Warrior Marks - gegen Kastration von Frauen

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Und dabei ist Walker und Parmar etwas Ungeheuerliches gelungen: Sie haben das Schreckliche gezeigt, ohne es zu wiederholen. In ihrem Film werden die Opfer nicht noch einmal gedemütigt, sie behalten ihre Würde. Mehr noch: Der Film ist trotz der Wahrheit über das Grauen gleichzeitig die Überwindung dieses Grauens. Der Film zeigt die Zerstörung der Frauen aber er zeigt auch ihre Schönheit, Sinnlichkeit und Stärke. Er beweist, dass Beschneidung nichts mit Kultur zu tun hat, sondern eine Folter ist. Walker: "Sklaverei war auch eine Tradition. Und auch diese Tradition ist bekämpft worden."

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Walker hat den 60-Minuten-Film mit der Hälfte des Honorars ihres Romans "Sie hüten das Geheimnis des Glücks" gedreht (dessen Thema ebenfalls die "Klitorisbeschneidung" ist). Das noch fehlende Geld gab der fortschrittliche englische TV-Sender Cannel 4. "Warrior Marks" (ein Wort, das Kriegsverletzung und Kriegsbemalung zugleich bedeutet) wird in Deutschland erstmals am 30. Juni in Hamburg bei den "Lesbisch-Schwulen Filmtagen" gezeigt, im Oktober soll er nach München kommen. Ein Angebot eines deutschen TV Senders steht noch aus.

In den Ländern Europas, in denen innerhalb der Einwanderer-Kolonien auch  hierzulande  beschnitten wird (wie in Frankreich oder England), und in den USA hat der Film längst Furore gemacht. Er gab dem Widerstand gegen die Kastration von Frauen neue Impulse. - Gleichzeitig rief er die Befürworterinnen der "kulturellen Tradition der Klitorisbeschneidung" auf den Plan, deren Argumente lauten, dies sei eine Einmischung in andere Kulturen, und schließlich seien es Frauen, die das den Mädchen antun ...

Der Protest begann nicht zufällig Mitte der 70er Jahre mit der Neuen Frauenbewegung in den europäischen Ländern, in denen beschnittene Frauen leben. Schwarze und weiße Frauen bekämpfen seither die blutige Folter, deren Opfer in Afrika und im Vorderen Orient 80 bis 100 Millionen Frauen zählen. Und jährlich werden weitere Millionen verstümmelt.

Ein Messer oder eine Rasierklinge in Frauenhand trennt zunächst die Klitoris ab (das körperliche Lustzentrum der Frau), sodann die kleinen Schamlippen und oll auch Teile der großen Schamlippen. Manchmal wird die Wunde zugenäht, bis nur noch ein ganz kleines Loch bleibt für Urin. Alles geschieht ohne Betäubung. Die Opfer sind zwischen einem Monat und 10 Jahren all, manchmal auch schon erwachsen.

Die körperlichen Folgen dieser Kastration sind lebenslang: eiternde Wunden und infernale Schmerzen beim Koitus und bei der Geburt, sowie permanente Infektionsgefahr für Aids. Vor der Hochzeitsnacht prüfen die Schwiegermütter, ob die Braut verschlossen ist (zugewachsen oder vernäht). In der Hochzeitsnacht öffnet der Mann seine Frau mit dem Messer. Am Morgen danach rühmt er die "Härte und Undurchdringlichkeit" seiner Frau.

Nicht "ausreichend" verstümmelte und verschlossene Frauen kann der Mann mit Schande zu den Schwiegereltern zurückschicken. Unverstümmelte Frauen haben keine Chance, einen Ehemann zu finden. Mütter, die ihre Töchter schützen, werden verstoßen.

Auch die seelischen Folgen der Verstümmelung sind lebenslang: Frigidität, Depression, Selbsthass. Oft treten nach der Beschneidung starke Persönlichkeitsveränderungen auf, einst übermütige kleine Mädchen werden still und fügsam.

80 bis 100 Millionen Frauen sind von dieser Folter betroffen, die in Ost-, Westund Zentralafrika praktiziert wird. Und mitten in Europa. Innerhalb einer einzigen Generation könnte die grausame Tradition beendet sein, wenn die sexuelle Verstümmelung von von Frauen endlich geächtet würde und die Männer bereit wären, auch unverstümmelte Frauen zu heiraten.

Amnesty International London hat die sexuelle Verstümmelung (wie die Beschneidung verharmlosend genannt wird) längst als Folter verurteilt. Die deutsche Sektion von ai konnte sich bis heute nicht zu einer Stellungnahme durchringen ... Auf der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking soll, so hoffen die Aktivistinnen, eine definitive Verurteilung der "Klitorisbeschneidung" als "Folter" und "Verstoß gegen die Menschenrechte von Frauen" verabschiedet werden.

In ihrem so anrührenden und trotz allen Schreckens so mitreißendem Film tragt Alice Walker einmal eine Afrikanerin, ob sie ihre Tochter auch hätte beschneiden lassen, wenn sie Macht gehabt hätte, dies zu verhindern. Die Frau schweigt einen Moment lang verwirrt und antwortet dann sehr klar: Nein. Wenn ich die Macht dazu gehabt hätte, hätte ich meine Tochter beschützt!
 

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