Alice Schwarzer schreibt

Marilyn Monroe: Es war Mord

Artikel teilen

Marilyn war meine fünfte Liebe. Nach Hildegard Knef, Elvis Presley und Volker Alischewski. Und nach James Dean. Die Nachricht von ihrem Tod - ich weiß es noch genau - entnahm ich einer "Bild"- Schlagzeile. Damals war es noch Ehrensache, "Bild" nicht zu kaufen, dieses eine Mal kaufte ich. Marilyn Monroe tot. Selbstmord. Mit 36. Ich setzte mich laut schluchzend auf den Bordstein, mitten in Timmendorf. Meine beste Freundin, Barbara, schaffte es kaum, mich zu trösten. Wir schrieben den 6. August 1962, und ich war 19. Barbara kannte das schon, das mit mir und Marilyn. Im Jahr davor war ich schier entrückt aus "Let's make love" getaumelt, meine beste Freundin wie üblich im Schlepptau. Und "Manche mögen's heiß" hatte ich schon damals mindestens dreimal gesehen (seither habe ich nicht weitergezählt).

Anzeige

Meine jugendlichen Schwärmereien für Marilyn und Elvis sind mir seither nicht vergangen - inzwischen weiß ich aber, warum. Elvis, das ist nochmal ein anderes Kapitel. Reden wir von Marilyn.

Das "Sexsymbol" war natürlich nie nur das. Sie war immer mehr. Ihre Wundheit, ihre Sensibilität, ihre Komik, ihr Charme, ihre Sinnlichkeit waren auch durch die banalsten Hollywood-Produktionen nicht kleinzukriegen. Marilyn war eine großartige Schauspielerin mit einem die Leinwand sprengenden Charisma. Und selbst, wenn sie neben sehr renomierten Schauspielern stand, sah man auf der Leinwand nur noch sie (bestes Beispiel: "Der Prinz und die Tänzerin" von und mit Lawrence Olivier).

Aber den Oscar hat sie nie bekommen. Und sie ist auch von den Regisseuren nie wirklich geachtet worden. Billy Wilder zum Beispiel, der ihr seinen besten Film verdankt, hat seit Jahren nichts Besseres über sie zu erzählen als: Sie kam immer zu spät zu den Dreharbeiten...

Gut, reden wir darüber, warum Marilyn immer zu spät kam. Warum sie es lebenslang nicht schaffte, die Demütigungen zu überwinden. Warum sie die Angst schließlich nur noch mit Tabletten und Alkohol in Schach halten konnte.

Marilyn ist das dritte Kind von Gladys Pearl Baker, geborene Monroe. Der Vater ist unbekannt, die Mutter stirbt nach Depressionen und "schizophrenen Anfällen" (was immer das heißen mag) in der Psychiatrie. Das kleine Mädchen ist bis zum 16. Lebensjahr abwechselnd in insgesamt zwölf (!) Pflegefamilien, die dafür fünf Dollar die Woche kassieren, oder im Waisenhaus.

Gefragt nach ihren allerersten Erinnerungen, antwortet Marilyn Monroe mit 36: "Meine früheste Erinnerung? Das ist die Erinnerung an einen Kampf ums Überleben. Ich war noch ganz klein... ein Baby in einem Bettchen, ja, und ich kämpfte um mein Leben Aber ich möchte lieber nicht darüber sprechen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Das ist eine grausame Geschichte, die nur mich etwas angeht."

Mit 16 wird Marilyn (damals noch Norma Jean) von ihrer Pflegemutter an einen Nachbarsjungen verheiratet, mit 19 als Pinup entdeckt, mit 20 kommt sie zum Film. Es gibt massenhaft Männer, die was von ihr wollen, für eine Nacht oder auch fürs Standesamt. Ihre zweite Ehe schließt sie mit dem Baseballspieler Joe DiMaggio (der ihr lebenslang ein Freund geblieben zu sein scheint).

Für ihre dritte Ehe tritt sie zum jüdischen Glauben über und versucht zweimal, Mutter zu werden, beide Male hat sie eine Fehlgeburt. "Der Körper und der Kopf" werden sie genannt, sie und ihr Mann, der amerikanische Schriftsteller und Links-Intellektuelle Arthur Miller. Anderthalb Jahre vor ihrem Tod lassen Miller und Monroe sich in Mexiko wieder scheiden.

Miller, das war wohl nicht nur der Traum von Sicherheit und Glück; Miller, das war für die wissensdurstige, belesene Marilyn wohl auch die Sehnsucht nach Intellekt und Bildung - genau das, was man der einstigen Fabrikarbeiterin, die so perfekt in die Phantasmen der Männer paßte, nicht zugestehen wollte. Kopf oder Arsch, eines von beiden. Da hat eine richtige Frau sich zu entscheiden. Die mit dem Kopf, die begehrt mann nicht. Und denen mit dem Arsch, denen spricht mann den Kopf ab. Für mich, versteht sich, hatte Marilyn immer beides: Sinnlichkeit und Verstand. Aber für mich ist Erotik ohne Kopf eh undenkbar...

Marilyn Monroe hatte ein typisches Frauenschicksal. Und sie war die Tochter einer Mutter mit einem klassischen Frauenleben. Marilyn ist früh, sehr früh, gedemütigt, mißbraucht, benutzt worden. Und sie ist sicher auch für die wenigen Männer, die es "ernst" mit ihr meinten, eher Objekt als Mensch gewesen. In ihren letzten Lebensjahren konnte Marilyn Monroe nicht mehr ohne Alkohol und Tabletten aus dem Haus gehen. Sie hätte sich auch umbringen können. Sie hat es aber nicht getan. Sie ist umgebracht worden. Quasi aus Versehen, so ganz en passant, aufgerieben zwischen den Machtquerelen der Männer.

Daß Marilyn, die Sensible, die Sinnliche, die Lustige, trotz alledem nie nur Opfer war, sondern immer auch Handelnde, daß sie eine mitreißende Stärke und Ausstrahlung hatte - dafür liebe ich sie. Noch heute.

Artikel teilen
 
Zur Startseite