WM der Prostitution

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Die Franzosen sind schockiert. „Weltmeisterschaft und Prostitution – die neue Sexindustrie“ lautet der Titel des Dossiers der linksliberalen Wochenzeitschrift Nouvel Observateur im Mai 2006. Von „Megabordellen im Herzen Europas“ ist da die Rede und dass in Deutschland die „Fußball-Weltmeisterschaft zu einer Prostitutions-Weltmeisterschaft“ verkomme.

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„Ist die Prostitution ein unvermeidliches Übel – oder eine unerträgliche Verletzung der Menschenwürde?“ fragt das angesehene Magazin und beklagt die führende Rolle von Holland und Deutschland bei der Verharmlosung von Prostitution und Frauenhandel.

Die Coalition Against Trafficking in Women (CATW) hat einen internationalen ‚Berliner Appell‘ lanciert, den bereits in der ersten Woche 35.000 Menschen unterzeichneten, darunter besonders viele französische Intellektuelle, JuristInnen und PolitikerInnen. Der Appell richtet sich an die Fifa, die deutsche Regierung – und die deutsche Kanzlerin.

Ségolène Royal, die potienzielle Spitzenkandidatin der Linken bei den Präsidentschaftswahlen 2007, richtet sich in einem Statement im Nouvel Observateur direkt an die Kanzlerin: „Es ist nicht zu tolerieren, dass anlässlich der Weltmeisterschaft im Herzen von Europa ein Sklavenmarkt organisiert wird. Das ist eine Beleidigung für alle Frauen, auch für die immer zahlreicher werdenden weiblichen Fans. Und es ist nicht zuletzt eine Beleidigung der Männer, denen unterstellt wird, potenzielle Kunden der Sexmafia zu sein“, klagt die beliebteste Politikerin Frankreichs.

Sie erinnert daran, dass die auch von Deutschland unterzeichneten UN-Konventionen die Prostitution als „Unvereinbar mit der Menschenwürde“ verurteilen und fordert die deutsche Kanzlerin auf, rasch zu handeln: „Ich hoffe, Angela Merkel hört diesen Appell.“ Doch die Kanzlerin scheint auf dem Ohr noch taub zu sein: Bis zum Beginn der WM hatte die möglicherweise zukünftige Präsidentin Frankreichs noch keine Antwort aus Berlin.

Jetzt lud die Menschrechtsanwältin Gisèle Halemi, Vorsitzende der  Frauenrechtsorganisation ‚Choisir‘, nach: In der Tageszeitung Le Monde bezichtigte die bekannteste französische Anwältin die deutsche Bundeskanzlerin der „Heuchelei“ und forderte sie zum Handeln auf: „Frau Kanzlerin Merkel, handeln Sie!“ Dies könne etwa über eine befristete Aussetzung der geltenden Bestimmungen „durch ein Dringlichkeitsvotum im Parlament“ geschehen.

Auch Merkels Forderungen an China zur Einhaltung der Menschenrechte seien nicht glaubwürdig, wenn sie jetzt „zu Gunsten von Sex und schmutzigem Geld“ erlaube, dass bei der WM Frauen zur Prostitution gezwungen würden. Als erste Bundeskanzlerin Deutschlands habe Merkel Hoffnungen geweckt, dass sie „die Rechte und die Würde der Frauen verteidigen“ werde. Statt „Solidarität mit den Verletzlichsten“ zu zeigen, ziehe sich Merkel aber auf die rein formalrechtliche Position zurück, dass Prostitution erlaubt sei.

Das Grundübel für die Hochkonjunktur von Prostitution und Menschenhandel in Deutschland sehen nicht nur die Franzosen in der Legalisierung der Prostitution durch die Reform vom 1.1.2002: „Die Big Bosse der Prostitution in Nordeuropa sind dadurch geachtete Geschäftsmänner geworden“, klagt der Nouvel Observateur und zitiert den kanadischen Prostitutionsforscher Richard Poulin, Autor der ‚Globalisierung der Sexindustrie‘.

Der Soziologe hat herausgefunden, dass es in „Holland und Deutschland, den Ländern in denen die Prostitution ein Beruf wie jeder andere ist, die häufigsten Fälle von Frauenhandel gibt“. Denn, so Poulin: „Die illegalen Prostituierten sind, wie alle Schwarzarbeiter, die rentabelsten für die Chefs. In den Bordellen und Clubs arbeiten darum fast immer Legale und Illegale gleichzeitig. Alle, die behaupten, die Legalisierung der Prostitution schütze die Frauen vor den Zuhältern und Menschenhändlern, sind Lügner. Das Gegenteil ist der Fall: Die legalen Bordelle verstärken den Import der Illegalen.“

Die Lobbyisten der Zuhälter und Bordellbesitzer sind längst europaweit organisiert. Und sie versuchen, ganz nach dem deutschen und holländischen Modell, ganz offen ihre Interessen mit einer pseudo-feministischen Argumentation und vorgeschobenen Prostituierten durchzusetzen. Von „Sexarbeiterinnen“ ist da die Rede und „selbstbestimmten Frauen, die das Recht haben müssen, sich freiwillig zu prostituieren“.

Dahinter stehen Milliardeninteressen. Milliarden nicht für die Prostituierten, sondern für diejenigen, die mit ihnen handeln. „Die ganze Debatte ist ungeheuer scheinheilig“, klagt die schwedische Ex-EU-Parlamentarierin Marianne Eriksson. „Die Frauenhandels-Lobbyisten sind scheinbar engagierte Kämpfer für die Freiheit der Frauen, für die Freiheit, sich zu prostituieren. Doch man vergisst, dass die aus Albanien und Serbien oder der Ukraine importierten Frauen meist zuvor durch Lager geschleust worden sind, in denen sie vergewaltigt, gefoltert und zu Zombies deformiert wurden. So lange, bis sie willenlose Objekte sind, wie in einer Sekte.“

Neuester Frauenlieferant: Die baltischen Länder. „Um der hemmungslosen deutschen Nachfrage etwas gegenzusetzen, hat die lettische Regierung gerade eine Kampagne  gestartet, die die jungen Mädchen vor dem Risiko warnt, Jobs als Hostess oder Babysitterin in Deutschland anzunehmen“, schreibt der Nouvel Observateur. Man geht davon aus, dass 80 bis 90 Prozent der während der WM in Deutschland für die Prostitution eingesetzten Frauen aus dem Ausland kommen: Im besten Fall wissend, dass sie sich prostituieren werden, aber nicht ahnend, unter welchen Umständen; häufig aber auch getäuscht oder gezwungen.

Allein in dem pünktlich zur WM fertig gewordenen Megabordell ‚Artemis‘, drei U-Bahn-Stationen vom Berliner Olympia-Stadion entfernt, werden rund um die Uhr ein paar hundert Prostituierte tätig sein. In Frankreich spricht man von einer „Artemis-Affäre“, das heißt dem Skandal, dass so etwas überhaupt möglich ist.

Auch das ‚Artemis‘ verdankt seine legale Existenz einzig und allein der Reform von 2002. Das Megabordell mit Sauna, Fitnessraum, Schwimmbad und Bar – gibt sich als „Nudistenclub“. Männer zahlen 70 Euro Eintritt, Frauen 50 Euro. Letztere dürfen sich nur nackt im Club aufhalten. Eine halbe Stunde mit einer Frau kostet 30 Euro, eine ganze 50 Euro – und das ganze findet unter Kontrolle von Videokameras statt (die Filme wären nochmal rentabel kommerzialisierbar auf dem Pornomarkt).

Besitzer des ‚Artemis‘ ist der türkischstämmige Geschäftsmann Haki Simsek; Geschäftsführer Eike Wilmann, ein pensionierter Gymnasiallehrer. Peinlich ist da niemandem nichts. Ist ja schließlich alles legal.

Nur außerhalb von Deutschland kommt noch Befremden auf. „Das ist vielleicht legal in Deutschland, aber ich finde es skandalös“, empört sich der französische National-Trainer Raymond Domenech. „Damit reduziert man den Fußball auf die Formel Schal, Bier und Mädchen. Tut mir leid, aber Fußball ist das nicht. Ich bin schockiert, dass mann von Frauen spricht wie von Vieh oder von Sklaven.“ – EMMA berichtet weiter.

In EMMA u.a. zum Thema:

Gesetz schützt Zuhälter 4/06,  

Zwangsprostituierte für WM-Fans?  1/06;

Serie Frauenhandel & Prostitution, 5/04 bis 3/05

Wem nutzt das Hurengesetz? 1/02.

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