Neue Rechte: Wo Männer noch Männer sind

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Genderforscherin Gabriele Kämper ortet als Dreh- und Angelpunkt rechter Ideologien die Behauptung von der Ungleichheit der Menschen - und als ihren Kern die von der Minderwertigkeit der Frauen.

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Die Frau bildet den ‚irdischen‘ Teil des Menschengeschlechts, der Mann den ‚himmlischen‘. Die Frau ist tiefer in das Biologische, die Natur, das Stetige vorgedrungen, der Mann wiederum tiefer in das Symbolische, das Institutionelle, das Unstetige.“ Mit diesen und ähnlichen Weisheiten wandte sich der französische Philosoph Alain de Benoist 1984 an die Öffentlichkeit. In Frankreich wurde er dafür mit dem großen Essaypreis der ‚Académie Française‘ ausgezeichnet. In mehreren Essays zur Frauenfrage wendet er sich vehement gegen den zeitgenössischen Feminismus, allen voran gegen das Postulat von Simone de Beauvoir: „Wir werden nicht als Frauen gebo­ren, sondern dazu gemacht“.
Der Bedarf an Behauptungen zur Unverrückbarkeit des So-und-nicht-anders-Seins von Frauen und Männern scheint unersättlich, jenseits wie diesseits des Rheins, von Monsieur de Benoist bis Frau Herman, der frauenpolitische Aufbruch irgendwo im endlosen Einerlei des Beziehungsstreits versandet. Fast unwidersprochen wird die Gleichheit der Geschlechter alltäglich und hochwissenschaftlich dementiert. Die Naturwissenschaft entreißt der Natur ihre letzten Geheimnisse, und was kommt zu Tage? Adam bleibt Adam, Eva bleibt Eva. Die Natur hat es so gewollt. Und was die Natur will, soll der Mensch nicht ändern. Natur? Nein, nur die Kultur kann behaupten, dass eine Frau keine Frau sei, wenn sie Macht hat aber keine Kinder. Der Natur ist das ziemlich egal.
Das Beharren auf der Natur hat ganz andere Gründe. Das Wesen, die Begabungen und die Beziehungen der Menschen als naturgegeben zu betrachten, ist das, was kritischere Generationen früher als „Herrschaftsideologie“ bezeichneten. Herrschaft braucht Legitimation. Und keine Legitimation ist bequemer und zugleich überzeugender als eine unveränderbar vorgegebene. Was liegt da näher, als Mutter Natur zu bemü­hen?
Was haben wir nicht schon alles über den „physiologischen Schwachsinn des Weibes“ (Möbius, 1900) gehört, über die Minderwertigkeit der schwarzen Rasse oder die angeborene Lasterhaftigkeit der niederen Schichten. Solche Theorien haben ihre Aufs und Abs, aber sie verschwinden nie ganz. Sie wechseln die Gewänder und treten immer wieder neu auftrumpfend als „neueste wissenschaftliche Erkenntnis“ auf die Bühne. Vor allem aber stehen sie im immer gleichen Zusammenhang mit den Machtverhältnissen einer Gesellschaft: Sie erklären sie zur natürlichen Ordnung.
Damit kommen wir zurück zu Alain de Benoist. Der ist nicht irgendwer. In Frankreich ist er als rechter Intellektueller berühmt und berüchtigt. Er ist der strategische Neubegründer der ‚Nouvelle Droite‘, der in den 70ern das Konzept der „kulturellen Hegemonie“ für die Neue Rechte erdachte. Seine Strategie: Raus aus den Hinterzimmern, rein in die Redaktionen, hin zu modernen Fragestellungen wie dem Feminismus. Er hatte damit europaweiten Erfolg.
Auch in Deutschland kommt dieses Konzept gut an. Hier hatte es die extreme Rechte, belastet durch die deutsche Geschichte, schwer, über den rechten Rand hinaus gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Der Schweizer Armin Mohler, der sich im Dritten Reich freiwillig zur Waffen-SS meldete, half nach. Er war Anfang der Fünfziger Privatsekretär von Ernst Jünger (‚Stahlgewitter‘), dem in der Bundesrepublik die männliche Geisteswelt von links bis rechts nahezu geschlossen zu Füßen liegt. Jünger bildete schon in der Weimarer Republik zusammen mit anderen rechten Intellektuellen, wie dem Staatsrechtler Carl Schmitt, die so genannte „Konservative Revolution“, die vehement die Ideen von Demokratie, Gleichheit und Pazifismus bekämpfte.
Alles Schnee von gestern? Oh nein. Die Saat des Altfaschisten Mohler und Neo­faschisten Benoist geht heute in der neuen intellektuellen Rechten in Deutschland auf, siehe Magazine wie criticón, der Jungen Freiheit oder der Neugründung Sezession. Der Femi­nismus, die multikulturelle Gesell­schaft, die Emanzipation des Individuums in der moder­nen Demokratie, die Friedenspolitik der Bundesrepublik – all das wird von den neuen Rechten bekämpft und lächer­lich gemacht.
Diese neuen Rechten haben viel mit ihren Vorgängern von der ‚Konservativen Revolution‘ gemein. Sie sind männlich, gebildet und wollen die Gesellschaft von Grund auf neu formen. Sie finden sich in lockeren Netzwerken zusammen und träumen von elitären Männerbünden. Sie wechseln zwischen extremem rechten Rand und gesellschaftlicher Mitte. Sie beklagen den Verfall und die Dekadenz der Gesellschaft, leben aber recht gut in ihr.
1994 traten die rechten Intellektuellen mit dem politischen Debattenband ‚Die selbstbewusste Nation‘ an die Öffentlichkeit. Dieser Paukenschlag hatte mit dem vorab im Spiegel veröffentlichten Essay ‚Anschwel­lender Bocksgesang‘ von Botho Strauß ein Motto gefunden. Der Männerbund umfasst erklärte Rechtskonservative und Nationalliberale wie Steffen Heitmann und Manfred Brunner ebenso wie Personen aus ehemals linkem politischen Lager wie den Ex-Konkret-Verleger Klaus Rainer Röhl oder den Ex-Grünen Alfred Mechtersheimer, und der Historiker Karlheinz Weißmann hat sich mit der Intitiative für ein „Reemtsma-Institut von rechts“, das Institut für Staatspolitik (IfS) und der vom IFS herausgegebenen Zeitschrift Sezession, als zentrale Figur dieser Szene etabliert.

Die rechten Intellektuellen appellieren an die Sehnsucht nach einer Welt, in der männliche Werte und männliche Vorherrschaft unhinterfragt gelten. Wie ihre Vordenker von der ‚Konservativen Revolution‘ entwerfen sie eine Gegenwelt, in der die Emanzipation von Frauen verhöhnt, die Demokratie als verweichlicht und verweiblicht denunziert wird und aggressive, vermeintlich männliche Tugenden verherrlicht werden. Eine patriarchale Idylle, eine Illu­sion, aber eine verführerische.
Hoch dekorierte Juristen wie Paul Kirchhoff und Udo di Fabio greifen diese Form neurechter Kulturkritik in ihren Büchern auf. Ordnung und Harmonie können sie sich ausschließlich in traditionellen Familien vorstellen, während Antidiskriminierungspolitik und weibliche Erwerbstätigkeit nur höhnische Bewertungen entlockt.
Dreh- und Angelpunkt rechter Ideologie ist die Behauptung von der Ungleichheit der Menschen, seien es Ethnien, Geschlechter oder Klassen. Die Ungleichheit von Frauen und Männern ist dabei zugleich ideologisches Programm wie auch der Stoff, an dem sich die „Natürlichkeit“ von Ungleichheit am augenfälligsten demonstrieren lässt. Von daher ist es kein Wunder, dass der Feminismus als Feindbild eine zentrale Rolle in den neurechten Ideologien spielt.
Der Journalist Rainer Zitelmann erklärt ausdrücklich, dass „Multikulturalismus und Feminismus“ die alten Feindbilder „Marxismus und Kommunismus“ abgelöst hätten. Der Dramatiker Botho Strauß träumt von einer männerbündisch inspirierten „Rosenkreuzerschaft“ der „Abgesonderten“, denen die Demokratie keinen Raum zur Entfaltung bietet. Wie so oft gehen also antidemokratische und antifeministische Haltungen Hand in Hand.
Ein neues Reizthema für die neuen Rechten ist die ‚Political Correctness‘. Klaus J. Groth hat in einer Abrechnung mit dem Feminismus als deren inneren Kern die Strategien der Political Correctness ausgemacht. In neurechten Publikationen finden sich zuhauf Gleichsetzungen von Political Correctness mit „Scheiterhaufen“, „Moralinquisition“, „Hexen­hammer“ oder „Inquisitionstribunal“. Fast immer geht es um die Sicher­stellung der Privi­legien einer weißen, männlichen Elite. Die oft überzogen wirkende Polemik der Anti-Political Correctness macht sich gesellschaftsübergreifend gern lustig über Sprachregelungen für Frauen oder Minderheiten und ist empört über angebliche Bevorzugungen dieser Gruppen (siehe auch die Polemik gegen das Gender Mainstreaming).
Wer die natürliche Ungleichheit beschwört – in der Rechten gern als „Differenz“ bezeichnet, ganz wie in manchen feministischen Kreisen, – kann auf die „anthropologischen Konstanten“ nicht verzichten, wie Ulrich Schacht, Herausgeber der Selbstbewussten Nation, wenn er Aggressivität und Gewalt im menschlichen Miteinander als „naturgegeben“ hinstellt.
Aggressivität und Grausamkeit als Beweis von Männlichkeit sind nach wie vor lebendig. Davon zeugt auch das Einlernen von Gewalttätigkeit via Medienkonsum als Initiationsritus männlicher Jugendlicher. Die neue Begeisterung intellektueller Männer für Gewalt und Härte gehört dazu. Ebenso wie der medienwissenschaftliche Eiertanz um brutale Computerspiele, der eine klare Absage selbst an widerlichste Gewalt-Szenarien verhindert. Gewalt, auch mediale Gewalt, ist eine unverzichtbare Ressource von Herrschaft. Das auszusprechen ist in der Zunft allerdings ein Tabu.
Mit dem Fall der Mauer und der deutschen Einheit hatte für die neuen intellektuellen Rechten ihre große Stunde geschlagen. Jetzt sollte Deutschland wieder eine große und selbstbewusste Nation werden. Wehrhaft, befreit aus der Abhängigkeit und Friedfertigkeit der Bonner Republik. Eine Re-Maskulinisierung der politischen Rhetorik war angesagt. Bei Benoist tönt das so: „Wenn eines der beiden Geschlechter mit dem andern gleichzukommen versucht, stört es das Gleichgewicht der grundlegenden Struktur. Je mehr die Frau zu einer höheren Entwicklung in der Ordnung des männlichen Prinzips gelangt, desto weniger wird der Mann schöpferisch“ .
Mit einem demokratischen Menschenbild, das jedem und jeder individuelle Entwicklungsmöglichkeiten zugesteht, hat das nichts mehr zu tun. Auf ihrem Kongress im Oktober 2006 zu dem Thema ‚Die Natur der Gesellschaft‘ haben deutsche Soziologen alarmiert festgestellt, wie das Fundament ihrer Disziplin schwindet. So Heinz Bude, medienerprobter Wortführer seiner Zunft: Die Lebenswissenschaften – zu denen er die Hirnphysiologie, die Entwicklungsbiologie und die Demographie zählt – hätten der Soziologie den Rang abgelaufen. Niemand mehr glaube, dass die „Probleme, die heute die Art und Weise unseres Zusammenlebens herausfordern, durch gesellschaftliche Maßnahmen gelöst werden können“. 
Die Erklärungsmuster haben sich also in den letzten dreißig Jahren gewandelt, doch sie tun dies nicht willkürlich. Neue Rechte wie Benoist, der die zentrale Botschaft von Simone de Beauvoir & Töchtern mit Mutter Natur auszuhebeln versucht, agieren parallel zu den Pornographen des Alltags, die das mühsame Ringen der Frauen um Würde und Subjektwerdung mit der Propagierung ihrer Objekthaftigkeit sabotieren. Die stärkste Figur der Ungleichheit ist die radikale Differenz zwischen Subjekt und Objekt, das wissen Herrschende seit eh und je. Die allgegenwärtige pornografische Inszenierung von Frauen – von der Bild-Zeitung bis zur Oper – bestätigen damit permanent die Behauptung weiblicher Ungleichheit.
Die Geschlechterordnung ist eben auch eine Zuflucht, wie der Vordenker Mohler schreibt: „Wir spüren, dass das Geschlecht (…) einer der letzten, wenn nicht überhaupt der letzte Zugang zum Elementaren, Ursprünglichen ist, der uns noch blieb. Mag auch alles übrige um uns herum manipuliert und in Zwecke umgesetzt sein – hier fühlen wir uns frei.“ Wir? Wir Männer. Wir von der himmlischen Fraktion.

Die Genderforscherin veröffentlichte zuletzt: ‚Die männliche Nation. Politische Rhetorik der neuen intellektuellen Rechten‘ (Böhlau).

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Dossier Biologismus: "Aus zwei mach eins" (4/07)

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