Der G7-Gipfel und die Frauen

G7-Gipfeltreffen (plus EU-Rats- und EU-Kommissions-Präsident) - © Bundesregierung/Gottschalk
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Die Staatschefs der sieben größten Industrienationen der Welt werden zu ihrem Jahrestreffen zum zweiten Mal auf Einladung von Kanzlerin Merkel nach Deutschland kommen. Diesmal in das oberbayerische Schlosshotel Elmau, mit Blick auf die schneebedeckten Alpen. 15000 PolizistInnen schützen den hohen Besuch, denn die Globalisierungs-GegnerInnen werden sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen.

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Bei dem Treffen geht es um für uns alle existenziellen Probleme, wie Krieg und ­Finanzkrise. Aber auch darum, wie die Billionen Dollar der großen Sieben in den kommenden Jahren für Entwicklungshilfe investiert werden: Wohin das Geld fließt, wer davon profitiert. Die bitterarmen und oft rechtlosen Frauen in den Entwicklungsländern hätten das Geld nicht nur am nötigsten, bei ihnen wäre es auch am effektivsten investiert, wie bisherige Erfahrungen zeigen. Denn unter Frauen versickert das Geld in der Regel nicht in der Korruption. Dennoch ist es nicht zu erwarten, dass Frauen bei diesem Gipfeltreffen für Frauen demonstrieren werden.

Werden Frauen dieses Jahr in Elmau für Frauenrechte demonstrieren?

Aber immerhin haben einige Frauen einen Brief an Angela Merkel geschrieben, die „mächtigste Frau der Welt“ (New York Times). Pünktlich zum 8. März richteten Stars aus Amerika und Deutschland, von Meryl Streep und Lady Gaga bis Maria Furtwängler, sowie renommierte Wissenschaftlerinnen sich an die „Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin“. Die G7 stellen, erinnerten die Frauen, die Weichen für die globalen politischen Entscheidungen der nächsten Jahre. Dabei dürfe gerade Merkel, die auf der ganzen Welt als „Vorbild für Frauen und Mädchen“ gelte, die Frauen nicht vergessen.

Ein Teil der „Billionen US-Dollar, die ausgegeben werden“, müsse investiert werden in folgende Bereiche: „Für das Mädchen, das keine vernünftige Grund- oder weiterführende Schule besuchen und keinen Arzt und kein Krankenhaus aufsuchen kann. Für die Mütter, die einem hohen Sterblichkeitsrisiko ausgesetzt sind, wenn sie ein Kind zur Welt bringen, und die nicht selbst entscheiden können, ob und wann sie das nächste Kind bekommen. Für die Frauen, die das Land, das sie bewirtschaften, nicht besitzen oder erben dürfen, kein Bankkonto eröffnen und keinen Zugang haben zu Strom oder Rechtshilfe. Für das Mädchen, das rein rechtlich gar nicht existiert, weil seine Geburt nicht amtlich registriert wurde und der Staat nicht über Systeme verfügt, Daten über sie und ihr Dorf zu erfassen. Für alle Frauen und Mädchen, die Opfer von Gewalt sind und ihre Peiniger nicht vor Gericht bringen können und keine Gerechtigkeit erfahren. Sorgen wir dafür, dass ihre Belange berücksichtigt werden!“ – Soweit die Forderungen der Frauen. Und die Absichten der Staatschefs?

1975 setzten die großen Industriestaaten, damals noch sechs, sich erstmals an einen Tisch, seither treffen sie sich einmal im Jahr. Ebenfalls 1975, in dem von den Vereinten Nationen ausgerufenen „Jahr der Frau“, trafen sich erstmals die Frauenrechtlerinnen dieser Welt, etablierte wie autonome. Seither versuchen sie, auf ihren „Weltfrauenkonferenzen“ die Menschenrechte für Frauen voranzutreiben.

Auch zwischen den Dekaden versammelt sich die internationale Frauenpower, um Pläne für die nächsten Jahrzehnte zu schmieden. Für die Frauen aus den Ländern ohne Neue Frauenbewegungen – wie Osteuropa oder Afrika – sind diese Gipfeltreffen regelrechte Durchlauferhitzer: Sie kehren gestärkt in ihre Heimatländer zurück. Der letzte Frauengipfel war 1995 in Peking. Damals erklärte Hillary Clinton, zu der Zeit noch First Lady: „Menschenrechte sind Frauenrechte – und Frauen­rech­te sind Men­schen­rechte.“ Wohl wahr. Und damals wie heute waren und sind die religiösen Fundamentalisten die stärksten Gegner der Frauenrechte.

Die stärksten Gegner der Frauenrechte sind religiöse Fundamentalisten

Bereits in Peking war ein Schulterschluss zwischen den Islamisten und dem Vatikan zu beobachten – das ist so geblieben. Stein des Anstoßes ist ganz allgemein die Gleichheit der Geschlechter und speziell die Sexualpolitik: Sexuelle Aufklärung! Sexualgewalt! Müttersterblichkeit! Das Recht auf Abtreibung! 47000 Frauen sterben weltweit im Jahr an unsachgemäßen, weil illegalen Abtreibungen. Hinzu kommt die „weiße Sklaverei“, die rasant eskalierende Prostitution und der Frauenhandel. 60 Prozent der Frauen in der Prostitution sind, nach internationalen Erhebungen, Opfer von Frauenhandel.

Zwar sind seit 1995 Fortschritte erzielt worden, vor allen in den westlichen Demokratien – vor allem in der Bildung und der politischen Repräsentanz –, aber nicht ein Land auf der Welt hat die Geschlechtergerechtigkeit bisher konsequent umgesetzt, beklagen die UN Women. Bei dem Jahrestreffen der UN-Frauenrechtskommission im März in New York erklärten sie: „Der Fortschritt für Frauen ging in den vergangenen 20 Jahren inakzeptabel langsam voran. In manchen Bereichen stagnierte er, oder die Situation verschlechterte sich sogar.“ Für das nächste Jahr haben die UN-Frauen das „Frauen-Empowerment“ und die „nachhaltige Entwicklung“ auf dem Programm. Und bilanziert werden soll der Kampf gegen „alle Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen“. 

Ein zentrales Thema der UN-Frauenkonferenz war in diesem Jahr Prostitution & Frauenhandel. Dazu fanden in New York gleich mehrere Tagungen statt – wobei die geringe Präsenz von Deutschen auffallend war. Für die Repräsentantinnen anderer Länder ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Politikerinnen, UN-Vertreterinnen und NGOs längst selbstverständlich. Bei den Deutschen gibt es da offensichtlich noch einen gewaltigen Nachholbedarf.

Fortschritt für Frauen geht seit 20 Jahren inakzeptabel langsam voran

Phumzile Mlambo-Ngcuka, die Präsidentin von UN Women, ließ einen Hilferuf los: „Ich sende ein SOS an die Welt!“, erklärte sie. „Wir können nicht länger die Hälfte der Weltbevölkerung vernachlässigen!“ Ziel der professionellen Frauenrechtlerinnen ist ein „Planet 50/50“ bis zum Jahr 2030. Oder müssten wir sagen: Das ist ihr frommer Wunsch? Doch – wie steinig der Weg auch immer sein wird, er muss gegangen werden!

Die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher stand nicht im Verdacht, eine Hoffnung für die Frauen zu sein. Das stellt sich in den Augen der Frauen dieser Welt in Bezug auf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel schon anders dar. Die ist zwar bisher noch nicht als Feministin aufgefallen, aber auch nicht als Anti-Feministin. Das ist schon mal was. Und ihr Lebenslauf lässt hoffen: aufgewachsen in der DDR, die die Gleichberechtigung zumindest auf dem Papier verbrieft hatte; studierte Physikerin und als Staatschefin in den Männerrunden schon lange respektiert – im Ausland anscheinend noch mehr als in Deutschland.

Ihren Brief vom 8. März richteten die Frauen darum an Angela Merkel. Und an Nkosazana Dlamini-Zuma, die Kommissionspräsidentin der „Afrikanischen Union“. Kurz vor dem historischen Weltgipfel Mitte Juli in Addis Abbeba, auf dem die Finanzierung der neuen Entwicklungsziele verhandelt wird und bei dem es auch um die „Stärkung von Frauen“ gehen soll. 

Ausländerinnen beneiden Deutschland um ihre emanzipierte Staatschefin und träumen davon, dass Angela Merkel im September anlässlich der UN-Generalversammlung in New York ans Mikro tritt – und eine flammende Rede für die Rechte der Frauen der Welt hält. Eigentlich eine gute Idee, oder? 

Doch bis es soweit kommt, muss anscheinend noch so einiges passieren. Denn als Mitunterzeichnerin Maria Furtwängler den internationalen Brief vom 8. März der Bundeskanzlerin überreichen wollte, wurde sie im Bundeskanzleramt mit Kanzleramtsminister Peter Altmeier abgespeist. Und EMMA erhielt auf ihre Nachfrage bei der Kanzlerin, was sie denn nun plane in Sachen Frauen beim Gipfeltreffen in Elmau, die folgende Antwort eine Regierungssprechers: „Die Stärkung der unternehmerischen Selbstständigkeit von Frauen in Industrieländern und die berufliche Bildung von Mädchen und Frauen in Entwicklungsländern sind ein Schwerpunkt der deutschen G7-Präsidentschaft.“ – Alles klar?

Aktualisierung am 9. Juni 2015

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UN: 98 Organisationen rügen Merkel!

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Hillary Clinton hielt die Eröffnungsrede und wünschte sich „eine Zukunft, in der wir das riesige Potenzial von Frauen und Mädchen freisetzen können“. UN-Generalsekretär Ban-Ki Moon beklagte die „ungehörten Stimmen der Frauen und Mädchen“ und die liberianische Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf forderte einen „Planeten 50-50“. 20 Jahre nach der legendären Weltfrauenkonferenz in Peking zogen auf Einladung der „United Nations Commission on the Status on Women“ 1.100 Nichtregierungs-Organisationen und 8.600 TeilnehmerInnen Bilanz: Wie steht es in Sachen Gleichberechtigung und was sind die Ziele für die nächsten Dekaden?

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Deutschland
hat etliche Abkommen zur Prostitution ignoriert

„Eine der Herausforderungen auf dem Weg zur Gleichheit von Frauen und Männern ist auch die Bekämpfung ihrer Armut und ihrer sexuellen Ausbeutung“, erklärten die insgesamt 130 Unterzeichnerinnen eines Offenen Briefes an die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Nahezu alle repräsentieren internationale Organisationen: von der Belgierin Viviane Teitelbaum, Vorsitzende der Europäischen Frauenlobby, bis zur Amerikanerin Taina Bien-Aimé, Direktorin der „Coalition Against Trafficking in Women“; von der Russin Anna Zobnina, Chefin des „European Network of Migrant Women“, bis zur Bulgarin Nusha Yonkova, Kämpferin gegen Frauenhandel beim Irischen Immigrationsrat; von der philippinischen „Prostitution Survivors Group“ bis zur internationalen Aussteigerinnen-Initiative SPACE. Gloria Steinem unterzeichnete ebenso wie Alice Schwarzer und die Frauenlobbys, also die Dachverbände der Frauenorganisationen, aus 14 euopäischen Ländern. Es fehlt: der Deutsche Frauenrat. Aber deutsche Organisationen wie Terre des Femmes, Solwodi oder die Initiative "Stop Sexkauf" und Abolition 2014 schlossen sich an. Breiter könnte der internationale Protest gegen Deutschlands Prostitutionspolitik kaum sein.

Denn wie so oft auf internationalem Parkett herrschte auch jetzt in New York wieder einmal große Irritation darüber, dass Deutschland in Sachen Prostitution nicht etwa als Gewalt gegen Frauen sowie Ausdruck und Verstärkung des Machtgefälles zwischen Männern und Frauen versteht, sondern mit einem der liberalsten Prostitutionsgesetze der Welt Zuhältern und Frauenhändlern optimale Bedingungen geschaffen hat. Daran scheint sich trotz des Anlaufs der Großen Koalition, die fatale rot-grüne Prostitutionsreform von 2002 zu reformieren, auch in Zukunft wenig zu ändern. Die SPD blockiert, die Union resigniert.

So ist es an den Teilnehmerinnen der New Yorker Konferenz, die deutsche Bundeskanzlerin daran zu erinnern, dass Deutschland nicht nur ein menschenfeindliches Prostitutionsgesetz hat, sondern auch seit Jahren etliche internationale Abkommen zum Kampf gegen die Prostitution schlicht ignoriert. Allen voran die "UN-Konvention zur Bekämpfung des Menschenhandels und der Ausbeutung von Prostituierten", die erklärt: „Die Prostitution und das sie begleitende Übel des Menschenhandels sind mit der Würde und dem Wert des Menschen unvereinbar.“ Wer ein „Bordell unterhält, leitet oder wissentlich finanziert“, soll laut UN strafrechtlich verfolgt werden. 91 Staaten haben die Resolution unterzeichnet. Deutschland nicht. Nach 70 Jahren, finden die Unterzeichnerinnen, wäre es nun an der Zeit: „Die Ratifizierung durch Deutschland ist lange überfällig.“

Die Initiatorinnen des Appells an die Kanzlerin sprechen Merkel nicht nur als Staatschefin an, sondern auch als Frau. Sie hoffen, dass eine Frau sensibler sein müsste in Bezug auf die "Weiße Sklaverei", die sexuelle Ausbeutung der Ärmsten. Und sie lenken „die Aufmerksamkeit der Kanzlerin auch auf die Resolution des EU-Parlaments vom 26. Februar 2014“. Diese Resolution erkennt an, dass Prostitution eine „Verletzung der Menschenwürde“ ist, im „Gegensatz zu Menschenrechten und Gleichberechtigung steht“ und daher „unvereinbar ist mit der Grundrechts-Charta der Europäischen Union“.

Initiatorinnen sprechen Merkel nicht nur als Staatschefin an, sondern auch als Frau

Auch möge die Kanzlerin endlich den Appell des Europarats beachten. Der hatte kurz nach dem EU-Parlament im April 2014 die Mitgliedsstaaten aufgefordert, „die Kriminalisierung des Sexkaufs nach schwedischem Modell in Betracht zu ziehen“. Also die Bestrafung der Freier, die als Kunden den Prostitutionsmarkt überhaupt erst schaffen. Denn diese sei „die effektivste Maßnahme, um Menschenhandel vorzubeugen und zu bekämpfen“.

Und so geht es weiter in dem Brief aus New York an die Kanzlerin in Berlin. Weitere Berichte, Beschlüsse, Resolutionen und Konventionen von UN und EU zählt der Brief an Kanzlerin Merkel auf - sie alle werden von Deutschland bisher schlicht missachtet.

Das muss sich ändern! fordern die Unterzeichnerinnen, denn: „Wenn ein so reiches und wichtiges Land wie Deutschland diese internationalen Menschenrechtsvereinbarungen achtet, wäre das ein entscheidender Schritt. Die Missachtung dieser wesentlichen Prinzipien durch ein Land wie Deutschland ist hingegen ein trauriges Signal.“

Abschließend erklären die Unterzeichnerinnen: „Die Welt schaut auf Deutschland und darauf, ob es sein Prostitutionsgesetz ändert.“

Wir dürfen gespannt sein, ob und wie die Kanzlerin reagiert.

In einem weiteren internationalen Brief an Kanzlerin Merkel wird ihr Einsatz für Frauen in der Dritten Welt gefordert.

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Der Offene Brief an Kanzlerin Merkel
 

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