Rangehen: Ein Männerproblem

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Die meisten Sprüche hat er schon tausendmal gehört. Trotzdem regt es ihn nach zehn Jahren noch immer auf, wenn wieder mal ein prügelnder Ehemann behauptet, dass er nichts dafür könne. Weil seine Frau ihn eben provoziert habe. Weil es dann „einfach über ihn gekommen“ sei.

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„Das ist doch Quatsch, da schwillt mir der Kamm“, schimpft Rainer Breidenbach-Siegel, und man kann sich lebhaft vorstellen, was der Diplom-Sozialpädagoge meint, wenn er sein Trainings-Konzept als „konfrontativ“ bezeichnet. Er lässt den Männern das nicht durchgehen. „Sie sind der Täter!“ knallt er ihnen an den Kopf. Und: „Das ist jedes Mal eine Entscheidung, die Sie treffen!“

Dann wundern sich die Teilnehmer seines „Trainingsprogramms gegen Häusliche Gewalt“, dass dieser Softie mit den langen Wuschel­haaren, dem freundlichen Knuddel­gesicht und dem Doppelnamen ihnen so klare Ansagen macht. „Die meisten sind überrascht, dass wir hier keine Kuschel­pädagogik machen“, sagt der Männer-­Erzieher.

Bei seinen Konfrontationen hilft zweifellos, dass Rainer Breidenbach-Siegels Locken auf ein beeindruckendes kampfsportgestähltes Kreuz fallen. Und dass der 47-jährige Vater zweier Töchter weiß, was er will: Dass die Männer, die in seinem Stuhlkreis sitzen, aufhören, ihre Frauen zu schlagen.

„Das Schwierigste ist, sie dazu zu ­kriegen, dass sie die Verantwortung für ihre Taten übernehmen“, erklärt der ­Päda­goge. Sie sollen „Ich“ sagen: „Ich habe meine Frau geschlagen.“ Stattdessen sagen sie: „Da hat man zugeschlagen“. Diesen Satz, der ohne Subjekt und auch ohne Objekt auskommt, will er nicht mehr hören. Genauso wenig wie die ewige Leier darüber, dass sie „eigentlich der netteste Mensch der Welt sind – wenn nur nicht ihre Frau so schwierig wäre“.

Es war Ende der Neunziger, als Rainer Breidenbach-Siegel gemeinsam mit zwei Kollegen eine Trennungs- und Scheidungsberatung für Männer startete. „Wir dachten: Es gibt so viele Angebote für Frauen, machen wir doch mal was für die Männer!“ Doch in so manchem Gespräch wehte die Pädagogen sodann Merkwür­diges an. „Wenn der Mann über seine ­Beziehung sprach, spürte man: Hier stimmt was nicht“, erklärt der Berater. Es dauerte eine Weile, bis sie begriffen, was die Ursache für ihr Unbehagen war: „Wir hatten es mit Gewalttätern zu tun.“

Das Team schlug dem Träger, unter dessen Dach es arbeitete, vor, eine Anti-Gewalt-Beratung für Männer anzubieten. Der lehnte ab. „Die haben gesagt, sie wollten sich lieber auf die Hilfe für Gewaltopfer konzentrieren. Ich habe entgegnet, dass sich das nicht ausschließt und dass Täter­arbeit der beste Opferschutz ist.“

Dieser Ansicht ist Rainer Breidenbach-Siegel heute mehr denn je. 2002 gründete er in Brühl bei Köln die Männerberatung „Dekathlon“. Dekathlon bedeutet Zehnkampf, eine Disziplin, die bis vor kurzem nur von männlichen Athleten bestritten wurde. Zu den zehn Beratungs-Diszi­plinen, die Pädagoge Breidenbach-Siegel zusammen mit seinen Co-Trainern anbietet, gehört seither neben Anti-Gewalt-Training für „Straßenkriminelle“ oder ­Erziehungsberatung für Väter auch die so genannte Häusliche Gewalt.

Zweimal pro Woche sitzen jeweils acht Männer, die ihre Frauen misshandelt haben, in dem hellen Gruppenraum mit den sonnengelben Wänden. Auf dem Flipchart in der Ecke steht in Krakelschrift noch die Definition von Gewalt, die sie beim letzten Treffen gemeinsam entwickelt haben: „Gewalt ist, wenn ein Mensch/eine Institution/ein Lebewesen dem jeweils ­anderen absichtlich körperlich oder seelisch Schaden zufügt.“ Diesen Satz mussten sie alle abschreiben, und sie sollen ihn zu jedem Termin wieder ­mitbringen.

Dass ein Mann freiwillig den Weg zu ­Dekathlon findet, das ist sehr selten. „Die Täter finden ja nicht, dass sie ein Problem haben“, sagt der Männerberater. „Das Problem hat die Frau.“

Deshalb verwenden Breidenbach-Siegel und ein Co-Trainer einen Teil der ­ins­gesamt 24 Termine darauf, den Männern klarzumachen, wie sich ihre Frau wohl fühlen mag, wenn sie den eigenen Mann fürchten muss: Welche Angst sie hat. Wie ohnmächtig sie sich fühlt. Wie gedemütigt sie ist. Dabei arbeiten die Trainer zum Beispiel mit dem bahnbrechenden Buch „Die Narben der Gewalt“ von ­Judith Herman, in dem die amerikanische Psychiaterin anschaulich die traumatischen Folgen ständiger Misshandlung ­erläutert. Sie vermitteln den Misshandlern das ­Gefühl von Entwertung und Unbe­rechenbarkeit: „Ihre Frau ist in ständiger Alarmbereitschaft, die kann sich überhaupt nicht mehr entspannen.“

Etwa jeder fünfte Teilnehmer kommt, weil seine Frau ihm ein Ultimatum ­gestellt hat: „Entweder du änderst dich, oder ich bin weg.“ Die anderen 80 Prozent werden Dekathlon von der Staatsanwaltschaft Köln zugewiesen. Das ist neu. Erst seit die Behörde im April 2007 ein eigenes „Dezernat für Häusliche Gewalt“ eingerichtet hat, sitzt einer der drei ­zuständigen und „sehr engagierten“ Staatsanwälte mit den Männerberatern gemeinsam am Runden Tisch  des Rhein-Erft-Kreises gegen Häusliche Gewalt. „Und seitdem schicken sie die Männer auch zu uns.“
Die Zuweisung in das Täterprogramm läuft über den §153a der Strafprozessordnung. Der besagt, dass ein Verfahren gegen Auflagen – zum Beispiel das Absolvieren eines Trainingsprogramms – ­ein­gestellt werden kann. Das ist gut für ­Trainingsleiter Breidenbach-Siegel, denn so hat er ein Druckmittel in der Hand: Schwänzt einer die Termine oder macht nicht richtig mit, muss er die verhängte Geldbuße zahlen oder die Haftstrafe ­antreten.

Kommt ein prügelnder Mann das erste Mal zu ihm, führt der Männerberater ­zunächst ein Einzelgespräch. Er versucht ­herauszufinden, mit was für einer Art Täter er es zu tun hat. Sind Alkohol oder Drogen im Spiel? „Viele der Täter prügeln unter ­Alkoholeinfluss.“ Wie steht es mit Freunden? „Die meisten meiner Teilnehmer sind ‚poor lonesome Cowboys‘.“ Gab es Gewalt in der Kindheit?

„Es ist auffällig, dass ein Großteil der Männer als Kinder selbst ­geschlagen wurden.“ Und: Spricht der Mann genug Deutsch? Zehn bis zwanzig Prozent der Männer, die Breidenbach-Siegel geschickt werden, sind Osteuropäer oder Türken. Letztere erklären ihm gern, es stünde schließlich ihm Koran, dass sie ihre Frauen schlagen dürften. Wenn sie ihn fragen, ob er selbst nicht gläubig sei, antwortet er: „Glaube ist Privatsache.“ Seine Frau zu schlagen, sei hingegen nicht privat, sondern ein Verstoß gegen das Gesetz. Weil er es nicht in Ordnung findet, wenn einer das Training nicht absolvieren muss, weil er ­angeblich sprachlich nicht mitkäme, hat sich der Dekathlon-Gründer jetzt auf die Suche nach einem türkischen Co-Trainer begeben.

Nach dem Eingangs-Check muss der Teilnehmer einen Vertrag mit dem ­Trainer abschließen. Dieser Vertrag gehört zu den Standards, die sich die 2006 gegründete „Bundesarbeitsgemeinschaft Täter­arbeit Häusliche Gewalt“ gegeben hat. Darin verpflichtet sich der Teil­nehmer nicht nur zum regelmäßigen Besuch der Sitzungen, sondern entbindet Trainer Breidenbach-Siegel auch von seiner Schweigepflicht. Denn der muss sich mit der Staatsanwaltschaft über das Verhalten des Teilnehmers austauschen können.

Und er muss einen „Realitätsabgleich“ mit der geschlagenen Frau vornehmen dürfen. Denn: „Zwischen dem, was mir der Mann erzählt, und dem, was mir die Frau erzählt, besteht oft ein Unterschied wie Tag und Nacht. Ich frage ihn, wie oft er seine Frau geschlagen hat, und er antwortet: ‚Einmal‘. Ich rufe die Frau an und die sagt: ‚Klar. Einmal am Tag.‘“

Und dann geht es los mit dem Training. Zum Teil arbeitet der Kursleiter mit ­verhaltenstherapeutischen Elementen. In welchen Situationen schlägt der Mann? Slow-Motion-Übung nennt Breidenbach-Siegel das: Den Ablauf in Zeitlupe zerlegen und überlegen, an welchem Punkt mann aus dem Kreislauf der Gewalt aussteigen kann. Zum Beispiel: Nach dem Ärger mit dem Chef eben nicht in die Kneipe gehen und sich mit Bier vollschütten, sondern zum Sport.

Aber der Pädagoge weiß, dass sein Programm keinen Sinn machen würde, wenn seine Machos sich nicht auch mit ihrer Männerrolle auseinandersetzen würden. Auch das fordert er ein. „Wo in diesem Universum steht geschrieben, dass Ihre Frau die Wäsche aufhängen muss und nicht Sie?“ fragt er. Aber es geht auch um den Leistungsdruck, den sie sich selbst machen. Darum, nicht immer den harten Macker zu spielen, sondern auch mal Gefühle zu zeigen. „Es wird in den Gruppen auch viel geweint“, erzählt der Männertrainer – und freut sich darüber.

Mindestens eine Sitzung widmet der Berater den Kindern der Schläger. „Es gibt viele Teilnehmer, die ganz stolz ­erzählen, dass sie ihre Kinder nicht schlagen“, sagt Ralf Breidenbach-Siegel und schüttelt den Kopf. „Was glauben Sie ­eigentlich, was das mit ihren Kindern macht, wenn sie sehen, wie ihre Mutter verprügelt wird?“ fragt er. Er kennt die Antwort: „Wenn Sie einen Sohn haben: Herzlichen Glückwunsch! Den haben wir in 20 Jahren dann auch hier sitzen! Wenn Sie eine Tochter haben: Super! Die sitzt in 20 Jahren mit einem blauen Auge in der Frauenberatungsstelle!“

Etwa ein Drittel der Männer, die sein Training absolviert haben, schlagen ­danach nicht mehr, sagt der Männerberater. Ein weiteres Drittel schlägt weniger. „Und die anderen“, bedauert er, „die ­erreiche ich einfach nicht.“ Aber wenn er durchdringt, das wissen er und wissenschaftliche Untersuchungen, dann verringert er nicht nur die Zahl der Schläger von heute, sondern auch die der Täter – und Opfer – von morgen.

www.dekathlon.de,
www.bag-taeterarbeit.de

Weiterlesen
Judith Herman: "Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen ­verstehen und überwinden" (Junfermann, 27.50 €)
Dossier Männergewalt (1/10)
 

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