Zwischen Ödnis und Perfektion

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Die Implantate werden: hart wie Stein, laufen in den Körper aus, verdecken Krebs und verleugnen den lebendigen Körper.
Die Sexualchirurgie expandierte in den 80er Jahren als Reaktion auf die Schönheitspornografie. Die Brust ist der Körperteil, den die Ärzte am Häufigsten schneiden.
Bis zu 7 von 10 Operationen haben zur Folge, dass sich um das Implantat herum das Narbengewebe verhärtet. Die Brüste werden steinhart, und entweder wird erneut aufgeschnitten, um die Implantate zu entfernen, oder der Chirurg sprengt die Kapsel, indem er mit voller Kraft die Brust mit bloßen Händen zusammendrückt. Saline-Implantate schrumpfen zusammen und müssen hinausgenommen werden. Bei Silikonimplantaten sickert die Substanz ins Körpergewebe aus – medizinische Fachzeitschriften sagen Problem mit dem Immunsystem und das Syndrom des toxischen Schocks voraus. Implantate erschweren die Krebsfrüherkennung: Eine Studie am Brust-Zentrum in Van Nuys, Kalifornien, ergab, dass man bei keiner von 20 Krebspatientinnen mit Implantaten den Krebs frühzeitig erkannte und er, als man ihn schließlich entdeckte, bei 13 der 20 Frauen bereits auf die Lymphknoten übergegriffen hatte.
Ein weiteres Risiko, das in den Quellen, die Frauen normalerweise zugänglich sind, nie auftaucht, ist der Verlust der Sensibilität der Brustwarze: „Jeder chirurgische Eingriff an der Brust wirkt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nachteilig auf die erotische Sensibilität aus, und darauf sollte der Chirurg hinweisen, falls es für die Patientin wichtig ist.“ Indem sie das erotische Empfinden zerstört, ist die Brustchirurgie eine Form der sexuellen Verstümmelung.
Man stelle sich vor: Penis-Implantate, Penis-Vergrößerungen, Vorhaut-Verlängerung, Silikon-Injektionen in die Hoden zur Korrektur von Asymmetrieen, Injektionen einer Kochsalzlösung mit drei verschiedenen Größen zur Auswahl, Operationen zur Korrektur des Erektionswinkels oder zum Liften des Skrotums, damit es straffer wirkt. Vorher-Nachher-Fotos des vergrößerten Penis im Esquire. Totaler Sensibilitätsverlust der Eichel. Verringerung der sexuellen Empfindung. Zerstörung der sexuellen Empfindung. Verhärtung der Eichel bis zur Konsistenz harten Plastiks. Hodenschwellung und –verhärtung und die hohe Wahrscheinlichkeit weiterer Operationen, inklusive Narbenwucherungen. Implantate, die der Chirurg mit manuellem Druck auseinanderbrechen muss. Schrumpfen des Implantats. Aussickern der Flüssigkeit ins Gewebe. Unbekannte Langzeitfolgen. Wochenlange Genesungszeit, während der der Penis nicht berührt werden darf...
Jeder zivilisierte Mensch wird mir zustimmen: Solche Verstümmelungen sind grässlich. Als Frau sind Sie beim lesen wahrscheinlich zurückgeschreckt; und als Mann haben Sie sicher fast körperlichen Ekel empfunden. Da man Frauen jedoch beibringt, sich mitfühlender mit dem Körper eines Mannes oder eines Kindes zu identifizieren als mit ihrem eigenen Körper, sind sie bei der Schilderung solcher Angriffe auf ihre eigenen Sexualorgane nicht schockiert. Man könnte Einwenden, dass Brust und Penis nicht vergleichbar sind, und das stimmt auch: Die Brustchirurgie ist nicht direkt eine Klitorektomie. Sie ist nur eine halbe Klitorektomie.
Und wie die Brustverstümmelung wurde auch die genitale Verstümmelung lange bagatellisiert. Es ist kein Zufall, dass die Brustchirurgie zu einem Zeitpunkt zunimmt, an dem die weibliche Sexualität als derart bedrohlich empfunden wird. Es gibt eine Pornografieform, bei der das Zerschneiden und Verletzen der weiblichen Brust im Vordergrund steht. Niemand scheint daran interessiert, dass die Brüste natürlich oder „perfekter“ werden. Der chirurgische Eingriff an sich bekommt eine erotische Bedeutung. Der Gedanke, dass Wissenschaftler die weibliche Brust aufschneiden, verletzen und künstlich umformen entpuppt sich als endgültiger erotischer Triumpf.
Nur zwei Jahrzehnte, in denen die weibliche Sexualität durch Schönheitspornografie beschnitten wurde, haben genügt, dass eine sexuell empfindungslose Brust als „besser“ gilt und empfunden wird als eine Brust, die sexuelle Empfindungen hat. Die gleiche stillschweigende Zensur, die Frauengesichter auf ein bestimmtes Bild zurechtstutzt, stutzt auch die weibliche Brust auf ein bestimmtes Bild zurecht – und verschweigt den Frauen, wie weibliche Brüste wirklich aussehen.
Die Medienkultur zeigt makellos perfekte Brüste, aber fast niemals solche, die weich, asymmetrisch, voll entwickelt oder durch Schwangerschaft verändert sind. Den Frauen wird verschwiegen, wie verschieden die Brüste anderer Frauen beschaffen sind. Da die meisten Frauen niemals die Brüste anderer Frauen berühren, haben sie keine Vorstellung davon, wie sie sich anfühlen oder sich bewegen. Und da die Schönheitszensur die Frauen über die tatsächlichen körperlichen Beschaffenheiten anderer Frauen tief im Dunkeln lässt, kann sie jeder Frau einimpfen, dass nur ihre Brüste zu weich sind, zu tief ansetzen, zu tief hängen, zu klein, zu groß, zu irgendwie komisch oder nicht in Ordnung sind.

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Auszug aus „Mythos Schönheit“ (Rowohlt TB)

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