutter zweier erwachsener Kinder, leitet auch noch das Grazer Theater am Lend, schreibt Dramen und baut Klappmaulpuppen. Und sie ist ein feministisch denkender Mensch.

Wir treffen uns im abendlichen Halbdunkel vor dem Theater im einstigen Grazer Arbeiterbezirk Lend. Constanze Dennig knipst das Licht an. Das Kunstcafé mit der langen Bar kommt zum Vorschein und eine rothaarige Frau, die sich noch energischer bewegt als ihre Locken.

Constanze Dennig hat das Theater vor zehn Jahren zusammen mit einer Kollegin aus der Theaterszene, Edith Zeier-Draxl vom Verein uniT, übernommen. Dennigs Stücke waren zuvor in verschiedenen Theatern zu sehen, „irgendwann ist die Idee aufgetaucht, dass ich unabhängig sein möchte.“ Die beiden mieteten die Räume. Sie bauten alles komplett um, investierten rund 100.000 Euro. Wie Dennig sich das leisten konnte? „Manche Ärzte fahren einen Porsche, ich habe eben mein Theater“, feixt sie. Bisher schafften die beiden Frauen es immer, finanziell im schwarzen Bereich zu bleiben: Kulturschaffende mieten sich für Veranstaltungen ein, und Zeier-Draxls Verein uniT erhält Förderungen.

Constanze Dennigs erfolgreichstes Stück nennt sich „Extasy Rave“. Es wurde in Wien, Graz und München, in Kiew und Moskau gespielt. Das alteingesessene Moskauer Ermolova-Theater hat es soeben für weitere fünf Jahre auf den Plan gesetzt. In dem Drama muss sich jeder Mensch über 80 einem Test unterziehen, der über sein Weiterleben entscheidet. Das Ergebnis wird in einer Show bekannt gegeben. Hat jemand zu wenige Punkte, geht’s schnurstracks zur finalen Euthanasieparty.

Dennig sieht die Realität nicht so weit entfernt von dieser Dystopie, sie ortet eine „Euthanasie auf Schleichwegen“: Aus Spargründen werde der Ruf nach Sterbehilfe lauter. Als Ärztin weiß sie, wie sehr Menschen am Leben hängen. Viele würden sagen: „Wenn ich todkrank bin, will ich eine Spritze und sterben.“ Doch wenn es ernst wird, sei keine Rede mehr davon. „Und das ist auch richtig“, sagt Dennig. „Wir sind auf der Welt, um zu leben.“

Als Ärztin ordiniert Dennig seit drei Jahrzehnten. Im Geschlechterverhältnis habe sich in dieser Zeit Grundlegendes verändert. „Immer noch putzen Frauen den Dreck weg, immer noch sind sie in der dienenden Rolle. Aber jetzt fällt es ihnen auf.“ Und die meisten wüssten heute: „‚Wenn ich will, kann ich gehen.‘ Und das tun sie auch, selbst so genannte alte Frauen: Es ist keineswegs eine Seltenheit, dass eine 70-Jährige sagt: ‚Mir reicht’s mit dem Grantscherben!‘“

Gleichzeitig fürchtet Dennig den Backlash. „Wir diskutieren über das Binnen-I, und gleichzeitig darf in Österreich ein Teil der Bevölkerung sein Gesicht nicht zeigen und werden 14-jährige Mädchen verheiratet.“ In Wien trügen schon kleine Mädchen das Kopftuch, in manchen Bezirken dürften Frauen nur in Begleitung des Mannes eine Ärztin aufsuchen. Im Theater beschäftigte sie einmal eine Muslimin als Putzfrau, deren Mann erklärte, seine Frau habe gar kein Konto, daher sei der Lohn an ihn zu überweisen. Die Chefinnen versuchten ihm klarzumachen, dass das nicht möglich sei, doch vergeblich: „Von uns hat er es nicht angenommen, ein Mann musste es ihm erklären.“ Die Linken hätten solche Probleme lange verharmlost, bedauert Dennig. „Aber wir können nicht aus falscher Toleranz akzeptieren, dass das, was wir an Frauenrechten erreicht haben, nun wieder verwässert wird.“

In Dennigs Krimis ist die abgeklärte Alma laut Klappentext „im besten Alter, führt eine erfolgreiche Praxis und hat einen knackigen Toyboy, der ihr das Leben versüßt.“ Die künstlerischen Ambitionen dieses „Michelangelo“ kommen über das Konzeptstadium nicht hinaus. Feiert Dennig da ein weibliches Machotum? Sie selbst sieht das nicht so: „Ich kenne einfach viele Frauen, die ihre Männer mit ernähren.“

Die Roman-Alma kämpft ständig mit sich, ob sie nun ein Kind wollen soll oder ob das doch eine miserable Idee sein könnte. Ein Thema, das in ihrer Praxis gehäuft auftaucht, erzählt Constanze Dennig: „Gut ausgebildete Frauen schieben das Kinderkriegen immer weiter auf, bis es irgendwann auf der Stelle sein muss. Sie können dann irrsinnig schlecht damit umgehen, dass sich das weder mit Fleiß noch mit Tüchtigkeit erzwingen lässt.“ Manchmal fixierten sich die Frauen so darauf, dass am Ende auch die Beziehung zerbricht: „Sex auf Befehl ist halt auch nicht so lustig.“

Auch für Alma ist das Thema noch nicht ausgestanden, es beschäftigt sie auch im nächsten, dem vierten Band. Ob sie es wagt, oder ob es vielleicht schon zu spät ist – wir werden sehen.

Gerlinde Pölsler

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Constanze Dennig: Böse Samariter (Haymon, 12.95€)
 

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