Alice Schwarzer schreibt

Islamismus: Offene Antwort

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Quer über dem Text mit dem pathetischen Titel „Gerechtigkeit für Muslime“ steht ein Foto, aus dem acht fröhliche junge Frauen und ein lächelnder Mann herausschauen. Der Mann trägt eine modische Wollmütze, die Frauen tragen ihr Haupthaar. Offen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass auch nur eine der acht sich in dem Text wiederfinden würde.

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Denn in dem „Offenen Brief“ in der Zeit vom 1.2.06, geschrieben von einer Frau und einem Mann und unterzeichnet von „60 deutschen Migrationsforschern“, geht es eben nicht um diese Art junger Frauen, die aussehen wie alle anderen, egal ob sie nun muslimisch, christlich, jüdisch oder atheistisch sind. Es geht um die Anderen.

Die drei Frauen allerdings, gegen die der „Offene Brief“ im Namen der „Wissenschaft“ polemisiert, könnten locker zwischen den acht stehen. Sie heißen Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek und Seyran Ates und sind von Beruf Politikerin, Soziologin und Anwältin. Doch das, wofür sie bekannt geworden sind, hat weniger mit ihrem Beruf zu tun und eher mit ihren Lebenserfahrungen.

Die eine, Hirsi Ali, hat ihre Familie irgendwie überlebt, ist vor einer Zwangsverheiratung geflohen und hat mit ihrer Kritik am fundamentalistischen Islam mitten in Europa eine lebensbedrohliche Fatwa auf sich gezogen. Die andere, Ates, hat sich von einer traditionellen muslimischen Familie, die sie bis heute liebt, schmerzlich emanzipiert und als Mitarbeiterin eines Frauenladens die Schüsse eines Türken, Motiv Frauenhass, nur knapp überlebt. Die dritte, Kelek, ist ebenfalls den langen Weg der zweiten Generation von der Türkei nach Deutschland in die Selbstständigkeit gegangen und macht zur Zeit Furore als Autorin von Büchern, die über diese Erfahrung subjektiv berichten und objektiv informieren.

Die Frauen sind drei von vielen, die endlich – nach Jahrzehnten des Schweigens – reden. Und es werden jeden Tag mehr. Diese Frauen riskieren viel: den Verlust der Liebe ihrer Familie, die Ächtung ihrer Community, die Heimatlosigkeit zwischen allen Fronten oder auch die psychische und physische Einschüchterung bis hin zur Vernichtung. Doch ihrem Mut verdanken wir alles. Sie waren es, die die Omerta gebrochen haben. Das Gesetz des Schweigens, das besagt: Was innerhalb der Familie passiert, geht draußen niemanden etwas an. Draußen, das sind die Nachbarn, das sind die Deutschen, das sind die Anderen.

Wir können heute von einer regelrechten Emanzipationsbewegung junger Musliminnen in Westeuropa reden: vom Wedding Seyran Ates’ über das Amsterdam Ayaan Hirsi Alis bis hin zu den Pariser Vororten der Gruppe Ni putes, ni soumises (Weder Huren noch Unterworfene). Dieser Bewegung verdanken wir die Wahrheit über das, was da hinter verschlossenen Türen – oder auf offener Straße – Tag für Tag passiert. Das Private ist eben immer noch politisch.

Einer der Nebeneffekte dieser Bewegung ist ihre manchmal voyeuristische Vermarktung durch Verlage und Medien oder der Versuch fremdenfeindlicher Kräfte, diese bittere Wahrheit gegen ganze Menschengruppen zu funktionalisieren: gegen „den“ Islam, gegen „die“ Muslime, gegen „die“ Araber etc. Das kann, ja muss kritisiert werden. Aber darum geht es hier nicht.

Die AutorInnen des „Offenen Briefes“ in der Zeit sind nach eigenen Angaben „Migrationsforscher“, also aus einer Branche, die unter den Fittichen rotgrüner Multi-Kulti-Förderung boomte. Sie haben es jahrelang verstanden, mit ihrem politisch korrekten „Dialog“ und ihrem Anti-Rassismus-Diskurs die wirklichen Verhältnisse zu verschleiern. So wurde nicht nur deutsche Ignoranz genährt, sondern auch der überwältigenden Mehrheit der nicht-fundamentalistischen Menschen im muslimischen Kulturkreis schwer geschadet. Denn deren Probleme wurden geleugnet und so immer größer.

Eigentlich wäre zu vermuten gewesen, dass diese Islamisten-Freunde nach dem 11. September endlich nachdenklich werden. Oder aber spätestens erschrecken angesichts der Terror-Welle gelenkter Gottesstaatler, die für ein paar Karikaturen Botschaften und Menschen abfackeln. Mitnichten. Sie gehen in die Offensive, im Jahr 2006. Was Gründe hat. Das politische Klima wird kühler für die Multi-Kultis. Und der warme Strom der Pfründe fließt jetzt weniger in die oft separatistische Migrationsforschung und eher in integrative Initiativen.

Die Erfahrungen, Proteste, Bücher oder Filme der sich befreienden Musliminnen sind für diese 60 vorgeblichen Migrationsforscher (von denen laut FAZ vom 9.2.06 nur jeder fünfte auch einer ist) nichts als „unwissenschaftlich“ und „unseriös“, „reißerische Pamphlete“ oder „Boulevardliteratur“. Und arrangierte Ehen sind für sie lediglich „das Ergebnis der Abschottungspolitik Europas gegenüber geregelter Einwanderung“. Dass Migrationsforscher wagen, so etwas zu schreiben, kann nur so erklärt werden, dass sie von ihren Schreibtischen an den Unis in Bremen und Hamburg (daher kommen die meisten) oder Köln und Essen (daher kommen ein paar) selten wegkommen und Berlin-Kreuzberg, Köln-Mülheim oder Anatolien vorwiegend vom Papier her kennen. Vor allem aber: Seit wann hätte jemals die Wissenschaft die Gesellschaft verändert? Das tun Betroffene – und die Wissenschaft liefert im besten Fall objektive Informationen und Analysen dazu.

Vollends grotesk aber wird der in der Zeit erhobene Vorwurf der „Unwissenschaftlichkeit“, wenn wir uns die AutorInnen des Traktats ansehen: Yasemin Karakasoglu und Mark Terkessidis. Die eine ist Erziehungswissenschaftlerin an der Uni Bremen und der andere ist freier Autor in Köln. Beide haben interessanter Weise binationale Eltern, sie einen türkischen Vater, er einen griechischen. Sie kommt aus der militanten Pro-Kopftuchszene, deren hervorragende Stimme sie ist; er kommt aus der radikalen Linken.

Yasemin Karakasoglu selbst ist sehr, sehr weit von wissenschaftlicher Neutralität entfernt und sehr, sehr eng mit der islamistischen Szene in Deutschland verbandelt. Es war ihr Gutachten, das beim so genannten Kopftuch-Urteil des Verfassungsgerichtes – bei dem es um die Frage ging, ob Lehrerinnen in deutschen Schulen das Recht haben sollen, in der Klasse Kopftuch zu tragen – den Ausschlag gab für die halbherzige Entscheidung, nichts zu entscheiden. Karakasoglu, für die ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst eine „deutsche Fatwa“ ist und Kopftuchträgerinnen „glückliche Töchter Allahs“ sind, stützte sich dabei auf eine eigene „wissenschaftliche Untersuchung“, die beweise, dass das islamische Kopftuch absolut vereinbar sei mit einer „modernen Lebensführung“. Für diese Untersuchung hatte die Professorin 25 (!) von ihr ausgesuchte türkische Pädagogikstudentinnen nach ihrer Haltung zum Kopftuch befragt. Übrigens: Yasemin Karakasoglu selbst wurde noch nie mit Kopftuch fotografiert.

Seit den 90ern ist die Erziehungswissenschaftlerin politisch sehr aktiv, seit 2004 hat sie eine Professur in Bremen für „interkulturelle Bildung“. WissenschaftlerInnen, die es wagen, auf die Gefahr von Identitätsstörungen und Gewaltbereitschaft islamischer Jugendlicher in Deutschland aufmerksam zu machen, wie Prof. Wilhelm Heitmeyer in einer Studie, greift sie als „rassistisch“ an. Und gern gibt sie über diesen „rassistischen Diskurs“ ellenlange Interviews, zum Beispiel in der Islamischen Zeitung.

Letzten Monat saß Karakasoglu mal wieder auf einem Podium mit den Freunden und Freundinnen der bärtigen Brüder, wie dem deutschen Konvertiten Mohammed A. Hobohm (Geschäftsführer der König-Fahad-Akademie in Bonn, die der Verfassungssschutz eigentlich geschlossen wissen möchte wg. fundamentalistischer Umtriebe), dem Konvertiten Murat Hofmann (Ex-Botschafter, deklarierter Fundamentalist und Verantwortlicher des Annemarie-Schimmel-Forums) und last but not least Tariq Ramadan (führender islamistischer Theoretiker in Europa).

Auch Sabiha El-Zayat saß mit auf dem Podium bei diesem „Internationalen Symposium“ am 21./22. Januar 2006 im Bonner Haus der Evangelischen Kirche. (Die mit ihrer übereifrigen Bereitschaft zur Anbiederung, Selbstaufgabe und zum sich Erstickenlassen in der Umarmung der Anderen nochmal ein Extra-Kapitel wäre.) El-Zayat ist die Tochter von Amina Erbakan, Nichte des Islamistenchefs Necmettin Erbakan, Schwester des langjährigen Milli Görüs-Chef Mehmet Erbakan und Ehefrau von Ibrahim El-Zayat, „der als Multi-Manager in ein weitgefächertes islamistisches Geflecht hineinwirkt“ (Raddatz). Kurzum, da saßen mal wieder alle beieinander. Und Karakasoglu mittendrin.

Es wären noch etliche Namen aus dem harten Kern dieser Kreise der Rede Wert, die selbstverständlich auch 2003 bei dem von der grünen Ex-Ausländerbeauftragten Marie-Luise Beck initiierten ‚Aufruf wider eine Lex-Kopftuch‘ dabei waren. Prof. Barbara John zum Beispiel, ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte und Initiatorin und Kuratoriumsmitglied der ‚Muslimischen Akademie‘; oder Prof. Ursula Boos-Nünning, Pädagogin von der Uni Duisburg/Essen; oder Prof. Ursula Neumann, an der Hamburger Universität zuständig für „interkulturelle Pädagogik“ (Neumann antwortet der Welt übrigens auf die Nachfrage, ob ihr Forschungen zum Problem der Ehrenmorde bekannt seien: „Man kann nicht über alles forschen“). Oderoderoder. Es sind eben immer dieselben.

Aber was macht ein Mark Terkessidis in der Runde? Diplom-Psychologe in Köln, Ex-Spex-Redakteur und Mitglied von Kanak Attak, seine Themen: Populärkultur, Identitätsbildung, Rassismus. Zu letzterem liefert Terkessidis auch gleich eine wissenschaftliche Definition: „Ich möchte Rassismus als eine Verbindung von sozialer Praxis und gleichzeitiger Wissensbildung fassen“. Noch ein Zitat? „Die wenigen Merkmale, mit denen der Islam dargestellt wird, ergeben eine Art Syndrom, das wie ein Spiegel funktioniert – eine glatte Fläche, in der wiederum in strategischem Sinne das Fremde umgekehrt das Eigene reflektiert.“

Genug der Quälerei. Terkessidis gehört also zu dieser Sorte postmoderner, selbstreferenzieller, pseudoradikaler Intellektueller, die viel mit ihrer Selbstdarstellung und wenig mit dem Begreifen der Welt zu tun haben.

„Eine einzige geballte Peinlichkeit“ nennt nicht nur die Islamwissenschaftlerin Prof. Ursula Spuler-Stegemann (Muslime in Deutschland) das Traktat dieser „60 so genannten Migrationsforscher, die den Islam und die hiesige Lebenswirklichkeit nur selektiv wahrnehmen – und die offenbar ihre Pfründe schwinden sehen“.

Nun, für eine Seite in der so liberalen Zeit reicht es noch immer. Doch die war aufschlussreicher, als es ihren AutorInnen und deren Gefolgschaft lieb sein kann.

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