"Das ist Militarismus pur!"

Erich Vad beim "Aufstand für Frieden" in Berlin: Was ist das politische Konzept für Waffenlieferungen? - Foto: Bettina Flitner
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Es ist wichtig, dass heute so viele Menschen hier sind, um zu demonstrieren für ein Ende des fürchterlichen Krieges in der Ukraine, für ein Ende der Kriegsrhetorik in Deutschland, für einen Ausstieg aus der Gewaltspirale und der militärischen Eskalation für eine politische Lösung des militärisch festgefahrenen Krieges, und für den baldigen Beginn von Verhandlungen. 

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Bei allen Meinungsunterschieden ist da doch ein gemeinsames Ziel: den Frieden in der Ukraine baldmöglichst wiederherzustellen.

Es ist naiv zu glauben, man könne Russland militärisch ohne einen Nuklearkrieg besiegen.

Es ist naiv zu glauben, man komme nur über den Weg von Waffenlieferungen zum Frieden und es ist naiv zu glauben, unsere Waffenlieferungen änderten die militärische Gesamtlage substantiell.

Es ist auch naiv zu glauben, dass wir mit dem strategischen Vakuum, das ein besiegtes Russland hinterließe, mit hunderten verschiedener Völker fertig werden könnten.

Weit über 200.000 Soldatinnen und Soldaten sind bislang im Ukrainekrieg gefallen, rund 50.000 unbeteiligte, unschuldige Zivilpersonen sind gestorben, über 8 Millionen Ukrainer und Ukrainerinnen sind auf der Flucht.

Der von Russland ausgelöste, völkerrechtswidrige Angriffskrieg ist nach einem Jahr zu einem – militärisch gesprochen - Abnutzungskrieg geworden. Stichwort Verdun 1916 !

Damals wurde vorexerziert, was militärische Abnutzung bedeutet. Damals starben fast 1 Millionen junger Franzosen und Deutsche sinnlos und für nichts.

Geht es um die Rückeroberung der Krim, wie Aussenministerin Baerbock postuliert?

Abnutzung bedeutet, dass es keine „vernünftige“ militärische Lösung mehr gibt. Das sagt auch der US-Generalstabschef Mark Milley und diese Einschätzung teilt auch die renommierte Rand Cooperation. 

Der Westen liefert trotz des militärisch sinnlosen Sterbens in der Ukraine weiterhin Waffen: Panzer, morgen vielleicht Kampfhubschrauber, von Kampfflugzeugen und Raketen ist die Rede.

Dies wird auch von deutschen Politikern lauthals gefordert - ohne zu bedenken, dass dadurch der Krieg unter Einbeziehung russischen Territoriums ausgeweitet werden könnte.

Das alles wird getan ohne Klarheit darüber zu haben, was wir eigentlich konkret mit den Waffenlieferungen erreichen wollen: 

- Geht es darum, Russland zu besiegen, wie manche fordern?

- Geht es um die Rückeroberung der Krim und des Donbass, wie es u.a.  Außenministerin Baerbock postuliert?

- Oder geht es darum, die Ukraine lediglich zu stabilisieren, um ihre Verhandlungsposition zu stärken?

Fest steht, wir liefern seit Monaten nur Waffen und viel mehr fällt uns dazu auch nicht ein. Wir tun das ohne jede realistische Lösungsperspektive, ohne eine überzeugende Strategie der Konfliktlösung und ohne ein politisches Konzept.

Strenggenommen ist das Militarismus pur, weil man militärische Hilfeleistungen nicht an realistische politische Ziele koppelt. 

Russland hat die Eskalationsdominanz. Das ist eine existenzielle Gefahr!

Es muss mit Blick auf die militärische Gesamtlage klar gesagt werden: Die Lieferungen von Waffen können den Ukrainern aus militärischer Sicht nicht helfen, den Krieg zu gewinnen. Sie drehen die militärische Pattsituation nicht.

Diese kann auf militärischem Wege allein nicht aufgelöst werden. Wir haben einen Stellungskrieg beider Seiten im Osten und Dauerbeschuss der Infrastruktur in der gesamten Ukraine durch Russland.

Russland hat leider die militärische Eskalationsdominanz angefangen bei der Mobilisierung bis hin zum Einsatz von Nuklearwaffen. Dies ist eine nicht nur für die Ukraine, sondern für uns alle existenzielle Gefahr, die man nicht unterschätzen darf.

Einige machen es sich zu leicht, zu leicht, wenn sie sagen, dass eine Atommacht, wenn sie militärisch keinen Erfolg hat, schon nicht zu Nuklearwaffen greifen wird. Das hätten die Amerikaner in Vietnam oder Afghanistan ja auch nicht gemacht.

Diese Vergleiche hinken gewaltig, weil die Schwarzmeerregion für Russland etwa die gleiche strategische Bedeutung hat wie die Karibik oder Panama für die Sicherheit der USA oder das Südchinesische Meer oder Taiwan für China. Die Russen können da nicht einfach – wie der Westen in Afghanistan, im Irak, in Syrien oder Libyen – nach Hause gehen und sagen, das ist schlecht gelaufen, wir geben es auf.

Unsere Verfassung fordert dazu auf, Frieden baldmöglichst wiederherzustellen

Das ist ähnlich wie es in der Kubakrise 1962 für die USA nicht möglich war, der sowjetischen Einflussnahme und Machtprojektion in der Karibik zuzustimmen.  Und ähnlich wie in der Kubakrise kommen wir aus dem Ukrainekrieg nur durch besonnenes politisches Handeln, durch Verhandlungen und Kompromisse raus.

Russland wird auch nach dem Ukrainekrieg ein Machtfaktor bleiben und es wird auch in Zukunft keine tragfähige europäische Friedensordnung geben ohne Russland.

Trotz aller Gegensätze: Hier bringt Säbelrasseln wenig, wenn es nicht mit einem klugen und besonnenen politischen Vorgehen verknüpft wird. Deshalb muss die Politik nach anderen Wegen suchen.

Um den Weltfrieden nicht zu gefährden sind jetzt mehr Diplomatie und Interessenausgleich notwendig und weniger Kriegsrhetorik und eine öffentlich zur Schau gestellte Haltungsdiplomatie. Die ist ehrenhaft, zeigt Solidarität, aber sie trägt nicht zur Lösung bei.

Verhandlungen sind hier der einzig mögliche Weg, zu einer Lösung zu kommen. Insofern sollte der chinesische Friedensvorschlag konstruktiv geprüft werden. Ein einfach Weiter so bedeutet einen sinnlosen Verschleiß von Menschenleben.

Die Mehrheit der Deutschen ist eindeutig gegen die Ausweitung von Waffenlieferungen für Verhandlungen. Das muss sich in deutscher Politik widerspiegeln. Militärische Operationen und Waffenlieferungen müssen immer an den Versuch gekoppelt bleiben, politische Lösungen herbeizuführen.

Das Grundgesetz kennt zudem das so genannte „Friedensgebot“: Unsere Verfassung fordert dazu auf, Frieden zu bewahren und/oder baldmöglichst wiederherzustellen. Eine lange Fortdauer des Ukrainekrieges ist weder im deutschen noch im europäischen Interesse.

Lösungsorientiertes außenpolitisches Handeln braucht daher eine andere Gewichtung. Sie muss ihre Hauptaufgabe im Auge behalten: Diplomatie, Interessensausgleich, Verständigung und Konfliktbewältigung.

Europa ist als potenzieller Hauptschauplatz eines großen Krieges betroffen

Wir helfen der Ukraine. Wir haben Mitverantwortung für das überfallene Land. Aber: wir müssen auch Mitsprache beanspruchen. Dafür muss auf politischer Ebene mehr miteinander gesprochen werden. Die deutsche und die französische Regierung sollten endlich initiativ werden in Richtung auf einen Waffenstillstand und anschließende Verhandlungen, die zum Frieden führen.

Und wo steht Europa? Wieso kommen die Friedensinitiativen aus Brasilien und China und nicht aus Europa? Der Ukrainekrieg ist doch ein genuin europäisches Thema!

Denn vom Ukrainekrieg ist besonders Europa als Schlachtfeld dieses Krieges und potentieller Hauptschauplatz eines großen Krieges betroffen. Gerade deswegen fehlt mir die politische Gestaltungskraft Europas. 

Deutschland und Europa dürfen nicht länger Objekt und Spielball sein wollen in einem Stellvertreterkrieg mit Russland, der Gefahr läuft, um China ausgeweitet zu werden. Europa muss sich endlich als interessengeleiteter Akteur aufstellen!

Wir brauchen dringend oberhalb der Geber-Konferenzen für Waffenlieferungen eine politische-strategische Kontaktgruppe unter Einbeziehung von gewichtigen G-20-Ländern, wie z.B.  China, Indien, Türkei, Brasilien.

Wir müssen unsere militärische Unterstützung so dosieren, dass der Weg keinesfalls in einen Dritten Weltkrieg führen kann.

Und: Wir brauchen endlich einen politisch abgestimmten Plan, der die Frage beantwortet, wie alle aus diesem Krieg herauskommen. Zentrale politische Perspektive muss es sein, den Krieg zu beenden und … endlich realistische Wege zum Frieden zu finden.

Ich danke Ihnen.

ERICH VAD

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