Eine Jesidin wundert sich …

Düzen Tekkal über die Debatte um die IS-Rückkehrerinnen. - Fotos: Markus Tedeskino, Sebastian Widmann/Getty Images
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In München wird zurzeit vor dem Oberlandesgericht gegen Jennifer W. verhandelt, die sich offenbar aus freien Stücken dem IS anschloss. Jennifer W. werden – neben der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung – auch Mord aus niedrigen Beweggründen und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Ein beispielloser Abgrund an Menschenverachtung. Auch soll sie zum Verdursten eines fünfjährigen jesidischen Mädchens beigetragen haben. Erstmals muss sich mit Jennifer W. eine Frau für die im Namen des IS begangenen Verbrechen in Deutschland verantworten. In das Gericht habe ich volles Vertrauen, entscheidend werden am Ende wohl die erbrachten Beweise sein und nicht das Geschlecht der Angeklagten. Aber an der Objektivität der deutschen Öffentlichkeit verzweifele ich. Die Täterinnen werden verharmlost und ihnen wird ein Geschlechterrabatt eingeräumt. Dazu bin ich als emanzipierte Frau – und Jesidin –, die sich seit Jahren für die Rechte der Frauen einsetzt, nicht bereit.

Das fängt damit an, dass in deutschen Medien ständig von „IS-Bräuten“ die Rede ist, nicht von „IS-Mitgliedern“, „IS-Kämpferinnen“ oder „IS-Terroristinnen“. Das suggeriert, das einzige Vergehen dieser Frauen bestünde darin, den falschen Kerl („Liebe macht blind“) geheiratet zu haben. Mitnichten! Die Frauen waren ein essenzieller Bestandteil des selbsternannten „Kalifats“. Diese Frauen waren alles andere als passiv, sie haben aktiv daran mitgewirkt, dass ihr Terror erbarmungslos über Jesiden, Kurden, Schiiten und allen Menschen, die sich dem Herrschaftsanspruch des IS verweigerten, niederging.

Jennifer W. zum Beispiel muss sich in München nicht nur für Taten verantworten, die sie individuell begangen hat, sondern auch als bewaffnetes(!) Mitglied der Sittenpolizei. Einer Sittenpolizei, die den Menschen – vor allem Frauen! – im Herrschaftsbereich des IS das Leben zur Hölle gemacht hat und unbarmherzig einen vermeintlich „unislamischen“ Lebenswandel verfolgt hat. Die Sittenpolizei hat den Macht- und Herrschaftsbereich des IS stabilisiert und exekutierte das vermeintliche Recht des Kalifats, bei dem Folter und Mord zur Tagesordnung gehörten.

Eine vom IS versklavte und immer und immer wieder vergewaltigte Jesidin hat mir erzählt, wie sie sich in ihrer Not an die Mutter ihres Peinigers gewandt hatte. Die wies sie mit den Worten ab: „Es ist gut, dass mein Sohn dich vergewaltigt“. Nein, für die Frauen des IS waren Jesidinnen keine Geschlechtsgenossinnen, sondern „Ungläubige“, die entmenschlicht wurden, jeden Tag aufs Neue.

Berichte, die davon handeln, dass IS-Frauen die Männer angefeuert haben, wenn gefoltert, gemordet, vergewaltigt wurde, zeigen das Ausmaß der Verrohung. Selbst Frauen, die den männlichen IS-Kämpfern vermeintlich „nur“ ein behagliches Zuhause geboten haben, haben sich ebenfalls strafbar gemacht, denn sie haben dabei das geleistet, was als „psychologische Unterstützungsmaßnahmen“ gewertet wird. Beate Zschäpe lässt grüßen. Die erhielt nur dafür lebenslänglich.

Ich kämpfe für Frauenrechte, weil ich an die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau glaube. Was auch bedeutet, dass für Männer und Frauen das gleiche Gesetz gilt, dass vor Gericht allein die verübten Taten zählen, nicht der Chromosomensatz. Und deshalb sollten wir endlich aufhören, die Täterinnen vom IS zu verniedlichen, ihre Taten sprechen nämlich eine ganz andere Sprache. Gerade da würde ich mir, auch wenn es sich altmodisch anhört, mehr Solidarität wünschen. Solidarität mit den Opfern der islamistischen Terrormiliz und nicht mit den Täterinnen.

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Düzen Tekkal: Die Vater-Tochter

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Ein so genannter „Familienauftrag“ wird normalerweise ohne Worte vergeben. Im Fall von Düzen Tekkal war das anders. Die kleine Düzen war noch nicht mal in der Schule, als ihr Vater, von Beruf Fliesenleger, seiner Tochter immer wieder stapelweise deutsche und türkische Zeitungen hinlegte und sagte: „Lies!“ Dann erklärte er dem Mädchen, was er von ihr erwartet: „Du musst Journalistin werden, damit du ­unsere Geschichte erzählen kannst.“

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Die Jesidin Düzen Tekkal ist heute 39 Jahre alt und TV-Journalistin. Und sie hat mit ihrem Dokumentarfilm Háwar die Geschichte der Jesiden und Jesidinnen erzählt. Es sollte eigentlich eine stolze Geschichte werden. Aber es ist eine schreckliche ­geworden. Sie handelt von Vergewaltigungen, Versklavung und Völkermord. Háwar heißt: Hilferuf.

Eine Reise in die Türkei machte sie zur Kriegs-
reporterin

Als Vater Seyhmus und Tochter Düzen im Sommer 2014 ­gemeinsam aufbrachen, um in den Südosten der Türkei zu reisen, von wo die Tekkals Ende der Sechzigerjahre nach Hannover ausgewandert waren, sollte das eine Suche nach den Wurzeln der Familie werden. Auch die heiligen Stätten der Jesiden im Nordirak wollten die beiden besuchen. Doch statt­dessen landeten Düzen Tekkal und ihr Vater mitten in einem Krieg.

Am 3. August 2014 überfällt der IS die irakische Stadt Shingal, ermordet und vertreibt die jesidische Bevölkerung und entführt und vergewaltigt Tausende Mädchen und Frauen. Die Journalistin Tekkal wird mit einem Schlag zur Kriegsreporterin.

Aber Düzen Tekkal ist nicht nur bis heute Chronistin der IS-Verbrechen an den Jesiden und Jesidinnen. Nach ihrer Rückkehr gründete sie den Verein „Háwar.help“. Mit dem Projekt „Back to Life“, das im Januar startet, will sie Überlebenden der IS-Gefangenschaft Arbeit und ein eigenes Einkommen verschaffen. Und am 29. Juni 2017 organisierte sie im Deutschen Bundestag die Konferenz „Vergewaltigung ist eine Kriegswaffe“, auch Kanzlerin Merkel ergriff das Wort.

Düzen war vier Jahre jung gewesen, als ihr Vater mit ihr in den niedersächsischen Landtag ging. Dort erklärte er dem Mädchen, „welchen Schatz wir durch die parlamentarische Demokratie in Deutschland haben. Und er erklärte mir, dass diese Freiheiten und Rechte nicht selbstverständlich sind und dass es gilt, diese Werte alltäglich neu zu verteidigen.“ Düzen Tekkal ist heute in Deutschland eine der vernehmlichsten Stimmen gegen die „bösen Zwillinge des Extremismus“: den Rechtsextremismus und den ­Islamismus. Über beide schrieb sie 2016 ein Buch: „Deutschland ist bedroht – Warum wir unsere Werte jetzt verteidigen müssen“.

Sie hat den Bruch mit den Eltern, der Familie riskiert

Dabei hatte sich die Tochter der Erfüllung des Familienauftrags zunächst verweigert. „So etwas liegt schwer auf den Flügeln“, sagt sie. „Und ich wollte Leichtigkeit.“ Aber da gab es noch einen Auftraggeber, bzw. eine Auftraggeberin: Düzens Mutter. Elf Kinder hatte die Analphabetin zur Welt gebracht und insbesondere ihren sieben Töchtern eingebläut: „Wenn ich eure Chancen gehabt hätte, wäre ich heute Pilotin bei der Lufthansa!“ Es folgte die Anweisung: „Ihr müsst 200 Prozent geben!“

Das taten die Tekkal-Schwestern. Sie studierten oder wurden Stylistin oder Fußballprofi in der Bundesliga. Oder eben, wie ­Düzen nach ihrem Studium der Politik- und Literaturwissenschaften, Journalistin beim RTL-Magazin Extra. Allerdings waren auch Mutter und Vater Tekkal durchaus zerrissen: Ja, ihre Töchter sollten Karriere machen. „Aber sie fragten sich auch: Kann ich meine Tochter unverheiratet zum Studieren in eine andere Stadt ziehen lassen?“ Irgendwann, erzählt Düzen Tekkal, habe sie „den Bruch riskiert“ und die Eltern vor die Wahl gestellt: „Ihr könnt jetzt so weitermachen – oder ihr vertraut uns. Dann nehmen wir euch mit in unser Leben!“ Heute ist Düzens Mutter „meine beste Beraterin“.

Nur einmal gab es zwischen Mutter und Tochter noch Streit. Das war, als Düzen über Zwangsverheiratungen und Ehrenmorde in der teilweise sehr rückständigen jesidischen Community in Deutschland berichtete. Die Mutter nahm ihr das übel. „Aber es gab Jesidinnen, die mir geschrieben und sich bei mir bedankt haben.“

Sie spricht auch über Probleme in der jesidischen Community

Düzen Tekkal hält es für falsch, diese Themen totzuschweigen. „Damit stärken wir die Rechtspopulisten.“ Deshalb legt sie sich mit dem ihr eigenen Temperament in den Talkshows mit allen an, die religiösen Fundamentalismus und seine Frauenverachtung kleinreden. „Ich erwarte von Ihnen, dass sie diese Probleme ansprechen!“ ranzt sie Ayman Mazyek an, den Vorsitzenden des „Zentralrats der Muslime“. „Stattdessen ziehen Sie sofort die ­Opferkarte, auf der ‚Islamfeindlichkeit‘ steht!“ Und als die grüne Parteivorsitzende Simone Peter erklärt, dass sie Marokko und ­Tunesien nicht als sichere Herkunftsländer anerkennen will, weil dort Homosexuelle diskriminiert werden, kontert Tekkal: „Hier werden auch Schwule in Wedding verkloppt von genau diesen Leuten, die nicht in unserer Werteordnung angekommen sind!“

Als Düzen Tekkal den Entschluss fasste, sich auch parteipolitisch zu engagieren, entschied sich die Tochter eines Sozialdemokraten für die CDU. 2016 war sie als potenzielle Integrationsministerin im Schattenkabinett von Julia Klöckner. Und es wird gemunkelt, dass sich womöglich auch die Kanzlerin für sie interessiert. Der Familienauftrag wäre dann quasi übererfüllt.

Chantal Louis

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