Albtraum der Rechten

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Gertraud Knoll ringt mit dem Wort, schon ihr ganzes Leben lang. Nun wird sie bald 50, doch das Reden fällt ihr immer noch nicht leicht. Nicht etwa mangels Eloquenz und Esprit, sondern weil es ihr gleich viel bedeutet wie das Tun. Es muss im Einklang stehen.

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Im November trat die ehemalige Bischöfin aus der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich aus. Der Entschluss reifte an dem Tag, als Jörg Haider starb. Die Kirchenspitze hatte eine Pressemeldung veröffentlicht, in der sie dem rechtspopulistischen Parteiführer und Landeshauptmann von Kärnten huldigte – für sein „Charisma“, seine „Einfühlsamkeit und Hilfsbereitschaft“. Vergessen waren ­Haiders gemeine Angriffe gegen alles Fremde, das Inhumane seiner Politik, seine antisemitischen Anspielungen. Als das falsche Lob auch noch in einem Hirtenbrief landete, der in jeder Kärntner ­Pfarre zur Verlesung kam, setzte Knoll das Vorhaben in die Tat um. Nicht ohne vorher die Verantwortlichen um Klärung gebeten zu haben. Man schwieg.

Bei ihrer Bischofswahl vor anderthalb Jahrzehnten war die ­damals 36-jährige Theologin noch als „blonder Engel“ durch die Gazetten gegeistert, ein Trumpf der evangelischen Religionsgemeinschaft, die im Österreichischen eine vierprozentige Randerscheinung ist. Das währte nicht. Knoll hatte es gewagt, nach einem Sprengstoffanschlag auf eine Roma-Siedlung, bei der vier Menschen ums Leben kamen, vom „vergifteten Klima“ im Lande zu sprechen, das durch politische Ausländerhetze genährt werde. Jörg Haider war empört.

Drei Jahre danach trat sie als überparteiliche Kandidatin bei der Bundespräsidentenwahl an. Ihr Förderer, der Künstler André Heller, meinte kryptisch, sie werde „nach diesem Wahlkampf nicht mehr dieselbe sein wie zuvor“. Die Weissagung erfüllte sich, auf glück­liche Art und Weise. Knoll spricht heute nicht mehr im Kanzelton über das politische Geschehen. Doch damals war die Welt, aus der sie kam, eine andere Rede gewöhnt. Knoll riss große Themen an: den Hunger in der Welt, die Globalisierung. Sie stellte die uralte Frage nach dem Sinn des Lebens und ihre Antwort war ebenso banal wie überzeugend: Der Mensch zählt, bevor er sich auszahlt. Selbst von wohlwollender Seite wurde der Vorwurf laut, sie setze Werte und Gefühle an die Stelle von Politik.

Knoll hatte ihre Haltung gegenüber der Welt zu ihrem Programm gemacht und wurde von 14 Prozent der Österreicher und Österreicherinnen gewählt. Den mittlerweile verstorbenen Bundespräsidenten Thomas Klestil, der von den Konservativen für eine zweite Amtsperiode ins Rennen geschickt worden war, und der auch von den Sozialdemokraten empfohlen wurde, hatte sie nicht besiegen können. Außerdem war eine zweite Frau angetreten, die Ikone der Liberalen, Heide Schmidt, die gerade unter Frauen ein ähnliches Wählerpotenzial ansprach.

Am Ende des Wahlkampfs hatte sich Knolls Haut an den Händen zu schälen begonnen, „dort wo die Nervenenden an die Oberfläche kommen“, erinnert sie sich. Sie war verletzt und gekränkt, dass man ihr „politische Naivität“ nachsagte. Sie wisse jetzt, warum sie für Parteipolitik nicht geschaffen sei, sagte sie damals.

Knoll ging dorthin zurück, wo sie hergekommen war und stellte sich ein zweites Mal der Bischofswahl. Von da an war sie eine ­Bedrohung. Und man ließ es sie spüren. Als in Österreich im Jahr 2000 eine rechtskonservative Regierung unter Teilnahme Haiders FPÖ angelobt wurde, trat Knoll bei einer Protestdemonstration am Wiener Heldenplatz als Rednerin auf – im „Minirock“, wie die ­Haider-Anhänger geiferten. Nun begannen freiheitliche Kirchenfunktionäre, Unterschriften gegen Knoll zu sammeln. Morddrohungen trafen ein. Man solle sie als Hexe verbrennen, hieß es in anonymen Schreiben. Sie habe das Jagdfieber „durch ihr Verhalten selbst ausgelöst“, sagte der Sprecher einer Freiheitlichen Initiative, die ihre Absetzung betrieb.

Solche Briefe steckt man nicht einfach weg. Gertraud Knolls fünfköpfige Familie und die afghanischen Flüchtlinge, die eine Zeit lang bei den Knolls eine Heimstatt gefunden hatten, mussten unter Polizeischutz leben. Mit der strikten Anweisung, die Rollläden ­herun­terzuziehen und den Kommandanten zu benachrichtigen, wenn die Kinder von der Schule abgeholt werden mussten. Tag und Nacht stand eine Wache vor dem Haus. Für die damals sechsjährige Eleni, eine von Knolls Töchtern, bedeutete „Politik – ein dicker Polizist“.

In einer Lokalzeitung wurde Knoll als machtgeile Domina karikiert, die sich „in schwarzes Leder kleidet“ und „nicht zu befrie­digen“ sei. Erst Jahre später stellte sich heraus, dass der aggressive ­Sexismus seinen Ursprung (auch) in einem evangelischen Militärpfarrer hatte, der sich in seiner Freizeit als Pornodarsteller betätigte.

Im Jahr 2002 legte Knoll ihr Bischofsamt nieder. Schweren Herzens. „Es hätte die Kirche sonst zerrissen“, sagt sie. Knoll stammt aus einem kleinbürgerlichen Elternhaus in der Stahlstadt Linz. Ein starkes Gerechtigkeitsgefühl habe sie zur Theologie gebracht. Trotz aller Vorbehalte gegenüber Parteien engagierte sie sich im Jahr 2002 bei den Sozialdemokraten, die ihrer jedoch auch nicht glücklich wurden. Knoll war eine der wenigen, die sich der Parteilinie verweigerte und den Beschluss für ein fremdenfeindliches Asylgesetz nicht mittrug. Jetzt ist kein Platz mehr für sie im Nationalrat.

Knoll ist keine Idealistin, die glatt durch Mauern geht und sich wund stößt an der Luft. Auch keine Moralistin, die um die ­eigene Identität kreist. Sie fühlt sich nur einfach verantwortlich.

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