Ein gerechter Krieg?
Ich hätte nicht gedacht, dass mir mal „kriegstüchtiger“ zumute sein würde als Außenminister Wadephul. Aber im Israel/Iran-Krieg ist das der Fall. Dabei sind meine Gefühle gemischt, sind Bedrückung und Hoffnung zugleich. Einerseits: Noch ein Krieg, noch mehr Tote. Andererseits: Es trifft den Gottesstaat Nr. 1, ein Regime, das seit fast einem halben Jahrhundert seine Bürgerinnen und Bürger terrorisiert, foltert und tötet. Ein Regime, das mit dem von ihm ausgehenden islamistischen Kreuzzug die ganze Welt in Schrecken versetzt. Wäre also der Fall des Mullah-Staates ein ähnliches Signal wie der Fall der Mauer? Würde ein Regimewechsel in Iran die weltweite Bedrohung durch den politischen Islam stoppen – so wie es der Mauerfall mit dem Kommunismus getan hat? Der französische Islamwissenschaftler Gilles Kepel vermutet das.
In Bezug auf den Ukrainekrieg habe ich meine grundsätzliche Position zum Krieg deutlich gemacht. Lieber 1000 Tage Verhandlungen als 1 Tag Krieg. Aber in diesem Fall sehe ich das anders. Seit der Machtergreifung Khomeinis 1979 ist die Vernichtung Israels für Iran Staatsräson. Und quasi ebenso lange arbeitet Iran an der Bombe. Ich habe es immer schon für total naiv gehalten, zu glauben, der Westen könne den Iran zum freiwilligen Verzicht auf die Bombe bewegen. Warum sollte er? Aus seiner Sicht ist nachvollziehbar, dass Iran die Bombe braucht. Denn nur sie schützt vor Angriffen von außen, vor einer „Befreiung“.
Wäre der Fall des Mullah-Staates ein ähnliches Signal wie der Fall der Mauer?
Israel weiß das. Verschärfend kommt hinzu, dass den fanatischen Fundamentalisten in Teheran die fanatischen Fundamentalisten in Jerusalem gegenüberstehen. Diese Politiker noch rechts von Netanjahu plädieren im Palästinenserkonflikt für eine Evakuierung oder gar Vernichtung des ganzen Volkes.
Bei den von allen Seiten, auch den arabischen Staaten, funktionalisierten Palästinensern ist in der Tat heikel, dass sie inzwischen dank der islamistischen Agitation in ihrem Namen selber in weiten Teilen Islamisten geworden sind. Was keineswegs das brutale, menschenverachtende Vorgehen des israelischen Regimes in Gaza rechtfertigt. Aber was es erklärt. Vor allem nach dem 7. Oktober 2023, an dem 1.139 Menschen ermordet und 251 Geiseln entführt wurden. Für die noch lebenden Geiseln ist dank des Angriffs von Israel auf Iran vermutlich die letzte Hoffnung geschwunden.
Auf beiden Seiten sterben wieder Menschen. Aus Teheran kommen dramatische Berichte über die Folgen der Bombardierung durch Israel. Das Grauen in Tel Aviv sehen wir allabendlich live. Und dennoch gibt es keine Hoffnung auf einen „Deal“ in Verhandlungen. Denn für beide Länder ist die Bedrohung durch den jeweils anderen existenziell. Israel kann nicht nachgeben, solange die Bombe in die Hand der Gottesstaatler gelangen könnte (Die übrigens nicht nur bis Tel Aviv reichen würde, sondern bis Berlin). Den Mullahs ist es egal, wie es ihrer Bevölkerung geht, Hauptsache Allah. Sie sind Weltmeister im Hinrichten. Allein in 2024 wurden über 900 Menschen getötet. Offiziell. In Wahrheit werden es noch viel mehr sein.
Das alles ist das Resultat von einem halben Jahrhundert Versäumnisse auch des Westens.
Bei dem Wüten der Gottesstaatler steht die islamistische Obsession der Verhüllung der Frauen an erster Stelle. Aber auch alle Männer, die nicht bei Drei auf den Knien liegen. Ihren Protest bezahlen die RegimegegnerInnen teuer, mit Folter und Gefängnis, mit ihrem Leben oder, im besten Fall, dem Exil. Dass gleichzeitig im Westen Frauen für ein „Recht auf das Kopftuch“ plädieren, ist nur noch zynisch.
Das alles ist das Resultat von einem halben Jahrhundert falscher Toleranz und Versäumnissen auch des Westens, schlimmer noch: von der Unterstützung der Gottesstaatler, aus eigenen, anderen Interessen. In den 1980er Jahren legte Amerika den sogenannten „grünen Gürtel“ (grün wie das Stirnband der Märtyrer) um den Süden der Sowjetunion. Sie wollten so das verhasste kommunistische Regime bedrängen. Das gelang. In Afghanistan zum Beispiel verjagten die von den USA geförderten Taliban die sowjetische Besatzung (unter der die Frauen studieren konnten). Die Folgen kennen wir. Der Westen trägt die Verantwortung dafür, dass der Teufel aus der Flasche kam.
Willige Helfer der Islamisten begannen ihren Marsch durch die Medien, Parteien, NGOs.
Mitte der 1980er Jahre landeten die islamistischen Agitatoren mitten in den westlichen Metropolen, nicht zuletzt dank der Unterstützung der Kräfte, die in Frankreich „Islamo-Gauchisten“ genannt werden, die Islam-Linke. Ihr gemeinsamer Nenner: Antikolonialismus und Anti-Imperialismus. Jeder, der vor diesem neuen Islamo-Faschismus warnte, darunter ich, wurde der Kritik am Islam an sich bezichtigt und als „Rassist“, wenn nicht sogar als „Nazi“ gebrandmarkt.
Nun knickten die meisten Kritiker ein, aus Angst. Die willigen Helfer der Islamisten begannen ihren Marsch durch die Medien, Parteien und NGOs, wo sie bis heute ungestört wirken. Diese linksextremen, vom Islamismus durchwirkten Kräfte erdrücken zusammen mit der genau deswegen erstarkten extremen Rechten heute die demokratische Mitte. Das ist die große Gefahr für Länder wie Deutschland oder Frankreich. Und sie unterwanderten auch erfolgreich die Universitäten. Die nicht nur propalästinensische, sondern auch offen antijüdische Stimmung an bisher fortschrittlichen Universitäten auch in den USA ist vor dem Hintergrund, dass diese Lehrstätten seit Jahrzehnten Unsummen aus Katar kassieren, nicht wirklich eine Überraschung.
Aber kommen wir zurück zu Iran. Ich war 1979 mit einer Handvoll französischer Intellektueller in Teheran, wenige Wochen nach der Machtergreifung durch Ayatollah Khomeini. Wir waren dem Hilferuf einiger Iranerinnen gefolgt, die noch wenige Wochen zuvor den Schah mit der Kalaschnikow unter dem Schleier bekämpft und Khomeini jubelnd begrüßt hatten. Am 8. März 1979 (dem Frauentag!) waren sie aus den Büros und Universitäten und von der Straße gejagt worden. Argument: Zieht euch erstmal anständig an! Also verschleiert euch. Damals schrieb ich in der EMMA und der ZEIT: Die Iranerinnen „waren gut genug, für die Freiheit zu sterben. Sie werden nicht gut genug sein, in Freiheit zu leben.“ Ich habe leider recht behalten.
Schon wenig später wurde so mancher Frau, der das Kopftuch verrutschte, von den „Sittenwächtern“ der Stoff mit Nägeln in den Kopf geschlagen. Bis heute werden die immer rebellischer werdenden Frauen unter das Kopftuch bzw. den Ganzkörperschleier gezwungen. RegimegegnerInnen werden ins Foltergefängnis Evin geworfen. Da zittern sie jetzt um ihr Leben. Nicht nur wegen der berüchtigten Folterer von Evin, sondern auch vor den israelischen Bomben.
Wird der Westen uneigennützig autonome Kräfte der Opposition unterstützen?
Was also tun? Iran kann auf keinen Fall von außen befreit werden. Die fatalen Folgen solcher Übergriffe haben wir am Beispiel Irak und Libyen gesehen: Chaos und eine erstarkende Macht der Islamisten. Die Befreiung muss von innen kommen. Doch werden die Iraner es schaffen, nach einem halben Jahrhundert Terrorherrschaft, das Mullah-Regime zu stürzen? Sicher, 80 Prozent der Bevölkerung sollen gegen das Regime sein. Doch ihnen stehen eine Million bewaffneter Regime-Anhänger gegenüber. Kommt es zu einem blutigen Bürgerkrieg?
Oder kann der Westen sich dazu durchringen, uneigennützig autonome Oppositionskräfte zu unterstützen? Kräfte, die nicht ihre Statthalter sind, sondern unabhängige Iranerinnen und Iraner, die einen Staat in Richtung Demokratie aufbauen wollen - und die wirklich freiwillig auf die Atombombe verzichten. Das wäre die Lösung. Sie ist bedrückenderweise noch nicht in Sicht.
ALICE SCHWARZER
Der Text erschien zuerst in der Welt am Sonntag.