Alice Schwarzer schreibt

Stuckrad-Barre: Die beste Freundin

Foto: Max Sonnenschein
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Er ist die beste Freundin der Frauen. Nein, nicht aller. Aber der jungen verletzlichen und verletzten Frauen. Denn das kennt er selber nur zu gut. Dieser Autor, der nie zuhause wohnt, obwohl er in Berlin eine Wohnung hat, sondern immer in Hotels, weil „Zuhause“ für den Pfarrerssohn schon als Fünfjähriger der Horror war. Sein „Roman“, der der Wirklichkeit näher ist, als es seinem Anwalt lieb sein kann, hat die Schlagzeilen der letzten Tage beherrscht. Doch in den Rezensionen geht es vor allem um die Täter – und nicht um die Opfer, dabei sind die bedeutend zahlreicher in diesem Buch.

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Die beiden männlichen Protagonisten sind Stars im Medienbetrieb, bzw. der eine war einer. Entsprechend gierig ist der Voyeurismus. Die Rede ist von Julian Reichelt, dem Ex-Chefredakteur von Bild, sowie Mathias Döpfner, dem mächtigen Vorstandsvorsitzenden von Springer. Dass der eine ein Ex ist und der andere in einer argen Bredouille, damit hat durchaus auch unser Autor etwas zu tun.

Denn Benjamin von Stuckrad-Barre hat nicht nur eine Schwäche für ohnmächtige junge Frauen, sondern auch eine für mächtige ältere Herren. Das konnte ja nicht gutgehen. Da musste er ja irgendwann in die Zerreißprobe geraten. Auch wenn die exklusiven Tripps mit dem mächtigen „Freund“ noch so amüsant waren. Aber die Stimmen der strauchelnden, verzweifelten Frauen sind eben in Zeiten von MeToo auch nicht mehr zu überhören.

Benjamin von Stuckrad-Barre mit Mathias Döpfner. -- Foto: dpa
Benjamin von Stuckrad-Barre mit Mathias Döpfner. - Foto: dpa

„Einvernehmlicher Sex“? Dass es den in dem Milieu und bei den Machtverhältnissen gar nicht geben kann – diese Erkenntnis lassen die benutzten Frauen nach ihrem zu langem Schweigen nun auch selber zu. Und sie vertrauen sich unserem sensiblen Autor an. Die von Stuckrad-Barre diesen Frauen in den Mund gelegten Monologe gehören mit zum Klarsichtigsten und Empathischsten, was in diesen Zeiten geschrieben wurde.

Ja, wir Frauen leben noch immer in einer patriarchalen und sexistischen Welt. Das bestimmt, ja überschattet unser Leben. Am gefährlichsten ist es, wenn wir jung, naiv und attraktiv sind. Hinzu kommt die Pseudo-Emanzipation im Westen des 21. Jahrhunderts. Sei doch nicht so. Stell dich doch nicht so an. Immer schön locker bleiben.

Stuckrad-Barre durchschaut das. Nicht zuletzt aus eigener Erfahrung. Er hasst den grölenden und grabschenden Chefredakteur. Doch er liebt den Halbgott über dem kleinen Tyrannen, der dem die Macht gewährt. Liebt? Ja, liebt. Wie es immer so ist bei der ambivalenten Hassliebe: erst die Liebe, dann der Hass.

Ja, wir Frauen leben noch immer in einer patriarchalen und sexistischen Welt

Der wird ausgelöst von einem Verrat seines „Freundes“. Als der sich von dem wahrheitssuchenden jüngeren Freund in die Ecke gedrängt sieht, entscheidet er sich für seinen anderen „Ziehsohn“, den verlogenen. Für diesen schmuddeligen Mainstreamer opfert er seinen lauteren Außenseiter. Das Drama eskaliert. Und unser Autor schlägt zurück mit diesem „Roman“.

Auf dem Schlachtfeld liegen viele Frauen und drei Männer. Scheinbar. Stuckrad-Barre zieht sich cool zurück in sein bei Mondschein flirrendes Refugium, das Chateau Marmont auf dem Sunset Boulevard in Hollywood. Reichelt macht, nachdem er letztendlich doch noch stolpert, ein neues Fass auf. Und Döpfner, der jetzt ein „Ex-Freund“ geworden ist? Der ist too big to fall. Er wird, so wie es heute, Tage nach dem Eklat, aussieht, alles überstehen. Denn er ist ja nicht nur Vorstandsvorsitzender des skandalumwitterten Medienkonzerns, sondern auch Eigner, mit 21 Prozent der Aktien, Springer-Witwe Friede sei Dank (Und übrigens: Er verdient 19 Millionen jährlich, also am Tag, was ein Spitzenverdiener im Jahr verdient).

Und auch für unseren Frauen-Freund gibt es letztendlich ein Happy-End. Er macht aus der Sache einen spannenden, sprachlich präzisen „Roman“, in dem er selber vielleicht die interessanteste Figur ist. Mittendrin, aber immer daneben. Modern, aber nie modisch. Anrührend, aber abgründig.

Da bleiben nur noch zwei Fragen: 1. Was wird aus den „Zeuginnen“? 2. Wie kann dieser Ich-Erzähler von einem so offensichtlich machtgeilen Allesmitmacher so fasziniert sein?

ALICE SCHWARZER

 

Ein Auszug aus „Noch wach?“

Okay, sagte Sophia jetzt ziemlich angedreht, du hast das zufällig gehört, wie ich am Telefon ner Freundin erzählt habe vom FUMMEL-OPI, so what? Wenn du mir jetzt erzählst, das ist alles frauenfeindlich, ich meine, wie frauenfeindlich ist DAS, bitte? Fühlst du dich jetzt für mich diskriminiert, weil ich zu stulle bin, das selbst zu schnallen, oder was? Komm mal klar! Ich lache darüber. Du glaubst, das ist eine Ausnahme? Ich will dir mal was erzählen über deine sensationelle Neuentdeckung SEXISMUS: Das ist überall, jeden Tag. Get over it! Schon mit elf, zwölf haben wir als Mädchen gelernt, nachts die Straßenseite zu wechseln, wenn wir hinter uns Schritte hören – und dass wir, wenn wir nachts allein unterwegs sind, am besten echte oder zumindest Fake-Telefonate führen, damit die Typen eben denken, wir könnten direkt Hilfe verständigen. Wir suchen Handtaschen auch danach aus, ob da ein Fläschchen Reizgas reinpasst. Unsere Wohnungsschlüssel halten wir auf dem Weg von der Bahn zur Haustür die ganze Zeit wie so ’n Mafa-Ring zwischen Zeige- und Mittelfinger, so dass der Zahn oder Bart oder wie das heißt da als Klinge rausguckt, um eventuellen Angreifern damit ins Auge oder was weiß ich wohin stechen zu können. Wenn wir auf ein Tinder-Date gehen, checken wir in eine App ein, auf der unsere Freundinnen live unsere Standorte verfolgen können, für alle Fälle. Wir lassen beim Ausgehen keine Sekunde lang unser Glas aus den Augen, und wenn uns ein Typ einen ausgeben will, kommen wir mit zur Bar, um sicherzustellen, dass er da unterwegs keine K.-o.-Tropfen reintut. Jeden einzelnen fucking Tag bekommen wir mehrere widerliche Zuschriften, oft unkommentierte Penis-Bilder oder gleich Videos, wie sich irgendein Ficker einen auf uns abschruppt, das nennen die ENTSAFTEN, Alder, und das tun sie mittlerweile noch nicht mal mehr anonym, sondern das wird schön unter Klarnamen verschickt, they don’t care. Wir gehen durch die Gegend mit starrem Blick, um Blickkontakt mit aufdringlichen Gaffertypen zu vermeiden. Wir setzen uns Kopfhörer auf, ohne Musik zu hören, einfach um das Risiko zu minimieren, von so random Dudes angelabert zu werden (wird man trotzdem). Wir lernen: NICHT freundlich gucken. Wir müssen hundertmal am Tag sagen: Nein. Face it, das ist NORMAL für uns Frauen. Wir kennen es LITERALLY nicht anders. Und jetzt willst du mir erzählen, der Fummel-Opi sei das Problem? Der ist ein komplettes Opfer, der Typ. Ein fucking Joke. Wie alt ist der, hundertzwanzig? Grabscht er da eben bisschen rum, wenn wir verkabelt werden, ja und? Wir finden immer am lustigsten, dass er dabei so was murmelt von wegen »Sonst raschelt das Mikro, wenn du dich bewegst«, als sei er jetzt so voll der Tonmann und überhaupt das allwissende TV-Mastermind, nur weil er irgendwann vor neuntausend Jahren mal in der Schweiz ne Quizshow moderiert hat. Mir tut der nur leid. Yo geil, Opi, erzähl noch mal, wie du das Farbfernsehen erfunden hast, cool story, Boomer. Ja, hoppala, das sind meine Titten, macht ja nix, mein Fehler – du stirbst eh bald.

Hat das meiner Karriere geschadet, dass ich gut aussehe? Sicher nicht. Aber wenn ich die Nachteile, eine Frau zu sein, ja eh habe, warum dann nicht wenigstens auch die paar Vorteile mitnehmen? Der Deal ist doch klar, und das ist überall so, keine meiner Freundinnen kennt das NICHT: Eine Frau zu sein, das ist KARRIEREMÄSSIG ein Nachteil, aber es gibt eben diese zehn, höchstens fünfzehn Jahre, von knapp zwanzig bis Anfang dreißig, da hat der Sexismus auch ein paar Vorteile. Gut aussehen, lächeln, nicht ernst genommen werden – drüber wegkommen und einsacken, was du kriegen kannst. So einfach ist das. Kotzt mich das an? Klar kotzt mich das an. Kann ich es ändern? Deine Mudder kann das ändern. Ey, ohne Scheiß jetzt, aber wenn es echt nur um meine HAARE geht, what’s the point – die Ansage war klar, und damit kann ich umgehen. Außerdem mag ich meine Haare so glatt eh auch selbst viel lieber, mir ist das nur sonst immer zu viel Aufwand gewesen, aber dann mache ich es jetzt halt, wenn das andersherum bedeutet, dass ich nicht auf die Nachmittagsschiene verlegt werde, in die Kaffeeklatschtodeszone, um zur Strafe dieses Emo-Format »Was macht das mit mir?« zu moderieren – echt zero Bock drauf. Ich will die Primetime behalten, ich will das Gesicht bleiben von »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen«. Das hübsche Gesicht, meinetwegen. Geht doch hier nicht um meine Frisur, sondern um meinen Lebenslauf. Ansonsten einfach an Tina Feys goldene Regel fürs Berufsleben denken: Trage immer einen BH – egal, was passiert, das wirst du nie bereuen. Und dann auf in den Kampf.

Benjamin von Stuckrad-Barre: Noch wach? (Kiepenheuer & Witsch)

 

 

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