Mütter: Einfach mal loslassen?

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Stress, Stress, Stress! So geht es Eltern. Das ist das Ergebnis einer neuen Forsa-Studie, Titel: „Eltern 2015 – wie geht es uns? Wie geht es unseren Kindern?“ 1.006 Mütter und Väter von Kindern bis 12 Jahren wurden im Auftrag der Zeitschrift Eltern befragt. Plus 727 Kinder von sechs bis zwölf.

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Ergebnis: Die Eltern plagen nicht in erster Linie Zukunftssorgen wegen finanzieller Unsicherheit oder der Stress im Beruf. Nein, die Eltern plagen am allermeisten die hohen Ansprüche an sich selbst. Alles muss perfekt sein – vom Kinderwagen bis zum Kitaplatz. 

Am allerallermeisten stressen sich Mütter. Jede Zweite weiß selber: Der „größte Druck“ im Leben kommt von den „eigenen Ansprüchen“. Bei den Vätern geht es nur jedem Dritten so.

Väter plädieren eher für ein „partnerschaftliches Familienmodell“ – zumindest in der Theorie: 85 Prozent finden, dass beide Elternteile gleichermaßen für die Erziehung der Kinder zuständig sein sollten. Aber nur 67 Prozent der Mütter sehen das so. Keine Mutter findet, dass sich ausschließlich der Vater um die Kinder kümmern sollte (Väter: 1 Prozent).

Wie erlebt ihr selbst die Elternschaft oder Eltern in eurem Umfeld?

Was auffällt: Der Gap zwischen Frauen und Männern wächst weiter, wenn es um die reale Aufgabenverteilung geht. Auf die Frage „Wer ist bei Ihnen hauptverantwortlich für die Erziehung und das Wohl des Kindes?“ antworteten 62 Prozent der Frauen mit: „Ich selbst“ (Väter: 3 Prozent)! Und nur 36 Prozent der Frauen mit „beide gleichermaßen“ (Väter: 63 Prozent). 

Wollen also einige Väter nicht helfen – oder dürfen sie nicht, weil die Mütter nicht loslassen? Wie erlebt ihr selbst die Elternschaft oder Eltern in eurem Umfeld? Auch schon gestresst?

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Ihr seid echt kinderfeindlich!

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Eine kinderlose Freundin, Katja, berichtet über ihren Tag am Schwimmbad. „Gott, war das anstrengend heute!“, sagt sie. „Es gab so ein Kind da – total nervig –  Kevin oder Justin oder Marcel vielleicht. Und es hat nur rumgeschrien, die ganze Zeit! War nur am Rumschreien! Es war so nervig, man konnte sich keine zwei Sekunden entspannen.“

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„Na ja“, sage ich. „Komm, Jacinta!“, sagt Katja. „Du musst zugeben, dass Kinder echt laut und nervig sein können! Und die modernen Eltern sind rücksichtslos!“ Ich versuche, die Mama schief anzugucken, damit sie mitkriegt, dass ich das nicht okay finde. Aber es ist ihr egal. „Ehrlich gesagt wäre ich dafür, Kinder in Schwimmbädern zu verbieten!“

Vielen Menschen, wie meiner Freundin Katja, ist es gar nicht ­bewusst, dass ihre Kinderfeindlichkeit und Moderne-Eltern-Ba­shing-Keule quasi 100%ig frauenfeindlich ist. Man lästert doch über moderne Eltern, nicht nur über die Mütter, oder? Und man lästert über sie deswegen, weil sie scheiße sind. Oder?

Kinder sind laut und Mütter daran schuld 

Den Reaktionen meines Freundeskreises zufolge sind moderne Eltern in Deutschland voll scheiße! Entweder sind die total asozial, nennen ihre Kinder Marcel oder Kevin und Fynn-Korbinian oder Tabea-Charlotte-Luise-Victoria, rauchen in der Küche, kontrollieren nicht die Hausaufgaben, lassen die Kinder immer im Schwimmbad rumschreien, schicken sie mit sechs Monaten zum Chinesisch-Lernen und Baby-Karate und lassen sie überall – im Dom, in Kunstgalerien, im Parlament –, ihre eigenen Fahrscheine am Fahrscheinautomat kaufen, so dass man immer seinen Zug verpasst. Oder sie sind Immigranten. 

Und alle diese Auf-sehr-verschiedene-Art-Scheiße-Eltern haben eins gemeinsam: Keine von denen hat ihren Kindern beigebracht Messer und Gabel zu benutzen. In genau zwanzig Jahren werden ganz viele Besteck-Fabriken in Deutschland pleitegehen. Aber die schlimmste Sünde ist, dass ihre Kinder laut sind. Die Kinder sind laut, die Eltern rücksichtslos, und die armen, armen Kinderlosen total unentspannt. Und die Mütter sind schuld! 

„Diese Prenzlauer Berg-Mütter mit ihren Riesenbuggies!“, sagt mein Kumpel Nils. „Wie sie in Cafés rumsitzen, langsam ihre Scheißchailattefrappés austrinken! Alles entkoffeiniert, weil sie ihre Scheißkinder bis zur Einschulung stillen! Mein Gott.“ Und weiter, immer weiter: „Früher war Prenzlauer Berg cool! Das war voll punk. Und jetzt ist der ganze ­Bezirk ein Riesenstillende­mütter­selbst­hilfe­­gruppecafé geworden. Ich kann‘s verstehen, dass die Café-Besitzer da Widerstand leisten und den Müttern den Eintritt in ihre Cafés verbieten.“

„Findest du das nicht ein bisschen ­Taliban-mäßig?“ frage ich unschuldig. „Ich glaube, der Taliban mag es auch nicht, wenn Frauen in Cafés gehen. Es geht aber nicht drum, dass das Frauen sind!“, sagt Nils. „Das ist Gentrifizierung! Du bist keine Berlinerin, verstehst das nicht. Sie treiben die Gentrifizierung an. Sie sind alle mit Bank-Managern und Stock-Brokern verheiratet! Dann werden sie schwanger, hören auf zu arbeiten und fangen an, Chai Lattes zu trinken! Irgendwann mal muss stopp sein!“

Glaubt er wirklich, dass diese Café­besitzer, die diese Frauen nicht im Laden haben wollen, weil sie Gentrifizierung so scheiße finden, glücklicher wären, wenn ihre Läden plötzlich voller türkischer oder Hartz-IV-Teenie-Mamas wären? Nein. Es geht bei diesem Eltern-Bashing doch nur darum: um Macht. Und wem die Stadt gehört.

Männer, zum Beispiel. Männer dürfen überall hin. Sie dürfen in Restaurants und Kneipen sitzen. Sie dürfen im Zug sein, und sie dürfen das Flugzeug benutzen. Ihnen gehört die Welt, die Stadt und die Straße. Männer dürfen mit den Beinen so weit gespreizt in der U-Bahn sitzen, dass die Menschen (bzw. Frauen) nebenan ihre Beine eng an sich ziehen müssen. Männer dürfen laut sein. Wenn eine Gruppe ­Neo-Nazis oder Fußball-Hooligans oder Bache­lor-Par­ty-Jungs die U-Bahn betreten, sagt niemand was. Sie dürfen singen und ­pöbeln, schreien. Niemand sagt was. Niemand. Warum nicht? Die Menschen haben Angst. Aber auch zu großkotzigen Business-Männern im Restaurant oder im Café sagt niemand was. Die dürfen brüllen, streiten, lachen, rufen. Vor denen haben die Menschen zwar keine Angst, dafür aber Respekt.

Männer dürfen brüllen und streiten

Bei wem aber sagen die Menschen immer was? Bei Frauen mit Kindern! (Ich bin übrigens manchmal mit Kind und einem männlichen Kumpel unterwegs. Dann sagt niemand was). 

Können Sie Ihr Kind bitte still halten? – Können Sie Ihrem Kind sagen, dass es leise sein soll? – Können Sie Ihrem Kind sagen, dass es nicht so laut sein darf? – Können Sie, ... Immer und immer wieder. Als ich als Alleinerziehende noch auf Hartz-IV war, waren diese Szenen oft die einzigen Kontakte, die ich mit erwachsenen Menschen am Tag hatte. 

Die Leute glauben, sie wollten, dass die Kinder leise sind. Aber da niemand leise ist, Kinder auch nicht, ist klar zu sehen, was sie eigentlich nicht wollen: Frauen und Kinder. Sie wollen, dass wir verschwinden. Es wäre besser, wir wären nicht im Zug, nicht in der U-Bahn, nicht im Schwimmbad, nicht am See, nicht im Supermarkt, nicht im Café. Wir hätten Hausarrest. 

Ich glaube übrigens nicht, dass Kinder besonders laut und nervig sind. Wisst ihr, was ich viel lauter und viel nerviger als Kinder finde? Autos. Autos kann ich sogar hören, wenn ich in meinem Bett liege. Aber niemand lästert über die Lautstärke von Autos. Warum nicht? 

Ich sage euch, was der Unterschied zwischen Autos und Kindern ist: Männer kaufen Autos, sie kaufen Autos mit Geld. Wir respektieren Männer und wir lieben Geld. Frauen kriegen Kinder: Sie kriegen Kinder, wenn sie Sex gehabt haben. Wir verachten Frauen. Sie haben Sex gehabt, sie haben ein Kind und sie trinken einen Latte Mac­chia­to. Nervend!

In einer nicht frauenfeindlichen Welt wären nicht Kinder und ihre Mamas die Nervensägen, sondern Männer und ihre Autos. Man würde merken, wie jedes Mal, wenn ein Auto die Straße entlang rast, die Entspannung futsch ist. Man würde drüber lästern, und man würde versuchen, Autos zu verbieten. Aber wir leben in einer frauenfeind­lichen Welt. Wir versuchen, Kinder zu verbieten.

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