Homo-Ehe: Jetzt nach Karlsruhe?

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In der aktuellen Debatte um die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare behaupten Gegner, die „Ehe für alle“ verstieße gegen die Verfassung. Sie sind Anwältin und spezialisiert in Rechtsfragen, die Homosexualität und Transsexualismus betreffen. Und Sie haben schon 1984 in EMMA die Auffassung vertreten, dass „die jetzige Rechtslage die homosexuelle Ehe zulässt“.
Maria Sabine Augstein: Weil Artikel 6 des Grundgesetzes - „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates“ -  die Ehe zwischen zwei Menschen nicht näher definiert. In der Weimarer Verfassung war die Ehe noch als Verbindung zwischen Mann und Frau definiert worden und auch ihr Zweck formuliert: die „Erhaltung und Vermehrung der deutschen Nation“. Das aber wollten die Grundgesetz-Geber von 1949 bewusst nicht übernehmen.

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Aber das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Urteilen erklärt, dass die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau zu betrachten sei.
Ja, aber auch die Verfassungsrichter sind Teil des Zeitgeistes. Die bisherige Rechtsprechung ging aus von dem bisherigen Verständnis der Ehe, das bei der Bevölkerung vorherrscht. Aber: Dieses gesellschaftliche Eheverständnis kann sich wandeln und hat sich ja auch massiv gewandelt. Und dieser Wandel spiegelt sich dann auch in der Rechtsprechung wider, die eben nicht statisch ist. Das ist auch in anderen Bereichen immer so gewesen. Gerade hat die JustizministerInnen-Konferenz (die 16 JustizministerInnen der Bundesländer, Anm. d. Red.) erklärt, dass aufgrund dieses gewandelten Verständnisses der Ehe in der Gesellschaft keine Änderung des Grundgesetzes nötig ist. Man könne also die Ehe per einfachem Gesetz für gleichgeschlechtliche Paare öffnen.

Theoretisch gäbe es dafür im Bundestag eine Mehrheit, aber praktisch wird die SPD nicht gegen den großen Koalitionspartner stimmen – und sind vielleicht auch nicht alle in der SPD für die Homoehe.
Die Chance, dass die Politik das Problem in den nächsten Jahren löst, ist in der Tat sehr gering. Deswegen muss man sich überlegen, ob man nicht das Bundesverfassungsgericht anrufen sollte. Denn es war schon immer das Bundesverfassungsgericht, das auf diesem Gebiet Fortschritte erzwungen und dem Gesetzgeber Aufträge erteilt hat.

Das Verfassungsgericht hat auch die Homo-Ehe im Erbrecht und im Steuerrecht gleichgestellt. Es hat ebenfalls die so genannte Sukzessiv-Adoption erlaubt – also dass einE PartnerIn das adoptierte Kind der oder des anderen adoptieren kann - und erklärt: Es sei dem Kindeswohl nicht abträglich, wenn ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung aufwächst.
Genau, dieser wichtige Punkt ist abgehakt. Kein Mensch kann jetzt also noch als Argument gegen die Öffnung der Ehe - die ja die Möglichkeit zur gemeinschaftlichen Adoption automatisch mit sich brächte - vor Gericht vortragen, dass das dem Kindeswohl nicht zuträglich wäre.

Könnte ein heiratswilliges Frauen- oder Männerpaar also bis zum Verfassungsgericht gehen mit dem Argument: Ehe und Homo-Ehe sind inzwischen Dank eurer Urteile in allen Punkten gleich, dann nennt sie doch jetzt auch gleich?
Im Prinzip ja. Man müsste allerdings die bisherige Rechtsprechung auswerten und feststellen, dass die Eingetragene Lebenspartnerschaft der gleichen Zielsetzung dient wie die Ehe. Im Übrigen gibt es in Deutschland ja auch schon gleichgeschlechtliche Ehen. Nämlich solche, in denen ein Paar als Mann und Frau geheiratet hat und ein Teil des Paares dann das Geschlecht gewechselt hat, in der Regel der Mann. Für solche Fälle hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligt, dass beides geht: Die beiden können rechtsgültig verheiratet bleiben, auch wenn beide den offiziellen Personenstand „weiblich“ haben. Das wäre natürlich auch umgekehrt denkbar, dann wären zwei Männer ganz normale Ehegatten. Die Begründung des Gerichts lautete, dass die beiden Eheleute zum Zeitpunkt der Eheschließung Mann und Frau waren. Jetzt müsste das Verfassungsgericht sich in einer neuen Entscheidung noch einen Schritt weiter bewegen. Ich bin der Auffassung, dass es im Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3, Absatz 1 GG („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Anm. d. Red.) nicht nur keinen Unterschied machen muss, sondern nicht machen darf, ob die Ehe als Mann und Frau geschlossen wurde oder ob von vornherein zwei Frauen oder zwei Männer geheiratet haben. Auch darauf kann und müsste man sich berufen.

Hat es den Versuch einer solchen Musterklage schon gegeben?
Nicht, dass ich wüsste.

Sie sind als Anwältin seit Jahrzehnten in Homo- und Queer-Rechten spezialisiert. Würden Sie eine solche Klage führen, wenn ein klagewilliges Paar sich bei Ihnen meldete?
Ja, mit Vergnügen! Denn wir müssen jetzt davon ausgehen, dass die Mehrheit der deutschen PolitikerInnen bis auf Weiteres keine entschiedenen Schritte in Richtung konsequente Homoehe tun wird. Bleibt nur das Verfassungsgericht. Ich kann nicht wissen, wie Karlsruhe entscheiden würde – aber wir sollten es versuchen. Die aktuelle Entscheidung des amerikanischen Supreme Courts für die Homoehe dürfte dabei behilflich sein.

Das Gespräch führte Chantal Louis

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Homo-Ehe: Chronik eines Kampfes!

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Juli 1984 - EMMA titelt zum ersten Mal mit der „Lesbenehe?“, setzt aber noch ein Fragezeichen dahinter, denn in Feministinnenkreisen ist die Ehe als patriarchales Herrschafts-Instrument durchaus umstritten. In EMMA wird also pro & contra diskutiert. Alice Schwarzers Position aber ist klar. Sie ist dafür: „In einer zwangsheterosexuellen Welt ist es eine Unerhörtheit, die homosexuelle Liebe so ernst zu nehmen wie die heterosexuelle.“ Die EMMA-Herausgeberin ist in Deutschland die erste, die das Recht homosexueller Frauen und Männer auf die Ehe fordert. Dass immerhin schon mal in einem ersten Schritt die „kleine Homo-Ehe“ nur 17 Jahre später Wirklichkeit werden wird, hätte sie sich allerdings nicht träumen lassen.

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Juni 1989 - Dänemark führt als erstes europäisches Land die „registrierte Partnerschaft“ für gleichgeschlechtliche Paare ein. 1993 folgt Norwegen, 1995 Schweden und 1998 die Niederlande.

März 1992 - EMMA titelt mit Hella von Sinnen und Cornelia Scheel, dem einzigen öffentlichen und offen homosexuellen Frauenpaar Deutschlands. In dem Interview fordern Hella & Conny das Recht zu heiraten.

19. August 1992 - Bei der „Aktion Standesamt“ für das Recht auf die Homo-Ehe bestellen 250 Frauen- und Männerpaare in ganz Deutschland das Aufgebot, darunter auch Hella von Sinnen und Cornelia Scheel. EMMA berichtet: „250 wollen, aber dürfen (noch) nicht. Das homosexuelle Eheaufgebot war die stolzeste Coming out-Aktion seit langem.“

6. Mai 1999 - In Hamburg schließen sieben Frauen- und Männerpaare auf dem Standesamt Eimsbüttel die „Hamburger Ehe“. Zum ersten Mal können in Deutschland gleichgeschlechtliche Paare ihre PartnerInnenschaft eintragen lassen. Die bleibt zwar rechtlich folgenlos, aber die rot-grüne Landesregierung des Stadtstaates will ein Zeichen Richtung Homo-Ehe setzen. Vor der „Hochzeit“ reist EMMA nach Hamburg und spricht mit zwei Bräuten in spe: Verena Lappe und Angela Gobelin (Foto). Die wollen nicht nur „der ganzen Welt ihre Liebe zeigen“, sondern erhoffen sich von der Aktion eine „Signalwirkung“ für die Homo-Ehe in Deutschland.

September 2000 - EMMA titelt mit Mirjam Müntefering, der offen lesbischen Tochter von SPD-Generalsekretär Franz Müntefering. Mirjam verkündet: „Ich will sie heiraten!“ (Gemeint war Mirjams damalige Freundin Astrid.) Und EMMA fragt: „Kulturkampf um die Homo-Ehe?“ Denn in Berlin ringt die rot-grüne Bundesregierung, die einen Gesetzentwurf zur Homo-Ehe vorlegen will, mit der CDU/CSU: Die will ihre Zustimmung im Bundesrat verweigern.

10. November 2000 - Der Bundestag beschließt mit den Stimmen der rotgrünen Regierungskoalition das „Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften“, kurz Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG). Die FDP, die einen eigenen eingeschränkten Entwurf vorgelegt hatte, stimmt dagegen. Die Union, die sich offensiv gegen die Homo-Ehe ausspricht, ebenfalls. Das Gesetz muss noch durch den CDU/CSU-dominierten Bundesrat, wo ihm die Gegner der Homo-Ehe erwartungsgemäß die Zustimmung verweigern. Heraus kommt ein Kompromiss mit den Rechten, die nicht zustimmungspflichtig sind: Das Recht des Paares, einen gemeinsamen Namen zu führen; das Recht auf Zuzug des/der ausländischen LebenspartnerIn, ein Mini-Pflichtanteil bei der Erbschaft. Dafür sind sich die PartnerInnen bei Arbeitslosigkeit oder Scheidung gegenseitig zu Unterhalt verpflichtet.

Dezember 2000 - Als erstes Land der Welt öffnen die Niederlande die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Damit haben Frauen- und Männerpaare uneingeschränkt die gleichen Rechte wie Hetero-Paare, inklusive Adoptionsrecht.

16. Februar 2001 - Bundespräsident Johannes Rau unterzeichnete das Lebenspartnerschaftsgesetz. Die Länder Bayern, Sachsen  und Thüringen reichen eine so genannte Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht ein. Ziel: Karlsruhe soll die Homo-Ehe für verfassungswidrig erklären.

1. August 2001 - Das „Lebenspartnerschaftsgesetz“ tritt in Kraft. In ganz Deutschland schließen die ersten Frauen und Männerpaare eine „Eingetragene Lebenspartnerschaft“ fürs Leben. EMMA berichtet aus dem Kölner Regierungspräsidium. Acht Bundesländer möchten die offizielle Anerkennung homosexueller Paare durch das standesamtliche Ritual vermeiden und schicken sie stattdessen zum Notar. Ministerpräsident Edmund Stoiber erklärt den 1. August zum „schwarzen Tag für die Familien“. Bayern reicht, zusammen mit Thüringen und Sachsen, Klage vorm Bundesverfassungsgericht ein.

17. Juli 2002 - Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Homo-Ehe für verfassungskonform. Karlsruhe urteilt: „Die Ehe wird durch das Gesetz weder geschädigt noch sonst beeinträchtigt.“

15. Dezember 2004 - Der Bundestag verabschiedet mit den Stimmen von Rot-Grün das „Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts“. Die Homo-Ehe wird jetzt in entscheidenden Punkten der Hetero-Ehe angeglichen, zum Beispiel in der Rentenversicherung. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) wagt sich auch an das heißeste Eisen: die Kinderfrage. Das Gesetz erlaubt nun auch gleichgeschlechtlichen Paaren die so genannte Stiefkindadoption. Das heißt: EinE PartnerIn kann die leiblichen Kinder der/des anderen adoptieren. In rund 35 000 sogenannten „Regenbogenfamilien“ wachsen Kinder auf.

Oktober 2009 - Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Ungleichbehandlung homosexueller Partnerschaften in der Hinterbliebenenversorgung des öffentlichen Dienstes für verfassungswidrig. Bemerkenswert ist die Begründung: Es sei „verfassungsrechtlich nicht begründbar, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass andere Lebensgemeinschaften mit geringeren Rechten zu versehen sind. EMMA ortet eine „Revolution in Karlsruhe!“

21. Juli 2010 - Das Bundesverfassungsgericht kippt die Ungleichbehandlung homosexueller Partnerschaften beim Erbrecht.

12. Februar 2013 - Die französische Nationalversammlung stimmt – nach zehn(!)tägiger Debatte bis in die späte Nacht des elften Tages – mit knapper sozialistischer Mehrheit für die „Ehe für alle“. Aber die Öffnung der Ehe für homosexuelle Frauen und Männer (inklusive Adoptionsrecht) spaltet das Land: Hunderttausende Franzosen und Französinnen waren gegen das Gesetz auf die Straße gegangen. „Die Erschütterung der heterosexuellen Liebesordnung löst nicht nur Zustimmung aus. Diesem rasanten Fortschritt in Sachen Homo-Ehe steht ein dunkler Rückschlag entgegen“, schreibt Alice Schwarzer und macht auf die steigende Verfolgung Homosexueller in religiös fundamentalistischen Staaten und Communities aufmerksam. Sie prophezeit: „Wir steuern auf eine Zerreißprobe zu.“

18. Februar 2013 - Das Bundesverfassungsgericht erklärt die so genannte „Sukzessiv-Adoption“ für verfassungsgemäß: EinE LebenspartnerIn darf das adoptierte Kind der/des anderen ebenfalls adoptieren. Begründung: „Die behüteten Verhältnisse einer Eingetragenen Lebensgemeinschaft können das Aufwachsen von Kindern ebenso fördern wie die einer Ehe.“ Dennoch gibt es bis dato kein Adoptionsrecht für verpartnerte Frauen- oder Männerpaare. Bekommt ein Frauenpaar ein Kind via Insemination, spielt sich das in einer rechtlichen Grauzone ab.

6. Juni 2013 - Das Bundesverfassungsgericht kippt die Ungleichbehandlung homosexueller Partnerschaften im Steuerrecht. Damit können auch Eingetragene Lebenspartnerschaften vom so genannten Ehegattensplitting profitieren. EMMA, die seit 1979 für die Abschaffung dieser staatliche Subventionierung der Hausfrauen-Ehe gekämpft hat, fordert: „Gleiches Erbrecht für alle: Ja! Splitting für alle: Nein!“

22. Mai 2015 - Mit Zwei-Drittel-Mehrheit stimmen die IrInnen in einem Referendum für die Öffnung der Ehe für Frauen- und Männerpaare. Es ist eine Sensation. „Das stockkatholische und lange stockkonservative Land hat mit überwältigender Mehrheit Yes gesagt zur Ehe für alle. Was ausstrahlen wird auf ganz Europa“, schreibt EMMA. In Skandinavien, Holland, Belgien Luxemburg, Spanien und Portugal ist die Ehe bereits für Frauen- und Männerpaare geöffnet.

26. Juni 2016 - Der Oberste Gerichtshof der USA öffnet in einem Grundsatzurteil die Ehe aus für homosexuelle Paare. Es sei nicht rechtens, dass Frauen- und Männerpaare "von einer der ältesten Institutionen der Zivilisation ausgeschlossen werden", erklärt Richter Anthony Kennedy. "Sie bitten um gleiche Achtung vor dem Gesetz. Die Verfassung gewährt ihnen dieses Recht." Präsident Obama bezeichnet das Urteil als "Donnerschlag".

Juli 2016 Die Debatte schlägt hohe Wellen. Auch in der CDU mehren sich die Stimmen für die Öffnung der Ehe für Frauen- und Männerpaare, darunter die CDU-Präsidiumsmitglieder Julia Klöckner und der offen homosexuelle Jens Spahn. Und: 64 Prozent aller Union-Wähler sind laut Forsa dafür. Spätestens nach den (gewonnenen?) Wahlen 2017 dürfte auch die die noch zögernde Kanzlerin sich ein Herz fassen und Ja sagen zur Ehe für alle. Aber angesichts der Fahrt, die die Homo-Ehe jetzt aufgenommen hat, könnte das sogar noch früher passieren. Aber immerhin doch erst 30 Jahre, nachdem EMMA erstmals die Homo-Ehe gefordert hatte.

30. Juni 2017 Der Bundestag beschließt mehrheitlich das Recht auf die Ehe auch zwischen zwei Frauen bzw. zwei Männern. Die Homoehe ist der Heteroehe jetzt auch in Deutschland uneingeschränkt gleichgestellt (inklusive Adoptionsrecht). "Ein gewaltiger Schritt, der nicht nur von juristischer, sondern auch von hoher symbolischer Bedeutung ist", schreibt Alice Schwarzer.

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