Die Jungs in der Krise

Silvester Stallone in "Rocky". - Sie fühlen sich abgehängt, klagen die jungen, weißen Männer. - Foto: Bert Reisfeld/dpa
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„Jungs dürfen nicht zu den Verlierern unserer Gesellschaft gehören“, sagte die CDU-Politikerin in der Haushaltsdebatte. Ihr Ressort erhält 2026 mit 14,72 Milliarden Euro rund eine halbe Milliarde mehr als in diesem Jahr – und setzt neue Schwerpunkte: Ihr sei es wichtig, „dass wir in allen Politikbereichen Jungs und junge Männer besonders in den Blick nehmen“, so Prien. Denn die haben zu kämpfen. Nicht wie einst Rocky (gespielt von Sylvester Stallone). Der wurde als Underdog noch wie ein Held gefeiert.

Heute hat er einen ziemlich schlechten Ruf und gilt als „toxisch“. Das macht ihn ziemlich wütend: auf Frauen, Minderheiten und Wokeness. Hat er mit manchem, was er beklagt, womöglich Recht?

Der alte weiße Mann wird als Sündenbock längst vom jungen Mann übertroffen

Vor ein paar Jahren bestand noch die Hoffnung, dass die treibende Kraft hinter dem Rechtsruck bald aussterben würde. Damals war viel die Rede vom „wütenden, weißen, alten Mann“, der die Zeichen der Zeit nicht erkennen wollte und aus Protest gegen den Verlust seiner Privilegien rechts außen wählte. Doch dieser vermeintliche Sündenbock wird mittlerweile längst übertroffen von den Jungen. Bei der vergangenen Bundestagswahl wählten 17 Prozent der über 60 Jahre alten Männer die AfD, unter den 18- bis 29-Jährigen waren es zehn Prozent mehr.

Auch in den USA hat Donald Trump die Wahl vor allem mit Hilfe von Männern gewonnen. Zuvor weitgehend unpolitische junge Wähler haben ihm die entscheidenden Prozentpunkte verschafft. Wie sehr ihre Mobilisierung damit zu tun hat, dass sie mit ihrem Status als Mann hadern, beweisen Umfragen: Danach ist der Glaube an „hegemoniale Männlichkeit“ – also daran, dass Männer stark und hart sein sollten – mit der größte gemeinsame Nenner von Trump-Wählern.

Es stellt sich also die Frage, woher dieser überwältigende Frust von Männern mit ihrem Los plötzlich kommt. Warum sind Männer mit einem Mal so fertig mit der Welt, dass sie bereit sind, ein Monster zu schaffen, das womöglich das gesamte System über den Haufen wirft, die liberale Demokratie gefährdet und den Rechtsstaat abschafft? Warum ist die Wut so groß und warum gerade jetzt?

Um das zu begreifen, hilft eine alte Zeile von Herbert Grönemeyer. „Männer sind auch Menschen.“ Das ist eine Binsenweisheit, die angesichts des Monsters, das sie geschaffen haben, in letzter Zeit leicht vergessen wurde. Sie sind Väter und Söhne, Brüder und Ehemänner mit normalen menschlichen Bedürfnissen, woraus der Schluss folgt, dass sie nicht Geringschätzung verdienen, sondern Empathie. 

Männer und auch manche Frauen wählen nicht aus Doofheit rechtsextrem

Um die derzeitige Systemkrise zu verstehen, muss also akzeptiert werden, dass Männer (und auch manche Frauen) nicht aus Doofheit rechtsextrem wählen, sondern aus Gründen, die nachvollzogen werden können.

Da ist zunächst die spektakuläre Ungleichheit. Nie zuvor in der Nachkriegszeit war die Kluft ­zwischen Arm und Reich so groß. Wirtschaftlich abgehängt wird dabei niemand brutaler als junge Arbeiter ohne höhere Bildung. Industrien, die ihnen Berufe boten, wandern ab. Die Gewerkschaften sind nur noch ein Schatten ihrer Selbst. Arbeiterlöhne, mit denen heute noch eine Familie ernährt werden kann – geschweige denn in einer guten Wohngegend – haben Seltenheitswert.

Junge Frauen haben unter diesen Trends weniger zu leiden als Männer. Sie sind sozial mobiler als Männer, schließen besser in der Schule ab, gehen öfter auf die Universität und haben höhere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wo immer weniger Muskelkraft gefragt ist, zählt die Bereitschaft zur Dienstleistung.

Für Männer bedeutet das sinkende Einkommen häufig Einsamkeit und soziale Isolation. Arm zu sein macht auch weniger attraktiv. Eine norwegische Studie hat herausgefunden, dass die mit Abstand größte Bevölkerungsgruppe, die ungewollt kinderlos bleibt, geringverdienende Männer sind. In dieser Abwärtsspirale leidet auch die Gesundheit: Männer verfallen deutlich öfter der Abhängigkeit von Alkohol, Videospielen, Porno­graphie oder Glücksspiel. In Deutschland ist die Selbstmordrate von jungen Männern mehr als viermal so hoch wie die junger Frauen.

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Diese Statistiken und Langzeittrends sind bestürzend – bergen allerdings im Kern nichts Neues. Schließlich wird körperliche Kraft seit Beginn der Industrialisierung durch immer neue Maschinen ersetzt. Einfache, ungebildete Männer haben deshalb seit langem besonders unter Umbrüchen zu leiden. Bislang haben sie diese Verluste jedoch stets eingesteckt und die Krisen überwunden, ohne vor lauter Wut und Rachsucht das gesamte System sprengen zu wollen.

Für diesen Stoizismus sind sie lange Zeit gefeiert worden. Männer, die es schwer hatten, wurden im Film, in der Musik und in der Literatur positiv dargestellt, als klassische Helden. In seinem Klassiker „Rocky“ setzte Sylvester Stallone den sogenannten Abgehängten ein zeitloses Denkmal. Er offenbarte ihren täglichen Kampf um Respekt und Unterhalt, zeigte ihre Schwächen, ihre mangelnde Bildung, ihre Unfähigkeit sich auszudrücken und beschwor ihren Über­lebenswillen. Musiker wie Bruce Springsteen und Johnny Cash erzählten in den USA davon, wie schwer es ist, über die Runden zu kommen. Die Toten Hosen taten es in Deutschland. Auch in der Literatur widmeten sich Schriftsteller wie Max Frisch oder Botho Strauß voll Sympathie dem männlichen Leid.

Heute ist es mit dieser Anerkennung weitgehend vorbei. Das Auskommen vieler Männer ist zwar schwerer als früher, ihre Einsamkeit tiefer und ihre Verzweiflung größer. Doch im vergangenen Jahrzehnt haben sich sogar die traditionell Verbündeten sozial Schwacher von ihnen abgewendet. Gerade Parteien links der Mitte und der Kulturbetrieb sind vollkommen in Anspruch genommen von den sogenannten Culture Wars, von MeToo, Black Lives Matter und Woke.

In diesen Milieus gelten Frauen und Minderheiten, grob gesprochen, als interessant und gut; heterosexuelle Männer als eher toxisch, gefährlich und unverbesserlich. Dabei haben sie objektiv betrachtet seit mehreren Generationen gelernt, Frauen (nicht gleichberechtigt und beileibe nicht perfekt, aber) besser zu behandeln als ihre Vor­väter. Trotzdem neigt der Zeitgeist dazu, sie entweder misstrauisch zu behandeln oder sich über sie lustig zu machen.

Das britische Umfrageinstitut YouGov hat herausgefunden, dass weiße Männer in den Zwanzigern den mit Abstand schlechtesten Ruf unter allen Ethnien und Altersgruppen haben. Die Umfrage fand vor MeToo statt – seitdem dürften die Werte noch weiter gefallen sein.

Die Grenzen zwischen Männlichkeit und Frauenhass sind fließend

Vor diesem Hintergrund haben sich viele Männer abgewendet vom Mainstream, der sie nicht mag. Gleichgesinnte, Respekt und Bestätigung finden sie stattdessen in der sogenannten Mano­sphere im Internet, die in die Marktlücke für Männerversteher gestoßen ist. Die Grenzen zwischen hegemonialer Männlichkeit, Gewaltverherrlichung, Frauenhass, Übermenschen-Phantasien und autoritärem Gedankengut sind in diesen Foren fließend. Frustrierte Jugendliche suchen hier nach Vorbildern und Anleitung, wie man unter schwierigen Bedingungen zum Mann wird. Dabei werden sie abgeholt von rechtsradikalen Influencern, die beteuern, dass es okay sei, ein Mann zu sein, weiß und nicht besonders kultiviert, und Vorurteile gegen Frauen und Fremde zu hegen. Das Gefühl, missverstanden zu werden, wird dabei in Wut potenziert gegen vermeintlich männerfeindliche Eliten, bevorteilte Immigranten und andere Minderheiten – und gegen Frauen. Aus Entfremdung wird Hass. Aus Bedürftigkeit Rachsucht.

So ist es Stück für Stück zu einer verhängnisvollen Verkettung unglücklicher Umstände gekommen: Die materiellen Verluste wurden verschlimmert durch den kulturellen Verlust an Wertschätzung und den Verstärkereffekt sozialer Medien. Dabei herausgekommen ist jenes rasende Monster, das den Westen von innen auszuhöhlen droht. Wie es gestoppt werden kann, weiß im Moment kein Mensch. Denn danach, dass es Männern in absehbarer Zeit besser gehen wird, dass die Abgehängten wirtschaftlich aufholen und die Entfremdeten sich von der Mitte akzeptiert fühlen, sieht es nicht gerade aus. Nach der Regulierung von sozialen Medien auch nicht. Die Versorgung mit unstillbarer Wut und Frauenhass ist also vorerst gesichert. 

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