Der schmutzige Frieden im Krieg danach

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Eine Kambodschanerin erzählt. Ihr Mann misshandelt sie und ihre Kinder, seit er 1991 seinen Dienst bei den Roten Khmer quittierte: „Er hat so viel Gewalt gesehen und so viel Gewalt angewendet, dass er es verlernt hat, menschlich zu sein.“ Ein Mazedonier heischt um Verständnis: „Der Krieg hat mich kaputtgemacht. Ich kann nicht anders – ich muss meine Frau schlagen!“ Eine Palästinenserin in Ramallah berichtet, dass die Selbstmordraten von Mädchen und Frauen „rapide gestiegen“ sind. Das palästinensische Bisan Centre hat eine Notruf-Hotline eingerichtet. „Morgens, nachdem die Männer das Haus verlassen haben, laufen bei uns die Telefone heiß“, sagt die Sozialarbeiterin: „70 Prozent aller Anruferinnen sind vergewaltigt worden. Von ihren Ehemännern, Vätern, Brüdern, Onkeln, Schwägern.“

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Drei Stimmen von zahllosen in der Studie „Women, War and Peace“ (Frauen, Krieg und Frieden) der UN-Frauenorganisation UNIFEM. Ein Jahr lang, von Sommer 2001 bis Sommer 2002, hat ein Expertinnen-Team Kriegs- und Krisengebiete dieser Erde bereist und die Menschen vor Ort über „die Auswirkungen von bewaffneten Konflikten auf Frauen“ befragt.

Das UNIFEM-Team fuhr nach Bosnien und Herzegowina, nach Mazedonien, Kosovo und Serbien; Kolumbien; Kambodscha und Osttimor; Liberia, Guinea, Ruanda, Sierra Leone und Somalia; nach Israel und in die besetzten Palästinenser-Gebiete. „Überall erzählten uns Frauen, dass Waffen ihr Familienleben zerstören. Sie berichteten uns, dass die Militarisierung ihre Söhne infiziert, ihre Ehemänner, ihre Brüder – sie erkennen sie nicht wieder. Sie beklagten, ihre Männer seien kalt, verschlossen und jähzornig, oft gewalttätig. Vor allem, wenn sie Alkohol trinken, um zu vergessen, was sie gesehen und getan haben.“ Diese Worte notieren die beiden Team-Leiterinnen in ihrer Einleitung zu dem Report: Elisabeth Rehn aus Finnland, Ex-Verteidigungsministerin und heute UN-Beauftragte für Menschenrechte in Ex-Jugoslawien, und Ellen Johnson Sirleaf aus Liberia, Ex-Finanzministerin und heute Chef-Untersucherin des Völkermords in Ruanda.

Die UNIFEM-Studie ist brisant, denn sie liefert erdrückende Beweise dafür, dass Fort Bragg keine Ausnahme ist, sondern die Regel. Zur Erinnerung: Auf dem US-Militärstützpunkt für amerikanische Elite-Soldaten in North Carolina hatten im Sommer 2002 innerhalb von nur sechs Wochen vier Afghanistan-Heimkehrer ihre Ehefrauen ermordet (EMMA 6/02). Zunächst wurde das als „singuläres Phänomen“ heruntergespielt, möglicherweise durch einen „unbekannten Malaria-Erreger“ verursacht. Doch inzwischen hat das Pentagon eine Kommission beauftragt, um zu untersuchen, ob „ein Zusammenhang zwischen den zivilen Mordtaten und den militärischen Operationen“ der Täter besteht.

Neuerdings ist in der amerikanischen Presse zu lesen, „geheime Berichte“ seien aufgetaucht: über die Eskalation der Männergewalt gegen Frauen und Kinder, seit amerikanische GIs wieder verstärkt im Ausland operieren. Folge: „Anstieg on 18,6 gemeldeten Fällen häuslicher Gewalt pro 1.000 männliche Soldaten im Jahr 1990 auf 25,6 Fälle im Jahr 1999.“  Allein in der US-Army mit etwa 330.000 männlichen GIs wären das 1999 8.648 von Frauen angezeigte Gewaltausbrüche amerikanischer Soldaten in den eigenen vier Wänden. Ganz zu schweigen von der vielfach höheren Dunkelziffer.

Fort Bragg wird auch in der UNIFEM-Studie erwähnt. Rehn und Johnson Sirleaf wundern sich nicht über diese Gattinnen-Mörder. Aber sie sind erschrocken darüber, dass die Morde nicht durch „psychologische Supervision von Kriegsveteranen“ verhindert wurden: „75 Prozent der kambodschanischen Frauen, deren Männer im Bürgerkrieg gekämpft hatten, wurden nach dem Einmarsch der UN-Friedenstruppen Opfer von häuslicher Gewalt.“ Das war 1995. „Viele von diesen Frauen sind angeschossen oder erschossen worden, weil die UNO es versäumte, ihre Männer zu entwaffnen.“

Die Frauenbeauftragte des Weltsicherheitsrates kommt in einer eigenen Studie über „Women, Peace and Security“ Frauen, Frieden und Sicherheit) gleichzeitig mit den UN-Friedensforscherinnen zu dem Schluss: Die Bewaffnung von Männern erhöht die Gefahr von Gewalt gegen Frauen: „Die häusliche Gewalt steigt in Kriegszeiten an und wird danach noch höher, als sie vorher schon war.“

100 Millionen Kriegstote im vergangenen 20. und im angebrochenen 21. Jahrhundert. Während Männer auf den Schlachtfeldern ihr Leben lassen, sterben Frauen und Kinder durch Bombardements von Dörfern und Städten. Oder an Hunger und Durst. Und an Geschlechtskrankheiten wie Aids als Folge von Vergewaltigung und Zwangsprostitution. Überleben sie, werden sie lebenslänglich von Albträumen und Selbstmordgedanken gequält. Oder von heimkehrenden Soldaten-Ehemännern gefoltert und ermordet. Zum Beispiel, weil die sich „entehrt“ fühlen, wenn einer Frau aus ihrem „Clan“ von einem Fremden Gewalt angetan wurde. 

In den Kriegen des 19. Jahrhunderts war nur jeder 20. Tote ziviles Opfer, im zweiten Weltkrieg waren es schon zwei von drei Toten. Nach Ende des „kalten Krieges“ sind weltweit 40 Millionen Menschen auf der Flucht vor den „heißen Kriegen“ in ihrer Heimat: 80% von ihnen sind Frauen und Kinder. Sie vegetieren in Flüchtlingscamps, ohne Dach über dem Kopf, wenn sie Glück haben, mit Wasser und Brot. In die so genannte „humanitäre Hilfe“ investiert die UNO alljährlich pro ErdbewohnerIn 1,70 Dollar. Für so genannte „UN-Friedensmissionen“ durch Blauhelm-Soldaten gibt die UNO 139 Dollar je ErdbewohnerIn aus. Also 80-mal mehr für den Krieg als für den Frieden.

Was diese „Friedenssoldaten“ und die „humanitären Helfer“ anrichten, schilderte ein Vater aus einem Flüchtlings-Camp in Sierra Leone dem UNIFEM-Team so: „Wenn du denen keine Ehefrau, Tochter oder Schwester anbieten kannst, kriegst du als Mann hier nichts zu essen.“ Eine 15-jährige Kambodschanerin erzählt, sie sei von ihrer eigenen Großmutter für 200 Dollar an ein Bordell in Phnom Penh verkauft worden, wo sie sich für Blauhelme prostituieren musste. Und im Büro der UNMIBH (Mission der Vereinten Nationen in Bosnien und Herzegowina) in Sarajewo traf das UNIFEM-Team drei ukrainische Mädchen, die von einem dänischen Offizier aus einem Bordell befreit wurden, in dem auch Blauhelme kassieren.

Der UNIFEM-Studie zufolge verdoppelte sich zwischen 1995 und 2000 die Zahl der Opfer des Frauenhandels. Alljährlich, schätzen Rehn und Sirleaf, werden weltweit zwei Millionen Frauen verschleppt und als „Sklavinnen“ an Bordelle, Fabriken und reiche Haushalte verkauft. Gewinn für die Frauenhändler: Fünf bis sieben Billionen Dollar pro Jahr. Der Zusammenhang zwischen Krieg und Frauenhandel „ist offensichtlich“, schreiben die Friedenspolitikerinnen: Die Mafia, die Billionen mit Frauen verdient, handelt auch mit Waffen.

Die Zwangsprostituierten in den Soldaten-Bordellen dieser Welt werden von Jahr zu Jahr jünger. 30 Prozent der Sexsklavinnen in Kambodscha beispielsweise sind zwischen zwölf und 17 Jahre alt. In Mazedonien wurden über 1.000 Mädchen aus Bordellen befreit, die unter 15 waren. In Freetown, Sierra Leone, sprachen die „War-and-Peace“-Forscherinnen mit einer schwangeren 14-Jährigen. „Jahrelang“ sei sie „von Rebellen im Busch gefangen gehalten“ worden, erzählte sie: „Ich musste für sie kochen und wurde regelmäßig vergewaltigt.“ Die herunter gekommene Baacke, in der das Mädchen Zuflucht fand, ist ein Selbsthilfeprojekt von Zwangsprostituierten. „Wir waren tief beeindruckt davon“, schreiben Rehn und Sirleaf, „wie sehr sich diese verzweifelten Mädchen gegenseitig unterstützten und beschützten, obwohl sie verschiedenen Religionen angehörten und aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen stammten.“

Während die Männer Krieg gegeneinander führen, reichen die Frauen sich die Hände. Nicht nur in Sierra Leone. „Für Frauen bedeuten Waffen nicht mehr Sicherheit, sondern weniger“, so das Fazit der UNIFEM-Studie. „Wenn Frauen angstfrei leben können, kann es auch ihr Land. Wo Frauen sich sicher fühlen, ist Frieden möglich.“

Die erfahrenen Politikerinnen schätzen, dass die UNO 130 von den 200 Billionen Dollar (!), die sie in den 90ern für sieben Blauhelm-Missionen ausgab, hätte sparen können, hätte sie in Prävention – und damit in Frauen und Kinder – investiert, statt in männliche Intervention mit Waffen.

Eine kosovarische Sekretärin im Büro der UNMIK (Mission der Vereinten Nationen zur Übergangsverwaltung des Kosovo) ereifert sich: „Inzwischen ist uns Frauen klar, dass sich die UNO einen Dreck um uns schert. Was wir hier sehen, sind Männer, Männer, Männer aus Europa und Amerika, die Männern, Männern, Männern aus dem Kosovo zuhören.“

Auch in Afghanistan, wo die deutsche Bundeswehr Mitte Februar die Führung der internationalen Schutztruppe (ISAF) übernahm, sind Frauen nach wie vor nicht sicher. Rehn und Sirleaf bitter: „Für die Afghaninnen hat keine neue Ära begonnen – trotz der vielen Bilder in den Medien, auf denen sie sich die Burkas vom Körper reißen.“ Tatsache sei, dass sich die meisten Frauen in Afghanistan immer noch zwangsverschleiern müssten: „Ein Symbol für die Gewalt, unter der sie leiden. Und für ihren systematischen Ausschluss vom ökonomischen, politischen und sozialen Wiederaufbau ihres Landes.“  

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