Alice Schwarzer schreibt

Frauen unter Verdacht

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Ob sie für "Geld oder Leben" sei, wurde Schavan im Wahlkampf von einem Jung-CDUler gefragt. Die Kandidatin verstand nicht. Der Jungmann schob nach: Da sie keine Kinder und sich für die Karriere entschieden habe, ginge es ihr offensichtlich nur ums Geld... Schwer vorstellbar, dass selbst der ärgste Wirrkopf den amtierenden Kanzler, der bis zu der Adoption im Alter von 60 persönlich kinderlos war, mit einer solchen Frage konfrontieren würde. Und was erst würde so einer, und nicht nur der!, sagen, wenn eine 60-jährige Politikerin zusammen mit ihrem Hausmann ein kleines Kind adoptieren würde?

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Klar ist: Es gelten weiterhin zwei Standards. Wir Frauen sind in den letzten Jahrzehnten zwar aufgebrochen in die Welt, aber wir werden in dieser Welt in jeder Sekunde unseres Lebens mit anderen Augen gesehen, anderen Maßstäben gemessen als die Männer. Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe, manchmal sogar das Gegenteil.

Ein durchsetzungsfähiger Politiker ist stark, eine ebensolche Politikerin ist kalt; ein unmodischer Politiker ist ein gestandener Mann, eine ebensolche Politikerin eine blasse Figur; ein intelligenter Politiker hat Charisma, eine ebensolche Politikerin kein Herz. Und ein Politiker, der sich gerne mit Männern umgibt, ist die Norm; eine Politikerin, die sich gerne mit Frauen umgibt, ist unnormal, ist eine Zicke - ja vielleicht sogar lesbisch?

In der Vergangenheit haben Frauen diverse Strategien entwickelt, um durchzutauchen durch die Phalanx der Frauenverächter. Sie haben dabei eine Palette von Rollen entwickelt, von denen sie hoffen, sie wirkten harmlos genug und würden die Herren der Welt nicht über Gebühr provozieren: Es geht von dem an die väterlichen Gefühle appellierenden "Mädchen" über die allzeit fürsorgliche "Mütterliche" und die hingebungsvolle "Gefährtin", vom geschlechtsneutralen "Kumpel" bis hin zur potenziellen Geliebten: der Frau, die suggeriert, sie stünde zur Verfügung - ob sie das dann auch wirklich tut, ist zweitrangig, der Schein genügt oft schon.

In all diesen Rollen sind die Frauen ein Stück weitergekommen im Männerland - allerdings immer nur bis zur maximal vorletzten Stufe der Karriereleiter. Auf der allerletzten Stufe nutzt dann kein Lächeln mehr. Da wird es ernst, blutig ernst.

Jetzt betritt ein neuer Typus Frau die Bühne. Der versucht ganz einfach den aufrechten Gang. Annette Schavan, 49, verkörpert diesen Typus. Die Frau verzichtet nicht auf Freundlichkeit, aber auf jegliches weibliche Kokettieren, macht bella figura in Anzügen und setzt auf Kompetenz. Kurzum: Sie ist die erste Intellektuelle, die in der deutschen Politik nach der Macht greift. Das musste schiefgehen. Denn sowas ist nicht normal.

Der Versuch der Brandmarkung als "Lesbe" ist in dem Fall keine große Überraschung. Denn welche Art von Frau gilt als lesbisch? Keineswegs ja nur die, die tatsächlich von Frauen träumt oder gar ihr Leben mit Frauen teilt. Sondern jede, die sich nicht permanent an Männer richtet. Jede, die glaubt, es genüge, die Sache gut zu machen und Freund wie Feind ernst zu nehmen. Das sind doch keine normalen Frauen! So tönte es schon zu Beginn der Neuen Frauenbewegung (Woraufhin eine amerikanische Feministin den schönen Satz prägte: "Sie haben uns schon lesbisch genannt, als wir selber noch nicht wussten, dass wir es sind").

Jetzt betritt dieser neue Frauentypus offen die politische Bühne. Schavan verkörpert ihn in Reinkultur, Merkel gebrochen. Es trifft die Vorsitzende noch sichtbar, wenn ihre Weiblichkeit infrage gestellt wird. Und es soll sie auch treffen. Wenn zum Beispiel der Focus Anfang Dezember nicht mit der eisernen, sondern mit der "einsamen Lady" titelte, dann meint er damit durchaus nicht nur Merkels Einsamkeit in der Partei, sondern auch ihre Einsamkeit als Frau (Davor schützt die Nicht-Mutter dann noch nicht einmal der Ehemann im Hintergrund - und eine Ehekrise würde gleichzeitig auch zum beruflichen Desaster).

Auch die Fotomontage zu dem Focus-Artikel spricht Bände: Sie zeigt Merkel als die Lady beim 'Dinner for one', die bekanntermaßen ihren Butler dafür bezahlt, dass er ihr einmal im Jahr ganz und gar zu Diensten steht. Einsam. Frustriert. Sexuell frustiert? Das hat sie davon! Eine Frau, die Kanzlerin werden will.

Frauen (dicht) an der Macht sind auf fremdem Terrain. Sie laufen stärker noch als Männer Gefahr, ihre Wurzeln zu verlieren - und damit ihre Authentizität. Ein Problem von vielen der Vorsitzenden Merkel scheint zu sein, dass sie dabei ist, ihre Wurzeln als Ossi und als Frau zu vergessen. Nur: Die sind ihre einzige Lobby.

Wobei das Problem der emanzipierten Frauen weniger die Basis ist, nicht nur der vielzitierte Schwarzwaldbauer und schon gar nicht die Bäuerin. Denn ganz wie Angela Merkel anno 2000 wurde auch Annette Schavan 2004 von der Basis hochgespült: Die zu Beginn des Wahlkampfes als "absolute Außenseiterin" geltende Bildungsministerin bekam fast 40 Prozent der Stimmen im Ländle - und ist damit von nun an die Frau Nummer Zwei bei den Konservativen im Land. Sie holte diese 40 Prozent, obwohl unter den stimmberechtigten Parteimitgliedern nur 20 Prozent Frauen sind. Was heißt: auch die Männer haben kräftig für Schavan gestimmt.

Den beiden auf dem Fuße folgt in der CDU-Frauenriege zur Zeit ein rares Phänomen, das es geschafft hat, alle Frauenrollen 150-prozentig zu erfüllen und allen Frauenfeinden damit vorauseilend den Wind aus den Segeln zu nehmen: Ursula von der Leyen, 46, Mutter von sieben Kindern, Ärztin, Ministerin in Niedersachsen und Blondine noch dazu. Zu allem Überfluss kann die Tochter des Ministerpräsidenten Albrecht auch noch einen Mann vorweisen, der zwar Wissenschaftler ist, sich aber "selbstverständlich die Familienarbeit mit mir teilt". Na bravo. Nur wuchtet natürlich nicht jede normal Sterbliche so ein Super-Woman-Leben. Alle anderen Frauen stehen unter Verdacht.

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